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Die Reaktion

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Zusätzlich zu seinen eigenen Predigten in Sachen Kreuzzug sandte Urban II. Briefe oder Gesandtschaften nach Flandern, Genua, Bologna, Pisa und Mailand. Der geplante Kreuzzug war Gegenstand von Konzilien im November 1095 in Clermont, im Juli 1096 in Nîmes, im Oktober 1098 in Bari und im April 1099 in Rom. In Clermont – und vermutlich auch in Nîmes – ermutigte Urban die anwesenden Bischöfe, ihrerseits den Kreuzzug zu predigen. Einige leisteten dieser Aufforderung wohl Folge; der prominenteste unter ihnen dürfte Hugo von Die gewesen sein, Erzbischof von Lyon und glühender Anhänger der Kirchenreform. Die Quellen deuten jedoch auch darauf hin, dass viele Bischöfe Urbans Ansinnen geflissentlich ignorierten. Das Konzil von Clermont hatte sich zwar auf einen Bestand kirchenrechtlicher Regelungen zum Kreuzzug geeinigt, aber nur ein einziger Kanon (Konzilsbeschluss) ist in der Form überliefert, in der er auch verabschiedet wurde; er befasst sich mit der Vergebung der Sünden. Sehr wenige Abschriften der Konzilsbeschlüsse enthalten ihn, und diese Manuskripte umfassen meist nur diejenigen Punkte, für die sich die Bischöfe, in deren Auftrag sie angefertigt wurden, auch interessierten. Doch selbst das ist relativ: Eine Abschrift der Beschlüsse von Clermont, die aus dem Besitz des Bischofs Lambert von Arras stammt, spiegelt womöglich noch nicht einmal dessen Interesse wider, denn Lambert hat uns seine Eindrücke von dem Konzil in einem eigenen Bericht hinterlassen, und in diesem wird der bevorstehende Kreuzzug mit keinem Wort erwähnt. Der wichtigste Punkt für Lambert von Arras war, dass der Papst den Status seines Bistums bestätigt hatte. Unter den Mönchen war der Enthusiasmus für den Kreuzzug in der Regel größer; etliche Klöster wurden zu regelrechten Rekrutierungszentren. Und dann waren da noch jene, die Urbans Plan auf eigene Faust unterstützten, wie etwa der Wanderprediger Peter der Eremit aus Amiens.

Die Kunde vom Aufruf des Papstes scheint sich größtenteils von Mund zu Mund verbreitet zu haben – so schnell, wie ein Zeitzeuge berichtet, dass alles Predigen überflüssig wurde –; und es ist klar, dass sie sich innerhalb des Adels von einem Familienmitglied zum anderen herumsprach. Häufungen von Teilnehmern am Ersten Kreuzzug finden sich etwa in schwertadligen Familien im Limousin, in Flandern, Lothringen, in der Provence, der Île-de-France, der Normandie und in Burgund. Als herausragende Beispiele sind die Grafen von Burgund und die Herren von Montlhéry in der Île-de-France zu nennen. Von den fünf Söhnen des Grafen Wilhelm des Großen von Burgund schlossen sich drei dem Kreuzzug an; ein vierter sollte – als Papst Calixt II. – den Kreuzzug von 1120 predigen. Auch ein Enkel und eine Enkelin Wilhelms wurden Kreuzfahrer. Drei Angehörige des Hauses Montlhéry nahmen das Kreuz, ebenso eine Vielzahl von Angehörigen verwandter Familien: aus Chaumont-en-Vexin kamen vier Kreuzfahrer; aus Saint-Valery drei; aus den Herrscherfamilien von Broyes, Bourcq und Le Puiset jeweils zwei; aus Courtenay und Pont-Echanfray jeweils einer. Alles in allem brachten die zwei Generationen dieses Clans, die zur Zeit des Ersten Kreuzzuges im wehrfähigen Alter waren, 23 eng verwandte Kreuzfahrer und Siedler hervor, von denen sechs im lateinischen Osten eine bedeutende Rolle spielten. Wir haben uns eine Kette des Enthusiasmus vorzustellen, die sich quer durch Nordfrankreich zog.

