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Die Wünsche des Heiratsschwindlers

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Die Dame, die einige Wochen vor Weihnachten in eine der Wohnungen im neuen, noch leeren Miethaus am Fluss eingezogen ist, bittet den Heiratsschwindler, ihr bei der Arbeitssuche behilflich zu sein. «Ich bin nicht verschuldet», glaubt sie erklären zu müssen, «und ich habe ein wenig Vermögen. Ich tippe außerordentlich schnell, fülle stundenlang und pausenlos viele Blätter mit vielen Sätzen; auch mit unbegreiflichen. Die Kopfschmerzen am Abend …» Sie verschweigt, dass sie schon seit zwei Tagen nichts gegessen hat; der Hunger gräbt ihr Inneres um, als suche er den Schatz, der auf jedem Grunde glänzt. Sie erzählt einige Male, sie zürne ihrem Freund, einem Schriftsteller, der ihre Person gestohlen und entstellt habe und auf dreihundertdreiundfünfzig Buchsei­ten gefangen halte. Sie zürnt auch ihrem alten Vater, der sich jeder Verantwortung entzieht und ­behauptete, dem Tee, den sie ihm dreimal täglich ans Bett brachte, entströme Men­schengeruch. «Er spricht sonst nichts mehr», beklagt sie sich, «und ich schenkte ihm von meiner Zeit so viel; er hätte sich endlich rechtfertigen können. Aber er zog es vor, zu meckern, statt zu lachen, und zu meckern, statt zu weinen.» Der Hei­rats­schwindler macht sie darauf aufmerksam, dass die Zeit, die sie dem Vater anbot, nicht ihre Zeit gewesen sei; sie gehöre – um Beispiele zu nennen – auch dem Föhn, dem Ros­marinstrauch und den Katzen. Die Dame sieht ein, dass sie sich den Teil nimmt, den sie zu benötigen glaubt. «Ich stecke mir auch den Raum ab», sagt sie, «den aber jedermann ungestraft überqueren kann. Mein Herz ist trotz vielem Unge­mach nicht eng geworden; im Gegenteil. Aber man bedrängt mich. Man will, so glaube ich, meinen Tod.»

Während der Wind die Dame und den Heiratsschwindler in undisziplinierter Art und Weise über die Brücke stößt, schweben Möwen wie weiße Ballone vor der schwarzen Him­melshöhle auf und nieder. Die Dame lässt auf der anderen Seite des Flusses zwei Neujahrskarten in einen Briefkasten fallen. Der Heiratsschwindler steht neben ihr und bewundert ihr starkes, verschnörkeltes, schwarzes Haar mit dem rostigen Schimmer; es scheint aus Eisen geschmiedet. Ihr Kinn ist aber vom Alter schon leicht verformt. Sie bindet jetzt den Kopf mit einem grauen Tuch, das sie aus ihrer Manteltasche zieht, am Hals fest, damit der Wind ihn nicht abreißt. Sie erklärt, sie lebe nun für immer allein, ohne Vater und ohne Freund. «Das neue Leben, das ich mir erträumt habe, stellt sich nicht ein», klagt sie; ihre bläulichen Lippen ziehen sich nach unten. Während sie auf der Brücke geduckt zurückschwanken, sich in die lebendige Wand des Windes hineindrücken, haucht der Heiratsschwindler in seine in Handschuhen steckenden Hände. «Ich wünsche Dir neue Bedrängnisse, da Du glaubst, Dich den alten entziehen zu müssen», denkt er lächelnd.

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