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Die zweite Welle: Der Marsch nach Konstantinopel

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Ab dem Abreisedatum, das Urban II. festgelegt hatte, begann Mitte August 1096 die zweite Welle von Kreuzfahrern, Westeuropa in Richtung Palästina zu verlassen. Zuerst reisten sie in einzelnen kleinen Gesellschaften, die sich nach Herkunftsregionen zusammenschlossen und häufig von Mitgliedern des Hochadels angeführt wurden. Hugo von Vermandois verließ Frankreich Mitte August und marschierte mit seinen Männern über Rom nach Bari, wo sie sich zur Überfahrt nach Durazzo (heute Durrës in Albanien) einschifften. Ein Sturm zerstreute jedoch ihre Schiffe, so dass Hugo sich gezwungen sah, in einiger Entfernung von Durazzo an Land zu gehen. Einmal an Land, wurde er kurzzeitig gefangen gesetzt und anschließend nach Konstantinopel eskortiert. Etwa zur gleichen Zeit brach Gottfried von Bouillon, Herzog von Niederlothringen, mit seinem Bruder Balduin von Boulogne und einer Truppe lothringischer Adliger auf. Gottfried ist mit Abstand der berühmteste Teilnehmer des Ersten Kreuzzuges – aber er bleibt auch der rätselhafteste. Geboren wurde er um 1060 als zweiter Sohn des Grafen Eustachius II. von Boulogne und der Ida von Lothringen. Sein älterer Bruder, Eustachius III., der – allerdings unabhängig von Gottfried – ebenfalls am Kreuzzug teilnahm, hatte kurz nach 1070 die Grafschaft Boulogne sowie die weitläufigen Besitzungen der Familie in England geerbt. Sechs Jahre darauf erbte seinerseits Gottfried das Herzogtum Niederlothringen, die Markgrafschaft Antwerpen, die Grafschaft Verdun und die Herrschaften von Bouillon und Stenay, und zwar von einem kinderlos verstorbenen Onkel mütterlicherseits. Doch der römisch-deutsche König Heinrich IV. schob die Bestätigung von Gottfrieds Herzogswürde auf, so dass dieser Niederlothringen erst im Jahr 1087 tatsächlich in Besitz nehmen konnte. Zugleich musste er einen zehn Jahre andauernden Kleinkrieg gegen seine Tante führen, die Respekt einflößende Mathilde von Tuszien, die überhaupt nicht einsah, dass sie den Anspruch auf den Besitz ihres verstorbenen Mannes (des besagten Onkels mütterlicherseits) aufgeben sollte. Dabei wurde sie vom Bischof von Verdun und dem Grafen von Namur unterstützt. Erst nachdem diese Streitigkeiten in seinem Sinne entschieden waren, konnte Gottfried seine Herrschaftsrechte in vollem Umfang ausüben. Nichts deutet darauf hin, dass Gottfried übermäßig fromm gewesen wäre, und aus den Pfandvereinbarungen, die er aufsetzen ließ, geht deutlich hervor, dass er 1096 nicht mit der Absicht loszog, sich in Palästina dauerhaft niederzulassen. In Fragen der Kirchenpolitik stand Gottfried zudem ganz auf der Seite des deutschen Königs und gegen das Reformpapsttum. Sein Großvater und sein Onkel mütterlicherseits hatten im Investiturstreit die Partei Heinrichs IV. ergriffen, während jene, die Gottfried sein Erbe streitig machten – Mathilde von Tuszien und der Bischof von Verdun – Parteigänger Papst Gregors VII. gewesen waren. Gottfried selbst hatte für Heinrich IV. gekämpft und wahrscheinlich an der Eroberung Roms im Jahr 1084 teilgenommen, als deren Folge Gregor hatte aus der Stadt fliehen müssen.

