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Die zweite Welle: Die Belagerung von Antiochia und ihre Folgen

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Eine Streitmacht von vielleicht 30.000 Männern und Frauen begann nun eine Belagerung, die bis zum 3. Juni 1098 dauern sollte. Zwischen dem Berg Silpius und dem Fluss Orontes gelegen, konnte Antiochia, dessen Zitadelle auf dem Berggipfel gut 300 Meter über der Stadt gelegen war, niemals vollständig eingeschlossen werden. Die Kreuzfahrer errichteten Lager und Kastelle jenseits des Flusses sowie vor den Nord- und Südtoren der Stadt. Jedoch können diese nur spärlich besetzt gewesen sein, da ein Großteil des Kreuzfahrerheeres mit der Nahrungsbeschaffung beschäftigt gewesen sein dürfte. Nachdem sie ohne jeglichen Versorgungsplan in Asien einmarschiert waren – zweifellos wäre es auch unmöglich gewesen, einen solchen aufzustellen –, waren sie nun ganz auf das angewiesen, was sie selbst an Lebensmitteln auftreiben konnten, so dass nach kurzer Zeit die nähere Umgebung Antiochias ausgeplündert war. Infolgedessen sahen sich die Kreuzfahrer gezwungen, sich ihre Vorräte in immer weiterer Entfernung zu suchen, wobei sie bisweilen bis zu 80 Kilometer zurücklegten und Proviantsammelstellen in großer Entfernung von Antiochia anlegten: nordwärts in Richtung Kilikien; im Nordosten gen Edessa; in östlicher Richtung nach Yenişehir und Harim; im Süden bis nach Latakia (dem antiken Laodicea). Wer sich mit den Quellentexten zur Belagerung von Antiochia auseinandersetzt, gewinnt weniger den Eindruck eines Kriegsgeschehens als den einer ständigen Nahrungssuche. Durch Nahrungsmangel und Krankheiten kam es bald zu Hungersnöten, Epidemien und zahlreichen Toten. Anscheinend waren viele Kreuzfahrer chronisch krank. Auch die Verarmung nahm zu: Viele edle Herren, die in der Heimat großes Ansehen genossen hatten, mussten sich nun, da sie sich allein nicht mehr finanzieren konnten, in die Dienste der großen Fürsten begeben. Diese Anführer wiederum gerieten unter großen Druck, denn sie mussten nun für einen ständig schwankenden Kreis von Abhängigen sorgen, der mit den Nahrungsvorräten wuchs und auch wieder schrumpfte. Bereits im Januar 1098 drohte Bohemund von Tarent, seine Teilnahme an der Belagerung zu beenden, da er sie sich nicht länger leisten könne. Im folgenden Sommer befanden sich auch Gottfried von Bouillon und Robert von Flandern zeitweilig in Not. Unter diesen aufreibenden Umständen überrascht es nicht, dass Heimweh und Zukunftsängste im Kreuzfahrerlager um sich griffen und zu Panikausbrüchen und Fahnenflucht führten.

