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Vorwort zur 4. Auflage

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Der explosive Fortschritt der Kommunikationstechniken hat den Buchmarkt erheblich betroffen. Digitalisierung und Internet bieten für Autoren wie Verlage vielfältig veränderte Voraussetzungen ihrer Arbeit. Bei aller Zwiespältigkeit der Folgen liegen die Vorteile doch auf der Hand. Deutlich zeigt sich dies etwa in zeitlicher Hinsicht: Weniger als je muss das Geschriebene über viele Jahre hinweg ein und dasselbe bleiben. Revisionen, Korrekturen, Erweiterungen – modisch zusammengefasst als „Updates“ – halten die Erörterungen im Fluss, lassen Leserinnen und Leser näher an dem teilhaben, was sich in wissenschaftlichen Studien und Diskursen tut.

Doch sollten in der Komposition dieses Buchs die grundlegenden Einsichten deutlich und die Übersicht gewahrt bleiben. Details wurden deshalb vermehrt in die zahl- und umfangreicheren Anmerkungen verlagert, als Anregung für diejenigen, die der jeweiligen Sache weiter nachgehen wollen.

Dem Untertitel der bisherigen Auflagen „Zugänge und Lesarten“ wurde ein entscheidendes Stichwort hinzugefügt: „Zugänge – Strukturen – Lesarten“. Dies besagt keine wesentliche inhaltliche Ergänzung oder perspektivische Verschiebung, will aber deutlicher auf den besonderen Charakter der Studie aufmerksam machen. Sie nimmt den Koran in erster Linie als literarisches Werk wahr, als sprachliche Architektur, als vielgestaltiges Ganzes, zugleich aber als ein Buch, das seine Bedeutung erst dort gewinnt, wo es gehört und gelesen wird. Das scheint eine banale Voraussetzung zu sein, ist es aber nicht. Bei den Studien, die sich – in Anlehnung an den bibelwissenschaftlichen Sprachgebrauch – „historisch-kritisch“ nennen oder so verstehen, gilt dies nur in eingeschränktem Maß. Ihnen ist gelegentlich schon die Würdigung des Koran als „Werk“, als verfassstes Buch, zu vordergründig: Ist er nicht erst dann richtig zu verstehen, wenn man über seine jetzige Gestalt zurückgeht und die Prozesse aufdeckt, aus denen er hervorging, die Traditionen wahrnimmt, die in ihm aufgegriffen sind, die Verhältnisse, auf die er reagiert? Dem nachzugehen hat seinen guten Grund. Schon der Name des Koran – „Rezitation“, „Vortrag“ – geht dem Buch voraus, und gegen Mohammed wird der Einwand erhoben: „Warum ist der Koran nicht als Ganzes auf ihn herabgesandt worden?“ (25,32). Er hat seine besondere Geschichte. Traditions- und redaktionskritische Fragen sind unumgänglich. Ich gehe auf sie ein, so weit es dem Problembewusstsein dient. Einen geschichtlichen Charakter aber hat der Koran in einem viel weiteren Sinn, als es die Fragen, wie und woraus er zustande gekommen sein könnte, erkennen lassen. Dies zeigt sich in zweierlei Hinsicht:

Zum einen sind offenkundig nicht alle Strukturen der uns im Koran vorgestellten Welt allgemein anerkannt. Die in ihren diesseitigen Dimensionen wahrgenommenen und ins Jenseits reichenden Räume und Zeiten, die in ihnen wirkenden Mächte, die sozialen und moralischen Ordnungen, die Erwartungen dessen, was kommen wird, und die Beschwörungen dessen, womit wir zu rechnen haben, all dies erschließt sich nicht universaler Einsicht. Es hat seine kulturellen Bedingungen und Grenzen, auch wenn die damit verbundenen Geltungsansprüche und Forderungen darüber hinausgehen. Dieses spannungsvolle Verhältnis ist keine Sache nur der Vergangenheit, sondern ist jederzeit deutlich erkennbar, drängt die Leser zu sinnstiftenden Verhandlungen.

Daraus ergibt sich ein weiteres Moment der Geschichtlichkeit. Das redaktionell abgeschlossene Buch erfährt durch diejenigen, die es in je ihrer Weise aufnehmen – oder sich dem auch betont verweigern –, unterschiedliche Bedeutung und gegensätzlichen Charakter. Mögen dabei auch zahlreich oberflächliche und abwegige Interpretationen aus Unkenntnis, Vorurteilen oder Verständnisblockaden mit ins Spiel kommen, beachtlich und achtenswert bleiben dennoch die Differenzen derer, die verantwortlich lesen.

