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(3) Religionsgeschichtliche Forschung aus überlegener Distanz

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Nicht allein in forschender Neugierde und reinem Erkenntnisinteresse hat die westliche Islamwissenschaft ihren Ursprung, sondern in religiösen und politischen Konfrontationen, die bis zu kriegerischen Auseinandersetzungen reichten – ob man dabei an die geistesgeschichtlichen Auswirkungen der „Türkenkriege“ des 16. Jahrhunderts denkt52, an die Impulse, die die Orientalistik durch Napoleons militärische Invasion in Ägypten (1798–1801) erhielt53, an die Verbindung von Islamwissenschaft, Kolonialismus und christlicher Mission im 19. Jahrhundert54 oder Ähnliches mehr. Zwar hat sich die Islamwissenschaft aufgrund der neuzeitlichen Aufklärung von ihrer theologischen Vorgeschichte kräftig entfernt und sich der Zielsetzung bekenntnisunabhängiger Forschung verschrieben; doch blieb sie bis ins 20. Jahrhundert hinein mit Religionspolitik und Imperialismus verquickt. Noch in unseren Tagen gelten Orientalistik und Islamwissenschaft in der islamischen Welt weithin als Repräsentanten westlichen Machtstrebens, die unter anderen Vorzeichen die missionarischen Aktivitäten der christlichen Kirchen fortsetzen. So sind etwa für den ägyptischen Schriftsteller Haykal (1888–1956; mehrmals Erziehungsminister seines Landes) die Biographien des Propheten Mohammed, die „die Orientalisten und Missionare stets von neuem vortragen“, im Grund ein „Ausdruck des Verlangens nach unverhohlener Missionierung einerseits und nach Missionierung im Namen der Wissenschaft andererseits“.55 Für Haykal steht unabweisbar fest: „Die Missionare und Orientalisten lassen ihrer Phantasie freien Lauf“56, einer Phantasie, die deutliche Herrschaftsinteressen hegt.

Wenn man solche gar zu groben Urteile nur als überzogene Reaktionen aus religiöser Empfindlichkeit ansehen wollte, nähme man die Gegensätze zu oberflächlich wahr. Zugrunde liegen die Differenzen zwischen einem wissenschaftlichen Denken einerseits, das prinzipiell nur innerweltliche Faktoren und geschichtsimmanente Zusammenhänge berücksichtigen kann, und einem Offenbarungsglauben anderseits, der sich in seinem Verständnis von Welt und Geschichte notwendigerweise auf Gott bezieht. So droht etwa der Koran den eigenmächtigen Verfassern von Gottes Wort:

Weh denen, die die Schrift mit ihrer Hand schreiben und dann sagen:

„Das ist von Gott“ (2,79).

Aber eine solch eigenmächtige Komposition der Gottesrede schreiben wissenschaftliche Koraninterpretationen Mohammed zu: Er selbst „ließ … Gott im Koran durchweg in erster Person sprechen, sich selbst aber als angeredet erscheinen“57; er schuf den Koran als „Ausdruck seiner Zwiesprache mit seinem Alter ego“58, betroffen und angeregt gar von krankhaften Zuständen59. In traditionsgeschichtlicher Hinsicht ist zu lesen, dass Mohammed „Interesse“ daran hatte, „möglichst viel jüdisches und christliches Gedankengut in Erfahrung zu bringen“, sich daraus je nach Bedarf bediente und sich schließlich „ein Repertoire seiner Verkündigung“ zusammenstellte, so dass man den Koran als „Erfolg seines Lerneifers“ ansehen kann60, eventuell sogar als „ein Gebäude von lauter entlehnten Bausteinen“61. Und in der Tat kann man entsprechende Beziehungen nicht nur zu biblischen und apokryphen Schriften ausmachen, sondern auch zu späteren legendären und romanhaften Stoffen62.

