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4Goldene Tage
ОглавлениеWenn er versuchte zurückzurechnen, hatte er mit mehr als einhundert Mädchen geschlafen, bevor er fünfundzwanzig Jahre alt wurde und bisher hatte sich Grund abgezeichnet, den Verbrauch zu verringern, selbst wenn seine frühere Quelle mit dem Ende seiner glückreichen, aber talentlosen Band ein Ende gefunden hatte. Doch er war ein kreativer Mensch und seine Umorientierung zum Schriftsteller hatte dies nicht nur halbwegs kompensiert, sondern ihn mit Anfang dreißig zu einer gut aussehenden Version dessen verwandelt, was manche gerne einen public intellectual nannten. Selbst wenn er sich in stillen Stunden, nach mehreren Flaschen Wein eingestehen musste, selbst nicht zu verstehen, wie es dazu gekommen war oder wie jemand so naiv sein konnte, seinen Kommentaren diesen Wert zuzugestehen. Oft genug war es ihm nicht mehr nachvollziehbar, woher eigentlich das Geld auf seinem Konto kam, mit welcher Handlung und welcher Rechtfertigung er es eigentlich verdient hatte. Reich würde er sich vielleicht nicht nennen, jedoch war immer mehr als genug Geld vorhanden, um seinen gehobenen Lebensstil finanzieren zu können.
Vor kurzem hatte er wieder einen Artikel für eine Zeitung geschrieben, in welchem er sich über die fehlende Bedeutsamkeit des öffentlichen Intellektuellen ausgelassen hatte, den mittlerweile so viele forderten, aber niemand gewillt war, zuzuhören. Was er damit sagen wollte, war ihm selbst nur vage einsichtig. Dennoch schrieb er den Artikel, kassierte das Geld, gab es aus für teuren Rotwein und noch teureres Koks, von dem er das meiste noch am selben Abend und der darauffolgenden Nacht verschnupfte, mit seiner Freundin im Bett und einer Prostituierten, die er zu Handlungen überzeugte, welche erstere dazu brachte, nicht mehr seine Freundin zu sein und die zweite zu einer größeren Bezahlung, weil sie ihm mit einem ominösen Jim drohte, auf dessen Aufmerksamkeit er verzichten konnte. Also kaufte er sich aus dem Problem heraus. Es war so einfach, wie so vieles im Leben.
Seine letzte Flasche Rotwein hatte weit über fünfhundert Euro gekostet, was in Anbetracht ihres Geschmacks vollkommen vernünftig gewesen war, hätte er nicht die Hälfte aus Versehen in seinen Teppich sickern lassen, als er auf dem Glastisch eingeschlafen war. Der Stuhl neben seinem Kopf war von David Lynch entworfen und angeblich, zumindest erzählte man es sich, handgefertigt. Gerne hätte er ihn kennengelernt. Doch in Amerika kannte ihn niemand und David hatte sich dagegen entschieden, den Teufelsberg als Euro-Zentrale für seine Meditationssekte zu kaufen. Eines seiner ersten Konzerte hatte Nico auf diesem Hügel aufgeführt, bevor auch dieser zu einem Konsumort geworden war, und es gab Gespräche, dass sich die Band dort wieder einfinden sollte, für ein letztes Konzert. Doch darüber wurde schon lange diskutiert und nichts geschah.
Sein Blick lag auf der Gitarre, auf welcher sich bereits Staub angesammelt hatte. Sein Apartment war verwüstet, ein paar Betrunkene lagen auf dem Boden, auf seiner Couch, nackte und halbnackte Frauen, auch Männer, alle objektiv gutaussehend und er versuchte sich zu erinnern, welche er kannte und mit welchen er geschlafen hatte und auf welche beides zutreffen mochte. Er hatte nicht die geringste Ahnung, wie spät oder früh es war. Manche der Körper schienen nicht oder kaum zu atmen, teilweise übereinandergestapelt, während dem Ficken zusammengebrochen, teilweise vollgekotzt, Blut aus wunden Nasen tropfend, zerbrochenes Glas gefolgt von blutverschmierten Fußabdrücken, die sich in den Weiten seiner Räume verloren. Teilweise steckten ihre Körper noch ineinander, als würden sie selbst noch im Schlaf weiter vögeln wollen. Das Knirschen von Splittern unter seinen Hausschuhen in der Hoffnung, sie würden sich nicht durcharbeiten, zu sehr in Apathie versunken, um sicher zu gehen, oder sie auch nur abzustreifen. Vielleicht waren es seine Fußabdrücke auf dem Boden.
Er konnte nichts spüren, aber was sagte das schon?