Читать книгу Der Arztroman Lese-Koffer Mai 2021: 16 Arztromane - A. F. Morland - Страница 115

So viel Aufregung war in der Härtlingschen Villa höchst ungewöhnlich, deshalb dauerte es auch geraume Zeit, bis die Wogen sich wieder glätteten.

Lilo Henckels – eine raffinierte Versicherungsbetrügerin. Wer hätte das gedacht? Die Familie Härtling hatte ihr, je besser sie sie kennengelernt hatte, vieles zugetraut, aber auf den Gedanken, dass sie sich von ihrem Freund anfahren ließ, um von seiner Versicherung Schmerzensgeld zu kassieren, wäre keiner gekommen.

„Eine Wohltat, sie nicht mehr ständig im Haus zu haben“, kommentierte Ben während des Mittagessens. Es gab Schweinerouladen mit Salbei und Parmaschinken. Ottilie hatte sich mal wieder selbst übertroffen.

„Jetzt ist klar, wieso ihre Eltern nichts von ihr wissen wollen – und wieso sie keine Freunde hat“, meinte Dana ernst. Sie seufzte. „Ich weiß nicht, wieso ich mir einredete, ich müsse für sie da sein.“

„Sie hat dich getäuscht“, sagte Ben. „Sie täuscht jeden, wird das immer wieder tun, weil sie nicht anders kann, weil es ihr Naturell ist, zu lügen und zu betrügen. Es ist ihr nicht möglich, zu ihren Mitmenschen ehrlich zu sein, darum wird sie auch nie einen wirklich guten Freund finden, auf den sie sich hundertprozentig verlassen kann und der für sie da ist, wenn es ihr schlechtgeht. “

„Irgendwie ist sie zu bedauern“, sagte Tom.

„Vermisst du sie etwa?“, fragte Josee.

Tom schüttelte den Kopf. „Nein, überhaupt nicht. “

„Ich auch nicht“, sagte Josee.

Ben sah seine Eltern grinsend an und sagte: „Endlich sind die beiden sich mal einig.“

Nach dem Mittagessen kehrte Sören Härtling in die Paracelsus-Klinik zurück. Mittlerweile lagen sämtliche Befunde des Checkups von Wolf Rossberg vor, und das Ergebnis war wenig erfreulich: Verminderte Glomerulumfiltration. Erhöhter arterieller Blutdruck. Leichte Anzeichen einer Anämie. Deutliche Erhöhung des Creatiningehalts, des Stickstoffgehalts und des Harnsäuregehalts im Blut. Verminderung der Gesamtproteinmenge …

Der Klinikchef suchte den Patienten persönlich auf. Wolf Rossberg sah ihn gespannt und erwartungsvoll an.

„Guten Tag, Herr Rossberg.“ Dr. Härtling trat an das Bett des Patienten.

„Sie sehen nicht so aus, als hätten Sie mir etwas Angenehmes mitzuteilen, Herr Doktor. Und dass Sie selbst kommen ... “

Sören Härtling atmete schwer ein. Er liebte seinen Beruf im Allgemeinen, doch in solchen Situationen hasste er ihn. „Nun, Herr Rossberg ...“

„Ist es sehr schlimm, was man festgestellt hat?“, fiel der Textdichter ihm ins Wort. „Ist es lebensbedrohend? Was fehlt mir? Was ist die Ursache für all die Symptome, die mich veranlasst haben, mich mal gründlich untersuchen zu lassen?“

„Ihre Nieren sind bedauerlicherweise sehr angegriffen, Herr Rossberg“, sagte Dr. Härtling so behutsam wie möglich.

„Meine Nieren?“

„Ausgeprägte Schwäche, Appetitlosigkeit, Konzentrationsschwäche, quälender Juckreiz ... Das alles ist auf eine chronische Niereninsuffizienz zurückzuführen.“

„Und – was kann man dagegen tun?“

„Die chronische Niereninsuffizienz stellt das Endstadium vieler Nierenerkrankungen mit progressivem Verlauf dar.“

„Das heißt, die Nieren gehen kaputt, und der Patient muss sterben“, sagte Wolf gebrochen.

Dr. Härtling schüttelte den Kopf. „Sie müssen nicht sterben, Herr Rossberg. Nicht, wenn wir Sie regelmäßig an die künstliche Niere anschließen und alle toxischen Stoffe aus Ihrem Blut filtern.“

Wolf Rossberg schaute verzweifelt zu Dr. Härtling hoch. „Mit Medikamenten können Sie mir nicht helfen?“

„Leider nein, Herr Rossberg“, sagte Sören Härtling bedauernd. „Aber ich kann Ihnen versichern, dass Sie als Dialysepatient ein weitgehend normales und beschwerdefreies Leben führen werden.“

„Abhängig von einer Maschine“, kam es gallebitter über Wolf Rossbergs Lippen.

„Daran werden Sie sich gewöhnen“, tröstete ihn der Klinikchef.

„Wie sieht es mit einer Transplantation aus?“, wollte Wolf wissen.

Dr. Härtling nickte. „Wir werden uns bemühen, eine Niere für Sie zu bekommen, aber die Warteliste ist sehr lang, und bis dahin muss Ihr Blut künstlich gereinigt werden.“