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(4) Aufgeschlossenheit zu interreligiösem Lernen?

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Dass interreligiöses Lernen möglich und auch nötig ist, wird in der Theologie von niemandem bezweifelt, aber die Interessenlagen, das Maß der Lernbereitschaft und der Charakter der Aufgeschlossenheit sind hie und da recht unterschiedlich. Wo man den „Dialog“ nur für eine Sache der wechselseitigen Unterrichtung und des verträglichen Umgangs miteinander hält, greift man theologisch noch zu kurz, auch wenn dies für die interreligiösen Beziehungen schon von erheblicher Bedeutung ist. Letztlich steht das Grundproblem an, wie sich der Geltungsanspruch des eigenen Glaubens zu dem der anderen Religionen verhalte.

In den verschiedenen Entwürfen einer „Theologie der Religionen“, die in der Neuzeit erstellt wurden, widmete man sich einer Folge von Problemen: Zunächst fragte man auf dem Hintergrund einer rigorosen Tradition nach der Heilsmöglichkeit für die Angehörigen anderer Religionen – und erkennt diese Möglichkeit heute unbefangen an. Dann erörterte man, ob die anderen Religionen selbst auch Heilswege darstellen – und dabei sind die theologischen Positionen bis heute kontrovers. Schließlich diskutiert man die These der „pluralistischen Religionstheologie“, dass verschiedenen Religionen mit ihren unterschiedlichen Erfahrungen und ihrem je besonderen Charakter die gleiche Authentizität und derselbe Rang zukommen können68 – und lehnt dies bislang überwiegend ab. Aber die Frage, ob und inwiefern die Wahrnehmung anderer Religionen, in unserem Fall die Lektüre und das Studium des Koran, für unseren Glauben, unsere Spiritualität und unsere Theologie Gewinn bedeuten könnte, kommt bei alldem als eigenes theologisches Problem kaum in den Blick.

Gewiss sind die Grenzen für die Aneignung von Elementen fremder Religiosität und fremden Glaubens eng, vor allem bei einem derart dogmatisch angelegten Identitätsbewusstsein wie dem des Christentums. So ist es verständlich, dass man sich zumeist damit begnügt, nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden Ausschau zu halten, um so das gegenseitige Verhältnis zu bestimmen. Dennoch drängt sich bei der Wahrnehmung der Zeugnisse anderer Religionen wenigstens in einer Hinsicht ein Lernen auf, das auch den eigenen Glauben einsichtsvoller werden lässt: im Bedenken nämlich der Grenzen seiner Mitteilungs- und Überzeugungsfähigkeit – angesichts der unterschiedlichen religiösen Lebens- und Ausdrucksformen, Erfahrungswege und Institutionalisierungen sowie der gewaltigen Verständigungsschwierigkeiten und unaufhebbaren Zustimmungsverweigerungen, die sich daraus ergeben. Dass die fremde Religion anders ist und sich in dieser Andersheit behauptet, sich gar betont vom Christentum absetzt und dessen nicht bedarf, kann für Christen eine Erfahrung sein, die sie ihrer Glaubenssituation neu bewusst werden lässt. Wie sie damit jeweils umgehen – ob in stärkerer Abgrenzung und Bekräftigung der eigenen Position, ob in nachdenklicher Besinnung auf die unabänderliche Vielfalt und Gegensätzlichkeit menschlicher Überzeugungen, ob in Unsicherheit und Skepsis angesichts dieser Differenzen oder wie auch sonst –, dies lässt sich nicht in theologischen Studien entscheiden und nicht durch Lehrautoritäten reglementieren.

In diesem Sinn wird eine sorgsame christliche oder überhaupt nichtmuslimische Lektüre des Koran nicht nur darauf gerichtet sein, die Texte dieses Buchs so weit wie möglich in der Bedeutung zu verstehen, die sie für Muslime haben – dies ist gewiss unumgänglich –, sondern auch die eigenen und die fremden Lesevoraussetzungen und -folgen zu bedenken. Die Fachsprache nennt dieses Bemühen „Hermeneutik“: Lehre vom Verstehen, von der Erfahrung verschiedener Verständnishorizonte und vom Bemühen, sie einander anzunähern. Dass man dabei einen Begriff gewählt hat, der sich vom griechischen Götterboten Hermes herleitet und nicht etwa vom Engel Gabriel, mag man – im Zusammenhang der Lektüre von Koran und Bibel – als eine bedeutungsvolle Anspielung nehmen: Die Perspektiven und Wertungen werden bei solchem Lesen und Bedenken nicht immer die der Heiligen Schriften selbst sein, gerade wenn es darum geht, sich ernsthaft auf sie einzulassen. Welcher Weg den Lesern des Koran abverlangt werden kann, bis er sich ihnen als ein ansprechendes Werk erweist, zeigen Goethes Lese-Erfahrungen, an deren Anfang eine ermüdende Registrierung der Texte und Themen stand: „… Und so wiederholt sich der Koran Sure für Sure. … Nähere Bestimmung des Gebotenen und Verbotenen, fabelhafte Geschichten jüdischer und christlicher Religion, Amplifikationen aller Art, grenzenlose Tautologien und Wiederholungen bilden den Körper dieses heiligen Buches, das uns, sooft wir auch darangehen, immer von neuem anwidert, dann aber anzieht, in Erstaunen setzt und am Ende Verehrung abnötigt.“69 Dieses Ziel wird man freilich nur erreichen, wenn man auch zur rhetorischen Gestalt und ästhetischen Dimension des Koran einigermaßen Zugang findet und ihn dabei auch als ein bedeutendes Werk der Weltliteratur schätzen lernt.70

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