Читать книгу 8 Arztromane: Engel in Weiß und ein Arzt aus Leidenschaft - Sammelband - A. F. Morland - Страница 58
Оглавление8
„Bist du soweit? Können wir gehen?”, fragte Thomas Quast seine Frau.
Tamara war noch mit dem Schminken beschäftigt.
„Ich bin gleich fertig”, sagte sie.
Er lehnte sich an den Türrahmen. Seine Stirn war sehr hoch, das Haar an den Schläfen stark angegraut. Er war einundfünfzig und — seinem Alter entsprechend — nicht mehr ganz schlank.
Sie sah ihn durch den Spiegel ärgerlich an.
„Mach mich bitte nicht nervös, sonst dauert es noch länger.”
„Was tu’ ich denn?”, fragte Thomas, der sich keiner Schuld bewusst war.
„Du siehst mir beim Schminken zu”, antwortete Tamara, „obwohl du weißt, dass ich das nicht haben kann.”
„Was ist denn schon dabei? Darf ich das Geheimnis deiner immerwährenden Schönheit nicht erfahren?”
Tamara drehte sich um und sah ihm kriegerisch in die Augen.
„Entweder du lässt mich jetzt in Ruhe, oder ihr besucht Wolf ohne mich.”
Thomas trollte sich kopfschüttelnd. Es war in letzter Zeit nicht leicht, mit Tamara auszukommen. Die Wechseljahre machten ihr - und damit auch ihm - zu schaffen. Obwohl sie bei Dr. Härtling gewesen war und seither Medikamente einnahm, konnte Thomas Quast noch keine Besserung ihrer Klimakterium-Beschwerden feststellen, aber man durfte sich von diesen Hormonpräparaten wohl keine Wunder erwarten. Er zündete sich im Wohnzimmer eine Zigarette an. Das Telefon läutete. Thomas hob ab. „Ja, bitte?”
„Fertig?”, fragte Michaela Schönberg, die Nachbarin.
„Ich schon, aber Tamara ist noch mit ihrer Kriegsbemalung beschäftigt.” Er zog an der Zigarette. „Wie lange wird es noch dauern?” Thomas blies den Rauch an der Sprechmuschel vorbei. „Ich schätze, in fünf Minuten müsste mein liebes Weib startklar sein.”
„Mario fährt inzwischen den Wagen aus der Garage”, sagte Michaela.
„Wenn ihr nicht warten wollt, fahrt schon mal vor - wir kommen nach.”
„Ist doch Blödsinn, mit zwei Autos zu fahren - wegen fünf Minuten”, erwiderte Michaela.
„War ja nur ein Vorschlag.”
„Bis gleich”, sagte Michaela und legte auf.
Thomas zog wieder an der Zigarette. Er rauchte zu viel. Er wusste es, und Tamara meckerte auch immer wieder mit ihm, aber er konnte die Zigaretten einfach nicht sein lassen. Hypnose, Akupunktur, Nikotinpflaster und Kaugummi hatten nichts bewirkt. Vielleicht hatte er eine Zeitlang ein paar Zigaretten weniger geraucht, aber das hatte er hinterher mit verstärktem Nikotingenuss schnell wieder wettgemacht.
Er sah aus dem Fenster. Die Schönbergs verließen soeben ihr Haus. Es lag ihm auf der Zunge „Jetzt wird es aber langsam Zeit, Schätzchen!” zu rufen, aber er verkniff es sich um des lieben Friedens willen.
Die Schönbergs warteten im Wagen auf Tamara und Thomas. Endlich kam Tamara die Treppe herunter. Thomas wich ihrem Blick aus.
Er ärgerte sich über seine Frau. Nie wurde sie rechtzeitig fertig. Immer kam sie zu spät. Immer mussten alle auf sie warten. Er konnte ihr das einfach nicht abgewöhnen. Er konnte sich damit aber auch nicht abfinden. Jeder andere Ehemann hätte wahrscheinlich schon längst resigniert - er nicht. Er ärgerte sich immer wieder über Tamaras Saumseligkeit.
„Ich bin fertig”, sagte Tamara.
Ihm lag ein ironisches „Schon?” auf der Zunge. Er schluckte es mühsam hinunter, stieß die Zigarette in den Aschenbecher und verließ mit seiner Frau das Haus.
