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WIE MAN IN EINER POSTFEMINISTISCHEN GESELLSCHAFT ERWACHSEN WIRD
ОглавлениеDu bist vierzehn Jahre alt und hast gerade angefangen, als Kellnerin in einem kleinen Restaurant zu arbeiten, einem Familienbetrieb; jedes Familienmitglied packt in der Küche mit an und vertickt nebenbei Drogen. Da es dein erster Job überhaupt ist, glaubst du, alles hier wäre repräsentativ für die Arbeitswelt. Du bist keine Feministin, weil Feministinnen Lesben sind, die Männer hassen, und das tust du nicht. Du magst Jungs lieber als Mädchen; Mädchen sind langweilig und ängstlich und zickig, und du hängst lieber mit den Jungs ab, skatest und machst Quatsch. Die einzigen Mädchen, die du magst, wollen ebenfalls Jungen sein.
Stuart ist der Vater der Familie und Manager des Restaurants. Er ist klein, fett, glatzköpfig und glupschäugig. Als du ihm vorgestellt wirst, grapscht er mit seinen schwitzigen Wurstfingern über die Arbeitsplatte nach deiner Hand und knutscht sich mit seinen dicken, feuchten Lippen deinen Arm hinauf. Du quiekst auf, schreckst zurück, und die anderen Mädchen lachen über dich. Draußen vor der Küche sagt eins der älteren Mädchen, daran gewöhnst du dich.
Du gewöhnst dich tatsächlich daran, und nach einer Weile schaffst du es, dich nicht mehr vor Ekel zu winden, wenn Stuart deinen pubertären Po betatscht, der schön straff ist in den eng anliegenden Schuluniformhosen, die er dich tragen lässt, weil er darauf abfährt, wenn du dich windest. Wenn er sich von hinten an dich ranschleicht, während du im Restaurant hinter der Kassentheke stehst, und dich schmatzend auf den Nacken küsst, sagt keiner der Gäste ein Wort, obwohl sie es gesehen haben müssen.
Du beobachtest, wie ein siebzigjähriger Mann ein Callgirl zum Abendessen ausführt, während Stuart dir über die flaumigen Härchen an der Wölbung an deinem unteren Rücken streicht, und du sagst dir: Die Wölbung an meinem unteren Rücken ist bloß die konkave Krümmung in einer Anordnung von Materie, die den Körper bildet, in dem ich hause. Als deine Mum fragt, wie es auf der Arbeit war, sagst du, ganz gut, denn wenn du ihr davon erzählen würdest, könnte es für dich peinlich werden. Sie würde vielleicht die Polizei rufen oder so. Von den anderen Mädchen hat auch keins etwas gesagt, die Gäste sagen auch nie etwas, was also macht dich so besonders, die Polizei zu rufen? Du bist erwachsen genug, um es zu ignorieren. Es gehört zum Frausein dazu. Als ein neues Mädchen anfängt, Jodie, ärgerst du dich fast, als sie ständig erzählt, dass Stuart sie mag, weil sie hübscher ist als du.
Die Arbeit ist einfach, und du willst sie nicht verlieren, denn dann könntest du Sachen wie ins Kino gehen abschreiben. Wenn du kündigst, musst du dir eine gute Ausrede für Mum einfallen lassen, und dir fällt keine ein. Und du kannst froh sein, dass du diesen Job überhaupt hast, denn sie sagen dir ständig, wie schlecht du ihn machst. Du machst alles falsch, bist langsam und tollpatschig und lächelst nie. Und die anderen Mädchen sagen immer, er ist so nett zu uns, er kümmert sich um uns, er gibt uns Essen umsonst, er ist wie ein Vater.
Du lässt Stuart gewähren, weil es ihn antörnt, wenn du dich wehrst. Als du an einem Tag im Umkleideraum bist, testet er, wie weit er gehen kann, und schiebt seine Finger bis in deine Unterhose, die mit den Entchen drauf. Du erzählst den anderen Mädchen nichts davon, denn sie würden bloß denken, dass du dich für etwas Besonderes hältst. Niemand sonst hat sich beschwert, also sei keine Heulsuse. Als du die Augen schließt, um zu schlafen, siehst du deutlich die Spucke auf seinen dicken Lippen vor dir.