Es lassen sich einige Aspekte identifizieren, mit deren Hilfe sich vielleicht etwas besser erklären lässt, warum manche Familien mit besonderem Einsatz auf Urbans Ruf zu den Waffen reagierten. Dazu zählen etwa Familientraditionen, einmal im Leben die Pilgerfahrt nach Jerusalem zu unternehmen; eine besondere Verbundenheit zum Reformkloster Cluny und zum Reformpapsttum; auch die Verehrung bestimmter Heiliger. Die weiblichen Familienangehörigen scheinen den Enthusiasmus überdies auch in die Familien ihrer Ehemänner hineingetragen zu haben. Von vier Schwestern aus dem Haus der Grafen von Burgund waren drei mit Teilnehmern des Ersten Kreuzzuges verheiratet; und die Vierte war die Mutter eines Kreuzfahrers. Und obgleich es in der Familie der Herren von Le Puiset vermutlich eigene Traditionen gab, die sie zum Kreuzzug disponierten, war ihre Matriarchin doch eine von vier Montlhéry-Schwestern, die allesamt mit Kreuzfahrern verheiratet oder aber deren Mütter waren. Das Gleiche gilt für ihre beiden Töchter.

Das Echo, das Papst Urbans Aufruf zum Kreuzzug hervorrief, war laut genug, um sich in den Äußerungen einiger Zeitgenossen niederzuschlagen – aber wie stark es genau war, lässt sich heute nur schwer beurteilen. Wenn wir einmal von der dritten Welle des Kreuzzuges absehen – dem sogenannten „Kreuzzug von 1101“, dessen Teilnehmerzahl sich teilweise der Nachricht von der Befreiung Jerusalems verdankt –, so lassen sich die folgenden, sehr vorsichtigen Schätzungen rechtfertigen: Im Juni 1097 versammelten sich etwa 5000 Ritter der zweiten Welle bei Nicäa, dem heutigen Iznik. Diese Zahl sollte man mit dem Faktor vier multiplizieren, um zu einer realistischen Zahl für das gesamte Ritterheer inklusive Tross (Pferdeknechte, Schildknappen usw.) zu gelangen. Dazu kommen dann noch einige Truppen zu Fuß, so dass eine Zahl von 25.000 Mann angemessen erscheint. Allerdings hatte sich dem Kreuzzug auch eine große Anzahl Armer angeschlossen; sie eingerechnet, könnte die Gesamtzahl durchaus im Bereich von 40.000 Mann gelegen haben. Zudem stießen bis zum Fall Jerusalems – und darüber hinaus – ständig noch verspätete Kreuzfahrer hinzu, obwohl die Gesamtstärke des Kreuzfahrerheeres während der Belagerung der Heiligen Stadt wohl bis auf 15.000 gefallen war. Bei diesen Nachzüglern sollten wir von etwa 5000 Mann ausgehen. Das Heer der ersten Welle dürfte beinahe so groß gewesen sein wie das der zweiten; 30.000 Mann scheint realistisch. Insgesamt gelangen wir so zu der Zahl von 75.000 Mann, von denen etwa 7000 Ritter gewesen sein dürften. Zuletzt sollten wir aber auch die beträchtliche Anzahl all jener nicht vergessen, die zwar das Kreuzzugsgelübde ablegten, dann aber doch nicht aufbrachen; es dürften bis zu 50 Prozent der tatsächlichen Kreuzfahrer, mithin etwa 38.000 Mann, gewesen sein. Am Ende steht also die Zahl von 113.000 Kreuzzugswilligen, davon zehn Prozent Ritter.