Die Belagerung von Antiochia dauerte siebeneinhalb Monate. Vor allem während des Winters litten die Kreuzfahrer ganz erbärmlich. Ende Dezember 1097 und Anfang Februar 1098 gelang es ihnen, Angriffe muslimischer Entsatztruppen abzuwehren – im zweiten Fall verbunden mit einem Ausfall der Garnison von Antiochia. Im Mai 1098 jedoch verließ eine dritte, sehr große Streitmacht, die um Kontingente aus dem Irak und aus Iran verstärkt worden war, unter dem Kommando ihres Anführers Kerboga die Stadt Mossul. Dieses Heer verbrachte unterwegs drei fruchtlose Wochen mit einer Belagerung von Edessa – das war der zweite Fall, in dem Balduins Initiative für das Überleben des Kreuzzuges von erheblicher Bedeutung war. Anschließend zogen Kerbogas Männer weiter, sammelten unterwegs noch weitere Truppen aus Aleppo ein und erreichten am 5. Juni das Gebiet von Antiochia. Zu dieser Zeit hatte sich die Lage für die Kreuzfahrer entscheidend verändert. Bohemund, dessen Ambition, Antiochia selbst zu besitzen, sich bereits deutlich äußerte, war in Verhandlungen mit einem Hauptmann der Antiochener Garnison eingetreten, vermutlich einem fahnenflüchtigen Armenier, der versprochen hatte, die Stadt an Bohemund auszuliefern. Dieser überzeugte alle seine Mitstreiter, mit Ausnahme Raimunds von Toulouse, ihm die Stadt zu versprechen, sofern seine Truppen sie als erste betreten würden und der Kaiser nie persönlich käme, um sie für sich zu beanspruchen. Sodann enthüllte er das Komplott zur Einnahme der Stadt, und sie versprachen ihm ihre Unterstützung. Kurz vor Sonnenuntergang am 2. Juni unternahmen die Kreuzfahrer ein sorgfältig vorbereitetes Ablenkungsmanöver, nur um nach Einbruch der Dunkelheit wieder in ihre Stellungen zurückzukehren. Im Morgengrauen des 3. Juni erklommen sechzig Ritter aus Bohemunds Gefolge die Stadtmauern auf halber Höhe des Berges Silpius beim „Turm der Zwei Schwestern“ und stürmten sodann den Hang hinunter, um das St.-Georgs-Tor der Stadt zu öffnen. Darauf hatten ihre Waffenbrüder nur gewartet und strömten in die Stadt. Bis zum Abend war Antiochia in der Hand der Kreuzfahrer, wiewohl die Zitadelle weiter Widerstand leistete. Der muslimische Stadtkommandant, der die Flucht ergriffen hatte, fiel unterwegs von seinem Pferd und wurde von einer Gruppe armenischer Bauern enthauptet.

Die Kreuzfahrer waren nun im Besitz einer Stadt, die gerade eine lange Belagerung überstanden hatte. Beinahe unverzüglich sahen sie sich jedoch selbst belagert, denn Kerbogas Heer näherte sich und schlug sein Lager jenseits des Flusses auf. Kerboga stand in Kontakt mit der Besatzung der Zitadelle, die am 9. Juni einen Ausfall unternahm. Ein Ausfallversuch der Kreuzfahrer scheiterte am 10. Juni, und in der Nacht erreichte ihre Kampfmoral den Tiefpunkt. Die Zahl der gelungenen und versuchten Desertionen stieg derart rapide an, dass die Anführer des Kreuzfahrerheeres eine Massenflucht befürchteten und die Stadttore verriegeln ließen. Diejenigen, die entkommen konnten, schlossen sich Stephan von Blois an, der zwar erst kurz zuvor zum Oberkommandierenden des Kreuzfahrerheeres gewählt worden war, sich jedoch kurz vor der Eroberung von Antiochia nach Alexandretta zurückgezogen hatte, vermutlich wegen gesundheitlicher Probleme. Nun ergriff ihn die Panik – und er selbst ergriff die Flucht. Nachdem er das kaiserlich-byzantinische Hauptquartier in Akşehir erreicht hatte, überzeugten Stephan und seine Begleiter Kaiser Alexios von der Aussichtslosigkeit der Lage in Antiochia, woraufhin Alexios, der einen türkischen Gegenangriff in Anatolien fürchtete, mit seinen Truppen wieder nach Norden aufbrach, zurück in das sichere Konstantinopel.

