Читать книгу Das Heilige Römische Reich deutscher Nation und seine Territorien - Joachim Whaley - Страница 30

Оглавление

12. Zwei Kriege und drei Kaiser

In den letzten Jahren Leopolds I. († 1705) kam es zu zwei großen internationalen Konflikten, die tiefgreifende Auswirkungen auf die Regierung seiner Söhne Josephs I. (1705–1711) und Karls VI. (1711–1740) hatten. Deutschland stand weder im Spanischen Erbfolgekrieg (1701–1714) noch im Großen Nordischen Krieg (1700–1721) im Mittelpunkt: In Spanien ging es um die Zukunft des Landes und seiner Besitzungen nach dem Tod Karls II. im November 1700; der Krieg im Norden war der letzte Akt in Schwedens Bemühungen, Hegemonie über das Baltikum zu erlangen. In beiden Konflikten kulminierten Auseinandersetzungen, die die europäische Politik seit 1648 überschattet hatten und deren Lösung einen neuen internationalen politischen Rahmen schuf – wovon auch das Reich betroffen war.

Am spanischen Krieg war es infolge der formellen Kriegserklärung gegen Frankreich im September 1702 beteiligt. Am Nordischen Krieg nahm es nicht offiziell teil, eine Schlüsselrolle spielten jedoch die norddeutschen Mächte Hannover, Brandenburg-Preußen sowie Sachsen und der Kaiser wirkte zeitweise als Vermittler. In beiden Kriegen traten zudem Grundzüge des Status quo im Reich zutage. Der spanische Krieg war geprägt von den Spannungen zwischen den verschiedenen Rollen der Habsburger: als Herrscher Österreichs, als Kaiser der Heiligen Römischen Reichs und als Angehörige der Dynastie.1 Der Krieg im Norden markierte das Ende der schwedischen Präsenz in Norddeutschland und den Auftritt Russlands als europäische Macht; in ihm spiegelten sich zudem die Probleme des Kaisers mit den Aktivitäten der mächtigen Fürsten, deren deutsche Reichslehen mit fremden Kronen verbunden waren.2

Das Ergebnis all dieser Ereignisse war eine weitere Konsolidierung der kaiserlichen Macht. Leopold hatte weitgehend auf Einflussnahme und auf die Autorität gesetzt, die ihm seine langen Jahre auf dem Thron und die erfolgreiche Abwehr der Türken und Franzosen verschafft hatten. Vor verändertem internationalem und militärischem Hintergrund versuchten Joseph I. und Karl VI. ihre Macht direkter und druckvoller auszuüben. Dabei spielte auch ihre unterschiedliche Persönlichkeit eine Rolle: Die kaiserliche Herrschaft gewann mit Joseph an Schwung und Kraft; der Übergang zu Karl veränderte die Perspektiven erneut. Vielsagend ist schon das neue Bild der imperialen Majestät: Leopold setzte auf Symbole, die ihn als Vermittler zwischen Himmel und Erde, zwischen Gott und der Menschheit erscheinen ließen. Joseph hingegen zog das Bild der Sonne vor, das er von seinem Erzrivalen Ludwig XIV. übernahm, und Karl die Säulen des Herakles, das einst von Karl V. verwendete Symbol der habsburgischen Macht.3

Manche meinen, Leopolds Söhne seien von anderen Notwendigkeiten getrieben worden und das Reich für sie nicht mehr so wichtig gewesen wie für Leopold, da die Spannungen zwischen der österreichischen Monarchie und dem Reich nun zugunsten Österreichs gelöst waren.4 Die Konsolidierung der habsburgischen Stellung in Italien ließ sicherlich Visionen eines größeren Imperiums aus der Zeit Maximilians I. und Karls V. wiederaufleben, von dem das Deutsche Reich nur einen Teil bildete. Zugleich aber eröffnete die Akquisition der Spanischen Niederlande durch die erstmalige Präsenz im Nordwesten seit Karl V. Möglichkeiten für andere Initiativen im Reich selbst. Joseph und Karl knüpften in vielerlei Weise an Leopolds Politik an. Ihre Rollen als Herrscher Österreichs und heilig-römische Kaiser ließen sich verbinden. Nur in Bezug auf Spanien waren sie wie Leopold gezwungen, sich während des Krieges für ihre Rolle in Österreich und dem Reich oder als habsburgische Dynasten zu entscheiden.