Freilich ist die Islamwissenschaft nicht insgesamt bei ihrer Beurteilung des Koran derart geneigt, die Integrität des Propheten und die Originalität seiner Botschaft zu schmälern, und sie blieb nicht bei solchen Urteilen stehen.63 Doch zeigt sich an diesen Stimmen besonders scharf die grundsätzliche Eigenheit wissenschaftlicher Distanz: den Koran zu lesen als ein Produkt, das zustande kam unter den sozialen, psychischen, intellektuellen und moralischen Bedingungen seines mutmaßlichen Autors.64

Es liegt nahe, dass sich christliche Theologen gern auf diese reduktiven Betrachtungsweisen einließen; denn darin sahen sie die Überlegenheit ihrer eigenen Glaubenszeugnisse bestätigt und konnten ihrerseits leichter behaupten: „Alle Ideen, aus denen der Islam Mohammeds entstand, waren im Alten und Neuen Testament, sowie in der christlich-jüdischen Überlieferung der dortigen Sekten enthalten.“65

In der Tat kann derjenige, der den Koran traditionskritisch liest, in ihm zahlreiche Beispiele solcher Abhängigkeiten ausmachen, manchmal als Quelle möglicher Missverständnisse und Irrtümer. Ein banaler Fall ist die genealogische Bezeichnung Marias, der Mutter Jesu, als Tochter ʿImrāns (3,35; 66,12) und Schwester Aarons (19,28). Im Alten Testament hat eine andere Maria einen Bruder Aaron und einen Vater ʿAmrām: Mirjam, auch des Mose Schwester (Num 26,59). Für nichtmuslimische Leser liegt es nahe, hier einen irreführenden Einfluss des Alten Testaments auf die Namensgebungen des Koran anzunehmen, gar eine Verwechslung der Personen.66 Beide Annahmen sind für das muslimische Verständnis des Koran jedoch abwegig. Traditionsgeschichtliche Fragen und Hypothesen zum Koran werden bislang von islamischer Theologie zumeist heftig abgewehrt. Dementsprechend erscheint aus dieser Sicht das Bündnis von christlicher Theologie und Islamwissenschaft als eine schlimme Allianz.

Schon der Koran verurteilt häufig diejenigen, die Mohammeds Verkündigung auf die alten Traditionen reduzieren wollen, damit sie sich nicht mehr von ihnen herausgefordert sehen müssen:

Wenn man zu ihnen sagt:

„Was hat euer Herr herabgesandt?“,

sagen sie:

„Das Gefabel der Früheren.“ (16,2467)

Bei allen gewaltigen Unterschieden zwischen dieser Einstellung der Zeitgenossen Mohammeds und den Methoden neuzeitlicher Wissenschaft haben sie doch gemeinsam, dass sie den Koran nicht in seinem Anspruch als prophetische Rede, sondern als ein innerweltlich zu erklärendes Objekt nehmen. Dies schafft Abstand und hält persönliche Betroffenheit ebenso fern wie ernsthafte Fragen nach der Geltung dessen, was da zugesagt und gefordert wird.

Die Fruchtbarkeit religionsgeschichtlicher Arbeit, ihr Erkenntnisgewinn, rechtfertigt sie. Den Religionen selbst geriete es zum Nachteil, wenn sie deren Methoden und Einsichten auf Dauer verdrängen wollten. Doch dies sagt noch nichts darüber aus, wieweit die christliche Theologie sich damit begnügen kann, sich die Zeugnisse anderer Religionen mit der Distanz religionswissenschaftlicher Methoden erschließen zu lassen, und ob sie nicht darüber hinaus zu diesen Religionen ein eigenes Verhältnis, mit eigenen Perspektiven, Fragen und Verfahren, gewinnen muss. Dies ist nicht im Blick auf jede Religion gleicherweise zu beantworten. Ohne Zweifel stellt sich das Problem beim Koran, der sich ausdrücklich auf die Christen und ihren Glauben bezieht, in eigener Dringlichkeit. Ihn nur in wissenschaftlicher Überlegenheit zu untersuchen und darzustellen hieße, seiner Anrede auszuweichen. Bei den alten apologetischen Auseinandersetzungen tat man dies nicht, sondern widersprach ihm energisch und versuchte ihn zu widerlegen oder, soweit sich dies machen ließ, in die christliche Tradition zu vereinnahmen und damit zu entschärfen. Aber diese Verfahren können mit ihren offensichtlichen Verständnisgrenzen nicht mehr genügen.

Der Koran

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