Innerhalb der Mauern von Antiochia jedoch begann die Truppenmoral sich langsam zu heben. Zwei „Seher“ waren an die Anführer des Kreuzzuges herangetreten. Einer der beiden behauptete, Christus sei ihm in der Nacht des 10. Juni erschienen und habe ihm versichert, dass die Kreuzfahrer letztlich siegen würden – vorausgesetzt, sie täten Buße für ihre Sünden. Dem anderen Mann hatte mittels mehrerer Visionen der heilige Andreas das Versteck der Heiligen Lanze gezeigt, mit deren Spitze Jesu Seite durchbohrt worden war, als dieser am Kreuz hing. Am 14. Juni wurde die besagte Reliquie auf dem Grund eines Grabens „entdeckt“, der in der neu geweihten Kathedrale von Antiochia gegraben worden war. Die Anführer des Kreuzzuges, unter ihnen der päpstliche Legat, waren zwar skeptisch – aber die einfacheren Kreuzritter schöpften neuen Mut. Um die Krise zu überwinden, in der sie sich befanden, suchten die Heerführer schließlich den Kampf. Pro forma wurde eine letzte Gesandtschaft zu Kerboga geschickt, um mit diesem zu verhandeln; dann stürmten am 28. Juni die Kreuzfahrer unter Bohemunds Kommando aus der Stadt. Sie hatten sich in vier Abteilungen aufgeteilt, die jeweils aus Truppen zu Pferde und zu Fuß bestanden, wenn auch die Anzahl der Ritter wegen des Pferdemangels nur sehr klein gewesen sein kann. Nacheinander führten drei der Abteilungen ein kompliziertes Manöver aus, durch welches sie aus der Kolonne in eine Linienformation umschwenkten, so dass sie schließlich Seite an Seite vorrückten, wobei die Infanterie voranging und die wenigen beteiligten Ritter deckte, während die Flanken des Kreuzfahrerheeres auf der einen Seite durch den Orontes, auf der anderen aber durch höher gelegenes Terrain gedeckt waren. Die vierte Abteilung, die von Bohemund selbst angeführt wurde, ging in Reservestellung. Die Kreuzfahrer griffen gestaffelt an, vermutlich in Schrittgeschwindigkeit, und Kerbogas Truppen flohen, woraufhin sich auch die Zitadelle von Antiochia Bohemund ergab. Dieser außergewöhnliche Sieg ist niemals ganz erklärt worden. Es könnte allerdings sein, dass Kerboga – der die Kreuzfahrer niemals hätte aus einem einzigen Tor herauskommen, über eine Brücke marschieren und sich formieren lassen dürfen, bevor er sie schließlich stellte – seine Männer nicht davon abhalten konnte, sich nach und nach ungeordnet in den Nahkampf ziehen zu lassen. Die Kreuzfahrer selbst erklärten ihren Sieg mit dem Auftreten einer himmlischen Armee von Engeln, Heiligen und den Seelen bereits zuvor getöteter Kameraden, die auf ihrer Seite in den Kampf eingegriffen habe.

Tatsächlich war die Schlacht von Antiochia der Wendepunkt des gesamten Kreuzzuges, auch wenn das zum damaligen Zeitpunkt noch nicht klar sein konnte. Vernünftigerweise beschlossen die Kreuzfahrer nun, das Abklingen der Sommerhitze abzuwarten und erst am 1. November weiterzumarschieren. Zuvor brach jedoch eine Epidemie in der Stadt aus – vermutlich Typhus –, der auch Adhémar von Monteil, der Bischof von Le Puy, erlag. Die anderen Anführer wurden von der Seuche auf ihre jeweiligen Proviantsammelstellen zerstreut. Als sie im September wieder nach Antiochia zurückkehrten, gab es erste Anzeichen von Uneinigkeit in zwei bestimmten Fragen; im November wurde der Streit um diese beiden Punkte akut.

