Читать книгу Aliens in der Sternensee: Alfred Bekker präsentiert 17 Science Fiction Abenteuer - A. F. Morland - Страница 32
1
ОглавлениеIch biege einige Meter nach dem Gasthof Goldenes Posthorn ab in eine Gasse. Schön war‘s da. Soweit ich mich erinnere. Ich lehne mich seufzend gegen die Hauswand und atme ein paar Mal tief ein und aus. Die Gasse vor mir ist eng und schmal. Der Wind pfeift mir um die Nase und ist eisig kalt. Leider habe ich kein Thermometer, um herauszufinden, wie kalt er eigentlich ist. Irgendwann hatte ich mal eines, doch es war batteriebetrieben. Das ist schon lange ausgefallen. Vielleicht finde ich ja nochmal Batterien. Ich richte mich auf, schultere den kleinen Rucksack und stapfe weiter.
In Gedanken singe ich Toxicity von System of a Down. Ich vermisse Musik, leider gab es keine Batterien im Supermarkt mehr. Somit wird mein Discman stumm bleiben. Der Schnee ist flockig und ich hinterlasse deutlich sichtbare Spuren. Mein Raubzug in einen nahen Supermarkt war wenig ergiebig. Ich bin weder der erste, der dort war, noch ist allzu viel Dosenfutter übrig. Bisher ist mir aber niemand begegnet. Auch hatte sich dort nichts verändert, seit ich das letzte Mal da war. Ich befürchte, dass es zwar Überlebende gibt, aber sie weder in meiner Nähe sind, sondern vielleicht nicht mal mehr am Leben. Vielleicht waren sie auch klüger als ich und sind weiter gezogen. Gesehen habe ich sie lange nicht. Aktiv suchen will ich aber auch nicht, ich könnte einen Eisriesen finden. Ich bleibe noch einmal in der Altstadtgasse stehen, als mir schlagartig einfällt, dass ich nun seit mehr als einem Jahr niemanden mehr gesehen habe. Nun gut, außer Leo. Aber zugegebenermaßen ist der kein guter Gesprächspartner. Ich gehe schnaufend weiter zum Haus meiner Großmutter. Letztes Jahr, als die Kälte kam, hatte ich es geerbt. Eigentlich wollte ich es verkaufen und war nur da, um den Haushalt aufzulösen. Doch da kam das Eis aus dem Norden. Es schneite tagelang und wurde eisig kalt, mitten im Sommer! Die Grade gingen unter Null und blieben dort. Kleine Eisschollen schwammen über die Pegnitz. Es war eine ungewollte Pause für das Leben in Deutschland. Dann auf einmal brach nach und nach der Kontakt mit dem Rest der Welt ab. Die Berichte über die Eisriesen habe ich erst nicht geglaubt. Ich meine, diese gewaltigen Biester ... das klang schon arg unwahrscheinlich. Es sollen Riesen in Rüstungen aus schwarzem Eisen sein, die Feuerbälle werfen konnten. Wer hätte das geglaubt? Ich weiß noch wie ich im Haus saß, Sachen aussortierte und das Radio lief. Dieses alte, Sechzigerjahre Radio. Da hieß es die Eiseskälte käme von Grönland und man solle das Haus nicht verlassen. Es war im Wind bis zu -20° kalt und es kamen Berichte aus dem Norden über Riesen. Große Zweibeiner, die durch das Land zogen und alle Menschen, derer sie habhaft werden konnten, töteten. Allerdings brachen bald auch die Nachrichten aus dem Norden ab und ehrlich? Ich hab's nicht geglaubt. Manche sagten, es seien Aliens, das hielt ich für ähnlich bescheuert. Aber als ich sie das erste mal sah… mit diesen fremdartigen Klängen, wie Wahlgesänge…. Sie machen mir jetzt noch Angst. Ich habe gesehen, wie diese mehr als zwei Meter großen Kolosse in ihren dunklen Eisenrüstungen Menschen einfach zerrissen. Sie haben manchmal Schwerter, mit denen sie einen erwachsenen Mann in der Mitte durchtrennen können!
Endlich bin ich zu Hause angekommen, gehe die schmale Treppe zur Tür rauf und schließe sie auf.
Es ist eigentlich unsinnig. Wenn ein Eisriese hier herein wollte, würde er die Tür einfach aus den Angeln reißen. Aber man legt so eine Angewohnheit nicht einfach so ab. Egal, wie einsam man wird, selbst der letzte Mensch würde immer noch den kläglichen Rest seiner Kultur in sich tragen – die vielen kleinen Art-und-Weisen, wie er Dinge arrangiert und handhabt.
Früher war ich nicht alleine. Es gab andere Überlebende, denen ich begegnet bin. Aber die sind weg. Einige haben sich zusammengetan um nach Süden zu gehen, nach München. Andere habe ich nicht wiedergesehen, ich weiß nicht, wo sie hin sind. Manchmal glaube ich im Schneegestöber jemanden zu sehen. Aber wer weiß, ob ich mir das nicht nur einbilde?
Im Wohnungsflur sehe ich mich wehmütig um und gehe dann die Treppe hinunter in den Keller. Dort schließe ich eine weitere Tür auf und bin in einem kleinen Raum. Ein Rohr führt vor mir in die Erde und einige Schritte davon entfernt ist, verborgen unter einem Teppich, eine kleine weitere Leiter.