Die Persönlichkeit von Gottfrieds jüngerem Bruder Balduin steht uns deutlicher vor Augen. Geboren zwischen 1061 und 1070, war er für ein Leben als Kleriker bestimmt worden und hatte früh Benefizien – gut dotierte kirchliche Posten ohne rechte Amtspflichten – in Reims, Cambrai und Lüttich innegehabt. Doch in dem vom Geist der Reform geprägten intellektuellen Klima der Zeit war eine solche Ämterhäufung überhaupt nicht gern gesehen. Möglicherweise wurde Balduin sogar gezwungen, einige seiner Pfründen aufzugeben. Das würde immerhin erklären, warum er auf Reformer und Reformideen späterhin so schlecht zu sprechen war. Jedenfalls schied er vor 1086 aus dem Dienst der Kirche aus – zu spät, um ein Stück vom Familienerbe zu erhalten, das zu jenem Zeitpunkt bereits unter seinen Brüdern aufgeteilt worden war. Womöglich war es daher Geldmangel, der ihn um 1090 die Ehe mit Godehild von Tosny eingehen ließ, einer Tochter aus einflussreichem anglo-normannischem Hause, die auf dem Kreuzzug sterben sollte. Balduin war intelligent, berechnend und rücksichtslos. Er war kein angenehmer Zeitgenosse, aber seine starke Persönlichkeit und sein reger Geist sollten den Kreuzfahrern und ersten Siedlern im Heiligen Land von großem Vorteil sein.

Nachdem sie mit ihrem Gefolge durch Süddeutschland gezogen waren, erreichten die Brüder im September die ungarische Grenze. Hier warteten sie erst einmal die Genehmigung ihrer weiteren Marschroute durch den ungarischen König ab; schließlich hatte dieser zuvor schon drei Kreuzfahrerheere zerschlagen. Balduin ließ sich überreden, als Geisel für das gute Benehmen der Kreuzfahrer zu bürgen, und Gottfried erließ die strikte Anweisung, jegliches Plündern zu unterlassen. Ende November erreichte er byzantinisches Gebiet. Auf ein Gerücht hin, Hugo von Vermandois werde vom byzantinischen Kaiser gefangen gehalten, erlaubte Gottfried seinen Leuten, die Gegend um Silivri zu plündern – bis er sich davon überzeugt hatte, dass Hugo in Freiheit war. Am 23. Dezember erreichte er Konstantinopel und ließ außerhalb der Stadt – nahe der Spitze des Goldenen Horns mit seinem großen Hafen – ein Lager aufschlagen.

Zwei Wochen nach Hugo von Vermandois setzte auch Bohemund von Tarent über die Adria, begleitet von einer kleinen Schar normannischer Kämpfer aus Süditalien. Bohemund, der älteste Sohn des Herzogs von Apulien Robert Guiskard, war zu diesem Zeitpunkt etwa vierzig Jahre alt. Bereits 1081 hatte er bei der Invasion des byzantinischen Albanien durch seinen Vater eine führende Rolle gespielt. Bei seinem Tod hatte Robert dem Sohn die eroberten Gebiete an der östlichen Adriaküste vermacht. Da die Normannen zu jener Zeit jedoch auf dem besten Weg waren, diese wieder zu verlieren, war Bohemund effektiv enterbt worden, denn sein jüngerer Halbbruder Roger Borsa hatte Apulien als Erbteil erhalten. Und obwohl Bohemund sich bis in die späten 1080er-Jahre eine stattliche Herrschaft in Süditalien erkämpft hatte, konnte doch wenig Zweifel daran bestehen, dass er sich nur mit einem Fürstentum zufriedengeben würde, das er sich womöglich von den Griechen zurückerobern wollte, die ihm sein rechtmäßiges albanisches Erbe abgenommen hatten. Ein Bohemund gegenüber feindselig eingestellter Zeitgenosse meinte sogar, dies sei sein einziger Grund gewesen, überhaupt das Kreuz zu nehmen. Wenn wir hingegen einem Bewunderer Bohemunds Glauben schenken, „erstrebte [dieser] zu allen Zeiten das Unmögliche“. Die Griechen jedenfalls, die den Verdacht hegten, Bohemund habe von seinem Vater auch gewisse Absichten zum Schaden des Byzantinischen Reiches geerbt, erkannten zweifellos dessen großes militärisches Talent. Tatsächlich sollte sich Bohemund im weiteren Verlauf als einer der fähigsten Heerführer erweisen, welche die Kreuzzugsbewegung hervorgebracht hat. Er war intelligent und fromm, und er war womöglich der einzige unter den Anführern der Kreuzfahrer, der die Ziele und Motivation des Reformpapsttums tatsächlich verstand.