Jede Festigung der habsburgischen Autorität im Reich war unausweichlich problematisch, da sie zum Widerstand gegen eine starke deutsche Monarchie führte. Verschärft wurde dies nach 1720 durch die zunehmende Selbstsicherheit der »königlichen« Fürsten, vor allem der Kurfürsten von Hannover (König von Großbritannien) und Brandenburg (König in Preußen). Deutsche Historiker konzentrierten sich traditionell auf die beginnende Herausforderung Habsburgs durch Preußen im Zuge der Annexion Schlesiens durch Friedrich den Großen 1740. In den 1720er Jahren indes war der Fall Preußen einer unter mehreren, eine deutsche Manifestation eines breiteren europäischen Problems für die Kaiser. Seit 1648 zeigten sich andere europäische Herrscher zunehmend unwillig, die Vorrangstellung des Kaisers anzuerkennen. Der englische Hof war nicht der einzige, der kaiserlichen Botschaftern und Abgesandten ein ausgefeilteres Zeremoniell als anderen verweigerte; das Beharren des Kaisers auf den herkömmlichen zeremoniellen Formen in Wien konterten Großbritannien, Schweden, Dänemark und Frankreich, indem sie überhaupt keine Botschafter schickten.5 Solche Probleme waren auch realpolitisch von Belang.

Man sollte daraus indes nicht schließen, die Stellung des Kaisers sei untergraben oder gar ernsthaft gefährdet gewesen. Der Anspruch auf Vorrang wurde in den 1720er Jahren nach wie vor druckvoll und glaubwürdig vertreten. Der Kaisertitel war für die Habsburger weiterhin wesentlich und von Gewichtigkeit im Reich wie, wenn auch in geringerem Maß als im 16. Jahrhundert, in Europa.

Karl VI. geriet in den 1730er Jahren ins Straucheln und am Ende des Jahrzehnts war von seiner beherrschenden Stellung in den 1720er Jahren wenig übrig. Dies wurde traditionell gern seinen Fehlern vor allem in der Außenpolitik zugeschrieben.6

Sein Engagement im Polnischen Erbfolgekrieg 1773–1778 war sicherlich unklug, aber nicht die Art nationaler Krise, von der seine Vorgänger oft profitiert hatten: Gefahr drohte dem Reich weder von den Türken noch von den Franzosen.

Wichtiger war die simple Tatsache, dass Karl keinen männlichen Erben vorweisen konnte. Seine Regierung blieb effektiv, aber die Versuche, die Thronfolge seiner Tochter in Österreich und seinen anderen Territorien sicherzustellen, zeigten das Grundproblem seiner Herrschaft nur zu deutlich. Ab den frühen 1720er Jahren wurden die Erbfolge und ihre Sicherung durch die Unterstützung erst seiner eigenen Länder, dann der Reichsfürsten und anderer europäischer Mächte politisch zunehmend dominant. Das änderte freilich nichts daran, dass die Kaiserkrone, die laut der Goldenen Bulle nur ein Mann tragen durfte, unweigerlich verloren gewesen wäre. Ironischerweise zeigte die kurze Zeit des Wittelsbachers Karls VII. (1742–1745) auf dem Kaiserthron, dass es keine Alternative zu den Habsburgern gab, auf die die Kurfürsten dann erneut setzten.

Anmerkungen

1 Hochedlinger, Wars, 174–193; McKay und Scott, Rise, 54–63.

2 Duchhardt, Altes Reich, 73–78; McKay und Scott, Rise, 77–93; Frost, Northern Wars, 226–300.

3 Schmidt, Geschichte, 262f.; Ingrao, Monarchy, 122f.; DaCosta Kaufmann, Court, 289–303; O’Reilly, »Lost Chances«, 68.

4 Vgl. etwa Klueting, Reich, 97–123, der seine Ansicht durch Zitate anderer belegt.

5 Pečar, »Symbolische Politik«, 291f.

6 Aretin, Altes Reich II, 333–350.

Das Heilige Römische Reich deutscher Nation und seine Territorien

Подняться наверх