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19. Das Problem der österreichischen Thronfolge

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Das Fehlen eines männlichen Erben belastete die Dynastie Habsburg schon lange bevor es zum politischen Problem wurde.1 Im 1703 geschlossenen pactum mutuae successionis, dessen Bedingungen teilweise geheim blieben, vereinbarte Leopold I. mit seinen beiden Söhnen, dass Joseph Österreich und Karl Spanien erben sollte. Falls beide keinen männlichen Nachkommen und Joseph keinen dritten Sohn hätte, ginge das Erbe an weibliche Linien über, wobei Josephs Töchter bevorzugt werden sollten. Die drei Schwestern von Joseph und Karl waren von der Erbfolge ausgeschlossen, wovon ihre Mutter, die nach Josephs Tod bis zu Karls Rückkehr aus Spanien als Regentin herrschte, allerdings nichts wusste.

Karl musste sich mit dem Thema befassen, weil die ungarischen Magnaten andeuteten, eine weibliche Thronfolge bedeute die Wiederherstellung ihres Wahlrechts, weil ihre Vereinbarung mit den Habsburgern auf dem verfassungsrechtlichen Status quo von 1687 beruhe, der eine Monarchin ausschloss. Zudem verlangte Josephs Witwe kurz vor dem Eintreffen von Karls Gattin Elisabeth Christine in Wien Auskunft über die zukünftige Stellung ihrer Töchter am Hof. Falls sie als Erbinnen anerkannt würden, sollten sie den Schwestern des Kaisers vorgezogen werden. Am 19. April 1713 bestimmte Karl per Dekret, dass seine weiblichen Erben bei Ausbleiben eines Sohnes Vorrang genossen.

Vorläufig war dies alles hypothetisch, da Karl noch keine Kinder hatte. Ein im April 1716 geborener Sohn starb indes nach nur sieben Monaten und die Geburt zweier Töchter (Maria Theresia im Mai 1717, Maria Anna im September 1718) machte eine weibliche Thronfolge denkbar. Nach zähen Verhandlungen mit den Ständen der habsburgischen Länder stimmten diese zwischen 1720 und 1725 einer solchen Regelung zu. Als Maria Josepha den Kronprinzen von Sachsen-Polen, Friedrich August, heiratete, musste sie gemäß den Bedingungen der erstmals so genannten Pragmatischen Sanktion auf ihre Rechte verzichten.2 1722 heiratete Maria Amalia Karl Albrecht von Bayern, und auch hier mussten Braut, Bräutigam und Kurfürst Max Emanuel allen Ansprüchen auf eine Thronfolge abschwören. Für die Bayern war das kein Problem, weil ihre eigenen möglichen Rechte auf den österreichischen Thron auf viel älteren Vereinbarungen beruhten.

In mancher Hinsicht folgte die Pragmatische Sanktion einer Zeitströmung. Um 1700 suchten zahlreiche deutsche Herrscherhäuser das Bestehen ihrer Territorien zu sichern, indem sie Vereinbarungen zur Primogenitur trafen.3 Dass diese vom Reichshofrat anerkannt wurden, galt ebenfalls als entscheidend; tatsächlich hatte der Rat zu jener Zeit sehr viel mit der Schlichtung von Disputen zu tun, die auf derartige Vereinbarungen zurückgingen.4 Im späten 16. Jahrhundert hatte die Aufteilung der Länder Ferdinands I. unter seine Söhne den Habsburgern geschadet.5 Die Pragmatische Sanktion sollte eine weit schlimmere Zersplitterung bei Ausbleiben eines männlichen Erben vermeiden. Langfristig ließ diese Festigung der Einheit der habsburgischen Länder die Trennung zwischen den Interessen der Habsburgermonarchie und denen des Reichs deutlicher hervortreten, aber das war nicht ihr vorrangiger Zweck. Prinz Eugens viel zitierte Feststellung, Karl müsse seine »weitläufige und herrliche Monarchie zu einem totum machen«, scheint passend, wird aber gern aus ihrem Kontext gerissen. Tatsächlich wollte er damit den Kaiser im Januar 1726 überzeugen, wöchentliche gemeinsame Sitzungen der Geheimkonferenz und der Räte von Spanien und Flandern einzuführen, um den zur Finanzierung der Armee nötigen Einnahmefluss der verschiedenen Länder zu koordinieren.6