Gewiss: All das sind Schätzungen. Jedoch gelangen selbst noch vorsichtigere Schätzungen zu Gesamtwerten, die in Anbetracht der damaligen Bevölkerungszahlen überaus stattlich sind und somit erneut die Frage aufwerfen, warum das Kreuzzugsprojekt Urbans II. einen derartigen Zulauf hatte. Darauf gibt es mehrere Antworten. So hatte die Bevölkerungsdichte Europas – nach beständigem Wachstum – im 11. Jahrhundert einen Punkt erreicht, an dem die überkommenen Erbschafts- und Heiratsbräuche an ihre Grenzen stießen. In den Jahren vor 1096 hatte zudem eine anhaltende Dürre in Frankreich zu schweren Missernten, Hungersnöten und Mutterkornbrand geführt, der Wahnvorstellungen und Tod zur Folge haben konnte. Durch verunreinigten Roggen gelangte der Mutterkornpilz in Mehl und Brot und konnte so seine verheerende Wirkung entfalten. Auch stand das Zeitalter ganz im Zeichen einer Kolonisierung und Besiedlung von Gebieten an den Rändern oder sogar – durch das Urbarmachen unwegsamer Wälder – inmitten des alten Europa. Aus diesem Grund erschien es einigen Kommentatoren der Zeit – und seither auch vielen Historikern – plausibel, den Kreuzzug als eine koloniale Unternehmung zu betrachten. Dieser Sichtweise zufolge lockte die Kreuzfahrer die Aussicht auf neue Siedlungsgebiete in einer Gegend, die in der Bibel ja als „Land, darin Milch und Honig fließt“ gepriesen wurde und in einem Erdteil lag – dem Orient –, dessen Reichtum legendär war. All das habe Bauern, unverheiratete Söhne ohne eigenen Landbesitz und Mitglieder von Familien, die durch das System der Erbteilung mit immer kleineren Parzellen auskommen mussten, bewogen, in ein neues Leben aufzubrechen. Andererseits gingen die meisten zeitgenössischen Kommentatoren – und eine Minderheit heutiger Historiker – davon aus, dass die Hauptmotivation zum Kreuzzug in einem echten Idealismus bestanden habe.

In allen Heeren des Ersten Kreuzzuges waren die Armen sehr zahlreich. Gut möglich, dass viele von ihnen die Chance auf ein ganz neues Leben ergreifen wollten – aber wir wissen leider nur wenig über sie, von ihren Beweggründen und Träumen ganz zu schweigen. Unter ihnen muss es eine sehr hohe Sterblichkeit gegeben haben, und es fällt schwer, sich vorzustellen, dass die Überlebenden nach dem Ende des Kreuzzuges die Mittel oder auch nur die Kraft gehabt hätten, in ihre Heimat zurückzukehren. Einige blieben bereits im nördlichen Syrien, als die restlichen Heere weiter gen Süden marschierten. Andere werden wohl in Palästina geblieben sein, während jene Kreuzfahrer, die es sich leisten konnten, wieder nach Hause aufb rachen.

Nur wenig deutet darauf hin, dass die Teilnehmer des Ersten Kreuzzuges in dem Bewusstsein loszogen, an einem Siedlungsunternehmen beteiligt zu sein. Einige herausragende Persönlichkeiten wie Bohemund von Tarent oder Balduin von Boulogne hegten Herrschaftsambitionen, aber abgesehen davon ist die Quellenlage diesbezüglich äußerst dünn. Selbst das Haus Montlhéry, das ja eine bemerkenswerte Reihe von Kreuzfahrern stellte, scheint dem Kreuzzug vor allem aus spirituellen Erwägungen zugeneigt zu haben. Man sollte klar sehen, dass der Kreuzzug zwar einen Prozess in Gang brachte, in dessen weiterem Verlauf westeuropäische Eroberer sich in etlichen Küstengebieten der Levante ansiedelten, dies aber nicht von vornherein geplant war.

Der Papst und die Anführer des Kreuzfahrerheeres nahmen an, dass ihre Truppen sich nach der Ankunft in Konstantinopel mit einer wesentlich größeren Streitmacht unter dem Oberbefehl des byzantinischen Kaisers zusammenschließen würden, in dessen Reich Jerusalem ja einst gelegen hatte, und dass der Feldzug von diesem Moment an die Wiedererrichtung der byzantinischen Herrschaft in der Levante zum Ziel haben würde. Erst als die Kreuzfahrer feststellen mussten, dass der Kaiser keinerlei Interesse daran hatte, an ihrer Spitze in den Kampf zu ziehen, und auch nur ein eher kleines Truppenkontingent zu ihrer Unterstützung bereitstellen mochte, beschlossen sie, „auf eigene Rechnung“ loszuschlagen. Das schloss freilich eine Ansiedlung in Syrien oder Palästina nicht aus, aber die allermeisten Kreuzfahrer kehrten nach dem Ende des Feldzuges wieder in ihre Heimat zurück.

