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2. Die verfassungsrechtliche Grundlage der Mitgliedschaft Italiens in den Europäischen Gemeinschaften und in der Europäischen Union

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Im Kontext der Ratifizierung der Verträge von Paris und Rom wurde von einigen Autoren und in der politischen Debatte die These vertreten, dass ein verfassungsänderndes Gesetz zur Ratifizierung bzw. zur Umsetzung dieser Verträge erforderlich sei, weil sie in der Tat eine Änderung der Verfassung darstellten, indem sie auf die europäischen Gemeinschaften Hoheitsrechte übertrugen, die die Verfassung ursprünglich staatlichen Organen zugewiesen hatte. Trotzdem folgte das Parlament der entgegengesetzten Auffassung, nämlich dass eine Ratifizierung und Umsetzung durch einfaches Gesetz ausreiche, weil die Übertragung von Hoheitsrechten schon in Art. 11 Cost. ihre Rechtfertigung finde. Diese Auffassung wurde auch von der Corte costituzionale in ihrem ersten „europäischen“ Urteil Costa gegen ENEL, Nr. 14 vom 7.3.1964, bestätigt. In dieser Entscheidung hat das Verfassungsgericht Art. 11 Cost. als „norma permissiva“ (Öffnungsklausel) definiert und damit bestätigt, dass er dazu ermächtigt, „Verträge abzuschließen, die Souveränitätsbeschränkungen mit sich bringen und die im Wege eines einfachen Gesetzes umgesetzt werden können“. Seitdem ist Art. 11 Cost. vom Verfassungsgericht und der h.L. als verfassungsrechtliche Grundlage der Mitgliedschaft Italiens in den EG und später in der EU verstanden worden.

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Schwieriger war es allerdings zu rechtfertigen, wie eine Verfassungsbestimmung, die anderen Zwecken dienen sollte, nämlich dem Beitritt Italiens zum neu zu schaffenden Völkerbund (den jetzigen Vereinten Nationen), und die auf Werte wie „Frieden und Gerechtigkeit unter den Nationen“ Bezug nimmt, inhaltlich so verstanden werden konnte, dass sie als verfassungsrechtliche Grundlage für ein Phänomen wie die europäische Integration herangezogen werden konnte, die nichts mit der ursprünglichen ratio dieser Norm zu tun hat. Am deutlichsten wurde diese Frage im Urteil Frontini gegen Ministero delle Finanze, Nr. 183 vom 27.12.1973, beantwortet, in dem die Corte costituzionale klargestellt hat, dass Art. 11 Cost. „[…] Beschränkungen der Hoheitsgewalt des Staates zur Wahrnehmung der legislativen, exekutiven und rechtsprechenden Gewalt rechtfertigt, wenn sie zur Schaffung einer Gemeinschaft zwischen den europäischen Staaten erforderlich werden […]“ und dass „Italien und die anderen Staaten der EWG […], die der Integration der Mitgliedstaaten zum Zweck der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung und folglich auch zur Verteidigung des Friedens und der Freiheit [Hervorhebung vom Verf.] dienen soll, bestimmte Hoheitsbefugnisse übertragen und sie damit als eine mit einem eigenen und unabhängigen Rechtssystem ausgestattete Institution geschaffen haben.“ Die Ziele der Aufrechterhaltung des Friedens und der Freiheit, die Art. 11 Cost. prägen, sind also als der EWG eigene Ziele verstanden worden, die von ihr im Wege der gemeinsamen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der Mitgliedstaaten verfolgt werden.

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Dogmatisch wird eine solche „interpretative Entstellung“ von der h.L. mit dem Argument für verfassungsmäßig gehalten, dass die Vorschriften die besondere Eigenschaft haben, sich von dem Willen des Normgebers und von der occasio legis ihrer Entstehung zu trennen und ihr eigenes Leben in der Rechtsordnung zu führen. Das kann durchaus zu Interpretationen bzw. Anwendungen führen, die für den historischen Verfassunggeber (noch) unvorstellbar waren.[20]

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