In mancher Hinsicht indes unterschied sich der Fall Habsburg von anderen deutschen Dynastien. Erstens sah er eine Abweichung vom Prinzip der männlichen Thronfolge vor, die im Reich die Norm war. Eine weibliche Thronfolge war generell nur zulässig, wenn sie im ursprünglichen Lehensvertrag ausdrücklich niedergelegt war. Zweitens fielen Lehen, die wegen des Aussterbens einer männlichen Linie vakant wurden, üblicherweise ans Reich zurück oder gingen mit kaiserlicher Genehmigung an die nächstverwandte Dynastie.7 Drittens wiesen viele im Reich darauf hin, wenn der Reichstag die Pragmatische Sanktion garantiere, gewährleiste er damit auch Vereinbarungen über Territorien außerhalb des Reichs, etwa Ungarn oder Sizilien. Hier kam die traditionelle Abneigung der deutschen Fürsten, zur Verteidigung habsburgischer Interessen jenseits der Reichsgrenzen herangezogen zu werden, ins Spiel. Und schließlich konnte die Reichstagsgarantie bedeuten, sich in der Frage der Nachfolge auf dem Kaiserthron von vornherein auf einen zukünftigen Gatten von Maria Theresia festzulegen – vorausgesetzt, er wäre Deutscher.

Prinz Eugen mahnte, nur eine gut gefüllte Schatzkammer und ein starkes Heer könnten die Pragmatische Sanktion wirklich absichern.8 Andere waren überzeugt, zur Vermeidung eines österreichischen Erbfolgekriegs wie in Spanien seien internationale Garantien nötig. Zudem brauchte Maria Theresia die ausdrückliche Garantie des Reichstags, um gegen alle Tradition und Sitte die österreichischen Länder halten zu können. Das war jedenfalls die Meinung der »österreichischen Partei« in Wien, die insbesondere der aufstrebende Johann Christoph Bartenstein vertrat, ab 1724 Kanzler, ab 1727 Sekretär der Geheimkonferenz und von 1733 an als Geheimer Rat für die gesamte Außenpolitik zuständig.9

Als erster Garant wurde 1725 Spanien gewonnen, im Rahmen der vagen Abmachungen über die spanisch-österreichischen Heiratsprojekte. 1726 kam Russland dazu, dem Österreich zusagte, seine Expansionspläne im Südosten zu unterstützen. Die anderen Kandidaten warfen wesentlich mehr Probleme auf. 1726 kam ein geheimes Abkommen mit Brandenburg-Preußen zustande, 1728 sagte Friedrich Wilhelm I. offiziell zu, die Pragmatische Sanktion im Reichstag zu unterstützen und seine Stimme bei der nächsten Kaiserwahl Maria Theresias künftigem Gatten zu geben. Er zog die Habsburger auf dem Kaiserthron allen anderen Möglichkeiten vor: Eine Wahl des sächsischen oder bayerischen Kurfürsten hätte Brandenburgs Stellung im Norden gefährdet. Auch ein großer internationaler Krieg würde Brandenburg bedrohen, ebenso wie die Akquisition wichtiger habsburgischer Territorien durch Sachsen-Polen und irgendeine Erhebung in eine Position wie Hannover-Großbritannien. Eigennutz, nicht Patriotismus machte den preußischen König zum Habsburg-Loyalisten.

