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DAS DACH IM HIMMEL

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Ich habe mich bereit erklärt, Larus zu helfen, während Urla fürs Abendessen angelt, weil ich gern mit ihm zusammensitze und mich über den Weltraum unterhalte. Ich helfe ihm, alle Geräusch-Clips, die er von den Delphinaufnahmen hat, in Kategorien zu ordnen, die ähnlich klingen. Er spielt sie auf dem Computer ab, und wir entscheiden, in welchen der sieben Ordner wir sie ablegen.

Als kleines Mädchen wollte ich Astronautin werden – bis ich dreizehn war und am Berufsfindungstag meinen Eltern und meinem Jahrgangsleiter davon erzählte; sie lachten, als wäre das niedlich, und er wies mir ein Praktikum in einem Paragliding-Zentrum zu, basierend auf der Annahme, dass ich etwas fürs Fliegen übrighätte.

Larus war zum Start der Apollo-11-Mission am Kennedy Space Center. Er war dort, um zu protestieren, stand in einer Reihe, hielt der Startrampe den Rücken zugewandt und reckte ein Schild mit der Aufschrift Derweil in Harlem in die Höhe, doch sobald er das Dröhnen der Antriebsmotoren hörte, drehte er sich um und konnte den Blick nicht mehr abwenden. Irgendwo gibt es ein Foto von den Demonstranten, auf dem er sich umdreht und zur Rakete hinüberstarrt; er hat es nie aus der Zeitung ausgeschnitten, weil er die Glaubwürdigkeit seiner Gruppe untergraben hatte. Er hat es mir im Vertrauen erzählt, und ich musste ihm versprechen, Urla nichts zu verraten, weil sie ihn nie wieder damit in Ruhe lassen würde.

Als Kind hatte ich nicht den geringsten Zweifel daran, dass ich einmal Astronautin werden würde, schließlich hatte meine Mum immer gesagt: Dir steht die ganze Welt offen, und bis zu jenem Berufsfindungstag hatte ich keinen Grund gehabt, ihr nicht zu glauben. Mir war egal, dass die Astronauten in den Zeichentrickfilmen alle Männer waren. Ich glaube, ich habe mich schon immer in der männlichen Rolle gesehen, ohne mir dessen bewusst zu sein. Wenn ich einen Film gesehen oder ein Buch gelesen habe, in dem ein männlicher Held vorkam, habe ich mich vollkommen in ihn hineinversetzt. Nennt mich Ismael. Nennt mich Ralf, nennt mich John McClane. Es ist nicht fair, dass nur Jungs den ganzen Spaß haben dürfen.

Das mit dem Spaß sagte ich zu Mum und Dad, als sie gegen meine Idee protestierten, nach der Schule diese Reise zu machen. Sie brauchten eine Weile, bis ihnen dämmerte, dass ich es ernst meinte und mittlerweile volljährig war, ihre Einwilligung also gar nicht brauchte. Mum sagte: »Dein Vater und ich haben beschlossen, deine Reise nicht finanziell zu unterstützen, weil wir nicht dahinterstehen.« Ich sagte, das sei schon in Ordnung, ich würde die Sache selbst finanzieren. »Was, wenn du an einem unsicheren Ort bist und einen deiner Anfälle bekommst?« (Damit meinte sie meine Neigung, gelegentlich aus unerfindlichen Gründen ohnmächtig zu werden.) Natürlich habe ich ihnen weder von meinem wahren Tundra-Wildnis-Plan erzählt noch vom gesamten Ausmaß meines »Survival«-Experiments, das wäre unnötig grausam gewesen, wo ich doch weiß, was sie für Ängste ausstehen würden.

Als Amerika eine Rakete zum Mond schoss, war die sexuelle Revolution bereits in vollem Gang, es aber für eine kosmische noch zu früh. Larus hat mir von einem unabhängigen Programm namens Mercury 13 erzählt (über das er gewillt war, vor der Kamera zu sprechen). Dabei durchliefen erfahrene Pilotinnen den gleichen Test, den die NASA bei ihren Astronauten durchführt – das Mercury-7-Programm –, basierend auf der Theorie, dass Frauen aus vielfältigen biologischen Gründen eigentlich besser für die Raumfahrt geeignet seien. Der Test verlief erfolgreich, aber die NASA konnte den Damen unmöglich den Vortritt auf dem Mond gewähren, also erhielten sie ihre Bedingung aufrecht, dass alle NASA-Astronauten Mitglied der Air Force sein mussten, und Frauen war der Zutritt zum Militär verwehrt. Also wurde keine der Mercury-13-Pilotinnen ausgewählt, obwohl sie mehr Flugerfahrung hatten als viele der Männer bei der NASA (von denen einige insgeheim sowieso nicht alle Voraussetzungen erfüllten). Als Larus mir das erzählte, fiel mir wieder ein, wie enttäuscht ich damals über mein Praktikum im Paragliding-Zentrum gewesen war, während man zwei Jungen aus meinem Jahrgang die »limitierten Praktikumsplätze« beim Leister Space Center zugewiesen hatte.

Vielleicht hat Amerika einen Mann zum Mond geschickt, um der russischen Kosmonautin Valentina Tereschkowa das Wasser abzugraben. Sie war bei ihrem ersten Raumflug zehn Jahre jünger als der jüngste NASA-Astronaut und hat mehr Zeit im Weltraum verbracht als alle Amerikaner zusammen, hat achtundvierzig Mal die Erde umrundet. Der männliche Astronaut Neil Armstrong flog nicht im Namen der gesamten Menschheit, und er flog ganz sicher nicht im Namen der Frauen. Amerika ist überhaupt nur deshalb in den Weltraum geflogen, um zu demonstrieren, dass der Kommunismus nicht fortschrittlicher sein kann als der Kapitalismus. Tereschkowa war Näherin in einer Textilfabrik, bevor sie Astronautin wurde. In der Textilfabrik hatte zuvor bereits ihre Mutter gearbeitet, und ihr Vater war Traktorfahrer. Was, wenn die Apollo eine Bruchlandung hingelegt hätte? Würde die Sowjetunion dann heute die Welt regieren?

Doch Tereschkowa war ein Propagandaopfer: Das sowjetische Raumfahrtprogramm für Frauen wurde im Jahr der Apollo-Mondlandung aufgelöst. Das Geburtsdatum des Kosmonauten Juri Gagarin wurde um einen Tag nach hinten verschoben, damit es keine amtlichen Belege darüber gab, dass er tatsächlich am Internationalen Frauentag geboren worden war, denn damit wäre er für die Sowjetunion als Nationalheld untauglich gewesen. Es hätte ihn als Schlappschwanz dastehen lassen.

Wildnis ist ein weibliches Wort

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