Читать книгу Emma - Yvon Mutzner - Страница 7

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Leben und Tod

Emma und der kleine Stephan spielten am Tisch mit hölzernen Spindeln und farbigen Stofffetzen aus der Webstube. Atemnot dämpfte ihr Spiel. Ihre Haut war bleich, ihre Körper mager. Keuchhusten schüttelte sie, wie auch die fünf Monate alte Lina.

Emma schien nichts mehr fest, alles irrlichterte, und hinter allen Gegenständen öffneten sich seltsame Räume, angefüllt mit fremden, klagenden Stimmen.

Im grossen Weidekorb wimmerte Lina. Seit einigen Tagen erbrach sie regelmässig die Milch, die sie trank. Emma gewahrte, wie der Faden dünner wurde, der ihre kleine Schwester mit der Welt verband. Ein Ring aus Licht begann um den Weidekorb zu leuchten. Emma versuchte ihrem Bruder dieses Licht zu zeigen, doch er konnte es nicht sehen. Plötzlich wurde es ruhig im Korb. War Lina eingeschlafen? Emma stand vom Tisch auf und schaute hinein – direkt in grosse, weit geöffnete Augen.

In Brittnau wurden diesen Frühling viele kleine Gräber ausgehoben. Eines auch für Lina. Es war bereits das zweite Kind, das Rosina und Oswald Kunz verloren hatten. Sieben Jahre zuvor war der kleine Paul gestorben, nur drei Wochen alt. Einfach nicht mehr aus dem Schlaf erwacht. Und nun Lina. Rosina Kunz verschloss ihren Kummer. Linas sonniges Lächeln, ihr kleiner, warmer Mund an der Brust, die flaumigen Haare würden ihr fehlen. Aber nun war es so. Rosina schluckte leer; Tränen hatte sie keine mehr.

Die Frau fröstelte; die fahle Sonne des Frühlingstages vermochte sie nicht zu wärmen. Neben ihr stand steif ihr Mann, unbeholfen und ratlos. Gebeugt die Gestalt, die Gesichtszüge wie Ackerfurchen. Sein schwarzer Sonntagsanzug hing an ihm herunter wie an einer Vogelscheuche. Wo war der junge Mann geblieben, der sie einst umworben hatte, lachend und strahlend, strotzend vor Kraft und Gesundheit? Was war aus dem Oswald geworden, der sie beim Tanzen in seinen Armen herumgewirbelt hatte, bis ihr schwindlig geworden war, dem Oswald, der ihr die ersten duftenden Maiglöckchen aus dem Wald gebracht hatte, vor allen anderen jungen Burschen des Dorfes.

Der Pfarrer murmelte den Segen, bekreuzigte sich und nahm die Schaufel zur Hand. Gefrorene Erde prasselte auf den einfachen Sarg. Mit einem Kopfnicken verabschiedete er sich von der kleinen Gruppe Menschen, die armselig dastanden, so schmerzhaft passend zur groben Holzkiste in der Grube. Rosina schien vollständig erkaltet zu sein, es glimmte kaum noch Hoffnung oder Leben in ihrem Herzen. Vielleicht regte sich der Mann neben ihr? Sagte ein paar Worte, die sie trösten konnten, fand eine warme Hand ihre kalte, hielt sie fest. Oswald sah auf die schmale, strenge Gestalt seiner Frau, dahinter standen dünn und durchsichtig die Kinder. Sein Blick verlor sich im Blassblau des Himmels, dann wandte er sich ab, seine Schritte knirschten auf dem Kies. Der Weg zum Tor war lang, und er legte ihn rasch zurück. Hinter ihm senkte sich Stille zwischen die Zypressen. Selbst die Vögel im Geäst hatten ihren Frühlingsgesang unterbrochen. Der Tod war unter ihnen, kein Zweifel. Er würde sich nicht so schnell verabschieden wie der Pfarrer.

Oswald begegnete dem Tod so, wie er der Geburt seiner Kinder begegnete. Mit Schnaps.

Rosina wandte sich um und betrachtete die Kinder, die ihr noch geblieben waren. Ernste Gesichter, Augen ohne Tränen. Die elfjährige Maria, ihre Älteste, hatte Emma auf den Arm genommen. Rosa stand mit Stephan dicht daneben. Nur Jakob hielt zwei Schritte Distanz zu dem Grüppchen. Er wollte nicht mehr dazugehören, diesem elenden Leben ausgeliefert. Seine Hände waren zu Fäusten geballt, erinnerten ihn daran, sobald als möglich das Weite zu suchen. Und das Glück.

Plötzlich jubelte Emma auf, zeigte auf die Linde neben dem Friedhof, gestikulierte mit den kurzen Armen und krähte lauthals: «Lina! Da ist Lina!» Überraschung verwandelte die Gesichter aller, die ums Grab standen. Stephan lachte fröhlich für einen Moment, seine Augen blitzten, die Trauer war weggeblasen.

Rosina schaute zu der Linde hoch, wo eine Amsel süss zu singen begann. Dahinter schickte die fahle Sonne ein paar Strahlen durch das kahle Geäst, in dem sich ein Hauch zarter, hellgrüner Blätter entrollte.

Ein Mann mit einer Schaufel schlurfte heran. Mitleidig musterte er die Frau mit den Kindern, die in ihrer Trauer lachten über wer weiss was. Er räusperte sich, hob zu sprechen an und blieb doch stumm. Alle in Brittnau hatten ihr Los zu tragen, die wenigsten sassen vor gefüllten Töpfen und ­feierten. Schweigend begann der Totengräber sein Werk. ­Unmerklich überzog ein fahles Rot Rosinas Gesicht. «Kommt, wir gehen junge Brennnesseln sammeln für eine kräftige ­Suppe.»

Emma

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