Eine weitere gängige Erklärung für die Beweggründe der frühen Kreuzzüge sieht in diesen nur wenig mehr als großangelegte Raubzüge, wie sie die westeuropäischen Ritter schließlich schon von ihren Vorstößen nach Spanien und anderswo kannten. Die in Clermont versammelten Bischöfe waren durchaus besorgt gewesen, Männer könnten sich dem Kreuzzug „um des Geldes willen“ anschließen, und zweifellos zog das Unternehmen gewalttätige Naturen an. Es gab ja – abgesehen vielleicht von der Entscheidung eines großen Lehnsherrn darüber, wen er in seinem Gefolge mitnahm – keinen Musterungsvorgang, in dem etwa die Eignung potenzieller Teilnehmer geprüft worden wäre. Eine solche Überprüfung hätte es auch überhaupt nicht geben können, allein schon deshalb, weil die Kreuzzüge ja, wie bereits betont, als Pilgerfahrten galten und als solche allen Interessenten offen stehen mussten, selbst Psychopathen. Es ist durchaus möglich, dass die Begierden derjenigen Kreuzfahrer, die zur Gewalttätigkeit neigten, durch Desorientierung, Ängste und Stress noch verstärkt wurden, während sie plündernd ihren Weg nach Osten nahmen. Die barbarischen Gewaltexzesse gegen Juden in Frankreich und Deutschland, mit denen einige Kreuzfahrerheere ihren Marsch begannen, waren begleitet von Raub und Erpressung; auch auf dem Zug der Kreuzfahrer über den Balkan kam es immer wieder zu derartigen Ausbrüchen.

Zugleich war diese Art der Versorgung für das Kreuzfahrerheer überlebensnotwendig, denn ein anderes Verfahren zur Proviantbeschaffung gab es nicht. Solange sie durch christliche Territorien zogen, waren die Kreuzfahrer auf die Mildtätigkeit der jeweiligen Herrscher angewiesen. Sobald sie jedoch in dem verwüsteten Niemandsland angekommen waren, in das sich Kleinasien zu verwandeln begann, befanden sie sich fernab von jedem Treffpunkt mit europäischen Versorgungsschiffen, bis sie Antiochia erreichten – und selbst dort waren die Verpflegungsmöglichkeiten sehr begrenzt. Von allen, großen wie kleinen Heerführern erwarteten schließlich ihre Gefolgsleute, dass sie sie zumindest mit dem Lebensnotwendigen versorgten. Dieser Umstand allein könnte schon erklären, dass die Kreuzfahrer nahmen, was sie bekommen konnten. Außerdem gibt es kaum Hinweise darauf, dass Kreuzfahrer als reiche Männer in ihre Heimat zurückkehrten. Das überrascht kaum, wenn man bedenkt, was allein die Rückreise aus der Levante gekostet haben muss – ganz zu schweigen von der Schwierigkeit, Reichtümer – in Naturalien! – über weite Strecken sicher zu transportieren. Tatsächlich gibt es Berichte darüber, dass beim großen Auszug der Kreuzfahrer aus Palästina im Jahr 1099 viele Teilnehmer schon in Nordsyrien vollkommen mittellos waren.

