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Pogrome und Judenfeindschaft

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Der Kreuzzug begann mit einem Alptraum. Kurz nach dem Konzil von Clermont kam es in Teilen Frankreichs zu Ausbrüchen antijüdischer Gewalt. Diese breiteten sich nach Deutschland und Mitteleuropa aus, und zwar im Gefolge der ersten Welle von Kreuzfahrern, die in den Osten aufbrachen. Am 3. Mai 1096 brach ein Sturm der Gewalt über die jüdische Gemeinde von Speyer herein, wo sich eine süddeutsche Streitmacht unter dem Kommando des Grafen Emicho von Flonheim versammelt hatte. Emicho war der unbarmherzigste Judenhasser unter den beteiligten Anführern. Von Speyer zog er mit seinen Männern nach Worms, wo das Massaker unter der jüdischen Bevölkerung am 18. Mai begann, und dann nach Mainz, wo sich sein Heer mit weiteren deutschen sowie französischen, englischen, flandrischen und lothringischen Truppen vereinigte. Zwischen dem 25. und dem 29. Mai wurde die jüdische Gemeinde von Mainz, eine der größten in ganz Europa, dezimiert. Anschließend zogen einige der Kreuzfahrer nordwärts in Richtung Köln, von wo sich die dortigen Juden bereits auf die umliegenden Dörfer zerstreut hatten. Den ganzen nächsten Monat hindurch wurden sie gejagt und ermordet. Eine weitere Rotte von Kreuzfahrern scheint in Richtung Südwesten gezogen zu sein, nach Trier und Metz, wo sich die Massaker fortsetzten. Möglicherweise zwang das Kreuzfahrerheer Peters des Eremiten beinahe die gesamte jüdische Gemeinde von Regensburg, die christliche Taufe anzunehmen. Die jüdischen Gemeinden von Prag und im böhmischen Wesseli wurden von einem anderen Kreuzfahrerheer heimgesucht; vermutlich war es dasjenige des Predigers Folkmar.

In den Köpfen weltlicher Ritter und anderer Kreuzfahrer konnte der Aufruf Urbans II. eine Interpretation nach sich ziehen, die der Kirche zwar nicht gefiel, gegen die sie aber wenig unternehmen konnte. Die Gesellschaft Westeuropas zu jener Zeit setzte sich aus vielen enggeknüpften und ineinandergreifenden Kreisen zusammen. Das waren zunächst Familien, die das Bewusstsein verband, dass ihre Mitglieder blutsverwandt und somit „Freunde“ waren, was eine allseitige Verpflichtung einschloss, sich für die Interessen aller Familienmitglieder einzusetzen. Hinzu kamen die Netzwerke von Vasallen und Klienten, die sich um adlige Herren gruppierten und ihren Mitgliedern ganz ähnliche Verpflichtungen auferlegten, wie die Familien es taten. All diese Beziehungsnetze verpflichteten die in ihnen verbundenen Männer zur Teilnahme an der „Blutfehde“ genannten Praxis, für die Interessen ihrer Angehörigen, Lehnsherren oder Mitklienten auch mit Waffengewalt einzutreten. Es ist bezeichnend, dass der erste Aufruf zum Kreuzzug in einer intimen, geradezu familiären Sprache verfasst war: Die Kreuzfahrer sollten ihren unterdrückten „Brüdern“, den orientalischen Christen, zu Hilfe eilen, denn sie waren ja verpflichtet, diese zu lieben. Auch für Jesus Christus, ihren „Vater“ und „Herrn“, sollten sie in den Kampf ziehen, der gedemütigt und seines „Erbes“ oder seines „väterlichen Erbteils“ beraubt worden war. Man könnte das alles als Aufruf zu einer Blutfehde lesen:

Ich spreche zu Vätern und Söhnen und Brüdern und Neffen. Wenn ein Fremder einen eurer Verwandten umbrächte – würdet Ihr da nicht euer eigen Fleisch und Blut rächen? Um wie viel dringlicher müsstet ihr dann euren Gott rächen, euren Vater, euren Bruder, den ihr vor euren Augen gedemütigt seht, aus seinem Eigentum vertrieben, ans Kreuz geschlagen; den ihr voller Verzweiflung um Hilfe rufen hört?

