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I. Ausgangspunkte 1. Den Koran lesen – warum und als was?

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Die Verkündigung des Koran baute nicht nur eine Glaubensgemeinschaft auf, sondern löste ebenso von Anfang an und durch die Geschichte hindurch bis zur Gegenwart heftige Konfrontationen aus. Die Differenzen der Einschätzung reichen weit und betreffen das individuelle Bewusstsein derer, die von diesem Buch gehört haben, es lesen oder gar mit ihm leben, wie gesellschaftlichkulturelle Verhältnisse und dabei auch das Feld der Politik.

Kein Autor hat in der Hand, wie sein Werk aufgenommen wird. Dies gilt umso mehr, je wirkmächtiger es ist. Seine Bedeutung ist nicht ein für alle Mal mit der Abfassung ausgemacht; danach sind vielmehr die Leser am Zug, nicht nur als Einzelne, sondern auch als Öffentlichkeit, die das Buch wahrnimmt, darüber verhandelt und in der einen oder anderen Weise darauf reagiert. Verschiedene „Lesarten“ stehen an.1

Wenn es um ein Werk geht wie den Koran, der für Muslime schlechthin als „Gottes Wort“ gilt, kann eine derart offene Situation besonders problematisch erscheinen, erst recht dann, wenn sich ein nichtmuslimischer Theologe mit dieser Lektüre befasst. Er muss damit rechnen, dass er den tief eingewurzelten Verdacht gegen sich hat, sein Bemühen richte sich – trotz aller gut gemeinten Versicherungen – doch darauf, die Anerkennung des anderen Glaubens zu schmälern. Will er nicht wenigstens das Überlegenheitsbewusstsein seiner eigenen Religion ausbauen? Will er nicht den Glauben der anderen besser kennenlernen, damit er besser gegen ihn gewappnet sei? Wäre es nicht angemessener, das Glaubensbuch einfach der anderen Religion zu belassen und darüber hinaus den Islamwissenschaftlern, die den Außenstehenden die nötige kulturelle Bildung vermitteln?2 Auf jeden Fall ist der nichtmuslimische Theologe, der über den Koran schreibt, rechenschaftspflichtig, warum er dies tut. Drei Gründe seien hier vorweg genannt; andere mögen sich aus den folgenden Kapiteln ergeben:

Erstens werden die Christen im Koran angesprochen. Als „Leute der Schrift“ gehören sie mit anderen religiösen Gruppen, vor allem den Juden, zu dessen Adressaten.3 Einmal werden sie sogar eigens als „Leute des Evangeliums“ apostrophiert (5,47). Falls sie dies ernst nehmen, haben sie sich selbst und vielleicht auch den Muslimen zu sagen, inwieweit und wie sie dieses Buch verstehen können und was es ihnen bedeutet. Dass sie es dabei unter ihren eigenen religiösen und darüber hinausreichenden kulturellen Bedingungen aufnehmen, ist unumgänglich. Unter dieser Voraussetzung und in dieser Hinsicht haben sie für den Koran dann aber auch eine unersetzbar eigene Kompetenz.

Zweitens steht der Koran in der Wirkungsgeschichte des Christentums; er enthält ein kräftiges Stück der Erfahrungen mit dem jüdischen und christlichen Glauben, in erheblichem Maß auch mit den theologisch-spekulativen und kirchenpolitischen Komplikationen der frühen christlichen Dogmengeschichte. So kann die Wahrnehmung dieses islamischen Buchs auch dem christlichen Selbstverständnis dienen.

Drittens ist der Islam in unserer heutigen Welt eine Religion von großer geistiger wie politischer Bedeutung, in manchen Erscheinungen für problematisch und gefährlich erachtet, deshalb oft argwöhnisch oder gar in pauschaler Abwehr wahrgenommen. Der Koran ist davon mitbetroffen, ob im Einzelnen zu Recht oder Unrecht. Auf jeden Fall verlangt die Auseinandersetzung mit dem Islam auch eine sachgerechte Kenntnisnahme der Schrift, auf die er sich gründet. Dazu aber reicht die wissenschaftliche Absicht, den Koran so weit wie möglich in unbeteiligter „Objektivität“ zu erfassen, nicht hin. Ein solches Bemühen versucht von vornherein, den appellativen Charakter dieses Buchs, seine Orientierung stiftenden und handlungsleitenden Funktionen, seinen Anspruch auf Zustimmung und seinen Anstoß zum Widerspruch zu neutralisieren. Eine distanziert analysierende Haltung ist als methodische Selbstbeschränkung verantwortbar, wird aber in dem Augenblick abwegig, als sie das Monopol des rechten Verständnisses beansprucht. Dann ist sie nicht erst in religiöser und theologischer, sondern bereits in literarischer Hinsicht verfehlt. Wissenschaftliche Konstrukte können das Verständnis läutern und bereichern, aber auch blockieren.

Leicht lassen sich die Ergebnisse historischer und philologischer Studien zu weltanschaulicher Polemik instrumentalisieren. Es ist bemerkenswert, in welchem Maß und mit welcher Emotionalität im Internet Hypothesen wissenschaftlicher Korankritik4 gleicherweise von christlichen Fundamentalisten, säkularen Islamgegnern und „muslimischen“ Verfechtern eines „säkularisierten Islam“ polemisch aufgegriffen werden. Wer dagegen dem Koran gerecht werden will, muss sich immer wieder auf ihn selbst einlassen, das aber heißt: auf das für vielfältige Lesarten offene, in unterschiedlichen Bedeutungen aufnehmbare Buch.

Der Koran

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