Im Gegenzug verpflichtete sich Karl VI., Brandenburgs Ansprüche auf die Erbfolge in Jülich-Berg zu unterstützen. Dieses für Brandenburg und die Pfalz enorm wichtige Problem zeigt die Schwierigkeiten und Gefahren, die das Erlöschen einer männlichen Linie mit sich brachte.10 Es ging zurück auf die gegenseitige Erbfolgeklausel in dem 1666 zwischen beiden Herrscherhäusern geschlossenen Abkommen über die Regierung von Jülich-Kleve-Berg, das sie gemeinsam geerbt und 1614 geteilt hatten. Da der Große Kurfürst zwei Töchter und sechs Söhne hatte und der pfälzische Kurfürst sechs Söhne und sechs Töchter zurückließ, schien unvorstellbar, dass die Klausel je relevant werden würde.

Als jedoch Karl Philipp (* 1661, † 1742) 1716 seinem Bruder Johann Wilhelm auf den Thron folgte, war er praktisch der letzte überlebende männliche Neuburg, da seine beiden Brüder Bischöfe waren (Franz Ludwig in Trier und später Mainz, Alexander Sigismund in Augsburg), was bedeutete, dass das Kurfürstentum und andere Länder auf die verwandte Sulzbach-Linie übergehen würden, mit deren Thronfolger er seine Tochter verheiratet hatte. 1733 waren jedoch sie, ihr Gatte und dessen jüngerer Bruder tot und Pfälzer Thronfolger war nun der neunjährige Karl-Theodor von Pfalz-Sulzbach. Aus pfälzischer Sicht sprach für Karl Theodors Anspruch auf Jülich-Berg, dass auch er von Anna von Neuburg abstammte, einer der vier weiblichen Erben von Jülich-Kleve nach dem Tod von Johann Wilhelm von Jülich-Kleve 1609. Gegen Karl Philipps zahlreiche Versuche, Jülich-Berg zu halten, führte Brandenburg ins Feld, der Vertrag von 1666 sehe eine gegenseitige Erbfolge der zwei Hauptlinien vor und erwähne verwandte Dynastien nicht.

Ob Karl VI. je ernsthaft vorhatte, die preußischen Ansprüche auf dieses überwiegend katholische Territorium zu begünstigen, ist eine andere Frage. Schon im Sommer 1732 wurde Friedrich Wilhelm erklärt, der Kaiser werde doch keine Übereinkunft bezüglich Jülich-Berg vermitteln. Dass er in dieser Hinsicht gar nichts unternahm, führte letztlich dazu, dass Berlin 1739 mit Frankreich ein Abkommen schloss und Friedrich der Große sich nach seiner Thronbesteigung 1740 gegen Österreich wandte. 1728 jedoch sicherte sich der Kaiser mit seinem Versprechen die unschätzbare Hilfe des preußischen Königs für seine eigenen Erbfolgepläne.

Bei Hannover-Großbritannien stand mehr zur Verhandlung. London betrachtete nicht nur die Ostender Kompanie als Bedrohung seines Handels. Der Kaiser machte Ausflüchte, was die Versprechen gegenüber Spanien von 1725 betraf, und erlaubte aufgrund der Vereinbarungen mit dem Reichstag von 1722 nach wie vor keine spanischen Garnisonen auf Reichsterritorium in Parma und der Toskana. Folglich sah er sich mit dem Vertrag von Sevilla vom 9. November 1729 mit einer feindlichen Liga aus Großbritannien, Spanien, Frankreich und den Niederlanden konfrontiert.11 1731 erklärte sich Wien bereit, den von London verlangten Preis zu bezahlen. Die Ostender Kompanie wurde aufgelöst und, noch schmerzlicher, Karl gestattete die spanischen Garnisonen. Dafür garantierte Großbritannien die Pragmatische Sanktion; die Niederlande und Dänemark schlossen sich an. Das Abkommen mit dem Reichstag, der erste Vertrag zwischen dem Reich und den Habsburgern überhaupt, trat mit der kaiserlichen Bestätigung am 3. Februar 1732 in Kraft.