Eine dritte beliebte Erklärung für die große Anziehungskraft der Kreuzzugsbewegung ist die folgende: Das stetige Bevölkerungswachstum habe Familien mit Grundbesitz gezwungen, Maßnahmen gegen eine Zersplitterung ihrer Güter bei der Erbteilung zu ergreifen: entweder durch die Einführung der Primogenitur, durch die der erstgeborene Sohn sämtlichen Besitz erbte, oder durch eine primitive Form der Geburtenkontrolle, bei der nur ein männlicher Nachkomme pro Generation heiraten durfte. Den anderen jungen Männern sei nahegelegt worden, das Weite zu suchen. Für solch einen überzähligen Sohn sei der Aufbruch zum Kreuzzug ein probates Mittel gewesen, die Bürde, die er für seine Familie darstellte, leichter zu machen.

Aus den Quellen ergibt sich allerdings ein anderes Bild. Die Kreuzfahrer waren ja keine Wehrpflichtigen oder Lehnsleute, die ihren Vasallendienst hätten ableisten müssen. Die meisten unter ihnen waren Freiwillige, die sich, sofern sie nicht im Gefolge eines reichen Adligen reisten oder dessen Unterstützung gewinnen konnten, irgendwie finanzieren mussten. Informationen über die zu bewältigende Entfernung Palästinas waren allgemein verfügbar, da zahlreiche Westeuropäer als Pilger dorthin gereist waren und eine beträchtliche Zahl von Rittern als Söldner im byzantinischen Heer Dienst getan hatten. Die große Entfernung und die damit zusammenhängenden Kosten dürften die Ärmsten unter den Kreuzfahrern nicht abgeschreckt haben: Diese erwarteten vermutlich nicht viel und dachten womöglich sogar, dass sich ihre Lage nur verbessern könne. Für Ritter allerdings sah die Sache anders aus. Von ihnen wurde erwartet, dass sie für Ausrüstung, Pferde, Lasttiere und Diener sorgen würden, um ihre Funktion im Heer effizient ausüben zu können. Ein Ritter aus dem Rheinland, der gut fünfzig Jahre später aufgefordert wurde, in Italien für die Sache des römisch-deutschen Kaisers zu streiten, musste für einen solchen Feldzug zwei ganze Jahreseinkommen aufwenden. Wir können lediglich schätzen, mit welchem Faktor man sein Einkommen multiplizieren müsste, um die Ausgaben eines französischen Ritters für seine Teilnahme an einem Kreuzzug in den Orient errechnen zu können, aber ein Faktor von fünf oder sechs wäre wohl angemessen. Dies lässt die traditionelle Vorstellung vom landlosen Ritter, der sorglos gen Jerusalem zieht, ziemlich lächerlich erscheinen. Es überrascht deshalb nicht, dass sich in den Kopialbüchern von Klöstern und Kathedralen – Sammlungen von Abschriften älterer Urkunden – Beispiele für die Bemühungen finden lassen, mit denen die Kreuzfahrer und ihre Familien an das für ihre Reise benötigte Geld kommen wollten. Das gestaltete sich jedoch schwierig, denn die Bodenpreise waren nach mehreren Dürrejahren unter Druck. Die erwähnte Reihe von Missernten wurde zwar 1096 durch ein hervorragendes Erntejahr unterbrochen – nach einem niederschlagsreichen Frühjahr, das wie Gottes wohlwollende Bestätigung des geplanten Kreuzzuges wirken mochte –, doch offensichtlich für die meisten Kreuzfahrer, die ihren Besitz schon hatten verkaufen oder verpfänden müssen, zu spät. Der Ernst ihrer Lage wurde dadurch verschärft, dass das Angebot an verfügbarem Land so groß, die Anzahl der potenziellen Käufer, die derart hohe Beträge an Geld so schnell hätten aufbringen können, jedoch so klein war, dass als Folge der Wert von Grundbesitz in Frankreich, wie es heißt, gefallen war.

