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14Wir sind das Volk

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Am darauffolgenden Montag waren die Demonstrationen größer geworden, sowohl Bärgida, wie auch ihre Gegendemonstranten. Christian verfolgte sie von einem Dunkin Donuts im Hauptbahnhof aus. Noch konnte er sich nicht entscheiden, ob und wem er sich anschließen sollte, versuchte nur, die Atmosphäre zu genießen, wahrzunehmen, das Gefühl, etwas Großes sei im Gange, oder würde allmählich beginnen. Als würde tatsächlich die Möglichkeit bestehen, er könnte Teil daran haben. Selbst ohne dem Regen, dem leichten Sturm, wirkte es beeindruckend, bedeutungsschwanger. Mehr Fahnen, als beim letztes Mal, lautere Rufe, irgendjemand – wahrscheinlich die Antifa – ließ Musik laufen, vielleicht auch nur irgendwelche anderen linken Gruppen. Die Gegenseite schien dann doch etwas zu konservativ dafür zu sein. Den Geschmack der Donuts konnte er kaum wahrnehmen, höchstens die klebrigen Überreste, die sich an die Zwischenräume seiner Zähne festgesetzt hatten. Der erste Tag seit langem, an welchem er keinen Kater hatte, was aber auch daran lag, dass der vergangene Tag ein Sonntag gewesen war.

Seit einer Woche wartete er auf eine Nachricht von Sarah, langsam sich an den Gedanken herantastend, dass er sich bei ihr melden sollte, obwohl sie wahrscheinlich ohnehin keinen Kontakt mehr wollte. Was auch immer es gewesen war, etwas hatte er falsch gemacht. Oder er war vielleicht nicht offensiv genug gewesen. Vielleicht war er auch einfach zu sehr in der friend zone, als dass sie Avancen seinerseits überhaupt erst in Betracht gezogen hatte.

„Wir sind das Volk, wir sind das Volk, wir sind das Volk.“ Pfeifenlärm zischte um sie herum, hinauf in seine gläserne Donutblase mit dem schlechten, stark verwässerten Kaffee. Er begann die Monate nachzuzählen, in denen er bereits keinen Sex mehr gehabt hatte. Er kam auf sechzehn. Sechzehn Monate ohne Sex, sogar ohne einen Kuss, ohne jegliche weibliche Berührung, die über eine freundschaftliche Umarmung hinausging und selbst das lag bereits einige Zeit zurück. Würde Sarah die Wende in seinem Leben bringen, auf die er schon so lange wartete? Er vermisste sie, konnte aber nicht sagen, ob es sie war, oder nur generell Kontakt mit einem Mädchen.

Die Israelfahnen waren auch dieses Mal zugegen. Mittlerweile hatte er sich informiert. Die ihm unbekannten Fahnen gehörten zu den Reichsbürgern, von denen er zuvor auch noch nichts gewusst hatte, die aber wohl gut darin waren, das Bezahlen von Steuern zu vermeiden, was er sympathisch fand.

Die Gegendemonstranten waren mittlerweile kaum zu hören, immer lauter brüllte die schwarze Masse. Nur noch Fackeln schienen zu fehlen. Kurz glaubte er, das halbwegs attraktive Mädchen des Nachbartisches blickte zu ihm herüber, aber als es ihm gelang ein Lächeln auf seine Lippen zu brechen, blickte sie schnell wieder weg. Als hätte sie etwas Ekelhaftes erblickt. Er blickte weiter zu ihr, betrachtete ihr langes, braunes Haar in der Hoffnung, sie könnte wieder zu ihm sehen. Vielleicht war sie ja nur schüchtern oder kurz erschrocken, weil sie nicht erwartete, dass er ihren Blick bemerkte. Doch ihre Augen blieben auf den Kaffee vor ihr gerichtet und irgendwann nach vielen ungezählten Minuten verließ sie den Laden, ohne ihn ein weiteres Mal angesehen zu haben.

Das erbärmliche an seiner Situation war das schleichende Eingeständnis, dass sein Versagen bei Frauen, das Ausbleiben von Sex, ihn in eine solch traurige, erbärmliche Situation brachte, dass selbst Tragik nicht mehr erreichbar schien. Es blieb nur noch das Lächerliche, in welchem aber weder Größe, noch Bedeutung und somit auch kein Trost zu finden war. Tragik konnte es nur geben, wenn man fiel, doch war er nie hoch genug gekommen, um herabstürzen zu können.

Irgendwann verstummten auch die Stimmen. Sein Kaffee war schon vor langer Zeit kalt geworden.

Weißer Mann, was nun?

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