Читать книгу Weißer Mann, was nun? - A. A. - Страница 15
13Jean Ziegler ist ein Arschloch
ОглавлениеEr musste auf jeden Fall daran denken, die neuen Anschläge mit einzuarbeiten. Alles drehte sich, während er versuchte, sich auf den Bildschirm zu konzentrieren, der von immer neuen, frisch dahin fließenden Buchstabenreihen geflutet wurde, die aus seinem aufgeputschten Körper herausströmten. Gerade erst aus dem Bett einer jungen – wahrscheinlich nicht zu jungen – Blondine gestiegen, die er wohlweislich nicht mit in sein Apartment genommen hatte. Eine Flasche Rotwein aus ihrem Schrank geklaut, als er sie schlafend zurückließ. Wie tot. Während der darauffolgenden Taxifahrt ging er die Nacktbilder durch, die er heimlich von ihrem regungslosen Körper gemacht hatte. Ihre großen Brüste noch feucht vom Schweiß, während er die ersten Schlücke gierig in seinen Körper laufen ließ, selbst als ihm klar wurde, wie billig dieser gewesen sein musste. Beim Aussteigen überlegte er, sie dem Taxifahrer zu geben, nahm sie aber dennoch mit. Selten hatte er sich in den letzten Monaten so beflügelt erlebt, wie in dieser Nacht. Kaum konnte er es abwarten seinen Computers hochzufahren, aus Angst, die Energie verloren zu haben, die ihn vor Vorfreude schattenboxend in seinem Privataufzug hatte tanzen lassen, nur gestört von seinem immer noch harten Schwanz, der angenehm unangenehm gegen den Reißverschluss seiner Jeans scheuerte. War es überhaupt seine Jeans?
Kaum erkennend, was er in seinen Computer hämmerte, schossen und prügelten sich die Wörter mit nahezu grenzenloser Energie auf eine leere Seite nach der anderen, angetrieben vom vorangegangenen Gespräch mit der blonden Schönheit. „Die Leute wollen jetzt vor allem jemanden der ihnen Mut macht. Der ihnen sagt, sie sollten da weitermachen, wo sie bereits waren. Spaß haben, das Leben genießen, nicht an den morgigen Tag denken zu müssen. Sie wollen vor allem hören, dass sie alles richtig machen und nur weiter so machen können, damit alles gut wird. Vielleicht ein wenig härteres Vorgehen von der Polizei, ein paar mehr Sicherheitskontrollen, damit wir sehen, dass die Politik sich um uns kümmert, aber vor allem soll sich nicht viel ändern. Ich will ja auch nicht gesagt bekommen, wegen irgendwelchen geisteskranken Arschlöchern, die glauben für irgendeinen Gott herumballern zu müssen, nicht mehr ausgehen zu dürfen, oder mein Leben und Lebensstil überdenken zu müssen. Von solchen asozialen Schwachköpfen dürfen wir uns doch unser Leben nicht kaputt machen lassen.“
„Ist das nicht irgendwie egoistisch?“, hatte er noch nachgefragt, vor allem damit sie nicht aufhörte, denn sie sprach genau das aus, was er vorhatte zu Papier zu bringen, bestätigte genau, worauf er ohnehin hinaus wollte. Also war es vielleicht tatsächlich keine so schlechte Idee.
„Natürlich ist es das. Aber auch nicht schlimmer, als der Egoismus dieser Talibanärsche.“
„Würdest du ein Buch lesen wollen, in dem es darum geht?“
Und ihm kam der Gedanke, das sie vielleicht ganz froh über diese Talibanärsche war. So glaubte sie vielleicht, sich nicht mehr über andere Dinge sorgen zu müssen und hatte einen guten Grund, stattdessen zu feiern. Al Quaida im Dienste des Kapitalismus. Auch diesen Satz dürfte er nicht vergessen, er war eingängig, provokant. So etwas verkaufte sich.
„Kommt drauf an“, lächelte sie, ihre Finger sich fester um seinen Schwanz schließend, „wenn es von dir geschrieben ist, sicher. Aber...“ und sie drückte fester zu, ihre Lippen nahe an seinem Ohr, seine Hände nach ihren großen Titten greifend. Sie waren so weich, hingen aber nicht. Wie lange lagen sie schon gemeinsam im Bett?
„Aber?“
„Hast du das letzte Buch von Jean Ziegler gelesen? Schreib es nicht so“
„Wie meinst du das?“, seine Stimme zitterte leicht, er hatte Durst und vergessen, wer Jean Ziegler war.
„Nicht so selbstgefällig. Nicht andauernd Anekdoten, mit welchen coolen linken Intellektuellen du gerne bei einem Glas Rotwein vor tropischen Kulissen abhängst.“
Damit ihr nicht merkt, wie klein euer Leben ist, was er dann doch nicht sagte, ihr sanft in die Schulter biss zu den Worten „Jean Ziegler ist ein Arschloch“ und sie sich weiter durch die stille Nacht vögelten. Bald müsste die Sonne aufgehen dachte er noch, bevor er wieder kam. Hoffentlich nahm sie die Pille.
Die Rotweinflasche war geleert, wie von Geisterhand durch eine zweite ersetzt worden, während nun wirklich die Sonne langsam aufzugehen begann, die Nacht in ihre blaue Phase überging, die ihm immer am liebsten gewesen war, sofern er nicht zu betrunken war, um sie genießen zu können.