Eine mögliche Maßnahme, die insbesondere den Baronen und wohlhabenderen Rittern gefallen zu haben scheint, war es, religiösen Gemeinschaften gegenüber strittige Ansprüche und unzulässigerweise ausgeübte Rechte im Austausch gegen Bares aufzugeben. Der Kreuzfahrer profitierte von diesem Handel gleich doppelt, denn er konnte sich nun mit einem sauberen Gewissen auf den Weg machen – Pilger verließen die Heimat ungern im Streit – und hatte noch dazu einen Beitrag zu seinen Reisekosten erhalten. Einige adlige Herren hatten sich außerordentlich roh verhalten. Die Besitzer der Burg von Mézenc etwa hatten schon seit einiger Zeit mit den Mönchen der Abtei Saint-Chaffre-du-Monastier (heute Le Monastier-sur-Gazeille) im Streit gelegen. Nun, da sie „auf der Straße nach Jerusalem aufbrechen wollten, um gegen die Barbaren zu kämpfen“, unterstrichen sie ihre Forderungen, indem sie „die Armen in unseren Dörfern [ausplünderten] und ihnen alles nahmen, was sie hatten, ja selbst, wie man sagt, die letzten Brotkrumen“. Es scheint, dass die Kirchenmänner die entsprechenden Vereinbarungen bereitwillig eingingen, um die vorangegangenen, mühseligen Streitigkeiten nun endlich beizulegen. Allerdings sind die entsprechenden Urkunden der beteiligten Adligen oft in einer kriecherischen Sprache formuliert – vielleicht verlangten das die Mönche und Domherren als Gegenleistung für ihr Geld. So ließ es der Burgvogt Nivelo von Fréteval zu, dass der Schreiber einer von ihm in Auftrag gegebenem Abtretungsurkunde ihn – unter Rückgriff auf ein Zitat Papst Gregors I. – folgendermaßen charakterisierte: „von edelster Abstammung, die bei nicht wenigen Leuten ein ganz und gar unedles Gemüt hervorzubringen pflegt“. Und Nivelos nun aufzugebende Ansprüche werden im Urkundentext bezeichnet als „jenes gewaltsame Handeln, das gewissen schlimmen Gepflogenheiten entspringt und das mir [also Nivelo] nicht durch ein altes Anrecht, sondern allein von meinem Vater vererbt wurde, einem wenig bedeutsamen Mann, der als Erster die Armen auf diese Weise belästigt hat“.

Wie erwähnt, kam es jedoch auch vor, dass Grundbesitz verpfändet oder verkauft werden musste, um die Teilnahme am Kreuzzug zu finanzieren. Solche Transaktionen konnten einen beträchtlichen Umfang erreichen: Bisweilen wechselten ganze Herrschaften den Besitzer. Bei den meisten Verpfändungen handelte es sich um sogenannte vifgages, das heißt, der jeweilige Gläubiger erhielt keinen Zins, sondern besetzte die entsprechenden Ländereien und zog die auf ihnen erwirtschafteten Einkünfte solange ein, bis das Darlehen zurückgezahlt war. Das System der vifgages sollte den Wucher vermeiden – technisch gesehen, handelte es sich ja noch nicht um Zinszahlungen auf geliehenes Geld, sondern um den Erwerb eines temporären Nutzungsrechts –, und in der Praxis war es wohl auch zweckmäßig. Ein großer Nachteil für die Kreuzfahrer und ihre Familien bestand jedoch darin, dass sie die Kontrolle über ihren Grundbesitz solange einbüßten, bis das von ihnen erhaltene Darlehen restlos zurückgezahlt war. Man braucht wohl nicht zu betonen, dass die Überschreibung von Land an eine religiöse Einrichtung nur der allerletzte Ausweg sein konnte; schließlich bestand in diesem Fall die Gefahr, dass das betreffende Stück Boden – sollte es vollends an die Kirche fallen – für immer dem freien Markt entzogen sein würde. Andererseits waren Kirchengemeinden und Orden oftmals die einzigen, die entweder über die nötige Liquidität verfügten oder durch den Verkauf von Wertgegenständen aus ihren Schatzkammern zu Bargeld kommen konnten. Dennoch wurden 16 Prozent der erhaltenen Verpfändungen und 13 Prozent der erhaltenen Verkäufe von Grundbesitz nicht mit kirchlichen Institutionen als Schuldner oder Käufer vereinbart, sondern mit Laien, Männern wie Frauen. Diese Zahlen mögen wenig eindrucksvoll erscheinen; man sollte allerdings bedenken, dass die erhaltenen Unterlagen fast ausschließlich kirchlicher Herkunft sind und darum ein Geschäftsabschluss, dessen beide Parteien dem Laienstand angehörten, dort selten verzeichnet wurde. Jedenfalls lassen diese Quellen eine beachtliche Aktivität in der nichtkirchlichen Wirtschaftswelt erkennen, bei der es darum ging, Geld für den Kreuzzug zu beschaffen. Insgesamt zehn Prozent der Verpfändungen und neun Prozent der Verkäufe wurden von engen Verwandten der Kreuzfahrer abgeschlossen, und es ist bemerkenswert, dass sich unter diesen auch Frauen befanden, Schwestern etwa, die auf das Vermögen ihres Ehemannes zurückgreifen konnten, wenn ihre Brüder oder sonstigen männlichen Verwandten knapp bei Kasse waren.

