Читать книгу Privatdetektiv Tony Cantrell Sammelband #4 - Fünf Krimis in einem Band - A. F. Morland - Страница 38
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Gladys Street 936 ähnelte einer mittelalterlichen Ruine. Es sah nicht so aus, als würde in diesem Ziegeltempel noch jemand wohnen. Die meisten Fensterscheiben waren eingeschlagen. In einigen Fensterrahmen klemmten Sperrholzplatten. Von der Fassade fehlten große Mauerstücke. Der ganze Bau machte den Eindruck, als würde er das nächste Jahr nicht mehr erleben.
Butch war in Western Springs gewesen. Er hatte sich umgezogen und den anderen von Bibi Garner erzählt. Nun stand er hier vor einer Ruine, die man nur mit einem Schutzhelm, wenn nicht gar mit einer stabilen Ritterausrüstung betreten sollte.
Das Haustor knarrte schrecklich, als Butch es öffnete. Dann quietschte es so schrill, dass Butch eine Gänsehaut über den Rücken lief.
Der Korridor, in den er trat, war schmal, lang und finster. Ratten huschten mit protestierenden Pfiffen davon.
Aus der Mauer hingen die Stromkabel wie Lianen im Urwald. Alles war dreckig. Es stank wie in einer Kloake. Bestialisch. Überall lag Papier herum.
Butch hielt den Atem an. Nein, hier wohnte niemand mehr. Er wandte sich um und rannte aus dem Haus. Den nächsten Atemzug machte er erst, als er auf dem Gehsteig vor der Ruine stand.
An die Ruine schloss sich ein Neubau an. Nummer 938.
Der musste es sein. Melissa hatte sich wohl in der Hausnummer geirrt.
Er betrat das Haus. Hier roch es passabel. Von Melissa hatte er erfahren, dass Bibi Garner im ersten Stock zu Hause war. Tür Nummer 11.
Butch begab sich nach oben. Als er vor Nummer 11 stand, drückte er auf den Klingelknopf aus Messing.
Nichts.
Er klingelte noch einmal. Drinnen war wieder das ekelhaft schrille Geräusch der Glocke zu hören.
„Ja, ja!“, rief eine ärgerliche Mädchenstimme. „Ich komme ja schon! Die Leute glauben doch alle, man hätte eine Rakete im Hintern.“
Die Tür ging auf.
Butch sah blondes Haar, hochgesteckt und mit einem grünen Tuch zusammengehalten. Butch sah ein hübsches Mädchengesicht. Ausnehmend hübsch. Sie hatte rehbraune Augen und lange schwarze echte Wimpern. Ihre Nase war klein. Ihr Mund war voll. Das Kinn wies die Andeutung eines Grübchens auf. Ihr Hals war lang und schlank. Sie trug einen Bademantel, der vorne nicht gut schloss. Butch sah volle, schwere Brüste. Sie sah hinreißend aus. Kein Wunder, dass Donald Remsberg bei ihr gleich Feuer gefangen hatte. „Guten Tag“, sagte Butch angetan. „Tag. Was wollen Sie? Ich habe keine Zeit. Ich will gerade ein Bad nehmen.“
Butch grinste.
„Oh, lassen Sie sich durch mich nicht stören.“
„Sie sind wohl bescheuert, Mann?“, rief das Mädchen entrüstet. Ihr Aussehen war weit besser als ihre Manieren. „Wofür halten Sie mich eigentlich?“
„Für Bibi Garner“, sagte Butch. „Habe ich recht?“
„Nein!“
„Nicht?“
„Nein. Mein Name ist Franca Corleone.“
„Ein schöner Name“, sagte Butch enttäuscht. Der Name und das blonde Haar des Mädchens passten nicht so recht zusammen. Entweder war der Name oder die Haarfarbe falsch. „Franca Corleone klingt aber ganz anders als Bibi Garner.“
„Was haben Sie immer mit Bibi ...“
„Ich muss mich wohl in der Tür geirrt haben“, sagte Butch. „Verzeihen Sie. Sie können jetzt Ihr Bad nehmen.“
Er wandte sich enttäuscht ab.
„He, junger Mann!“, rief Franca amüsiert. „Warum lassen Sie sich von mir gleich in die Flucht jagen?“ Butch wandte sich wieder um.
Franca strahlte ihn mit ihren Rehaugen freundlich an. Er gefiel ihr, und sie war eine von jenen emanzipierten Frauen, die sich das Recht nahmen, so etwas auch zu zeigen.
„Ich bin zwar nicht Bibi Garner, aber ...“
„Mir kann nur Bibi helfen“, sagte Butch, während seine Augen in das reichlich gefüllte Dekolletee des Bademantels kletterten.
„Die wohnt nicht mehr hier“, sagte Franca beleidigt.
„Heißt das, dass ich mich doch nicht in der Tür geirrt habe?“
„Das könnte man sagen.“
„Bibi wohnt nicht mehr hier?“
„Sehr richtig. Ich wohne jetzt hier.“
„Allein?“
„Ich brauche keine Gouvernante mehr.“
„Ja. Das sieht man. Sind Sie mit Bibi befreundet?“
„Ich war es mal“, sagte Franca. „In der vergangenen Woche hatten wir Streit. Nun bin ich nicht mehr mit ihr befreundet. So geht das Leben.“
„Ist sie nach dem Streit gleich ausgezogen?“, fragte Butch.
„Woher wissen Sie das?“
Butch grinste.
„Ich bin eben ein ausgeschlafener Junge.“
„Möchten Sie auf einen Drink hereinkommen?“, fragt Franca mit einem warmen Lächeln. „Mir wird kalt an der Tür. Oder sind Sie nur verrückt nach Bibi?“
„Ich bin nicht verrückt nach Bibi.“
„Dann kommen Sie.“
„Nein.“
„Angst?“, fragte Franca schmunzelnd.
„Keine Zeit.“
Franca lachte.
„Eines Tages wird Sie der Stress erledigen. Und was haben Sie dann vom Leben gehabt?“
„So etwas Ähnliches hat mir mein Psychiater auch schon gesagt. Wohin ist Bibi gezogen?“
Franca stieß ihm lachend den Zeigefinger in die Magengrube.
„Wenn Sie mir versprechen, nicht vor Eifersucht zu platzen, sage ich es Ihnen.“
„Versprochen“, sagte Butch und nickte.
„Bibi ist zu einem Kerl gezogen. Sie kann eben nicht allein sein. Vielleicht fürchtet sie sich nachts allein ...“
„Mag sein.“
Franca lachte.
„Ich möchte wirklich wissen, weshalb sie zu diesem ekelhaften, schäbigen Kerl gezogen ist. Er sieht mies aus, ist brutal und hat immer dreckige Fingernägel. Außerdem stinkt er ständig nach Knoblauchwurst. Aber im Bett soll er ein Erlebnis sein. So etwas braucht Bibi.“
„Wie heißt denn der Wunderknabe?“, fragte O'Reilly.
„Di Natale“, sagte Franca. Sie verzog dabei das Gesicht, als hätte sie ein Stück Dreck in den Zähnen. „Brian Di Natale.“
„Wohnhaft?“, fragte Butch.
„North Shore 2645.“
Butch grinste.
„Ich könnte mich fast vergessen. So viel Freude haben Sie mir mit dieser Auskunft gemacht, Franca.“ Franca schenkte ihm einen glühenden, keineswegs ablehnenden Blick.
„Wie würde sich denn deine Freude bemerkbar machen, Supermann?“ Butch kniff schelmisch ein Auge zu.
„Darüber reden wir, wenn du gebadet hast, Baby.“