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3. Die Öffnung gegenüber dem Völkervertragsrecht

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Die Anpassung an völkerrechtliche Verträge findet hingegen nicht automatisch auf der Grundlage einer verfassungsrechtlichen Bestimmung statt, sondern verlangt jeweils einen besonderen innerstaatlichen Transformationsakt. Die Transformation erfolgt im Allgemeinen entweder durch den Erlass von Regeln, die die Neuerungen oder die zur Umsetzung der internationalen Verpflichtung erforderlichen Änderungen direkt in die nationale Rechtsordnung einführen (das sog. ordentliche Verfahren der Umsetzung) oder, häufiger, durch einen Anwendungsbefehl, der üblicherweise in dem Gesetz enthalten ist, mit dem das Parlament gemäß Art. 80 der Verfassung den Präsidenten der Republik zur Ratifikation des Vertrages ermächtigt (das sog. besondere oder spezielle Verfahren der Umsetzung).

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Den Umsetzungsnormen völkerrechtlicher Verträge wurde traditionell dieselbe aktive und passive Wirkungskraft in der nationalen Normenhierarchie zuerkannt wie anderen Gesetzen auch. Das bedeutete, dass sie nicht anders als diese aktiv andere gleichrangige Normen aufheben und passiv der Aufhebung durch rangniedrigere Normen widerstehen konnten. Vor der Verfassungsreform von 2001 galt dementsprechend das Prinzip lex posterior derogat legi priori, das im Konfliktfall zwischen einfachgesetzlichen Umsetzungsnormen und späteren einfachgesetzlichen Bestimmungen, die nicht die Umsetzung einer Änderung des Vertrages auf der internationalen Ebene zum Inhalt hatten, aber die die Regelungsmaterie des umgesetzten völkerrechtlichen Vertrages betrafen, grundsätzlich anwendbar war. Die Folge dieses Ansatzes war, dass spätere Gesetze in Widerspruch zu vorhergehenden Normen der Vertragsumsetzung stehen konnten, was eine Völkerrechtsverletzung des italienischen Staates bedeuten konnte. Aus diesem Grund haben sowohl die Verfassung ausdrücklich für bestimmte Verträge als auch die Rechtsprechung der Fachgerichte in besonderen Fällen den Anwendungsbereich des Prinzips lex posterior derogat legi priori begrenzt.

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Die einzigen ausdrücklich in der Verfassung genannten Verträge sind die Konkordate zwischen dem italienischen Staat und dem Heiligen Stuhl (Art. 7 Abs. 2 Cost.) sowie Verträge über die Rechtsstellung der Ausländer (Art. 10 Abs. 2 Cost.). Ein einfaches Gesetz, das Bestimmungen zur Umsetzung eines Konkordats oder zur Umsetzung eines Vertrages über die Rechtsstellung von Ausländern widerspricht, wäre daher wegen indirekter Verfassungsverletzung rechtswidrig.

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Die Begrenzung des lex posterior-Prinzips durch die Fachgerichte wurde oft dadurch erreicht, dass das Kriterium der Spezialität ratione materiae bzw. ratione personarum (lex specialis derogat legi generali) herangezogen wurde, um die früheren Normen aus völkerrechtlicher Quelle an Stelle der späteren nationalen Gesetze anwenden zu können, oder es wurde versucht, dieses Ziel durch eine völkerrechtskonforme Auslegung zu erreichen. Mit einem isoliert gebliebenen und in der Doktrin heftig kritisierten Urteil zur EMRK hat dann das Verfassungsgericht (Corte costituzionale) die einfachgesetzlichen Normen zur Anpassung an völkerrechtliche Verträge als „Ausdruck einer atypischen Kompetenz“ beschrieben und damit jedenfalls im konkreten Fall den Vorrang der früheren Anpassungsnormen vor späteren nationalen Normen anerkannt.[5] Außerdem sind einfache Gesetze zur Durchführung völkerrechtlicher Verträge nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichts von der Möglichkeit der Aufhebung durch den in Art. 75 Abs. 2 der Verfassung vorgesehenen Volksentscheid ausgeschlossen.[6] Für die Gesetzgebungszuständigkeit der Regionen galt die Schranke der internationalen Verpflichtungen schon vor der Verfassungsnovelle von 2001,[7] mit der bedeutenden Folge, dass es regionaler Gesetzgebung im Unterschied zur staatlichen Gesetzgebung nicht möglich war, Bestimmungen zu erlassen, die im Widerspruch zu Verpflichtungen aus völkerrechtlichen Verträgen stehen; derartige regionale Gesetze wären verfassungswidrig.[8]