Der erste betraf den rechtmäßigen Besitz der Stadt Antiochia, den Bohemund für sich beanspruchte. Raimund von Toulouse, der noch immer Teile der Stadt hielt, darunter den Palast des Statthalters und eine befestigte Brücke, die über den Orontes zum Hafen führte, verwies auf die Eide, die man dem byzantinischen Kaiser geleistet habe. Nun mag es sein, dass er Antiochia für sich haben wollte und in einer offiziellen kaiserlichen Schenkung die einzige Möglichkeit sah, zu diesem Ziel zu gelangen. Niemand konnte jedoch ernsthaft bestreiten, dass diese Eide geleistet worden waren und man dem Kaiser Gefolgschaft gelobt hatte. Nicht zuletzt hatten die Anführer des Kreuzzuges ja vor der Einnahme der Stadt vereinbart, dass Antiochia an Alexios fallen sollte, sofern der Kaiser persönlich in die Stadt kommen und sie in Besitz nehmen würde. Zu diesem Zweck brach nach der Schlacht von Antiochia eine prominent besetzte Gesandtschaft nach Konstantinopel auf, um Alexios nach Antiochia einzuladen, wo er die zurückeroberte Stadt in Empfang nehmen und die Führung des Kreuzzuges übernehmen sollte. Angeführt wurde diese Gesandtschaft von Hugo von Vermandois und Graf Balduin II. von Hennegau. Die Antwort des Kaisers erreichte die Kreuzfahrer erst im April des folgenden Jahres, als sie bereits ein gutes Stück weiter nach Süden vorgerückt waren. Alexios versprach, im Juni zu ihnen zu stoßen und bat sie, bis zu seinem Eintreffen auf ihn zu warten. Der Kaiser verlangte die unverzügliche Übergabe Antiochias, und seine Boten beschwerten sich bitterlich über Bohemunds eidbrecherische Aneignung der Stadt. Bohemunds Anhänger hingegen argumentierten folgendermaßen: Der byzantinische Kaiser habe den Kreuzfahrern stets gleichgültig, ja sogar feindselig gegenübergestanden. Er sei ihnen kein guter Schutzherr gewesen, und das trotz ihrer Eide, die ja ohnehin unter Zwang geleistet worden seien. Außerdem hätten die Abberufung des Tatikios, der die Kreuzfahrer, ihrer Ansicht nach, einfach im Stich gelassen hatte, und der Rückzug von Alexios’ Heer aus Akşehir, gerade als sich das Kreuzfahrerheer in höchster Not befunden habe, gezeigt, dass die Griechen keinerlei Interesse daran hatten, ihre Seite der Vereinbarung einzuhalten. Auch die große Verzögerung, mit der Alexios auf die Nachricht der Kreuzfahrergesandtschaft geantwortet hatte, lasse erkennen, dass das Byzantinische Reich militärisch unvorbereitet sei.

Diese Argumentation mag weit hergeholt erscheinen, doch waren die Kreuzfahrer tatsächlich von den Griechen im Stich gelassen worden und benötigten dringend Unterstützung. Ihnen war bewusst – ja sie waren sogar regelrecht besessen von der Tatsache –, dass in Europa eine große Anzahl von Kreuzfahrern zwar das Kreuzzugsgelübde abgelegt hatten, jedoch nie losgereist waren. Die Existenz dieses Menschenpotenzials ließ sie nicht ruhen, und schließlich exkommunizierten die Bischöfe, die den Kreuzzug begleiteten, all jene, die ihre Kreuzzugsgelübde nicht eingelöst hatten, und legten ihren Amtsbrüdern in Europa nahe, dasselbe zu tun. Zugleich stießen aber tatsächlich einige neue Teilnehmer zum Kreuzfahrerheer. Die meisten dieser Neuankömmlinge reisten auf dem Landweg nach Syrien, und die Kreuzfahrer erwarteten, dass ihnen auf dieser Route noch viele weitere folgen würden – wie es ja dann im Rahmen des Kreuzzuges von 1101 tatsächlich geschah. Antiochia, das die Passstraßen von Kleinasien nach Syrien kontrollierte und die nördliche Küstenstraße gegen muslimische Überfälle aus dem Hinterland verteidigte, musste in vertrauenswürdige Hände gegeben werden. Kaiser Alexios hatte sich ja gerade als nicht vertrauenswürdig erwiesen; vielmehr schien es den Kreuzfahrern, als habe er sie auf geradezu zynische Weise für seine eigenen Zwecke ausgenutzt. In diesem Zusammenhang darf man außerdem nicht vergessen, dass Bohemund zwar in Antiochia zurückblieb und sein Kreuzzugsgelübde in Jerusalem erst fünf Monate nach dessen Eroberung einlöste, dass er jedoch für dieses Säumnis in Europa niemals kritisiert wurde – ganz im Gegenteil: Sein Besuch in Frankreich im Jahr 1106 verlief geradezu triumphal.

