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Kreuzfahrer als Büßer

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Die Tatsache, dass der Erste Kreuzzug zugleich eine Wallfahrt nach Jerusalem war, bestätigte und legitimierte das Konzept des Bußkrieges. Das Konzil von Clermont verfügte, dass jeder, der sich dem Kreuzfahrerheer „aus religiöser Hingabe allein [anschließt], nicht um der Ehre oder des Geldes willen … diese Fahrt zum Ausgleich für sämtliche Bußpflichten“ einsetzen könne. Und Papst Urban selbst versprach den Kreuzfahrern:

Wenn unter euch Männern einige sind, die nicht [nach Jerusalem] ziehen, um weltlichen Gewinn zu erringen, sondern allein um der Errettung ihrer Seelen und der Befreiung der Kirche willen, so gewähren wir, durch unsere eigene Macht und mit der Autorität aller Erzbischöfe und Bischöfe über die Gallier, durch die Gnade des allmächtigen Gottes und die Gebete der heiligen katholischen Kirche, ihnen allen den Erlass jeglicher Buße, die ihnen für jene Sünden auferlegt worden ist, die sie wahrhaftig und vollständig bekannt haben.

Manchen Historikern haben die vermeintlichen Widersprüche in Urbans Erklärung Kopfzerbrechen bereitet. Erließ er seinen Kämpfern lediglich jene Bußleistungen, die ihnen im Beichtstuhl auferlegt worden waren? Oder gingen die Kreuzfahrer selbst davon aus, dass er ihnen die drohenden Konsequenzen ihrer bisherigen Sünden erlassen hatte – ob nun in dieser Welt oder der nächsten? Wenn wir allerdings Urbans Aussagen im Kontext der zeitgenössischen Bußtheologie betrachten, dann lösen sich diese Widersprüche wie von selbst auf, weil all die unterschiedlichen Begriffe, die der Papst gebrauchte, auf ein und dasselbe hinauslaufen. Sein sogenannter „Kreuzzugsablass“ war in Wirklichkeit überhaupt kein Ablass: Es war eine verbindliche päpstliche Erklärung darüber, dass die Buße, die jene Kreuzfahrer auf sich laden würden, so schwer sein werde, dass sie als „voll befriedigend“ gelten konnte in dem Sinne, dass Gott daraus nicht nur die „Schulden“ ihrer bestehenden und noch nicht „verbüßten“ Sündenlast zurückgezahlt werden konnten, sondern noch dazu alle Überreste von Schuld, die aus früheren Bußbemühungen verblieben waren, weil diese nicht ausgereicht hatten, das Sühnebedürfnis zu befriedigen. Urban gewährte also kein spirituelles Privileg, wie dies der spätere, voll entwickelte Ablass sein sollte (denn dieser besagte ja im Grunde, dass Gott eine verdienstvolle Tat selbst dann als „befriedigend“ ansehen werde, wenn sie es nicht war). Vielmehr rief er einen Krieg aus, dessen Teilnehmer sich selbst eine angemessene Strafe auferlegen würden, je nach Maßgabe ihres Einsatzes.

De facto schuf Urban mit seiner Erklärung eine neue Art von Pilgerfahrt, die aus freien Stücken und aus religiöser Hingabe heraus unternommen werden sollte und insofern mit der peregrinatio religiosa zu vergleichen ist. Andererseits glich sie jedoch auch der klassischen Bußwallfahrt, denn ihr Vollzug stellte einen Akt der Buße im klassischen Sinne dar und war noch dazu vom Papst mit dem Beichtstuhl verknüpft worden. Der Chronist des Klosters Montecassino, höchstwahrscheinlich ein Würdenträger des päpstlichen Hofes, der Urbans Denkweise gut kannte, glaubte, dass jener den Kreuzzug in Bewegung gesetzt hatte, um „den Fürsten die Buße zu ermöglichen“, da jene „für ihre zahllosen Vergehen in der Heimat keine Buße tun konnten und sich als Laien genierten, ohne Waffen gemeinsam auf Pilgerfahrt zu gehen“. Der Adel hatte, wie er weiter ausführt, „auf das Wort und Ratschlag des Papstes Urban hin geschworen, sich auf den Weg in das Heilige Land zu machen, um das Grab unseres Herrn den Muslimen zu entreißen, in Buße und zur Vergebung ihrer Sünden“. Aus der Sicht des Chronisten war der Aufruf zum Kreuzzug also, mit anderen Worten, ein geschickter seelsorgerischer Schachzug, der Waffenträgern die Chance eröffnete, zum eigenen Seelenheil durch das Eingehen einer harten Bußverpflichtung selbst beizutragen, ohne dabei ihren kriegerischen Beruf aufzugeben oder die Erniedrigung einer „ganz normalen“ Wallfahrt in das Heilige Land auf sich nehmen zu müssen – ohne Waffen, ohne Ausrüstung, ohne Pferde. Ein ähnlicher Kommentar zum Ersten Kreuzzug als einer Art „militärischer Fördermaßnahme“ für Ritter und Adlige, die zu ihrem eigenen Wohl und dem der Kirche in den Kampf ziehen sollten, findet sich in einer vielzitierten Passage des zeitgenössischen Geschichtsschreibers Guibert von Nogent:

Gott hat in unserer Zeit heilige Kriege entstehen lassen, damit der Ritterstand und jene, die ihm nachfolgen, … einen neuen Weg zum Heil finden mögen. Und so sind sie nicht, wie es früher der Brauch war, gezwungen, ihre weltlichen Geschäfte ganz aufzugeben und Mönche oder Priester zu werden, sondern können ihren Anteil an Gottes Gnade erlangen, indem sie ihrem eigentlichen Gewerbe nachgehen, mit den Freiheiten und in den Kleidern, die sie gewohnt sind.

Es kann überhaupt kein Zweifel darüber bestehen, dass die Kreuzfahrer ihr Tun als Buße und den Kreuzzug als Beitrag zu ihrem künftigen Seelenheil verstanden. Aus vielen ihrer Urkunden spricht eine pessimistisch gestimmte Frömmigkeit, wie sie für die Epoche typisch ist, und die sich in einer tiefen Abscheu vor der Sünde und deren Folgen äußert. Als Reaktion auf Urbans Betonung der nötigen Sorge um die Sünde sowie des aus dieser erwachsenden Reuebedarfs baten die Kreuzfahrer offen um Vergebung. Sie schlossen sich dem Kreuzzug an, um – wie es ein Urkundentext ausdrückt – „die Vergebung zu erlangen, die allein Gott mir für meine Vergehen gewähren kann“. Ein anderes Dokument kleidet einen ganz ähnlichen Gedanken in etwas ausführlichere Worte:

In Anbetracht meiner vielen Sünden und der Liebe, Milde und Barmherzigkeit unseres Herrn Jesus Christus, der da als Reicher arm wurde um unseretwillen, habe ich mich entschlossen, ihm zumindest etwas zurückzuzahlen für all das, was er mir so freigiebig geschenkt hat, obwohl ich doch unwürdig bin. Und darum habe ich den Entschluss gefasst, nach Jerusalem zu ziehen, wo Gott als Mensch zu den Menschen gesprochen hat, und ihn dort anzubeten, wohin seine Füße getreten sind.

Am 22. Mai 1096 kam der provenzalische Adlige Fulko von Châteaurenard in die Abtei Lérins, wo der Abt ihm die Insignien eines Pilgers überreichte und ihm „die Fahrt nach Jerusalem als Buße auferlegte“. Und als Milon von Montlhéry aus der Champagne im Heiligen Land unterwegs war, hieß es, er tue „Buße für seine Schuld“.

