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Die Pilgerfahrt der büßenden Krieger

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Urbans Aufruf an potenzielle Kreuzfahrer, durch ihren Waffendienst Buße zu tun, hatte seine Wurzeln im Investiturstreit zwischen Kaiser- und Papsttum. Die Päpste hatten ihrem Abscheu davor, von der Kontrolle durch Laien abhängig zu sein, deutlichen Ausdruck verliehen, indem sie beherzte Schritte unternahmen, sich von dem Schutz der römisch-deutschen Kaiser loszusagen – obwohl sie dies den Begehrlichkeiten des römischen Stadtadels aussetzte, der schon zu früheren Zeiten bewiesen hatte, dass er seinen Bischof durchaus als Mittel zum Zweck gebrauchen würde, wenn man ihn nicht in seine Schranken wies. Angesichts schwelender Konflikte in der Christenheit und der Bedrohung durch den römischen Adel in der eigenen Stadt hatten sich die Päpste in Italien selbst nach Verbündeten umgesehen und sich in ganz Europa um weltliche Unterstützung bemüht. Auch hatten sie Gelehrte gebeten, eine Rechtfertigung christlicher Gewaltanwendung zu liefern. Besondere Bedeutung kam in diesem Zusammenhang einer Gruppe brillanter Köpfe um die Markgräfin Mathilde von Tuszien zu – heutzutage würde man vielleicht von einer „Ideenfabrik“ sprechen. Mathilde gehörte zu den glühendsten Unterstützern der radikalen Reformbewegung, und die von ihr versammelte Gelehrtenschar befasste sich insbesondere mit der Wiederbelebung und Weiterentwicklung der bereits vorgestellten augustinischen Theorie der gerechtfertigten Gewaltanwendung – Augustinus war noch immer der einflussreichste Theoretiker christlicher Gewalt. Bischof Anselm II. von Lucca stellte eine Sammlung von Augustinus’ Äußerungen zu diesem Thema zusammen. Johannes von Mantua entwickelte ein starkes Argument für die weltliche Autorität der Päpste aus jener Bibelstelle, in der Petrus im Garten Gethsemane ein Schwert zieht, dem „Knecht des Hohenpriesters“ ein Ohr abschlägt und daraufh in von Jesus zurechtgewiesen wird. Johannes von Mantua argumentierte, dass zwar Petrus in seiner Eigenschaft als Priester nicht berechtigt gewesen sei, selbst das Schwert zu führen, dass er und seine Nachfolger, die Päpste, jedoch darüber Gewalt hätten; schließlich habe Christus seinen Jünger lediglich angewiesen, das Schwert in die Scheide zu stecken, und nicht etwa, es wegzuwerfen. Bonizo von Sutri griff die Vorstellung vom Martyrium in der Schlacht auf, der sich das Papsttum schon seit dem 9. Jahrhundert hin und wieder bedient hatte. Damals hatten gleich zwei Päpste festgestellt, dass Kämpfer, die im Kampf gegen Ungläubige fielen – die richtige Geisteshaltung vorausgesetzt –, das ewige Leben erlangen würden. Einer dieser Päpste hatte das Versprechen noch erweitert, indem er den Toten die Absolution verhieß. Dieser Präzedenzfall scheint auch den Kirchenrechtler Ivo von Chartres, der zur Zeit des Ersten Kreuzzuges schrieb, davon überzeugt zu haben, dass der Tod im Kampf gegen die Feinde des Glaubens belohnt werden könne. In der Zwischenzeit war der Ehrentitel „Märtyrer“ aber schon von Papst Leo IX. auf all jene ausgedehnt worden, die bei der Verteidigung der Gerechtigkeit getötet wurden, indem er von dem „Martyrium“ der Kämpfer sprach, die bei der Niederlage der päpstlichen Truppen gegen die Normannen in der Schlacht von Civitate 1053 gefallen waren.