Der zweite Streitpunkt war das Datum, an dem der Marsch nach Jerusalem fortgesetzt werden sollte. Um auf eine Entscheidung in dieser Sache zu drängen, zwangen die einfacheren Kreuzfahrer die Fürsten, einer Belagerung der gut 100 Kilometer südlich von Antiochia gelegenen Stadt Maʿarat an-Numan zuzustimmen. Diese fiel am 11./12. Dezember 1098, aber die Anführer konnten sich selbst im Januar 1099 noch immer nicht zu einer Entscheidung durchringen.

Adlige Hofhaltung auf Kreuzzügen

Dieser Gegenstand hat bislang noch nicht die Aufmerksamkeit gefunden, die er verdient. Die schematische Darstellung eines jeden Kreuzzuges würde Kreise der Abhängigkeit zeigen, in deren Mitte sich die großen Herren befänden. Jeder von ihnen hatte eine Hofh altung (maisnie), die sich aus den Rittern des jeweiligen Hauses, Geistlichen und Dienern zusammensetzte. Diese Gruppe war vergleichsweise klein. In einer Urkunde des Grafen Ludwig von Blois, einer führenden Persönlichkeit des Vierten Kreuzzuges, sind fünf Ritter genannt, von denen zwei in Begleitung ihrer eigenen Sergeanten reisten, dazu zwei Geistliche, deren einer als Kanzler des Grafen fungierte. Wir wissen zwar nicht, ob einige von Ludwigs Rittern gerade nicht anwesend waren, als das Dokument aufgesetzt wurde, und auch von seiner Dienerschaft ist keine Rede; aber der Eindruck von seiner maisnie deckt sich in etwa mit jener, die Odo von Burgund, Graf von Nevers und Herr von Bourbon, sechzig Jahre später in Palästina bei sich hatte: vier Ritter und drei Geistliche, dazu sieben Knappen, neun Sergeanten, zweiunddreißig Diener, fünf Armbrustschützen und vier Turkopolen (einheimische leichte Kavalleristen). Das Ansehen eines hochadligen Herrn hing jedoch von einem weiter gefassten Kreis von Personen ab, die sich ihm aus einer Vielzahl von Gründen angeschlossen haben konnten. Eng mit ihm verbunden, aber doch außerhalb des inneren Kreises der maisnie waren seine Blutsverwandten und Vasallen (von denen viele eigene Haushalte hatten). Noch ein Stückchen weiter entfernt, aber immer noch Bestandteil des Gefolges konnten unabhängige Kreuzfahrer sein, die sich irgendjemandem anschlossen, solange er sie nur zu versorgen vermochte, und deren Loyalitäten durchaus wechselhaft waren, wenn sie aus irgendeinem Grund unzufrieden wurden.

