Читать книгу Aliens in der Sternensee: Alfred Bekker präsentiert 17 Science Fiction Abenteuer - A. F. Morland - Страница 42
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ОглавлениеWladimir Poreschenk war ein guter Redner, zweifellos auf einer Parteischule für diesen Zweck eigens ausgebildet. Seine Rede vor den Delegierten der konstituierenden Versammlung klang ruhig und sachlich, nur zuweilen hob er die Stimme, um irgendeine Tatsache besonders herauszustreichen. Er sprach mit der ruhigen Gelassenheit eines Mannes, der wußte, daß er einen guten Standpunkt vertrat.
Daß er auch Mandarin verstand, erwies die Tatsache, daß er es nicht versäumte kurz auf die Rede seines asiatischen Kollegen einzugehen. Er tat das in einigen scheinbar nebensächlichen Sätzen, die es aber in sich hatten.
Das Verhältnis zwischen den beiden sozialistischen Führungsmächten des europäisch-asiatischen Doppelkontinents war immer noch nicht frei von Spannungen. Wie fast alles auf der Erde war auch ihr Verhältnis durch Verträge geregelt, die auch gehalten wurden, weil es einfach nicht anders ging. Doch die Nuancen in der Auslegung der gemeinsamen Ideologie waren geblieben, wenn sie auch im Wesentlichen nur Ausdruck der Rivalität zwischen zwei Mächten waren, die es einfach nicht verstanden, sich aus den von ihnen selbst entwickelten Schemata zu lösen.
»Rußland und Deutschland zusammen können die Welt beherrschen! hat einmal einer der alten Zaren gesagt«, murmelte Connor Lorre vor sich hin. »Rußland und China könnten es ebenso, wenn nicht jeder so eifersüchtig auf den anderen wäre… Aber das lernen sie vermutlich nie.«
Er konzentrierte sich wieder auf die Rede des russischen Diplomaten, der mit seinem Seitenhieb gegen die Asiaten inzwischen fertig geworden war.
Wladimir Poreschenk versäumte es natürlich auch nicht, möglichst weit auszuholen. Er verwies darauf, daß es ein Sowjetbürger gewesen war, der als erster ins Weltall geschossen wurde und es schien, als rechnete er sich das als persönliches Verdienst an. In logischer Konsequenz kam dann auch die Feststellung, daß es eine russische Expedition gewesen war, die zuerst den Mars erreicht hatte, wo sie allerdings zugrunde gegangen war. Das aber stempelte sie erst recht zu Helden der Sowjetunion, wie Poreschenk wortreich bewies. Damit natürlich auch zu Heroen der gesamten Menschheit, und die folgenden Jahrzehnte hätten dann bewiesen …
Connor Lorre verzog gequält das Gesicht, als er die pathetischen Elogen vernahm. Es stand längst fest, daß nur die gemeinsamen Anstrengungen der damaligen USA und UdSSR den entscheidenden Durchbruch der Weltraumfahrt ermöglicht hatten; eine Zusammenarbeit, die nach den guten Erfahrungen während der ersten aufeinander abgestimmten Aktionen um 1975 herum fast zwangsläufig eingetreten war.
Natürlich vergaß der Redner auch nicht, die Überlegenheit seines sozialistischen Gesellschaftssystems zu preisen, und auch die Friedensliebe der Sowjets, die seiner Auffassung nach erst den Grundstein zu einem Frieden im Nahen Osten und anderen Krisengebieten des 20. Jahrhunderts gelegt hatte. Aus allem folgerte ganz selbstverständlich, daß die Sozialistische Union die einzige Weltmacht war, die mit gutem Recht zur Vertretung der Erde gegenüber fremden Spezies prädestiniert war!
Diesmal war der Beifall etwas freundlicher, obwohl sich die Asiaten jeder zustimmenden Äußerung enthielten. Der längst fällige Werbespot wurde vom regionalen Fernsehen eingeblendet, das natürlich Rücksicht auf seine kommerziellen Grundlagen nehmen mußte, ob es den Zuschauern nun paßte oder nicht. Doch das war ja schon immer so gewesen …
Dann erschien wieder Pjotr Lazarev im Bild und kündete als nächsten Redner James Outstrider an, den dritten stellvertretenden Vorsitzenden des Weltrates aus der Nordamerikanischen Union, die aus dem Zusammenschluß der USA und Kanadas hervorgegangen war.
Connor Lorre entzündete eine neue Havanna und lauschte mit unvermindertem Pessimismus der Rede jenes Mannes, der ihm, was die gesellschaftlichen Gegebenheiten anging, eigentlich am nächsten hätte stehen müssen.
Im Gegensatz zu seinen Vorrednern, die beide früher hohe Offiziere gewesen waren, war Outstrider ein Berufsdiplomat. Er war noch verhältnismäßig jung, groß und schlank, und sah eigentlich eher wie ein erfolgreicher Businessman aus. Nach einer kurzen Einleitung und einem Dank an Pjotr Lazarev für dessen unermüdliche Bemühungen in Dienste der TERRA STATES kam er dann zur Sache.