Als Folge dieser Entwicklung konnte die Teilnahme an einem Kreuzzug als Alternative zum Eintritt in den Klerikerstand oder die anderweitige Aufnahme in eine religiöse Gemeinschaft gelten. In ihren Beschreibungen des weiteren Kreuzzuges nach der Einnahme von Jerusalem stellten Zeitzeugen das marschierende Kreuzfahrerheer als eine Art Kloster auf Wanderschaft dar, dessen Tages- und Nachtrhythmus durch das Stundengebet vorgegeben war und dessen Angehörige auf Verzicht und Bruderschaft eingeschworen waren: „Ganz wie in der Urkirche teilten sie beinahe ihren gesamten Besitz miteinander.“ Ein anderer Kommentator schrieb über dieses zeitweilige religiöse Exil, es habe, „was die Kargheit betrifft, nicht dem Leben eines Kriegers, sondern demjenigen eines Mönchs geglichen“. Gewiss: In der damaligen Zeit war das Klosterleben der Maßstab, an dem alle anderen Lebensformen gemessen wurden. Daher könnte es verlockend erscheinen, die zitierte „Verklosterung“ des Kriegsalltags als den nachträglichen Versuch einer rationalen Erklärung für den allem Anschein nach wundersamen Erfolg des Ersten Kreuzzuges zu deuten – wären da nicht die mindestens drei Fälle, in denen Männer, die ein religiöses Leben führen wollten, ihre Meinung änderten, nachdem sie Kreuzzugspredigten gehört hatten, und die sich darum den Kreuzfahrerheeren anschlossen, ganz so, als ob diese Art von Militärdienst einem religiösen Beruf gleichkäme. Das beweist, dass Vergleiche von Kreuzzug und Klosterleben schon vor dem Abmarsch der Kreuzfahrerheere angestellt wurden.

Die Kreuzfahrer sahen sich selbst als Pilger, und während sie sich auf dem Kreuzzug befanden, verrichteten sie bezeichnenderweise fromme und liturgische Übungen. Derartige Pilgerkrieger waren ein absolutes Novum, denn bisher war es Pilgern, die ja zuallererst Büßer waren, untersagt gewesen, Waffen zu tragen. Aber schließlich war der Kreuzzug ja auch ansonsten eine reichlich sonderbare Art von Wallfahrt. Papst Urban bemühte sich sogar, die Beteiligung am Kreuzzug auf Bewaffnete zu beschränken, und verbot darum Mönchen die Teilnahme:

Wir haben auf die Gemüter der Ritter eingewirkt [schreibt er], auf dass sie an dieser Expedition teilnehmen. … Wir wünschen nicht, dass jene, die der Welt entsagt und sich ganz dem geistlichen Kampf verschworen haben, zu den Waffen greifen oder sich an dieser Reise beteiligen, ja mehr noch: Wir verbieten es ihnen.

Urban war bestrebt, die Anzahl der am Kreuzzug teilnehmenden Priester auf ein notwendiges Minimum zu beschränken. Er hielt außerdem fest, dass Alte, Schwache und Frauen für die Teilnahme ungeeignet seien, obwohl Frauen offenbar ihre Ehemänner oder Brüder begleiten durften, wenn eine entsprechende Genehmigung der kirchlichen Obrigkeit vorlag. Urbans Aussagen über „untaugliche“ Laien konnten jedoch keine Verbote sein; sie waren lediglich Empfehlungen. Pilgerfahrten waren fromme Unternehmungen für reuige Sünder, in welchem Zustand sich diese ansonsten auch befinden mochten – etliche Heiligtümer zogen wegen der ihnen zugeschriebenen Heilkräfte ja gerade die Kranken und Schwachen an –, und es wäre unmöglich gewesen, die Teilnahme an einer Pilgerfahrt auf kräftige junge Männer zu beschränken. Das ist ein Grund dafür, dass letztlich doch so viele „Untaugliche“ am Kreuzzug teilnahmen.

Die Einführung eines Kreuzzugsgelübdes stellte eine weitere überaus bedeutsame Neuerung dar. Der genaue Wortlaut des dabei geleisteten Versprechens ist uns nicht überliefert, aber es muss wohl die Verpflichtung zur Pilgerfahrt nach Jerusalem mit der Erklärung verbunden haben, die Heilige Stadt gewaltsam zu befreien. Zuvor hatte für Pilger im Allgemeinen keine Verpflichtung bestanden, einen Eid zu leisten – und wir dürfen wohl davon ausgehen, dass die meisten dies auch nicht taten.

Die irrige Vorstellung, das Kreuzzugsgelübde sei aus irgendeinem Pilgergelübde entstanden, beruht vermutlich auf der Tatsache, dass in den erhaltenen Pontifikalien und Manualen seit dem dritten Viertel des 12. Jahrhunderts Handlungen, die zuvor getrennt gewesen waren, verschmolzen wurden, so dass das Kreuz des Kreuzfahrers, das Abzeichen des Gelübdes und die Symbole der Pilgerschaft zugleich verliehen wurden. Deren Lektüre führte zu der Auffassung, der Ritus zur Aufnahme des Kreuzes müsse sich aus der Zeremonie der Segnung der Pilgerinsignien entwickelt haben; nachweislich handelte es sich dabei jedoch in der frühesten Zeit der Kreuzzugsbewegung nicht um eine, sondern um zwei verschiedene Handlungen: zuerst die Kreuznahme und, getrennt davon, dann erst die Verleihung von Pilgertasche und Pilgerstab, die durchaus einige Zeit später erfolgen konnte.

