Читать книгу Emma - Yvon Mutzner - Страница 10
ОглавлениеArmut
Der Bauer war zufrieden. Wohlgefällig blickte er über seinen Stall, in dem die Kühe zahlreich an der Krippe standen, Heu aus der Krippe zupften, bedächtig mahlten. Er hatte Glück gehabt dieses Jahr, noch war keine Kuh erkrankt. Es schepperte, Stephan stellte den frisch gespülten Melkeimer in den Stall. «Für heute ist Feierabend, Stephan. Du kannst morgen beim Heuen helfen.» «Morgen habe ich Schule, Herr Widmer, da kann ich erst am späteren Nachmittag kommen.» «Lernt ihr überhaupt etwas in dieser Schule, der Kuhn sieht mir nicht aus wie einer, der den Kindern Respekt beibringen kann», knurrte der Bauer. «Dann kommst du halt am Nachmittag, aber trödle nicht herum!» Er wandte sich ab und schritt über den sauber gefegten Hof.
Direkt vor ihm öffnete sich die Haustür, und ein mageres Mädchen in einem verwaschenen Kleid huschte hinaus, unter dem Arm einen Laib Brot. Es stockte, als es den Bauern sah, grüsste mit gesenktem Blick und eilte davon. Bauer Widmer stiess die Tür auf, der Geruch von frisch Gebackenem umschmeichelte seine Nase. Er streifte die schweren Stiefel ab, zog den Stallkittel aus und schlüpfte in die Filzpantoffeln. In der Küche stand seine Frau am Herd, in dem ein Feuer knackte und prasselte. Sie rührte in einer dicken Gemüsesuppe, die mit grossen Fleischbrocken angereichert war. Ihr rundes Gesicht war von der Wärme gerötet, das Haar begann, sich aus den strengen Flechten rund um ihren Kopf zu lösen. «War das die Emma, die gerade hinausschlich?», polterte der Bauer. Seine Frau strich sich eine Strähne aus dem Gesicht. «Ja, das war die Emma.» «Du weisst, dass es mir nicht gefällt, wenn du diesen Hungerleidern Kunz Essen gibst. Es genügt, wenn mir der Stephan im Stall hilft und dafür Milch bekommt.» Seine Frau drehte sich langsam um und sah ihm ins Gesicht: «Sei nicht so hart, Hans! Uns geht es gut. Die drüben haben viele Mäuler am Tisch, da reicht es hinten und vorne nicht. Auch nicht mit der Milch, die du Stephan gibst. Es ist unsere Christenpflicht zu helfen.» «Der Oswald soll halt seinen Verdienst nicht versaufen, dann hätten auch die Kunzens ihr Auskommen. Saufen und vögeln, das ist das einzige, was er mit Ausdauer macht. Den zu unterstützen ist nicht meine Christenpflicht.»
Widmers Frau baute sich vor ihm auf, die Arme in die ausladenden Hüften gestemmt. Ihr Ton wurde schärfer. «Jetzt mach aber einen Punkt, Hans! Dafür können weder Rosina noch ihre Kinder etwas. Denen geht es einfach mies. Unternimm endlich etwas gegen diese Misere. Oswald Kunz ist nicht der einzige im Dorf, der zuviel trinkt, und seine Frau ist nicht die einzige, die von Tag zu Tag nicht weiss, wie sie ihre Kinder satt bekommt. Es ist eine Schande!» Amalia Widmer legte eine Pause ein. Dann sprach sie leise, jedes Wort betonend: «Du bist im Gemeinderat, Hans Widmer. Heute abend ist Sitzung, Gelegenheit, die Sache endlich an die Hand zu nehmen!»