Читать книгу Emma - Yvon Mutzner - Страница 18
ОглавлениеKampf
Nach der Begegnung mit Thomas fand Emma keinen ruhigen Schlaf mehr. Fröhlich blitzende Augen tauchten in ihren Träumen auf, bittend und fordernd. Süsse durchströmte ihren Körper. Empfindungen, die sie schwach und zittrig werden und ihr Blut kochen liessen. «Emma, du hast letzte Nacht laut gestöhnt, geht es dir nicht gut?» Mina blickte mit fragenden Augen zu ihr auf. «Mach dir keine Sorgen, Mina, ich habe nur geträumt.» Emma wandte sich ab, eilte in die Küche und spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht. Abkühlen wollte sie sich und verstand, was es bedeutete, wenn es hiess, in dieser Hitze lauere ein Raubtier. Diese Gefühle waren unheimlich. Überwältigend. Bedrohlich. Sie konnte nichts dagegen tun. Nicht nur ihre Gedanken, auch ihr Körper wollte nur noch eines: immer wieder zurück – zurück zu ihm.
Bis anhin hatte sie gedacht, körperliche Liebe sei etwas, das Männer bräuchten, so wie sie essen müssen. Manche Nacht hatte sie die polternden Geräusche aus der Schlafstube der Eltern gehört, das Quietschen der Bettstatt, das Keuchen des Vaters, das sich in einem lang gezogenen Stöhnen entlud. Die Gier und die Entladung dieser Energie hatten auf ihrer Haut gebrannt. Wie oft hatte Emma gebetet, es nicht mehr hören, fühlen zu müssen. Ihre Mutter stöhnte nicht, von ihr hatte das Mädchen Müdigkeit und Angst wahrgenommen. Und Überdruss.
Die Tage gingen vorüber, Emma wusste nicht wie. Sie war abwesend, konnte sich an nichts erinnern. Ihre sonst so geschickten Hände liessen die Dinge fallen, und sie hörte nicht zu, wenn jemand mit ihr sprach. Zum ersten Mal in ihrem Leben war sie sich nicht bewusst, was um sie herum geschah. Der Vater ertappte sie beim Träumen, als sie falsche Wolle auf eine Spindel wickelte. Hart zerrte er an ihren Zöpfen.
«Das muss ein Ende haben!» Weit schritt Emma aus, neben dem Fluss in die Ebene hinaus. Entschlossen klang ihre Stimme, als sie sich selbst zur Ordnung rief. Oben am Waldrand wartete Thomas; sie wusste es. Dorthin wollte sie nicht. Wie konnte sie seine blitzenden Augen loswerden? Den Wunsch nach Austausch. Die Sehnsucht nach Berührung. Sie wollte es, und sie wollte es nicht.
Emma wusste genau, wohin es führte. Sie hatte es bei ihrer ältesten Schwester beobachtet. Junge Männer hatten Maria im «Ochsen» umworben, als sie dort serviert hatte. Einige kamen nur, um von ihr bedient zu werden, um ihr nahe zu sein. In der engen Gaststube war es leicht, einander zu berühren.
Maria hatte es genossen, begehrt zu werden. Sie hatte geleuchtet wie eine Blume, deren feuchte Blütenblätter sich an einem sonnigen Sommermorgen öffnen. Schönheit und Anmut hatten ihre Schritte über den schmutzigen Wirtshausboden tanzen lassen, derbe Witze hatte sie lachend erwidert. Sie war nicht rot geworden dabei, im Gegenteil: Jede Aufmerksamkeit hatte sie noch reger werden lassen, noch begehrenswerter. Vor einem Jahr hatte Maria geheiratet. Ihr Bauch war rund geworden, Ausgelassenheit hatte sich in fade Müdigkeit verwandelt. Verblasste Blätter taumelten von den Bäumen.
Emma schluchzte. Nein, das wollte sie nicht! Es gab so viel Schönheit auf dieser Welt! So viele Fragen harrten einer Antwort. Alles wollte sie entdecken und nicht ruhen, bis sie in die hintersten Ecken der Welt geleuchtet hatte mit ihrer Neugierde. Und darüber hinaus. Nein, sie hatte keine Lust, den Rest ihres Lebens wie eine erloschene Lampe zu verbringen.
Wie verbannte sie Thomas’ Blick aus ihrem Kopf, wie zerschnitt sie dieses Band, das sie mit ihm verband, das pulsierte und ihn so nah spüren liess?
Emma hastete übers nasse Gras, die Wigger floss träge. Die Grashalme bogen sich, die Bäume pulsten im kreisenden Saft, jeder Windhauch streichelte sie zärtlich. Emma fühlte sich trunken von der Leidenschaft der Natur um sie herum, der unendlichen Lebenskraft in allem.
Unvermittelt blieb sie stehen, wandte sich um, schritt rasch dem Dorf zu. Hier fand sie keinen Trost, keinen Willen, um das Pulsieren ihres Leibes zu dämpfen. Fast zürnte sie den Bäumen, den Hügeln, dem Fluss für deren Lebenslust. Sie wollte nicht! Nein, das wollte sie nicht, der Versuchung nachgeben, sie wusste, wie es herauskam. «Denk an Maria!», ermahnte sie sich streng. Herrgott noch mal! Sie würde nicht nachgeben, eher würde sie... Der Fluss trug Birkenblätter mit sich, die sich von den Bäumen gelöst hatten.
Emma suchte Zuflucht in der Kirche. Hier war es dämmrig und kühl. Und still. Das Gespräch mit Gott beruhigte sie. Die blitzenden Augen verschwanden aus ihrem Kopf, sie schöpfte Kraft. Aufatmend erhob sie sich, wandte sich um, strebte zum Ausgang.
Neben der Säule stand er. Unsicher, ängstlich, junge Männlichkeit in das dumpfe Halbdunkel der Kirche ausstrahlend. War das Gott, der jetzt herzhaft lachte? Oder war’s der Teufel? Emma ging auf ihn zu und wusste: Diesen Kampf hatte sie verloren. Thomas sah sie an, nahm sanft ihre Hand und zog sie hinter die Säule. Sanft legten sich seine Lippen auf die ihren; heisse Schauer durchflossen ihren Körper. Er hielt sie fest in seinen Armen.