Was viele Leute nicht wissen, ist, dass Nürnberg tiefgreifend unterkellert wurde. Meine Großmutter hat mir das immer erzählt. Viele Häuser haben einen eigenen kleinen Bierkeller. Da hat man dann im Sommer die Fässer gelagert, denn Bier braucht eine gleichmäßige Temperatur zum Gären.
Unten erwartet mich Leo, mein Hund. Genau genommen ist er nicht mein Hund, er ist mir irgendwann dort draußen begegnet. Nachdem ich ihn nicht mit hereinnehmen wollte, lag er zwei Tage vor meiner Tür und ich habe mich seiner erbarmt. Natürlich muss ich jetzt zusehen, dass ich auch für ihn hier und dort Futter finde, aber andererseits ... was macht uns aus? Ist es nicht menschlich, in der Not an andere zu denken? Ebenso wie wir Dinge erschaffen und wertschätzen, nicht nur wegen ihres Nutzens, sondern auch wegen ihrer Schönheit?
„Ist gut“, wehre ich Leo ab. Die Promenadenmischung wirkt wie eine Kreuzung aus Cockerspaniel und Labrador. Er ist zu groß für einen Cocker, hat aber ihre charakteristischen Schlappohren.
Er schnüffelt neugierig an der Tasche.
„Ich konnte dich nicht mitnehmen“, erkläre ich ihm erneut und räume die neuen Vorräte in das kleine Regal. Der Raum ist nicht groß, vielleicht nur drei mal drei Meter. Aber er ist sicher und verhältnismäßig warm. Es gibt ein Rohr, mit dem ich den Rauch eines kleinen Ofens nach oben lenke. „Du weißt das. Wenn du irgendwas Spannendes gefunden hättest oder uns ein Eisriese begegnet wäre ... ich hätte ja schlecht damit gegen ihn vorgehen können, oder?“, sage ich und hebe das lange Fleischmesser hoch, das ich als Waffe mit mir herumtrage. Es ist scharf und zweifellos gefährlich im Kampf gegen einen Menschen, aber gegen einen Eisriesen würde ich damit sicher nicht länger als eine Handvoll Herzschläge bestehen.
Der Hund sieht mich immer noch etwas vorwurfsvoll an.
„Komm her“, sage ich. Leo kommt zu mir und lässt sich den Nacken kraulen. Dabei setzt er sich hin und lehnt sich dann schlussendlich mit seinem ganzen Gewicht gegen mein Bein. Anfangs war mir unwohl dabei, mit dem Hund zu reden, aber, tja ... Ich hab monatelang gar nicht mehr geredet. Man wird verrückt, wenn man nicht mit jemandem redet, auch wenn der vielleicht nicht versteht, was man sagt. Hier im kleinen Raum, den mein Bierkeller darstellt, fühle ich mich wohl. Ich schließe die Luke hinter mir und werfe geknüllte Zeitung in den Ofen. Die Glut flammt hell auf und ich lege nach und nach Holzscheite dazu.
Leo legt sich nahe an den Ofen, sodass ich zusehen muss, nicht auf ihn draufzutreten. Dann hole ich eine Dose Ravioli heran und fülle den Inhalt in einen kleinen Topf.
„Die hab ich heute gefunden“, erkläre ich stolz Leo. „Für dich hab ich auch was Besonderes.“
Ich zaubere eine nagelneue Dose Hundefutter hervor. Leo steht misstrauisch auf und beschnuppert sie. Trockenfutter habe ich zwei ganze Säcke für ihn gefunden, das hat die Leute, als es so weit war, wenig interessiert. Aber Dosenfutter findet man seltener. Irgendwann werde ich mit ihm hier weggehen müssen, überlege ich. Wenn alle Vorräte aufgebraucht sind in der Stadt, wohin soll ich dann?
Ich fülle gedankenverloren sein Fressen in einen Napf und stelle es ihm hin. Begleitet von seinen schmatzenden Geräuschen rühre ich die Ravioli langsam um. Der Ofen verbreitet jetzt mit frischem Holz deutlich mehr Wärme in unserem kleinen Erdloch.
„Wenn wir ein Auto tanken und damit losfahren“, sage ich nachdenklich zu Leo. „Dann werden sie kommen. Ich hab gesehen, wie sie ein Auto durch die halbe Stadt gejagt haben.“
Damals hatte ich Leo noch nicht. Ich hab das Auto gehört und bin freudig zu ihnen gerannt. Oben war ich, auf der Burg, und habe heruntergesehen. Dort sah ich auch, wie ein Eisriese angerannt kam. Es war ein schöner, strahlender Tag. Für mehr als eine Woche hatte es keinen Neuschnee gegeben. Der Jeep kämpfte sich durch die zugeschnittenen Straßen und da auf einmal hatte der Eisriese gestanden. Feuer hatte er geworfen! Ich bin danach ein paar Mal nachts aufgewacht, hab davon geträumt. Wie die Leute schrien, als der Wagen in Flammen aufging, und dann dieser entsetzliche Knall, als das Benzin hochging. Ich denke, sie waren mehr oder weniger sofort tot. Ich hoffe es ehrlich. Von da oben konnte ich nichts tun. Später bin ich hin, als ich sicher war, dass der Eisriese weg war. Die verkohlten Leichen hatten nichts mehr bei sich, das mir irgendwie geholfen hätte. Ich hab sie da liegen gelassen. Ein paar Tage später habe ich ihre Leichen geholt und sie in die Pegnitz geworfen. Eigentlich wollte ich sie beerdigen, aber der Boden ist so kalt und fest. Es ging einfach nicht anders, sage ich mir jedenfalls immer wieder.