Für die Opposition, um deren Vergrößerung sich Bayern sehr bemühte, bedeutete das eine Niederlage. 1724 hatte Max Emanuel die Wittelsbacher Hausunion mit den Kurfürsten der Pfalz, von Trier und Köln ausgehandelt.12 Ein Ziel war, den Disput zwischen Bayern und der Pfalz beizulegen, wer im Fall eines Interregnums als Vikar das südliche Reich vertreten sollte; man einigte sich auf eine gemeinsame Administration. Darüber hinaus ging es um die Gründung einer katholischen Liga im Reich, um dem Corpus Evangelicorum entgegenzutreten. Die Vertragspartner vereinbarten gegenseitigen Schutz, koordinierte Kontakte zum Reichstag sowie zu anderen Körperschaften und die gemeinsame Verteidigung der Vorrechte aller Kurfürsten. Ausgeschlossen blieben protestantische Linien des Hauses, allerdings unterschrieben neben den vier Kurfürsten auch die wittelsbachischen Bischöfe von Regensburg und Augsburg.

Eine Ausweitung der Union verhinderte die vorherrschende Rolle der prohabsburgischen Schönborn-Dynastie in der Reichskirche der 1720er Jahre. Angesichts der geringen Unterstützung im Reich und des Misstrauens von Wien blieb Bayern und der Pfalz keine andere Wahl, als erneut zu versuchen, sich mit Frankreich zu verständigen, und zumindest die interne Solidarität zu wahren. Franz-Ludwig von Pfalz-Neuburg unterstützte jedoch nach seiner Versetzung von Trier nach Mainz 1729 die Pragmatische Sanktion.13 Und obwohl die Hausunion 1728 erneuert wurde, litt ihr Zusammenhalt darunter, dass Karl Philipp von der Pfalz grundsätzlich kaisertreu und mehr als alles andere von der Frage der Erbfolge in Jülich-Berg besessen war.14

Bayern weigerte sich, die Pragmatische Sanktion mitzutragen, die Pfalz ebenso, obwohl Karl Philipps Forderung – die Verleihung eines Fürstentitels an seine morganatische dritte Frau (offiziell seine »Mätresse«), die Gräfin Violanta von Thurn und Taxis – 1733 erfüllt wurde.15 Auch Sachsen protestierte gegen die Reichstagsentscheidung, aber die Unterstützung von Brandenburg und Hannover gab den Ausschlag.

In deutlichem Kontrast zu ihrer Taktik bezüglich des Religionsstreits in der Pfalz 1719 bemühten sich Berlin und Hannover nun sehr, zu verhindern, dass ein weiteres und womöglich ernsteres konfessionelles Problem der Pragmatischen Sanktion im Weg stand. Die Nachricht, dass der Salzburger Erzbischof beschlossen hatte, seine protestantischen Untertanen des Territoriums zu verweisen, erreichte den Reichstag wenige Wochen nach der ersten Diskussion der Sanktion im Oktober 1731.16 Obwohl sein Handeln grundsätzlich vom Westfälischen Frieden gedeckt war, sorgte die Ausweisung von etwa zwanzigtausend Einwohnern für außerordentliches Aufsehen.

Unter Protestanten herrschte Empörung, aber Brandenburg und Hannover gelang es, die Krise zu bewältigen, indem Brandenburg selbst die meisten der Flüchtlinge aufnahm. Natürlich profitierte der preußische König wirtschaftlich von diesem Zustrom an Bevölkerung, die größtenteils auf kaum oder gar nicht besiedeltem Land in Brandenburg und Ostpreußen angesiedelt wurde. Aber das Tempo, mit dem die beiden führenden protestantischen Regierungen die Krise entschärften, verdankte sich ihrer Entschlossenheit, die Tauglichkeit des neuen Einverständnisses mit Wien unter Beweis zu stellen. Die Reichstagsresolution selbst betonte, wie wichtig die dauerhafte Einheit der habsburgischen Länder für die Sicherheit des Reichs insgesamt sei.17

Das Heilige Römische Reich deutscher Nation und seine Territorien

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