Auf diese Sicht des Koran hin ist die vorliegende Studie, dem jetzigen Untertitel entsprechend, dreiteilig angelegt: Das erste und das letzte Kapitel sind der Rezeption des Koran gewidmet; das erste vor allem im geschichtlichen Ansatz, das letzte in Bezug auf heute anstehende Erörterungen. Diese Teile bilden die entscheidende Klammer um die dazwischenliegenden drei Kapitel, die sich mit dem Selbstverständnis des Koran, mit den in ihm verzeichneten Kommunikationen und mit dem Gefüge seiner Welt befassen. Diese Kapitel beziehen sich also auf die literarische Vorlage, auf das, was gleichsam „schwarz auf weiß“ geschrieben steht. Das allein ist aber noch nicht im eigentlichen Sinn der Koran, noch nicht das gelesene und gelebte Buch.

Wenn man gelegentlich in verbreiteter Redeweise fragt: Was sagt denn dazu der Koran?, und dabei schlicht meint: Was steht denn dort geschrieben?, kann man – etwas überspitzt – entgegenhalten: Das Buch redet nicht; die entscheidende Frage ist, was Muslime (und Nichtmuslime) in ihm lesen. Vom Koran können wir in voller Bedeutung erst sprechen, wenn beides zusammenkommt, der vorgegebene Text und die aufmerkende Rezeption. Dann aber kann es ihn notwendigerweise – auch unter gläubigen Muslimen – nur in menschlichen Maßen geben, uneinheitlich bis zum Widerstreit.

Diesem aktuellen Vorwort schließe ich die Vorworte der ersten und zweiten Auflage an. Zum einen bekräftigen sie meine durchgehend identische Absicht: den Koran vorrangig als ein geschlossenes Werk zu sehen, den Lesern anheimgestellt. Zum andern aber sprechen sie auch Umstände an, die im Laufe der Jahre bestimmte Akzentuierungen meiner Studie verändert oder neu gesetzt haben.

Vorwort zur zweiten Auflage (2012)

Die Anerkennung, die dieses Buch in seiner ersten Auflage erfreulicherweise erfahren hat, legte eine Neuauflage nahe. Diese konnte sich nicht auf einen Nachdruck oder die Korrektur einzelner Fehler beschränken. Der Abstand der Jahre erforderte eine beträchtliche Überarbeitung. Die Forschungen zum Koran haben in der Zwischenzeit neue und vertiefte Einsichten erbracht, aber auch deutlichere Problematisierungen und schärfere Auseinandersetzungen, im Blick auf seine traditionsgeschichtlichen Beziehungen wie seine Eigenständigkeit und Originalität, auf seine kommunikative Anlage und die Strukturen der in ihm zur Sprache gebrachten Welt.

Dabei hat sich die wissenschaftliche Landschaft insofern verändert, als sich zunehmend muslimische Gelehrte und „westliche“ Koranwissenschaftler zu gemeinsamen Projekten zusammenfinden. Altgewohnte Gräben sind hie und da überbrückt, Widerstände abgebaut worden. Vielfach verlaufen die Fronten quer zu den Grenzen der Religionszugehörigkeiten und weltanschaulichen Standorte. Die von 2001 bis 2006 erschienene Encyclopaedia of the Qurʾān gibt davon gutes Zeugnis.

Bemerkenswert ist die vermehrte Respektierung hermeneutischer Fragen, also die Einsicht in die unaufhebbare Bedingtheit eines jeden Verständnisses des Koran, in die Rolle der Rezipienten (Hörer, Leser) beim Aufbau seiner Bedeutungen und in die daraus folgende Verständnisvielfalt, ja -gegensätzlichkeit, deren Konsequenzen bis in die Politik reichen. Hinzu kommt eine größere Aufgeschlossenheit auch für die ästhetischen Eigenschaften und Wirkungen des Koran.

