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12Es gibt kein gutes Leben im schlechten, immer noch nicht

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Als die Tür in ihr großes, leeres Apartment zufiel hatte sie für die Dauer weniger Sekunden das angenehm irritierende Gefühl, doch nicht allein zu sein. Sie traute sich nicht einmal das Licht einzuschalten, aus Furcht, auf diese Weise die Realität hineinzulassen, die Tür zu öffnen und den Rest dieser weiteren Nacht mit dem leben zu müssen, womit sie seit langem lebte. Kurz gab sie sich der geliebten Einbildung hin, er könnte hier auf sie warten.

Ihre Schuhe blieben im Eingangsbereich liegen, da sie das Geräusch ihrer Absätze auf dem Boden ihrer Wohnung nicht ertragen konnte, in welcher sie vor so vielen Monaten noch mit Julian zusammengewohnt hatte. Bald wäre der Tag erreicht, an welchem sie länger getrennt sein würden, als sie zusammen in dieser Wohnung gelebt hatten. Irgendwann würden sie länger getrennt sein, als sie überhaupt zusammen gewesen waren. Glücklicherweise fand sich noch eine halbvolle Flasche Weißwein neben ihrem Kühlschrank. Mit einem beinahe randvoll gefüllten Glas setzte sie sich an den leeren Küchentisch und ließ ihre Blicke durch das kaum möblierte Zimmer ziehen. Irgendwo im Hintergrund, weit hinter den gläsernen Grenzen ihrer Wohnung, fuhren trotz der späten Stunde noch einige Autos. Scheinwerferlicht wie vorüber gleitende Augenpaare.

Sie versuchte sich an Christians Gesicht zu erinnern, was ihr aber kaum gelang, zu unscheinbar, zu ausdruckslos. Vielleicht war es nur anderen Gesichtern zu ähnlich, um eine Vorstellung von Individualität aufrechterhalten zu können, zumindest die Illusion davon.

Hatte er versucht sie zu küssen? Selbst dessen war sie sich nicht sicher, genauso wenig wie bei der Frage, ob es sich um ein Date gehandelt hatte, oder nur ein freundschaftliches Treffen, der alten Zeiten willen. Selbst wie sie dazu stand, konnte sie nicht mehr sagen und sie war erleichtert, dass er es nicht versucht hatte und war überzeugt, jede Sekunde anzufangen zu weinen.

Aber die Tränen kamen nicht, so lange sie auch auf sie wartete.

Sie überlegte, sich ins Bett zu legen und zu masturbieren, doch wusste sie, welche Gedanken sie dabei wieder einholen würden.

Sie überlegte, ihre Mutter anzurufen, doch es war bereits nach drei Uhr nachts und sie hatte sich seit Monaten nicht mehr bei ihr gemeldet.

So trank sie nur in kleinen Schlücken ihren Wein, wissend, dass es sich um die letzte Flasche handeln würde und diese sie durch die Nacht bringen musste. Zu erschöpfend wirkte die Aussicht, noch einmal das Haus verlassen zu müssen und sei es für den Späti um die Ecke. Der Fernseher lief, ohne dass sie sich erinnern konnte, ihn eingeschaltet zu haben. Berichte über eine Geiselnahme in einem Hotel irgendwo in Mali, irgendeine islamistische Terrorgruppe, Bilder von vermummten Männern mit Maschinengewehren und alles sah sehr arabisch aus. Der Nachrichtensprecher war kaum zu verstehen. Ob Nico bald wieder auftreten würde?

Was wäre wohl gewesen, wenn er versucht hätte sie zu küssen? Hätte sie es zugelassen? Wäre er jetzt vielleicht hier, mit ihr im Bett? Ihr fiel ein, dass noch ein benutztes Kondom neben diesem liegen müsste. Sie hatte es wegwerfen wollen, bevor sie Christian traf, dann aber kaum geschafft das Bett zu verlassen, weit davon entfernt die Kraft zu finden, das letzte Überbleibsel an die vorangegangene Nacht zu beseitigen. |Was Christian dazu gesagt hätte? Wahrscheinlich nichts. Sein Bild war so unklar, so verschwommen, dass sie sich nicht eine einzige Reaktion von ihm vorzustellen vermochte.

Außerdem er war nicht hier.

Der Wein schmeckte schal. Nach Staub. Grau. Viel zu kurz glaubte sie eine Träne an ihrer Wange herab perlen zu spüren, doch stellte es sich nur als ein Haar heraus, welches ihre Haut kitzelte. Ob er sie attraktiv fand? Gerne hätte sie es ihn gefragt, einfach nur, um es zu wissen. Vielleicht wäre es realer, wenn er es zu ihr gesagt hätte. Andererseits, welches Bedeutung hätte es schon haben können?

Ihre Augen brannten leicht, mussten sich anstrengen in der Dunkelheit dem flimmernden Kontrastprogramm der Spätnachrichten zu folgen, in seiner stetig wechselnden Bildflut aus Wüstensand, blauem Himmel, Explosionen und dem Nachrichtenstudio. Wäre es ein Film, hätte man sich an der mangelnden Kohärenz des Plots gestört. In der U-Bahn war ihr gegenüber ein Mann gesessen, der ein wenig aussah wie Nico. Beinahe hätte er sie angesprochen, es dann aber doch nicht getan. Sie hätte es nicht gestört.

Am schlimmsten war für sie, wie Christian getan hatte, als könne er sich nicht mehr daran erinnern, warum sie sich aus den Augen verloren hatten, was eigentlich ein vollkommen falscher Begriff war, denn in Wirklichkeit hatte sie den Kontakt zu ihm abgebrochen. Das musste ihm auch klar sein und dennoch hatte er sich entschlossen, diese geheuchelte Fassade aufrecht zu erhalten. Ihr Weinglas näherte sich dem Ende, es war bald vier Uhr morgens. Er hätte darüber sprechen müssen, er hätte sich entschuldigen müssen. Damals. Heute. Wieder hatte er sich dagegen entschieden und wenn ihr nicht alles mittlerweile so vollkommen egal wäre, hätte sie sich wahrscheinlich wieder dafür entschlossen, den Kontakt zu beenden. Und dennoch hatten sie sich erneut verabredet. Sie wusste, das war kein gutes Zeichen.

Der Morgen war noch so weit entfernt. Sie konnte den Alkohol nicht spüren, schenkte nach, obwohl das Glas noch halbvoll war und überlegte, wo noch weiterer sein könnte. Selbst Müdigkeit schien ihr nicht gegönnt und es fiel ihr immer schwerer, in Gedanken Christian und Nico auseinander zu halten. Was wohl zwischen den beiden vorgefallen war? Sie drehte die Lautstärke des Fernsehers auf, ohne den herausfließenden Worten zu folgen, die sie ohnehin nicht interessierten. Hauptsache es waren Stimmen, die sie für ein paar Minuten umgaben. Am liebsten wäre ihr gewesen, wenn es eine Sprache gewesen wäre, die sie nicht verstand. Vielleicht sollte sie nach einem entsprechenden Kanal suchen, doch die Wüstenbilder beruhigten sie. Selbst die regelmäßigen Explosionen und das Knallen der Schüsse konnten sie nicht irritieren.

Weißer Mann, was nun?

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