Der Kreuzzug jedoch sollte als ein Unternehmen dargestellt werden, das über den bloßen Waffendienst im Namen Gottes noch weit hinausging. Vielmehr sollte er als ein Akt der Buße gepredigt werden und dies – darauf hat der konservative Gegner der Kirchenreform Sigebert von Gembloux hingewiesen – bedeutete eine Abkehr von der bis dahin gültigen christlichen Lehre von der Gewaltanwendung. Noch bis in das 12. Jahrhundert hinein gingen die Meinungen darüber, ob der bewaffnete Kampf für einen Christen ein Verdienst darstelle, weit auseinander: von Zweifeln darüber, ob sich die Sünde auf dem Schlachtfeld denn überhaupt vermeiden lasse, bis hin zu der Überzeugung, selbstlose Gewalt könne ein Kennzeichen der Tugend sein. Die Vorstellung vom Kriegszug als Bußakt war revolutionär, denn sie stellte die Kampfhandlung auf dieselbe Ebene wie das Gebet, die tätige Barmherzigkeit oder das Fasten. Man dachte früher, das erste Anzeichen für diese Geisteshaltung im Umfeld der Kurie sei ein „Ablass“ gewesen, den Papst Alexander II. den christlichen Belagerern der muslimischen Festung Bar bastro in Spanien 1063/1064 gewährt hat. Mittlerweile ist jedoch darauf hingewiesen worden, dass aus Alexanders Schreiben überhaupt nicht hervorgeht, dass seine Adressaten Kriegsteilnehmer gewesen wären – in Wirklichkeit war es vermutlich an Pilger gerichtet –, und so ist es wahrscheinlicher, dass es Gregor VII. war, der als erster Papst unmissverständlich festgestellt hat, die Teilnahme an einem gerechten Krieg könne als Akt der Nächstenliebe und sogar als Bußhandlung gelten. Sigebert von Gembloux jedenfalls scheint diese Idee für Gregors eigenen Einfall gehalten zu haben.

Gregor verband eine enge spirituelle Beziehung mit Mathilde von Tuszien, und zwischen ihren Kreisen wurden Gedanken ausgetauscht. Das Konzept eines als Akt der Buße geführten Krieges entstand im Verlauf dieses Austauschs. Ein Reformgegner warf Gregor daraufhin vor, er habe „Laien … zum Blutvergießen aufgestachelt, Männer, die doch eine Erlösung von ihren Sünden anstreben.“ Sigebert von Gembloux berichtet, Papst Gregor habe das besagte Konzept erstmals angewandt, als er „Mathilde befahl, zur Vergebung ihrer Sünden gegen den Kaiser Heinrich zu kämpfen“. Die Wendung „Vergebung der Sünden“ erinnert wohl nicht von ungefähr an die Definition der Taufe nach dem Nizänischen Glaubensbekenntnis – ein Echo, das der gesamten Aussage in den Ohren eines zeitgenössischen Publikums enormen Nachdruck verliehen haben muss. Der Gedankengang Gregors scheint auch in einer Lebensbeschreibung des Anselm von Lucca auf, in der einer von Anselms Geistlichen davon erzählt, wie er im Jahr 1085 einen Segen Anselms an Mathildes Heer überbrachte: „Uns war aufgetragen, den Männern die Gefahren der kommenden Schlacht einzuschärfen, die zur Vergebung all ihrer Sünden geschlagen werden würde.“ Anselm rechtfertigte also einen (Buß-)Krieg mit dem Argument, die Teilnahme am Kampf für eine gerechte Sache sei, da gefährlich, eine Bußleistung.

All dies begründete eine ganz neue Kategorie von Kriegführung. Die Kreuzzüge sollten nicht ihre einzigen frühen Beispiele bleiben, wohl aber die bedeutendsten. Ein Angriff der Pisaner auf die nordafrikanische Stadt Mahdia im Jahr 1087 erfolgte, wie es hieß, „zur Vergebung der Sünden“. Und in der allgemeinen Euphorie, die auf die Befreiung Jerusalems folgte, appellierte Papst Paschalis II. an den gerade aus dem Heiligen Land heimgekehrten Grafen Robert von Flandern, er solle doch gleich noch einen weiteren Bußkrieg gegen die Gegner der Kirchenreform führen. In dem Jahrzehnt vor Beginn des Ersten Kreuzzuges muss sich die Vorstellung, dass man als Akt der Buße in den Krieg ziehen konnte, in den Familien und Netzwerken der Unterstützer des Papsttums herumgesprochen und von papsttreuen Klöstern in den umliegenden Gegenden verbreitet haben. Wie so vieles von dem radikalen Gedankengut, das im Zuge des Investiturstreites in Umlauf geriet, hätte sich auch die Vorstellung vom „Bußkrieg“ auf theologischer Grundlage nur schwerlich rechtfertigen lassen. Keinesfalls wäre es leicht gewesen – ganz gleich, wie unangenehm die Teilnahme an solch einem Bußkrieg im Einzelfall auch gewesen sein mag –, das Zufügen von Schmerz und Leid bis hin zum Verlust vieler Menschenleben, das ja auf den Seelenzustand des Tötenden keinen geringen Einfluss hatte, allein deshalb als Buße zu verteidigen, weil der Büßer sich dabei selbst der Gefahr aussetzte, getötet zu werden. Es sollte eine Leistung Papst Urbans II. sein, dieser Vorstellung zu einem etwas plausibleren argumentativen Rahmen zu verhelfen, indem er sie nämlich mit der charismatischsten aller traditionellen Bußleistungen verknüpfte: der Wallfahrt nach Jerusalem.

Die Kreuzzüge

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