In der Medienöffentlichkeit viel Aufsehen erregt haben die Studien Christoph Luxenbergs, die mit akribischem Spürsinn die dunklen Stellen des Koran aufzuhellen und das bislang unerkannte, aber endlich „richtige“ Verständnis darzulegen beanspruchen. Auch wenn die dabei vorgetragene Selbstsicherheit angesichts der methodischen Winkelzüge überrascht und die „Lösungen“ oft reichlich verwegen sind, so sind die davon ausgehenden wissenschaftlichen Impulse und Dispute dennoch beachtlich. Sie verstärken die schon länger drängenden Fragen nach der Genese des Koran, seinem Autor oder seiner auktorialen Gruppe, seinen kultischen und rechtlichen Funktionen bei der Formierung der islamischen Gemeinde, seinen Verarbeitungen altarabischer, jüdischer und christlicher Traditionen sowie den schließlich zum kodifizierten Buch führenden Prozessen.

Doch bei all dem wäre es verfehlt, wenn man, wie es manchmal den Anschein hat, den Sinn des Koran vorrangig in seiner Entstehungsgeschichte suchen wollte, als ob er erst im Rückgriff auf Herkunft und Vorstufen verständig gelesen werden könnte. Er hat seine Bedeutung und seinen Rang schon aus sich selbst. Dies nimmt den historischen Erkundungen, Erörterungen und Einsichten nicht ihr Gewicht. Den jetzigen literarischen Bestand zu achten und nach dessen Genese zu fragen bildet keinen Gegensatz. In der Sprache der Textwissenschaft gesagt: Die synchrone und die diachrone Betrachtungsweisen stehen nicht zueinander in Konkurrenz. Beide jedoch sind umgriffen von der unumgänglichen Zuständigkeit der Leser, von der Aufgabe verantwortlicher Rezeption.

In diese Studie neu eingebracht wurde ein Kapitel über „Gleichnis, Vergleich und Beispiel“. Es erweitert die Wahrnehmung nicht nur der literarischen Formen des Koran, sondern vor allem auch seiner theologisch-didaktischen Denkweise und Rhetorik.

Verschärft ist „der Koran“ in den letzten Jahren zum Reizwort massiver Polemik geworden, bis hin zu den grotesken Aufforderungen, das Buch gesetzlich zu verbieten oder als weltweites Fanal zu verbrennen. Gegen Dummheit und Barbarei ist kein Kraut gewachsen. Dennoch wäre es falsch, solche Feindseligkeiten einfach abschätzig auf sich beruhen zu lassen. Auch sie gehören zur Wirkungsgeschichte des Koran. Ihnen widerstehen kann nur, wer dessen literarischen und religiösen Reichtum wahrnimmt, dabei aber auch seine politisch heiklen Momenten nicht überspielt.

Mit einigen wenigen Änderungen kommt der Koran nach meiner eigenen Übersetzung zu Wort (3. Auflage, Darmstadt 2010*). In ihrem Schriftbild sind die zitierten Koranpassagen nach vorwiegend drei Ebenen differenziert: erstens im eingerückten Block ohne Anführungszeichen die primäre Rede des Koran; zweitens, weiter eingerückt, die vom Koran selbst zitierten (und deshalb in Anführungszeichen stehenden) Worte; und drittens, erneut eingerückt, Zwischenrufe, zupackende Fragen, beiläufige Erläuterungen, formelhaft wiederkehrende Klauseln, Refrains und Ähnliches mehr.

Meine Koranübersetzung ist mit der vorliegenden Studie zusammenzusehen als ein Werk, von dem kein Teil ohne den anderen zustande gekommen wäre, ein Werk gewissermaßen aus Grundtext und Kommentar. Auf diesen Zusammenhang hin wurden auch die Register ausführlicher angelegt. So dient das Buch dem Koranverständnis nicht nur in kursorischer Lektüre, sondern auch bei punktuellen Nachfragen.

Dem Fortgang der wissenschaftlichen Auseinandersetzungen entsprechend mussten auch die bibliographischen Angaben und die Verweise auf unterschiedliche Positionen grundlegend überarbeitet werden. Die umfangreichen Anmerkungen entlasten jedoch die Hauptteile des Buchs von der Fülle zusätzlich anstehender Informationen und belassen es leserfreundlich.