Sie stiegen zu den Schönbergs in den Wagen. Mario fuhr los. Sein Halbbruder war gestern operiert worden. Vierzehn Stunden hatte die Operation gedauert, und Wolfs Leben hatte an einem sehr dünnen Faden gehangen.
Die Ärzte hatten seine Schlagader durch eine Kunststoffprothese ersetzt, und er hatte eine künstliche Herzklappe bekommen. Nun ging es ihm den Umständen entsprechend. Die Lebensgefahr war zum Glück gebannt, Wolf erholte sich langsam von seiner Krankheit und vom chirurgischen Eingriff. Die Schönbergs und die Quasts sprachen über ihn.
„Wolf hat mit einem Bein im Grab gestanden”, sagte Mario betroffen. „Man stelle sich das mal vor: Mit neunundzwanzig Jahren musste er dem Tod schon ins Auge sehen! Ist das nicht schrecklich?”
„Wie schnell etwas passieren kann”, seufzte Michaela.
„Wie ein Blitz aus heiterem Himmel kann es einen treffen”, sagte Tamara. „Heute fühlt man sich noch pudelwohl — und morgen kann man bereits sterbenskrank sein.”
„Deshalb sollte man niemals zu leben vergessen”, bemerkte Thomas. „Bewusst leben meine ich. Jeden Tag. Jede Stunde. Jede Minute mitnehmen, was möglich ist, um später, wenn es nicht mehr geht, nicht bereuen zu müssen, irgendetwas ausgelassen zu haben.”
Mario Schönberg musste an einer ampelgeregelten Kreuzung anhalten. Nebenan stand ein japanischer Kleinwagen. Wummernde Basstöne drangen aus dem Fahrzeug, in dem ein langhaariger junger Mann saß.
„’ne rollende Diskothek”, grinste Thomas.
„Der Bursche macht sich sein Gehör kaputt”, sagte Mario kopfschüttelnd.
„Und er gefährdet sich und andere”, behauptete Michaela, „denn dreißig Prozent aller Gefahren nimmt der Mensch im Straßenverkehr übers Gehör wahr.”
Grün. Der Kleinwagen zischte ab wie eine Rakete. Mario sah ihm nach und meinte: „Der Junge braucht einen sehr wachsamen Schutzengel.”
Sie erreichten kurz darauf die Paracelsus-Klinik. Auf dem Weg zu Wolf Kretschmer begegneten sie Dr. Härtling, der über den derzeitigen Zustand des frisch operierten Patienten Bescheid wusste und ihnen reinen Gewissens Hoffnung machen konnte. Sören Härtling bezeichnete es als Glück im Unglück, dass Wolf Kretschmer erst neunundzwanzig war, also noch jung genug, um den Eingriff gut zu überstehen und rasch wieder zu Kräften zu kommen.
„Wird er seinen Beruf wieder ausüben können?”, erkundigte sich der Opernsänger.
„Mit Sicherheit”, nickte der Chef der Paracelsus-Klinik. „Wenn wir ihn entlassen, kommt er noch für einen Monat in eine Reha-Klinik. Danach wird er soweit wiederhergestellt sein, dass er seine Arbeit wieder aufnehmen kann. Aber große Anstrengungen werden für ihn nicht mehr drin sein. Keine Gewalttouren ins Gebirge. Keine Kraftakte beim Freizeitsport ...”
Mario Schönberg winkte ab. „Hat er sowieso nie gemacht.”
„Dann können wir ihm ein relativ beschwerdefreies Leben garantierten”, sagte Dr. Härtling, nickte allen freundlich zu und ging weiter.
„Ein netter Mensch, dieser Doktor Härtling”, bemerkte Mario.
„Ein Arzt, wie er sein soll”, sagte Michaela. „Man hat sofort Vertrauen zu ihm, und er versteht es meisterhaft, einem Mut zu machen, wenn man mal krank ist.”
Sie gingen weiter. Ingeborg Herzfeld war schon bei Wolf, der blass und eingefallen in seinem Bett lag. Aber bei klarem Verstand. Und er freute sich über den Besuch der Schönbergs und der Quasts.