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Der Gesamtkomplex der Öffnung der italienischen Verfassung für die internationale Zusammenarbeit findet seine „Krönung“ und seinen deutlichsten Ausdruck schließlich in Art. 11 Cost., der, wie unten noch detailliert dargelegt wird, als die zentrale Bestimmung der Verfassung für die Beziehungen zwischen der nationalen Rechtsordnung und der Gemeinschaftsrechtsordnung anzusehen ist. Art. 11 Cost., der vor allem den Beitritt Italiens zur UNO ermöglichen sollte, bestimmt, dass Italien „den Krieg als Mittel des Angriffs auf die Freiheit anderer Völker und als Mittel zur Lösung internationaler Streitfragen“ verwirft und dass es „[…] unter der Bedingung der Gleichstellung mit den anderen Staaten Souveränitätsbeschränkungen [zustimmt], die für die Ordnung notwendig sind, welche den Frieden und die Gerechtigkeit unter den Nationen gewährleistet“ und internationale Organisationen, die diesem Zweck dienen, fördert und begünstigt.

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Mit Bezug auf das sekundäre Völkerrecht besteht die herrschende Orientierung der Praxis in dem Erlass von Ad hoc-Akten zur Anpassung der italienischen Rechtsordnung. Der Anwendungsbefehl für den zugrunde liegenden völkerrechtlichen Vertrag wird demnach nicht für ausreichend gehalten, um gleichzeitig auch die Anpassung des nationalen Rechts an alle nachfolgenden Akte des sekundären Vertragsrechts sicherzustellen. Allerdings gibt es in der Lehre einen maßgeblichen Ansatz, der die Anpassung an den zugrunde liegenden Vertrag als ausreichend und die spezielle Anpassung an die einzelnen Sekundärakte als überflüssig ansieht.[9] Das Problem dieses Ansatzes liegt darin, dass man allein mit einem einfachen Gesetz bzw. genauer: mit dem in einem einfachen Gesetz enthaltenen Anwendungsbefehl bezüglich eines völkerrechtlichen Vertrages keine mit diesem Gesetz konkurrierenden Rechtsquellen einführen könnte.[10] Das Gesetz zur Umsetzung eines Vertrages zur Gründung einer internationalen Organisation kann folglich bei Fehlen einer expliziten oder zumindest impliziten Grundlage in der Verfassung nicht genügen, um den Eingang der von dieser Organisation erlassenen Normen in die italienische Rechtsordnung zu rechtfertigen; daher ist es erforderlich, die Umsetzung der sekundären Rechtsakte jeweils durch ein gesondertes Gesetz oder einen anderen innerstaatlichen Akt vorzunehmen. Dieser Auffassung widerspricht es, dass die Anwendung von Art. 11 Cost., dessen Heranziehung zur Rechtfertigung der automatischen Umsetzung des sekundären Völkerrechts, einschließlich des sekundären Rechts der UNO, abgelehnt worden ist, gebilligt wird, um den Eingang von sekundärem Gemeinschaftsrecht in die italienische Rechtsordnung zu bewirken, das, außer zur Durchführung und Spezifizierung, i.d.R. keinen internen Akt zur Umsetzung erfordert, ja ihn sogar verbietet.

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