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(1) Abwehr des Irrglaubens

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Die erste und über viele Jahrhunderte währende Art, den Koran zu lesen, war von Abwehr bestimmt, getragen von tief greifenden Verunsicherungen und Angst auslösenden Erfahrungen: Der Koran musste ein zutiefst verderbtes Buch sein. Am Anfang dieser Polemik steht als erster bedeutender Theologe Johannes von Damaskus (ca. 670–750), Mönch und Kirchenlehrer. Sein Vater war als Christ Schatzmeister am Hof des Kalifen, so dass der Sohn nicht nur aus theologischer Bildung, sondern auch aus alltäglich vertrauter Nähe Kenntnis vom Islam erhielt. In seiner Schrift „Quelle der Erkenntnis“, in dessen zweitem Teil er alle Irrlehren seiner Zeit beschreiben wollte, versuchte er zu begründen, warum Mohammed nur „ein falscher Prophet“ gewesen sein konnte, der, „nachdem er mit dem Alten und Neuen Testament Bekanntschaft gemacht und anscheinend mit einem arianischen Mönch Umgang gepflegt hatte, eine eigene Häresie schuf“; dabei „verbreitete er zum Schein das Gerücht, vom Himmel sei eine Schrift von Gott auf ihn herabgekommen“27 – ein Buch, in dem er „noch von vielen anderen lächerlichen Dingen phantasiert“28. Alles in allem habe er sich „viele absurde Geschichten zusammengefaselt“.29 Wo sich zwischen Bibel und Koran im Gemeinsamen Unterschiede, gar Widersprüche ergeben, wurde dies unter solchen Voraussetzungen der Verkündigung Mohammeds als Torheit angelastet.

Unzuverlässig konnte der Koran schon dadurch erscheinen, dass es von Jesus berichtete, was man auf christlicher Seite als apokryphe Geschichte kannte: wie er als Kind aus Ton einen Vogel formte und ihm Leben einblies, so dass er fortflog (vgl. 3,49; 5,110). Dies ist in der „Kindheitserzählung des Thomas“ aus dem zweiten Jahrhundert zu lesen30, die nie den kanonischen Schriften zugerechnet wurde. Deutlich unterschied man in christlicher Bewertung die biblischen Erzählungen von den apokryphen, nahm die einen als historische Zeugnisse und konnte die anderen für Produkte frommer Phantasie halten, ohne zu erkennen, wie fließend die Grenzen zwischen den beiden Gruppen sind.

Zu den fatalen Irrtümern des Koran wird von alters her und vielfach bis zur Gegenwart die Frage gerechnet, die Gott in der fünften Sure an Jesus richtet, um die Vorstellung einer Trinität abzuwehren:

„Jesus, Sohn Marias, hast du etwa zu den Menschen gesagt:

‚Nehmt euch außer Gott noch mich und meine Mutter zu Göttern!‘?“ (5,116)

Hier scheint das christliche Dogma vom dreieinen Gott völlig missverstanden zu sein und die mangelnde Bildung des Autors Mohammed auf der Hand zu liegen. Gar zu leicht wird dabei aber die Möglichkeit übersehen, dass sich der Koran gegen Vorstellungen wendet, die in der Tat von einigen christlichen Gruppen Arabiens gefördert worden sein könnten.31

Als völlig abwegig sah die christliche Seite auch die Behauptung des Koran an, dass Jesus von den Juden nicht hingerichtet worden sei. Diese versichern zwar:

„Wir haben Christus Jesus, den Sohn Marias, Gottes Gesandten, getötet.“

Sie haben ihn aber nicht getötet und nicht gekreuzigt … Sie haben ihn sicher nicht getötet. (4,157)

Damit scheint der Koran Lehren verfallen zu sein, die schon von bestimmten häretischen Traditionen des Christentums vertreten worden waren: dass an der Stelle Jesu ein anderer, etwa Simon von Cyrene oder Judas, hingerichtet oder gar nur ein „Scheinleib“ ans Kreuz gehängt worden sei. Derart verstehen islamische Kommentatoren vielfach diesen Vers.32 Der Koran selbst jedoch ist zurückhaltender; er bestreitet nicht das Phänomen der Kreuzigung, setzt aber dem vordergründigen Triumph der Feinde Jesu das rettende Handeln Gottes entgegen:

… es wurde ihnen der Anschein erweckt … Sie wissen über ihn nichts, vermuten nur. …

Gott hat ihn zu sich erhoben. (4,157f)

Im Unterschied zu den Evangelien, die das Bekenntnis zur Auferweckung Jesu erzählerisch entfalten, verzichtet der Koran bei seiner Aussage, dass Gott Jesus gerettet habe, auf jede Veranschaulichung. So bietet er im Gegensatz zu den neutestamentlichen Zeugnissen auch keinen Ansatz für historisch-kritische Einwände. Was er als Jesu Geschick verkündet, ist an keinen äußerlich wahrnehmbaren Sachverhalt gebunden, sondern wird allein im Wort zugesagt.