Wie oft hatten sie in dieser Nacht miteinander geschlafen? Es viel ihm schwer, tatsächlich unmöglich, sich zu erinnern, wie er in ihre Wohnung gekommen war, oder wie er sie kennen gelernt hatte. Als wäre sie aus dem Nichts heraus entstanden und er aus demselben zu ihr gestoßen worden und die Wörter rannten aus ihm heraus, aus Flucht vor seinem Verstand, vor dem Vergessen, das dort auf sie wartete. Die zweite Flasche schmeckte deutlich besser und der Schwindel wurde schlimmer, die Finger prasselten mit wachsender Gewalt auf die alte Tastatur herab, aufschreiend unter jeder Bewegung, durch die Leere seiner riesigen Penthousewohnung hallend. Er wusste, dieses Buch würde ein Erfolg werden, ein großer Erfolg. Er würde den Diskurs an sich reißen und wenn er in dieser Geschwindigkeit weiter daran arbeiten würde, standen die Chancen nicht schlecht, sich als erster auf einer solchen Weise profilieren zu können, so massiv und schamlos, wie er es sich nicht besser hätte erträumen können. Alle anderen wären anschließend dazu verdammt, sich an ihm abzuarbeiten, während er sich entspannt zurücklehnen konnte, um dabei zuzusehen, wie das Geld es sich auf seinem Konto gemütlich machte.
Er merkte kaum, wie das Glas neben ihm zersprang, Rotwein in dicklichen Schlieren über die Glasplatte seines Arbeitstisches zog, wie ein dünnes Meer aus Blut, welches stetig neben ihm anstieg, dekoriert mit Deckenlicht spiegelnden Glassplittern. Von nun an floss der Rotwein aus der Flasche, die Scherben blieben vergessen und die zu Wort gebrachte Abneigung gegen Moslems, den Islam und dessen Wertvorstellungen überraschten auch ihn, als er es sich am nächsten Tag durchlas. Wie viel davon war er, wie viel das Mädchen? Er hätte nach ihrem Namen fragen sollen. Löschen konnte er es derweil nicht, sah er doch eine gewisse Wahrheit dahinter, die er vielleicht erst in einem zweiten Buch würde schreiben können, wenn vielleicht weitere Anschläge, in Deutschland die Stimmung noch ein wenig verändert haben würden. Schließlich sollte sein jetziges Projekt ein linkes sein. Auf keinen Fall würde er es darauf ankommen lassen, sich als Rechter im politischen Diskurs wiederzufinden. Rechts war nicht sexy. Außer vielleicht bei Houellebecq, aber wer wusste schon, was der war.
„Hast du es schon mal mit einem Moslem getrieben?“
„Nein, wieso fragst du?“
„Warum bist du so schockiert, dass ich das frage?“
„Bin ich nicht. Nur überrascht. Warum willst du das wissen?“
„Keine Ahnung. Würdest du es?“
„Ich weiß nicht. Wahrscheinlich nicht.“
Dunkles Blau wandelte sich zu hellen, leichten Gelbtönen und die Sonne trat über den Dächern der Stadt hervor, während seine Hände und sein Gehirn nicht aufhören konnten zu arbeiten, weiter und weiter schrieben, getrieben von Rotwein, der Aussicht auf Geld und Ruhm und weiteren schönen, jungen Mädchen, deren Nacktfotos sich auf seinem Handy sammelten. Manche wussten davon, die wenigsten schienen etwas dagegen zu haben.
Bei Whatsapp leuchtete eine Nachricht einer Senem auf, was ihm nichts sagte und ungelesen weggedrückt wurde, vergessen, bevor er das Handy beiseite hatte schieben können.
Kurz erschrak er, als das Sonnenlicht begann auf die Tischplatte zu fallen und er den Rotwein für Blut hielt, sich wundernd, wessen es sein könnte. Er durfte nicht vergessen, dem Mädchen von vorhin noch zu schreiben, bevor er sich schlafen legte. Doch noch liefen die Tasten und die Wörter und wie ein steter Singsang hallten ihre Beschimpfungen über Jean Ziegler nach, den er ohnehin noch nie gemocht hatte. Wenngleich dies eher mit dem Neid auf dessen Erfolg und Reputation zusammenhing.
Er hatte ihre Nummer in seinem Handy unter X eingespeichert.
Als er irgendwann mit dem Gesicht auf der Tischplatte aufwachte, ging die Sonne bereits wieder unter. Die Geiselnahme, von der er nichts mitbekommen hatte, war beendet, die Nummer des Mädchens nicht mehr auf seinem Handy und ein weiterer verpasster Anruf der Unbekannten mit dem seltsamen Namen. Oder war es ein Typ? Vielleicht der Freund des letzten Mädchens, irgendeines Mädchens? Bei der Durchsicht seiner Arbeit der Nacht, versuchte er mit Kaffee den Kater zu bekämpfen und sich dabei in Erinnerung zu rufen, welche Termine er verpasst hatte und wie er auf die zahlreichen verpassten Anrufe seiner Agentin reagieren sollte. Vielleicht sollte er sie entlassen, das würde einiges entspannen.
Er musste herausfinden, wie dieses Mädchen hieß. Sie konnte phantastisch blasen. Er wollte sie wiedersehen, nur konnte er sich an nichts Greifbares erinnern. Langsam begann die Nacht sich wieder über die Stadt zu legen.