Wenn nun ein Kreuzfahrer Grundbesitz verkaufte, betraf dies seine ganze Familie. Schließlich ging es hier um eine Veräußerung aus der Erbmasse, an der auch andere Familienmitglieder ein tatsächliches oder potenzielles Interesse hatten. Es konnte also vorkommen, dass sie Schwierigkeiten machten und sich gegen eine bereits getroffene Vereinbarung zur Wehr setzten, doch geschah dies eher selten. Scheinbar großzügige Gesten von Verwandten konnten durchaus darauf abzielen, den Zerfall eines Familienerbes zu verhindern. Das galt insbesondere, wenn es sich bei den Wohltätern um Onkel mütterlicherseits handelte, die oft ein Interesse daran hatten, die Kinder ihrer Schwestern zu beschützen – im Gegensatz zu Onkeln väterlicherseits, die für ihre Neffen und Nichten potenzielle Konkurrenten darstellten. Es ist frappierend, dass unter den erhaltenen Übereinkünften mit Kirchenmännern mindestens 43 Prozent der Veräußerungen gegen Geld entweder solche Vermögenswerte betrafen, deren Wert zweifelhaft bleiben musste, da die Besitzverhältnisse umstritten oder klärungsbedürftig waren, oder weil sie bereits verpfändet waren. Das lässt vermuten, dass viele Familien sich von vernünftigen Grundsätzen leiten ließen, wenn es um die Veräußerung ihres Besitzes ging. In den Formulierungen vieler Quellentexte hören wir womöglich Echos von Familienzusammenkünften, die einberufen worden waren, um zu beraten, ob und wie der fragliche Besitz nicht doch noch irgendwie würde gerettet werden können, und falls nicht, welche Teile des Familieneigentums am besten zur Verpfändung oder zum Verkauf gebracht werden sollten. In einem erhaltenen Dokument aus der Bretagne erhalten wir Einblick in eine solche Sitzung. Darin teilt der angehende Kreuzfahrer Thibaut von Ploasme seinem Bruder Wilhelm mit, dass er, Thibaut, seinen Erbteil werde verkaufen müssen, sofern man ihn nicht finanziell unterstütze. Wilhelm wollte verhindern, dass der Anteil seines Bruders am Familienbesitz verloren ging, und also beschaffte er das benötigte Geld von den Mönchen der Abtei Saint-Nicholas in Angers, indem er ihnen seinen Teil einer Mühle verkaufte, die bereits verpfändet worden war.

Einen Kreuzzug zu unternehmen, brachte also eher Verlust als Gewinn – obwohl natürlich das große Prestige, dessen sich viele Rückkehrer erfreuten, dazu beigetragen haben könnte, ihre Schuldenlast zu verringern. Trotz aller Gefahren und Entbehrungen bot ein Kreuzzug aber auch die Gelegenheit, die Gunst eines einflussreichen Gönners zu erlangen. Womöglich war es einem Ex-Kreuzfahrer durch eine solche Beziehung auch möglich, für seine Söhne und Töchter eine „gute Partie“ zu arrangieren – in einer Zeit, in der von einer einzigen Heirat das Schicksal einer ganzen Familie abhängen konnte.