Dabei fällt freilich die für den christlichen Glauben zentrale Bedeutung von Jesu Leiden und Tod aus. Dies schafft eine theologisch schwerwiegende Differenz. Sie ist aber keine Sache historischer Argumentation. Keinesfalls kann man dem Islam die Realität der Hinrichtung Jesu so entgegenhalten, als ob er in diesem Punkt einer unverantwortlichen Phantasie verfallen wäre.33 Das aber tat man christlicherseits von Anfang an34 und wies so das gegensätzliche Bekenntnis des Koran nicht nur zurück, sondern sprach ihm aufgrund der biblischen Zeugnisse jede Ernsthaftigkeit ab, in muslimischer Bewertung ganz dem gemäß, was schon der Koran über das Verhalten der Ungläubigen zu Mohammed, Gottes früheren Gesandten und deren Botschaft sagt:

Wenn sie dich der Lüge bezichtigen – schon vor dir wurden Gesandte der Lüge bezichtigt, die die klaren Zeugnisse brachten, die Schriften und die erleuchtende Schrift. (3,18435)

Aus der christlichen Absicht, den Koran abzuwerten, ergab sich allerdings nicht selten auch das Bedürfnis nach besserer Information. So ließ im Mittelalter der Abt Peter von Cluny (Petrus Venerabilis) von dem englischen Gelehrten Robert von Ketton die erste lateinische Koranübersetzung (1143) erstellen. Einerseits sollte dieses Unternehmen dazu dienen, die „Summe der ganzen Häresie der Sarazenen“ aufzudecken – so der Titel eines der Werke dieses gelehrten Abtes –, sollte aber anderseits auch den interreligiösen Streit grundlegend verändern: allen militärischen Aktionen entgegen einen Weg eröffnen, der „nicht, wie es bei uns oft geschieht, von Waffen, sondern von Worten, nicht von Gewalt, sondern von Vernunft, nicht von Hass, sondern von Liebe“ bestimmt ist.36 Dass Peter von Cluny den Koran dabei dennoch als eine „schändliche Schrift“ anprangerte, die „viele lächerliche und höchst unvernünftige Narrheiten“ enthält37, zeigt, wie tief diese Einschätzung verwurzelt war.

Selbst der bedeutende Theologe und Kirchenpolitiker Kardinal Nikolaus von Kues, der sich im 15. Jahrhundert um die Verständigung der Religionen bemühte (gerade angesichts der Eroberung Konstantinopels durch die muslimischen Osmanen im Jahr 1453 mit seiner Schrift „De pace fidei“ – „Vom Frieden im Glauben“), behält bei seiner für die damalige Zeit erstaunlich sorgfältigen „Sichtung des Korans“ (Cribratio Alkorani, 1461)38 diese Linie bei: Er sieht in ihm ein Buch voller „Phantastereien“ und „Täuschungsmanöver“, „aus Unwissenheit und demgemäß verderbter Absicht Muḥammads hervorgegangen“, gar vom Teufel stammend, der „den verlogenen Koran zusammengestellt“ habe, usw.

Diese Urteile ziehen sich bis in die Neuzeit hinein, unterstützt von den theologischen Stimmen der Reformationszeit aus konfessionell unterschiedlichen Lagern, bestärkt von Kriegsängsten. Der Koran gilt als das Buch des „Türckischen Aberglaubens“39. Für Luther ist darin „kein Göttlich auge, sondern eitel menschliche vernunfft on Gottes wort und geist“40, nur „lere von eigen wercken und sonderlich vom schwerd“41. Demgegenüber prangert die katholische Seite an: „Luthers Lehre stimmt mit dem Koran überein.“42 So wird die Schrift der Muslime auch für die interkonfessionelle Polemik der Christen instrumentalisiert als verdammenswertes Werk. Insgesamt ist das, was Mohammed als Wort Gottes ausgab, um angeblich das Evangelium Jesu zu bestätigen, nach verbreitetem christlichen Urteil der augenscheinlichste „Ausbund von Häresien“43.

Der Koran

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