Die Verwendung von Kreuzen war ein Geniestreich. Den Berichten von Urbans Predigt in Clermont zufolge hatte der Papst die Annahme und das Tragen des Kreuzes in überaus deutlicher Weise mit den Jesusworten aus Mt 16,24 (vgl. Lk 14,27) verbunden: „Will mir jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir.“ Die Redeweise des Papstes in diesen Berichten deutet darauf hin, dass er sich dessen bewusst war, etwas Neues zu tun und dass er die Kreuze als Unterscheidungsmerkmal betrachtete. Die Kreuzfahrer stachen wohl aus der Masse hervor – ganz gewiss aus der Masse der Bevölkerung, vielleicht sogar unter den übrigen Pilgern, die zuvor nicht in besonderer Weise mit dem Kreuzessymbol assoziiert gewesen waren. Man vergisst leicht, wie auffällig selbst die Kreuze aus einfachem Stoff gewesen sein müssen. Eine Mitte des 12. Jahrhunderts entstandene Skulptur aus dem Priorat von Belval in Lothringen zeigt einen Mann – vermutlich Hugo von Vaudémont –, der auf seiner Brust ein etwa 15 Zentimeter langes und breites Kreuz aus fünf Zentimeter breiten Stoffstreifen trägt. Ein Kreuzfahrer war verpflichtet, sein Kreuz jederzeit zu tragen und durfte es nicht abnehmen, bis er sein Gelübde erfüllt hatte.

Den Zeitgenossen war es wichtig, dass die Kreuzfahrer auf diese Weise kenntlich gemacht wurden. So glaubten die Anführer der ersten Kreuzfahrerkontingente, dass in ganz Westeuropa ein Potenzial an weiteren Kreuzfahreren schlummere, welches sich erst ausschöpfen ließe, wenn die Kirche alle Bummler als solche erkennbar machen würde. Mit einiger Regelmäßigkeit versuchte man auch auszuloten, wie groß die Zahl von Kriegsscheuen tatsächlich war. Natürlich war es wesentlich einfacher, gegen „falsche“ Kreuzfahrer zu wettern, als diese zur Erfüllung ihres Gelübdes zu zwingen, aber der solcherart aufgebaute Druck und das öffentliche Interesse, das sie erregten, unterstreichen, für wie wichtig die Selbstverpflichtung zum Kreuzzug im Allgemeinen galt.


Ein Teilnehmer des Zweiten Kreuzzuges. Diese Skulptur, die ursprünglich aus dem Kreuzgang des Klosters Belval bei Portieux in Lothringen stammt und sich heute im Musée des Beaux-Arts von Nancy befindet, stellt vermutlich den Grafen Hugo I. von Vaudémont mit seiner Frau Aigeline von Burgund dar. Hugo trägt den Stab und die Tasche eines Pilgers. Das Kreuz auf seiner Brust kennzeichnet ihn als Kreuzfahrer.

Papst Urban predigte den Kreuzzug als einen verdienstvollen Akt der Nächstenliebe, für den Laien ganz besonders geeignet waren – ja er ging sogar so weit, den Kreuzzug als einen regelrechten „Kreuzweg“ aufzufassen. Bis dato hatte der Antritt dieses Weges in der Nachfolge Jesu eine Abkehr von den irdischen Dingen vorausgesetzt, den Rückzug in ein Kloster. Jedoch war das Ablegen der ewigen Gelübde für viele Menschen keine praktikable Option, denn sie konnten ihre Familien nicht einfach in den Unsicherheiten dieser Welt zurücklassen. Nun aber gab es für diese Gruppe von Laien eine Handlungsoption, die dem Eintritt in ein Kloster beinahe gleichkam. Der Papst hatte einen Schritt auf dem Weg gewagt, der die Kirche schließlich zur Anerkennung des Laienstandes als einer Berufung an sich führen sollte.

Die Kreuzzüge

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