Wie kaum anders zu erwarten, begann er seine Ausführungen mit dem Hinweis, daß es die Nordamerikaner gewesen waren, die zuerst ihren Fuß auf den Mond gesetzt und damit als erste einen außerirdischen Himmelskörper betreten hatten. Er erwähnte die Einrichtung der Skylab-Stationen und der zahlreichen kommerziellen Satelliten, die der Erde erst den wirklichen wissenschaftlichen und technischen Fortschritt gebracht hätten, was nur durch die Überlegenheit des westlichen Wirtschaftssystems möglich gewesen wäre. In logischer Folge kam dann die Erfindung der DaCern-Triebwerke an die Reihe, durch die es erst möglich geworden war, die Planeten des Sonnensystems innerhalb kurzer Zeit zu erreichen und für die Menschheit zu erschließen. Als Krönung seiner Rede stand am Schluß die Feststellung, daß die Nordamerikanische Union die Heimat der großen HFL wäre, denen Raumschiffe den ersten Kontakt zu fremden Wesen hergestellt und viel für die Menschheit getan hätten. So könne er es mit gutem Gewissen nicht nur den anwesenden Delegierten, sondern allen Menschen überlassen, sich selbst ihre Meinung darüber zu bilden, wem denn nun wirklich die führende Rolle bei der Vertretung der Erde gegenüber fremden Spezies gebühre, rief er zum Schluß pathetisch aus.
Er erntete den stärksten Beifall aller drei Redner. Nur der alte Lorre zog eine Grimasse und lachte dann bitter auf.
»So kann man die Wahrheit auch zurechtbiegen …« knurrte er und dachte an die schwere Zeit zurück, als er mit dem Aufbau der HFL-Werke begonnen hatte. »Daß die großen Konzerne unseres ach so überlegenen Wirtschaftssystems damals alles versucht haben, um mir den Hals zuzudrücken, wird vornehm unterschlagen! Ebenso die Tatsache, daß die Union nicht im Traum daran gedacht hat, mir staatliche Unterstützung zu gewähren, als ich sie darum bat. Niemand war bereit mir irgendwie zu helfen, vielmehr legte man mir Steine in den Weg, wo man nur konnte, alles mußte ich allein durchboxen. Heute schmückt man sich dafür mit fremden Federn und schreibt großzügig alles, was die HFL und das Team der PLUTO 1 und 2 geleistet haben, einfach auf das eigene Konto – es ist zum weinen zu traurig!«
Seine Stimmung besserte sich, wieder, als nun Lazarev wieder ins Bild kam und viele Grüße »an den leider hier am Erscheinen verhinderten Chef der HFL, Connor Lorre« durchsagte, mit dem ihn eine langjährige herzliche Freundschaft verbände, und dam es zu verdanken wäre, daß nun Menschen den Planeten Enigma besiedeln könnten.
Das war ein indirekter, aber zweifellos sehr wirksamer Hinweis darauf, wer am meisten für die Menschheit und ihren Weg ins All geleistet hatte, und er wurde mit herzlichem Beifall der meisten Delegierten bedacht. Lorre lächelte still vor sich hin.
»Guter Pjotr Lazarev!« sagte er, und nun schmeckte ihm auch seine Zigarre wieder. »Dieser Mann hat wohl als einziger richtig begriffen, daß fremde Besucher auf der Erde nicht danach fragen werden, welcher politischen Richtung dieser oder jener angehört, sondern daß sie uns schlicht und einfach als Menschen klassifizieren werden! Er ist Kommunist und ich ein Kapitalist und wir haben uns oft gestritten, aber im Grunde sind wir uns doch einig. Ein Glück, daß er dem Vorsitzenden des Weltrates als Berater zur Seite stehen wird, sonst käme Dr. Utz früher oder später arg unter die Räder.«
Lazarev kündigte an, daß nun noch Delegierte der Südamerikanischen Union, der Afrikanisch-Arabischen Föderation, der Westeuropäischen Union, der Ozeanischen Föderation – sie umfaßte alle Staaten von Neuseeland bis Japan – und des Blocks der Neutralen Länder sprechen würden, doch Connor Lorre schaltete sein Videogerät ab. Er erhob sich, streckte seine steif gewordenen Glieder und schickte sich an, sein Bett aufzusuchen. Er hatte seine Quintessenz aus der Übertragung bereits gezogen.
Trotz allen äußerlichen Fortschritts hatte sich die Mentalität der Menschheit auch im 21. Jahrhundert noch nicht wesentlich geändert.
Noch immer überwogen die Interessen der einzelnen Gruppen, reibungslos funktionierten bisher nur die Spaceguard und, dank der Autorität von Pjotr Lazarev, auch die TERRA STATES-Organisation.
Der Weltrat hingegen würde, wie einst die mit großen Hoffnungen ins Leben gerufene UNO, vermutlich auch nur ein Schattendasein führen, bis etwas geschah, das die Menschheit endlich einmal gründlich aufrüttelte. Erst dann würden die einzelnen Parteien in aller Konsequenz begreifen, daß die Erde ein Planet unter vielen war, keineswegs der Mittelpunkt des Weltalls.
Vor allem aber auch, daß sie ein Planet ohne Macht war, der sich nur behaupten konnte, wenn seine Bewohner ungeachtet aller rassischen und ideologischem Unterschiede sich zu einer wirklichen Einheit zusammenfanden!
Doch der Weg bis zu dieser Erkenntnis würde vielleicht weit länger sein, als der zu den entferntesten Gestirnen …