Dennoch: Der Verkauf von Besitztümern auf die vage Hoffnung hin, nach über 3000 Kilometern Marsch in Richtung Osten dort eine neue Existenz aufbauen zu können oder doch wenigstens sein gesellschaftliches Ansehen in der Heimat zu steigern, wäre einem törichten Spiel gleichgekommen – zumal ja der Einsatz ganz einfach hätte reduziert werden können, hätte man nur mit dem Verkauf bis zum Ende der Dürreperiode und bis zur Normalisierung des übersättigten Bodenmarktes abgewartet. In einem solchen Klima ist es wenig überraschend, dass die einzige Strategie, die uns in den Quellen begegnet, genau die bereits geschilderte ist: Sobald ein Familienangehöriger das Kreuz genommen hatte, arbeiteten die Verwandten bei der Schadensbegrenzung zusammen. Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass ein Engagement in der Kreuzzugsbewegung die betroffenen Familien von irgendwelchen Belastungen befreite, ganz im Gegenteil: Der Quellenbefund deutet überwiegend darauf hin, dass diese Familien zusätzliche Belastungen auf sich nahmen, um Familienmitglieder bei der Erfüllung ihrer Gelübde zu unterstützen.

Es scheint daher plausibel, wenn wir annehmen, dass der Einsatz vieler Kreuzfahrer – und ihrer Familien – idealistisch motiviert war. Die Zeit der Kreuzzüge war auch ein Zeitalter ostentativer und extravaganter Großzügigkeit, wovon insbesondere die Ordensgemeinschaften profitierten. Und wenn es wahr ist, dass der geradezu atemberaubende Aufschwung des Klosterwesens mindestens genauso sehr – wenn nicht sogar vor allem – von jenen abhing, die selbst nicht in ein Kloster eintraten, sondern eines stifteten oder finanziell unterstützten, wie von jenen, die Mönche wurden –, wenn all das gilt, dann gilt es auch für die Kreuzzugsbewegung. Hinter zahlreichen Kreuzfahrern stand eine große Gruppe von Männern und Frauen, die – indem sie den Verkauf von Grundeigentum bewilligten, um ihren Verwandten den Aufbruch gen Osten zu ermöglichen – Opfer brachten, deren Ausmaß noch deutlicher wird, wenn man bedenkt, dass, ausweislich der Quellen, auf eine große Anzahl von Schenkungen an religiöse Einrichtungen keine andere Gegenleistung erfolgte als Fürbitte und Gebet. Man darf nicht vergessen, dass die Beliebtheit der Kreuzzugsbewegung in ihrer Zeit durchaus überschätzt werden kann. Obwohl diese Bewegung auf die grundsätzliche Zustimmung zahlreicher Menschen in vielen verschiedenen Teilen Westeuropas zählen konnte – und das schließt ein breites Spektrum von Wahrnehmungen verstandes- wie gefühlsmäßiger Art mit ein –, so repräsentierte diese Bewegung doch zugleich ein Wagnis, das so unbequem, gefährlich und kostspielig war, dass die Mehrheit der Bevölkerung sich darauf lieber nicht einlassen wollte. Wir haben also, anders gesprochen, nicht etwa für alle Teile der westeuropäischen Gesellschaft jener Zeit die Motive für den Aufbruch zum Kreuzzug aufzudecken. Und selbst im Falle der Waffenträger, über die wir die verlässlichsten Angaben besitzen, stellt die Zahl von rund 12.000 Kreuznehmern (von denen etwa die Hälfte letztlich doch nicht aufbrach) nur einen Bruchteil aller Kämpfer in ganz Europa dar. In England allein gab es rund 5000 Ritter, in Frankreich und den französischsprachigen Gebieten des römisch-deutschen Reiches mindestens 50.000. Gegenstand unserer Betrachtung ist also nicht die kollektive Reaktion einer ganzen Gesellschaftsschicht, sondern lediglich die eines Bruchteils, einer Minderheit, deren Handlungsweise durch den Aufruf des Papstes und die Unterstützung ihrer Verwandten bedingt war.

Die Kreuzzüge

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