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Der Flügel

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Im sich schließenden Kelch des Himmels schimmert wie ein Wassertropfen der Mond; das Lied einer Amsel schlingt Girlanden aus Duft um die Stadt. Dunkel kauern Bäume in den Gärten, der Lärm einiger Autos und Motorräder fällt vorbei und löst sich auf in der Finsternis am Ende der Straße.

Werner, ein rundlicher Mann mit einem Faultiergesicht, sitzt auf dem Bett in der Ecke – knapp einen Meter vom glänzenden Flügel entfernt – und erinnert sich: Im Saal der Musik­schule, wo es nach Bodenwichse riecht und die Luft abge­standen ist wie im Theatersaal eines Mädcheninternats (die Schülerinnen sprechen dort, zwischen den Stuhlreihen am Boden kniend, ihre Abendgebete), gab Esther ihr Diplomkonzert. Werners Herz formte sich zu einem spitzen, harten Kern, und der Magen schien wie ein Fetzen Tuch in einer schlecht geschlossenen Schublade eingeklemmt; er hatte Angst um sie, fürchtete, sie könne versagen, obwohl er sie nicht kannte, aber sie schien so zart. Sie hatte krauses Haar und Augen von einem erschreckenden Gasflammenblau, wie er es noch nie gesehen hatte. Während der Pause, als alle Leute hinausströmten, blieb Werner im Saal sitzen; eine Hummel irrte im Zickzack durch den hohen Raum; ihr Schatten huschte als grauer Fleck vorbei, ihr eintöniges Surren ging in unregelmäßigen Abständen in ein ersticktes Zischen über, wenn sie gegen eine Wand stieß.

Werner besucht Konzerte, weil er Musikkritiken für eine mittelgroße Zeitung schreibt. Stets bangt er um die Musiker; er bewundert ihren Fleiß, ihre Hingabe und ihren Mut und ist froh, dass sie nicht in Ohnmacht fallen. Der Applaus des Publikums entzückt ihn, und wenn Blumen überreicht werden, weint er beinah. Er lobt die Interpreten in schwülstiger Sprache, beschreibt die mutmaßlichen Empfindungen des Publikums während des Konzerts und berichtet Anekdoten über die Komponisten, die er aus seinen in Buchantiquariaten erstandenen Musikerbiografien abschreibt. Er möchte seine Leser unterhalten, an den Strängen ihrer Gefühle ziehen und in ihren Herzen frommes Sonntagsgeläute erklingen lassen.

Am Tag nach jenem Konzert sandte er Esther eine Kopie seiner Besprechung und kaufte für sie den Flügel; er ließ ihn in den einzigen Raum seiner Sozialwohnung stellen, in der er seit vielen Jahren haust, und zahlt ihn in Raten. Der Flügel wohnt im Zimmer wie ein düsteres Tier in einem zu engen Käfig. Werner benützt ihn, da er seinen Tisch aus Platzman­gel verkaufen musste, als Esstisch, Toilettentisch und Arbeitstisch und telefoniert Esther in regelmäßigen Abständen; sie antwortet ausweichend mit einer netten Kinderstimme. An einsamen Abenden stellt er sich vor, wie sie ihre kleinen, hellen Hände über der Klaviatur auf und ab würfe; flink paddelte sie durch den Strom der Melodien, so dass es im Zimmer strudelte und plätscherte und Werner, auf dem Bett sitzend wie Noah in der Arche, die Füße anzöge und über seine Rettung lächelte.

Nun ist Esther tot, ohne Werner kennengelernt, ohne am Flügel gespielt zu haben, der sich in ihren Sarg und in ihr Denkmal verwandelt hat. Heute Morgen hat Werner die Todes­anzeige in der Zeitung gelesen, während er, am geschlossenen Instrument sitzend, seinen Kaffee trank; ein Unfall hat die junge Pianistin ihren trauernden Angehörigen entrissen. Werner, der über ihr Spiel eine Rezension wie ein Gedicht verfasst hatte – so blumentraurig, so zärtlich und bewegend –, hat man mit keiner Zeile erwähnt; er gehört nicht in den schwarzen Rahmen, in dem die gottergebene Familie sich in der Zeitung ausgestellt hat, grollend, weil sie von der Tochter, Nichte und Enkelin verlassen worden ist. Aber auch Werner ist von Esther im Stich gelassen worden; sie ist davongegangen in eine unüberprüfbare Welt, hat rücksichtslos Kunde gegeben von einer Bedürfnislosigkeit, die Werner zutiefst beleidigt.

Die Nacht hängt ein schwarzes Tuch hinters Fenster, so dass kein Laut mehr hereintritt. Werner streckt sich auf dem Bett aus. Er weiß nun, wie Esther gestorben ist: Es waren Zündschnüre gelegt. Plötzlich stand Esther in Flammen! Sofort versprühte der Himmel seinen Saft, der hart auf Dächer, auf aufgespannte Schirme und in den Fluss sprang, ohne das wilde Feuer löschen zu können, von dem Esther beleckt und aufgefressen wurde, bis nichts mehr von ihr übrigblieb.

Fern von hier

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