Zwar war die byzantinische Obrigkeit auf Bohemunds Ankunft vorbereitet, doch die Einheimischen, die schließlich erst vor relativ kurzer Zeit eine normannische Invasion über sich hatten ergehen lassen, weigerten sich, ihm Proviant zu verkaufen. Infolgedessen sahen Bohemunds Männer sich gezwungen, auf eigene Faust zu furagieren, bis ihnen endlich der byzantinische Hof eine Versorgungszusage machte. Da hatten sie allerdings schon Thessaloniki passiert. Auf dem Weg zerstörten sie außerdem eine Kleinstadt, die sie von Ketzern besetzt glaubten, und gerieten auch einmal mit byzantinischen Truppen aneinander, die sie zu größerer Eile antreiben wollten. Bohemund musste selbst noch in Thrakien viel Zeit und Kraft darauf verwenden, seine Leute vom Plündern abzuhalten; nachdem er in Richtung Konstantinopel vorausgeeilt war – das er am 10. April 1097 erreichte –, erlaubte sein Neffe Tankred, später einer der fähigsten unter den frühen Herrschern der Kreuzfahrerstaaten, seinen Männern, sich in der Umgebung zu verproviantieren.

Dicht hinter Bohemunds Trupp folgte Graf Raimund von Toulouse, der als Mittfünfziger nach damaligen Maßstäben als älterer Mann galt. Raimund hatte dreißig lange Jahre geduldig damit verbracht, die Ländereien seiner Vorfahren zurückzuholen, die in fremde Hände geraten waren. Zum Zeitpunkt seines Aufbruchs in den Osten herrschte er über dreizehn Grafschaften im Süden Frankreichs. Die Verwandtschaftsverhältnisse in seiner Familie waren außerordentlich kompliziert – Ergebnis diverser Ehen seiner Mutter Almodis de la Marche, die nacheinander mit Hugo V. von Lusignan, Pons von Toulouse und Raimund Berengar I. von Barcelona verheiratet war. Sie gebar Hugo von Lusignan zwei Söhne, von denen der Kreuzfahrer Hugo VI. der ältere war. Pons von Toulouse gebar sie eine Tochter und drei Söhne – von diesen war Raimund der mittlere – und Raimund Berengar von Barcelona zwei Söhne. Den Kontakt zu ihren Kindern aus erster bzw. zweiter Ehe brach sie nie ab: So reiste sie 1066/1067 nach Toulouse, um an der Hochzeit ihrer Tochter teilzunehmen. Ein Jahrhundert später hatte sie den Ruf einer Ausreißerin erlangt, aber es mag genauso gut sein, dass ihre Ehemänner einfach nicht mit ihrer Persönlichkeit zurechtkamen: Sie scheint sehr herrisch und arrogant gewesen zu sein. Von Papst Viktor II. wurde sie exkommuniziert, weil sie Raimund Berengar ermutigt hatte, das Anrecht seiner Großmutter auf die nunmehr von ihm selbst beanspruchte Grafschaft anzufechten. Am Ende wurde Almodis von einem ihrer Stiefsöhne ermordet.

Eines hatten ihre Sprößlinge, mochten sie auch drei unterschiedliche Väter haben, alle gemein: Sie waren in der Mehrzahl engagierte Anhänger des Reformpapsttums und der Kreuzzugsbewegung. Hugo VI. von Lusignan und Raimund von Toulouse waren fideles beati Petri, offizielle Unterstützer des Papsttums, und sowohl Hugo und Raimund als wahrscheinlich auch ihr Halbbruder Berengar Raimund II. nahmen das Kreuz, ebenso die Ehemänner ihrer Nichten Philippa von Toulouse und Ermessens von Melgueil.