Vorwort zur ersten Auflage (1999)

Der Koran erscheint vielen Nichtmuslimen, die ihn zu lesen versuchen, zunächst als ein schwer zugängliches, wenig ansprechendes Buch, und auch nach größerer Vertrautheit mag ihnen noch immer manches als fremd erscheinen und sie zum Widerspruch herausfordern. Muslimen dagegen ist er Gottes Wort, ein sprachlich unvergleichbar erhabenes und schönes Werk, über alle Zeiten und Kulturen hinweg gültig. Der Gegensatz löst Fragen aus, bei denen es um mehr geht als um das bloße Buch. Der Koran als vielgestaltige Rede und komponierte Schrift ist die literarische Partitur; entscheidend aber ist deren Lektüre. In ihr wird letztlich die Bedeutung ausgemacht. Demgemäß hat eine Einführung in den Koran neben dessen Texten auch die Leser mit wahrzunehmen und die Bedingungen zu erörtern, unter denen sie lesen. Diese aber sind vielfältig und lassen sich auf keinen einheitlichen Nenner bringen. Auch eine „christliche Lektüre“, um die es hier in erster Linie gehen soll, ist nicht als konforme Größe auszumachen. Allerdings sind die möglichen Differenzen und Kontroversen kaum konfessionsspezifisch. Deshalb wird im Folgenden weit häufiger von christlicher Theologie und christlichen Kirchen die Rede sein als von katholischer Theologie und Kirche.

Dabei ist eine christliche Lektüre des Koran nicht von den allgemeinen kulturellen Faktoren abgeschirmt, denen religiöse Zeugnisse in unserer Zeit ausgesetzt sind, vor allem dem religiös-weltanschaulichen Pluralismus und den Einreden von Aufklärung und Religionskritik. Deshalb trifft vieles, was für eine christlichen Lektüre gilt, generell für eine nichtmuslimische zu und mag auch die muslimische nicht unberührt lassen. Dies wird im Einzelnen zu bedenken sein.

Insgesamt richtet diese Studie ihre Aufmerksamkeit also auf die Sprechakte und Rezeptionsbedingungen des Koran. Damit dieser aber nicht nur ein Gegenstand ist, der untersucht wird, soll er häufig selbst zur Sprache kommen – notwendigerweise in der Unzulänglichkeit der Übersetzung. Dabei wird versucht, im Druckbild die rhetorische Gestalt der Korantexte wenigstens anzudeuten. Auch wenn so deren ästhetische Seite nur ganz bescheiden sichtbar gemacht werden kann, darf sie doch nicht einfach vernachlässigt werden. Sie gehört wesentlich mit zu den Faktoren, aus denen der Koran seine Bedeutung gewinnt.

Außerdem werden zu den Koranzitaten häufig parallele Stellen angemerkt, seien sie wörtlich oder nur sinngemäß. So können die inneren thematischen Vernetzungen des Koran verfolgt werden. – Die den Zitaten beigegebenen Stellenangaben besagen nicht, dass die jeweiligen Verse vollständig zitiert sind. Auslassungen sind nur innerhalb des zitierten Stückes angezeigt, nicht jedoch, wenn sie vorausgehen oder nachfolgen.** – Die Verszählung richtet sich nach der Standardausgabe von Kairo (der einige deutsche Übersetzungen des Koran nicht entsprechen).

Durch ein Personen-, Sach- und Begriffsregister sowie ein Register der angeführten Koranstellen soll diese Studie leichter zu Rate gezogen werden können.

Wissenschaftliche Untersuchungen, von denen das Gelingen dieses Buchs abhängig war und die weiterführende Wege weisen, nennt das Literaturverzeichnis. – Aus fremdsprachiger Literatur wird fast immer deutsch zitiert. Wenn nicht anders vermerkt, handelt es sich jeweils (wie auch bei den Texten aus dem Koran) um eigene Übersetzung. Wo vereinzelt arabische Begriffe verwandt werden, ist bei der Umschrift nicht konsequent auf exakte Transkription, sondern in erster Linie auf deutsche Lesbarkeit Wert gelegt. Dasselbe gilt für fremdsprachige Namen.

Ich widme dieses Buch meinen muslimischen Bekannten, Freundinnen und Freunden, die mit mir der Überzeugung sind, dass es für den Frieden zwischen den Religionen keinen anderen Weg gibt als den „zu einem zwischen und euch gemeinsamen Wort“ (Sure 3,64).

* Inzwischen 6. Auflage, 2018.

** Dies trifft inzwischen so allgemein nicht mehr zu.

Der Koran

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