Ein Hauptgrund für die Lähmung des Kreuzzuges bestand darin, dass er keine wirkliche Führung hatte. Bei gleich vier verschiedenen Gelegenheiten versuchten die Kreuzfahrer, einen Oberbefehlshaber für ihr Heer zu bestimmen: Alexios hatte das Ansinnen bereits im Frühjahr 1097 abgelehnt. Die Gesandtschaft, die im Juli 1098 Antiochia verließ, bot ihm trotzdem nochmals den Oberbefehl an. Im Frühjahr 1098 wurde Stephan von Blois zum Anführer des Kreuzfahrerheeres bestimmt, doch er desertierte bald darauf. Im Januar 1099 erbot sich Raimund von Toulouse auf Drängen seiner Gefolgsleute, die endlich weiterziehen wollten, die anderen Anführer gegen große Geldsummen in seinen Dienst zu nehmen, doch die meisten von ihnen lehnten es ab, ihm zu dienen. Keiner der hochrangigen Kreuzfahrer war stark genug, die anderen zu dominieren. Es heißt immer, diese Männer hätten „Heere“ angeführt, aber nichts könnte falscher sein: Jeden von ihnen begleitete ein Gefolge, seine Hofhaltung, zu dem Verwandte und Abhängige gehörten, und jeder von ihnen begann, unter dem wachsenden Druck der Versorgungsengpässe für eine immer größer werdende Gruppe von Menschen Sorge zu tragen. Aber große Teile der eigentlichen Truppen, d.h. die kleineren Herren, von denen viele eigene kleine Verbände befehligten, und die Ritter waren unabhängig, und ihre Gefolgschaftsbindungen veränderten sich ständig, je nachdem, was die Umstände erforderten, welche Belohnung ihnen die großen Herren bieten konnten und welchen Umfang ihr eigenes kleines Gefolge gerade hatte. Der Kreuzzug war geprägt von permanenten Verschiebungen von Gefolgschaft und Loyalität, indem wie in einem Kaleidoskop die Anführer kleinerer Trupps mitsamt ihren Leuten von einem Dienstherrn zum anderen wechselten. Keiner der Großen verfügte über ein hinreichend stabiles Gefolge, um auf der Grundlage einer unangefochtenen Machtbasis die übrigen Heerführer zu dominieren. Dies hatte den Effekt, dass der Kreuzzug vor allem von Komitees und Ratsversammlungen gelenkt wurde. Jeder der Fürsten beriet sich mit seinen Vertrauten, auch gab es Vollversammlungen aller Angehörigen des Kreuzfahrerheeres, aber am einflussreichsten war die Ratsversammlung der Fürsten. Diese erwies sich als ein vergleichsweise effizientes Gremium, jedenfalls solange der päpstliche Legat Adhémar von Monteil, Bischof von Le Puy, noch am Leben war, denn er verfügte über die Persönlichkeit und die Autorität, den Rat zu dominieren und zu lenken. Sein Tod am 1. August 1098 beraubte den Kreuzzug seines einzigen objektiven und autoritativen Anführers, und die Komitees wurden handlungsunfähig.

Die Lähmung äußerte sich auch in nachlassender Disziplin. Eine bald um sich greifende Rechtlosigkeit bekamen insbesondere die Armen zu spüren, die unter den anarchischen Zuständen litten und befürchteten, bei einer noch längeren Verzögerung des Weitermarsches zu verhungern. Mitte November 1098 drohten sie gar, angesichts des ihnen nur mehr schwer erträglichen Zauderns der Kreuzzugsführung, ihren eigenen Anführer zu wählen. Sie zwangen Raimund von Toulouse und Robert von Flandern, sie nach Maʿarat an-Numan zu führen, und als Raimunds Anhänger um den 5. Januar 1099 herum erfuhren, dass die Besprechungen der Anführer äußerst schleppend verliefen, begannen sie, die Stadtmauer von Maʿarat einzureißen und Raimund somit seines Stützpunktes zu berauben. Dieser hatte keine andere Wahl, als den Marsch in Richtung Jerusalem am 13. Januar wieder aufzunehmen. Auch die einfachen Kreuzfahrer, die sich noch immer in Antiochia befanden, erhoben nun ihre Stimme, und so mussten sich Gottfried von Bouillon, Robert von Flandern und Bohemund ebenfalls dem öffentlichen Druck beugen. Am 2. Februar beriefen sie eine allgemeine Versammlung ein, die sich für einen Aufmarsch sämtlicher Truppen zum 1. März in Latakia aussprach. Von dort sollte dann der weitere Vormarsch erfolgen.

Die Kreuzzüge

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