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b) Später: Zunehmend moderater Dualismus

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In einer zweiten Phase, ausgehend von den Urteilen Frontini Nr. 183 vom 27.12.1973 und ICIC Nr. 232 vom 30.10.1975, ist der Vorrang des Europarechts vor dem nationalen Recht von der Corte costituzionale ausdrücklich anerkannt worden. In diesen Entscheidungen hat sie – anders als der EuGH – diesen Vorrang zwar noch aus einer dualistischen Sicht begründet. Namentlich lehnte sie die monistische Konzeption der europäischen und der nationalen Rechtsordnung als Bestandteile eines einzigen Rechtssystems ab und begriff die europäische und die nationale Rechtsordnung als zwei „autonome und unterschiedliche, aber auf der Grundlage der im Vertrag niedergelegten und garantierten Kompetenzzuteilung koordinierten Rechtssysteme“[24]. Das Verfassungsgericht gab jedoch zugleich die streng völkerrechtliche Zuordnung der Beziehung zwischen nationalem Recht und Gemeinschaftsrecht mit der Feststellung auf, dass die nationale Rechtsordnung auf der Grundlage von Art. 11 Cost. mit Annahme der europäischen Verträge Souveranitätsbeschränkungen zugestimmt habe, mit der Folge, dass – und hier liegt der wesentliche Unterschied zur Entscheidung Costa gegen ENEL – immer dann, wenn ein späteres einfaches Gesetz mit einer vorhergehenden Verordnung der Gemeinschaft nicht vereinbar sei, das Gesetz wegen mittelbarer Verletzung von Art. 11 Cost. verfassungswidrig sei. Die wesentlichen Folgen dieser Neuorientierung waren, dass ausschließlich das Verfassungsgericht die Verfassungswidrigkeit des nationalen Gesetzes – d.h. den Vorrang des Europarechts vor dem nationalen Recht – feststellen konnte[25] und dass der ordentliche Richter infolgedessen nicht befugt war, ohne entsprechende Entscheidung des Verfassungsgerichts von der Anwendung des nationalen Gesetzes abzusehen[26].

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Diese Feststellung der Corte costituzionale ist jedoch vom EuGH mit Entscheidung vom 9.3.1978 im Fall Simmenthal[27] kritisiert worden. In dieser Entscheidung hat der EuGH gefordert, dass jedes nationale Gericht unmittelbar und ohne eine Entscheidung des Verfassungsgerichts herbeizuführen, den Vorrang des Europarechts durch Nichtanwendung des nationalen gemeinschaftswidrigen Rechts gewährleisten müsse. Nach Ansicht des Gerichtshofes werden die Normen des EWG-Vertrags über die unmittelbare Anwendbarkeit von Verordnungen (ehemaliger Art. 189, jetzt Art. 249 EG) verletzt, wenn die Fachgerichte im Fall eines Konflikts zwischen einer nationalen Norm und einer europäischen Verordnung letztere nicht unmittelbar anwenden und damit die darin dem einzelnen Bürger übertragenen Rechte unmittelbar gewährleisten könnten.

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Weiter ist bemerkenswert, dass das Verfassungsgericht (siehe auch schon ein obiter dictum im Urteil Frontini Nr. 183 von 1973, aber vor allem das Urteil ICIC Nr. 232 von 1975) nicht nur diejenigen nationalen Gesetze, die Verordnungen oder sonstigen europarechtlichen Normen widersprechen, für verfassungswidrig hält, sondern auch diejenigen, die den Inhalt von Verordnungen zum Zweck der Durchführung im nationalen Recht nur reproduzieren. Diese Praxis – die in Italien zu Beginn der europäischen Integration sehr verbreitet war – verletzte offensichtlich Art. 189 und 177 des EWG-Vertrags (heutige Art. 249 und 234 EG) und deshalb mittelbar auch Art. 11 Cost. Die unmittelbare Anwendbarkeit von Verordnungen (vgl. Art. 249 Abs. 2 EG) würde durch diese Praxis verhindert und ihre konkrete Anwendbarkeit vom Erlass der nationalen Umsetzungsnormen abhängig gemacht; das Inkrafttreten der Verordnungen würde auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens der nationalen Norm verschoben, die Zuständigkeit zur Auslegung der Umsetzungsnormen – die nationale Normen sind (obwohl mit demselben Inhalt wie die europäischen Verordnungen) – dem EuGH entzogen und den nationalen Gerichten (und in letzter Instanz den nationalen Obergerichten) zugewiesen.[28]

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Im Urteil Granital Nr. 170 vom 8.6.1984 hat die Corte costituzionale ihre Auffassung schließlich im Ergebnis – nicht aber in den theoretischen Grundlagen – an die des EuGH angepasst und damit die noch andauernde dritte Phase ihrer Judikatur zum Verhältnis zwischen Europarecht und nationalem Recht eingeleitet. Sie hat darin zwar noch an einer dualistischen Anschauung festgehalten, aber gleichzeitig, von einigen Ausnahmefällen abgesehen (siehe unten, Rn. 31ff.), darauf verzichtet, die Verfassungswidrigkeit einfacher, dem Europarecht widersprechender Gesetze zu erklären. Im Urteil Granital, in dem es um einen Konflikt zwischen einem nationalen Gesetz und einer Gemeinschaftsverordnung ging, stellte sie fest, dass in dem Fall, in dem eine rechtmäßige Verordnung (d.h. eine unmittelbar anwendbare, der im Vertrag geregelten Kompetenzverteilung zwischen nationalem Recht und Gemeinschaftsrecht entsprechende Gemeinschaftsnorm) eine bestimmte Materie regelt, das nationale Recht zurücktritt, und der Widerspruch zu einer vorhergehenden oder nachfolgenden nationalen Norm durch Nichtanwendung der nationalen und Anwendung der Gemeinschaftsnorm direkt durch das streitentscheidende Gericht gelöst werden muss, ohne dass es erforderlich wäre, die Corte costituzionale zur Feststellung der Nichtigkeit des nationalen Gesetzes einzuschalten. Die Überprüfung eines Umsetzungsaktes durch das Verfassungsgericht am Maßstab der unionsrechtlichen Vorgaben ist damit in aller Regel unzulässig.

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Auch andere wichtige Äußerungen liegen auf der Linie der Leitentscheidung Granital und belegen, wie das Verfassungsgericht seine Judikatur immer mehr der Judikatur des EuGH angepasst hat. So hat es z.B. die Nichtanwendungspflicht der nationalen Normen nicht auf Gerichte beschränkt, sondern mit Urteil Nr. 389 vom 11.7.1989 auch auf die öffentliche Verwaltung erstreckt und seine Judikatur damit an das Urteil des EuGH vom 22.6.1989 im Fall Fratelli Costanzo SpA gegen Stadt Mailand angepasst.[29]

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