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„Hast du was für mich?“, fragte Karsten Wanders. Der Siebzehnjährige sah krank aus. Er trug eine abgewetzte schwarze Lederjacke, ein schwarzes T-Shirt und schwarze Jeans. Dadurch wirkte er noch blasser.

Er war nervös, zitterte, nagte an seiner Unterlippe und tänzelte vor dem Tisch, an dem Heiko Rossmann saß, von einem Bein aufs andere, als müsse er aufs Klo.

Rossmann blickte zu ihm hoch und fragte grinsend: „Hast du was für mich?“ Er hatte ein Glas Bier vor sich stehen, befand sich in seiner Stammkneipe, einem schäbigen Lokal mit klebrigen Tischen, schmutzigem Boden und einer dicken, faulen Serviererin mit strähnigem Haar.

„Ich bin im Augenblick blank“, ächzte der magere Karsten Wanders.

„Dann komm wieder, wenn du flüssig bist.“

„Hör mal, kannst du nicht mal ’ne Ausnahme machen?“

Heiko Rossmann schüttelte den Kopf. „Kann ich nicht. Du kennst die Geschäftsgepflogenheiten. Hier Geld, hier Ware.“

„Ich habe morgen ganz bestimmt wieder Geld.“

„Dann sehen wir uns morgen.“

„Aber ich brauche heute was.“

„Tut mir leid.“

Karsten Wanders presste die Arme gegen seinen Leib, als hätte er starke Schmerzen. „Mir geht es dreckig, Mann.“

Rossmann hatte kein Mitleid mit ihm. „Ich kann’s nicht ändern, und jetzt hau ab. Ich möchte in Ruhe mein Bier genießen.“

Vor Wanders stand ein Stuhl. Er umklammerte die Lehne. Die Fingerknöchel schimmerten weiß durch die Haut. „Soll ich einer alten Frau die Handtasche klauen oder was?“

„Ist mir egal, wie du zu Knete kommst. Von mir kriegst du nur was, wenn ich die Scheine knistern höre. Die Leute, von denen ich die Ware beziehe, haben dieselbe Einstellung. Die geben mir auch nichts, bloß weil ich so ein hübscher Junge bin.“ Karsten Wanders verließ die Kneipe. Geld. Geld. Er brauchte dringend Geld. Die Entzugserscheinungen waren sehr schlimm, wenn man „auf Turkey“ war, wie man das in seinen Kreisen nannte. Gepeinigt lief er die Straße entlang. Er sah einen Mann, der vor einer Frittenbude stand und soeben seine Geldbörse in die Gesäßtasche schob.

Ob er ihm die stehlen konnte? Mit seinen zitterigen Fingern? Niemals. Der vierschrötige Mann hätte es gemerkt und ihn windelweich, vielleicht sogar krankenhausreif, geschlagen. Karsten versuchte sein Glück erst gar nicht, lief weiter, und die Entzugserscheinungen wurden immer schlimmer. Verflucht noch mal, wie hatte es mit ihm nur so weit kommen können?

Okay, er hatte keinen Vater mehr, aber er hatte eine Mutter, die ihn über alles liebte und die immer für ihn da war, wenn er sie brauchte.

Er hatte keinen Grund gehabt, zu Drogen zu greifen, hatte es aus Neugier getan, und aus Langeweile. Nur mal probieren. Nur mal was Harmloses.

Die anderen hatten es ja auch getan, um mal so richtig gut drauf zu sein. Sie hatten sich großartig gefühlt. Stark wie Bären. Unbesiegbar.

Und das Leben war auf einmal irre bunt und aufregend und glitzernd gewesen. Herrlich, dieses euphorische Gefühl, das von den Zehen bis in die Haarspitzen reichte, wenn man high war. Karsten Wanders hatte es immer wieder erleben wollen, und immer öfter. Und als die vielen verschiedenfarbigen Pillen nicht mehr gereicht hatten, war was anderes dran gekommen.

Und wieder etwas anderes. Die gesamte Palette hatte Karsten durchprobiert. Wo andere gesagt hatten, „Nee, das lieber nicht!“, war er weitergegangen.

Die andern hatten rechtzeitig haltgemacht und waren umgekehrt. Er nicht. Er hatte alles ausgekostet, den ganzen trügerischen Drogenhimmel, der eigentlich die Hölle war, und sein Weg nach unten war noch nicht zu Ende.

Vor ihm ging eine weißhaarige Frau. Klein, vom Alter gebeugt, armselig gekleidet. Er starrte auf ihre Handtasche. Wie viel Geld mochte sie wohl bei sich haben?

Karsten erschrak. Mein Gott, so tief bin ich schon gesunken, dass mir solche Gedanken kommen, dachte er entsetzt und angewidert von sich selbst.

Er wechselte schnell zur anderen Straßenseite hinüber, bog um die nächste Ecke und war fünf Minuten später zu Hause. Er öffnete hastig die Hausbar und griff nach irgendeiner Schnapsflasche, um sich zu betäuben.

Dieses Ziehen, Bohren, Stechen, Schneiden und Glühen in seinem Leib war grauenvoll. Er trank gierig und erhoffte sich eine rasche Wirkung.

Seine Mutter befand sich zur Zeit in der Paracelsus-Klinik. Eine Unterleibsgeschichte. Sie war heute operiert worden. Er hatte sie kurz davor besucht und ihr Mut zugesprochen.

Morgen würde er sie wieder besuchen. Er war schließlich ein anständiger Sohn. War er tatsächlich, bis auf die Sache mit den Drogen,

Er liebte seine Mutter, hätte alles für sie getan. Nur eines nicht: die Finger vom Rauschgift zu lassen. Das schaffte er einfach nicht.

Ein Glück, dass sie nichts von seiner Sucht wusste. Wenn er nicht gut drauf war, ging er ihr aus dem Weg, und wenn sie hin und wieder feststellte, er würde immer dünner und durchsichtiger werden, so machte er dafür die viele Arbeit verantwortlich, die er zu leisten hatte.

Er war in einem großen Baumarkt als Verkäufer beschäftigt. Auch da ahnte niemand, dass er drogenabhängig war, und er hoffte, dass das auch in Zukunft so blieb.

Geld. Geld... Seine Gedanken kreisten wieder um den Mammon. Es gab eine Schatulle mit mehreren Etagen in Mutters Schlafzimmer. Erste Etage: Ringe, Ohrclips, Broschen. Zweite Etage: Halsketten. Dritte Etage: Armbänder.

Und darunter befand sich Geld. Für alle Fälle. Wenn man mal ganz schnell flüssig sein musste oder so. Noch nie hatte Karsten sich an Mutters Schmuck vergriffen. An ihrem Geld auch nicht. Doch diesmal musste er es sich leihen. Nur für kurze Zeit. Mutter würde es nicht merken. Erstens war sie ja nicht zu Hause, und zweitens schaute sie nicht jeden Tag nach, ob die Scheine noch an ihrem Platz lagen.

Karsten hatte Außenstände bei einigen Kollegen. Wenn er die einforderte, war er wieder flüssig und konnte Mutters Geld in die Schatulle zurücklegen. Eine gute Idee. Damit waren all seine Gewissensbisse beseitigt. Er bediente sich und kehrte auf kürzestem Weg zu Heiko Rossmann zurück, um sich zu holen, was er so dringend brauchte.

Der Arztroman Lese-Koffer Mai 2021: 16 Arztromane

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