Es scheint den Kreuzfahrern unmöglich gewesen zu sein, zwischen Muslimen und Juden zu unterscheiden. Wenn sie schon, wie sie es selbst sahen, aufgerufen waren, die Kränkung von Christi „Ehre“ zu rächen, die der Verlust seines „väterlichen Erbteils“ an die Muslime in ihren Augen bedeutete – warum, fragten sie, sollten sie dann nicht auch die tiefste Demütigung seiner Person rächen, die Kreuzigung? Schließlich war diese doch ungleich schlimmer gewesen, und einer zur damaligen Zeit kursierenden Legende zufolge soll Christus noch vom Kreuz herab alle Gläubigen aufgerufen haben, seinen Tod zu rächen. In den Augen gebildeter Theologen jedoch konnten derart weit zurückliegende Ereignisse – die Kreuzigung, traditionell im Jahr 33 angesiedelt, und die muslimische Besetzung Jerusalems im Jahr 638 – keine Grundlage für einen Rachefeldzug sein. Es war vielmehr eine gegenwärtige Kränkung – die Tatsache, dass die Muslime die Heilige Stadt noch immer besetzt hielten –, die allein den Kreuzzug rechtfertigen konnte, und nicht irgendeine schwammige Empfindung von einst erlittener Schmach. Da der Akzent der Kreuzzugspredigten jedoch nun einmal darauf gelegen hatte, den bewaffneten Kampf als Ausdruck der Gottes- und Bruderliebe zu feiern, war es unmöglich, die aus dieser Darstellung erwachsenen Emotionen zu kontrollieren.

Susanna Throop hat allerdings darauf hingewiesen, dass der Rachegedanke in den Quellen zum Ersten Kreuzzug eine vergleichsweise unbedeutende Rolle spielt. Erst mit den Kreuzzügen des späteren 12. Jahrhunderts werden die Rufe nach Vergeltung lauter. Manche zeitgenössischen Kommentatoren führten die Pogrome auf pure Habgier zurück, und tatsächlich war es ja so, dass die Kreuzfahrer die jüdischen Gemeinden erpressten und ausplünderten. Die hebräischen Quellen stellen die Sache jedoch etwas anders dar: Für sie ist es mehr die Gier der örtlichen Bischöfe, ihrer Schergen und der Einwohner von Speyer, Worms oder Mainz, als die der Kreuzfahrer, denen es eher um die gewaltsame Bekehrung der Juden zum Christentum zu gehen scheint. An allen betroffenen Orten wurden Juden nämlich vor die Wahl gestellt: Taufe oder Tod. Synagogen, Thorarollen und jüdische Friedhöfe wurden geschändet. Die Juden fürchteten, dass die Kreuzfahrer das Judentum ausrotten wollten, wo sie es fanden, obwohl die Zwangsbekehrung Ungläubiger laut Kirchenrecht verboten war und die deutschen Bischöfe versuchten – mit wechselndem Erfolg –, die entsprechenden Ausschreitungen zu unterbinden.

Es fällt nicht leicht, das Motiv der Rache mit demjenigen der Bekehrung in Einklang zu bringen: Das eine ist ein Akt der Vergeltung; bei dem anderen handelte es sich – zumindest in den Augen der „Bekehrer“ – um die Erweisung einer Wohltat. Zu heftigen Übergriffen kam es außerdem häufiger in der Vorbereitungs- als in der Durchführungsphase von Kreuzzügen. Ein stark emotionalisierter Antijudaismus findet sich offenbar in einem europäischen Kontext, aber nicht oder nicht so sehr in einem westasiatischen; unter den Kreuzfahrern in Palästina herrschte, jedenfalls nach 1110, eine vergleichsweise stark ausgeprägte Toleranz. Zwangstaufen von Juden mögen der Überzeugung Ausdruck verliehen haben, dass die Bekehrung aller Juden das Jüngste Gericht einläuten würde, doch lassen sich die erwähnten Widersprüche noch überzeugender damit erklären, dass jeglicher Heilige Krieg die Tendenz hat, sich nach innen zu wenden. Seine Krieger gelangen zu der Überzeugung, ihr Vorhaben könne niemals gelingen, wenn nicht zuerst ihre eigene Gesellschaft von Verblendung und Frevel gereinigt werde. Der christliche Kreuzzug mündete – wie der islamische Dschihad – nur allzu leicht in einem Streben nach absoluter religiöser Konformität im eigenen Land. Während die Kirche antijüdische Ausschreitungen nicht tolerieren konnte – aus der Überzeugung heraus, die Juden seien in dienender Stellung als Zeugen der Heilsgeschichte Teil des göttlichen Plans –, blieben die Juden dennoch eine fremde Gruppe, und es mag durchaus sein, dass ihnen die Taufe letztlich aufgezwungen wurde, um eine religiös homogene, christliche Gesellschaft hervorzubringen.

Die Kreuzzüge

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