Raimund von Toulouse war zudem durch Heirat mit den Königshäusern der Iberischen Halbinsel verwandt, und es ist möglich, wenn auch nicht sicher, dass er in der Reconquista gekämpft hatte. Obwohl wir nicht sicher sagen können, ob er wirklich wusste, welche Ziele die Kirchenreform im Einzelnen verfolgte, betrachtete Papst Urban II. ihn doch als einen Verbündeten und hatte ihn sogar schon zum Anführer des Kreuzzuges erkoren, bevor dieser überhaupt in Clermont ausgerufen wurde. Der Papst stattete Raimund vor dem Zusammentreten des Konzils einen Besuch ab und muss bei dieser Gelegenheit sein Vorhaben mit ihm besprochen haben, denn es war schon ein theaterreifer Auftritt, als die Abgesandten des Grafen nur einen Tag nach Urbans Kreuzzugspredigt in Clermont eintrafen, um die Zusage ihres Herren zu dem päpstlichen Vorhaben zu verkünden. Gerüchten zufolge hatte Raimund gelobt, niemals nach Hause zurückzukehren. Ob dies zutraf, ist nebensächlich: Dieser ältere Mann hatte beschlossen, die Besitzungen, deren Erwerb und Absicherung ihn so viel Lebenszeit gekostet hatte, einfach in der Obhut seines ältesten Sohnes zurückzulassen, um mit seiner Frau eine gefährliche Reise in den Osten anzutreten. Zwar hatte er sich umsichtiger auf die kommenden Feuerproben vorbereitet als die meisten anderen Kreuzfahrer, und in der Folge erging es seinen Männern besser als den Begleitern der anderen Ritter; aber immerhin war er ein kranker Mann – wenig überraschend, wenn man sein Alter bedenkt. Er teilte sich das Kommando über das womöglich größte Einzelkontingent mit Bischof Adhémar von Monteil, der schon seit den 1080er-Jahren die Sache der Kirchenreform in Südfrankreich mit Verve vertreten hatte. Adhémar war von Papst Urban zum päpstlichen Legaten für den Kreuzzug ernannt worden und sollte die Ratsversammlungen der führenden Kreuzfahrer bis zu seinem frühen Tod dominieren. Raimund und Adhémar marschierten also mit ihren Männern durch Oberitalien, um das Nordende der Adria herum und durch Dalmatien, wo ihnen die Feindseligkeit der einheimischen Bevölkerung entgegenschlug. Eskortiert von byzantinischen Truppen, die durchaus bereit waren, hart durchzugreifen, wenn etwa einige Kreuzfahrer Anstalten machten, von der vorgesehenen Route abzuweichen, erreichten sie Anfang April Thessaloniki. Raimund kam am 21. April 1097 in Konstantinopel an. Als sechs Tage später auch seine Truppen zu ihm stießen, waren sie in einem üblen Zustand: Offenbar hatte es eine Auseinandersetzung mit der byzantinischen Eskorte gegeben, die sie wohl vom Plündern abhalten wollte.

Herzog Robert von der Normandie und die Grafen Robert von Flandern und Stephan von Blois verließen Frankreich im Herbst 1096. Sie zogen über Rom und Montecassino nach Bari. Robert von Flandern überquerte die Adria nach nur kurzer Rast und erreichte Konstantinopel fast zeitgleich mit Bohemund. Robert von der Normandie und Stephan von Blois überwinterten in Süditalien und stießen Mitte Mai nach einem friedlichen Marsch vor Konstantinopel zu den anderen. Die Byzantiner hatten eingesehen, dass der erwähnte ruppige Umgang ihrer Eskorten mit den Kreuzfahrerheeren kontraproduktiv gewesen war, und übten sich nun in Zurückhaltung.

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