Читать книгу Fern von hier - Adelheid Duvanel - Страница 15

Catalina

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Letzte Woche wurde Catalina dreizehn Jahre alt und bekam von Onkel Manuel, der eigentlich kein richtiger Onkel ist, ein gebrauchtes Radio geschenkt. Ein Radio hat sie sich schon lange gewünscht, weil ihre Freundin Maria auch eines besitzt. Wenn Catalina auf die rote Taste drückt, strömt Musik aus den Büschen, unter den Steinen und zwischen den Gräsern hervor. Das Radio steht draußen auf einem umgekehrten Blumentopf. Nun kauert Catalina neben der offenen Tür auf dem schmutzigen Teppich und schnuppert an ihren Knien; sie sind braunrosa und duften nach Schweiß, Seife und Mandeln. Die Mutter ist weg; sie macht Einkäufe und wird dann im Dorf mit Touristen tanzen; sie ist als gute Tänzerin bekannt. Schon oft fragte sie Catalina: «Willst du nicht mitkommen?», doch Catalina bleibt lieber im Haus und träumt. Im Garten nistet ein alter Vogel, und der Himmel ist am späten Nachmittag wie mit Ruß verschmiertes Wachs; aufrecht feiern die Agaven ihr Sterben. Eine unbekannte Katze mustert den kalten Gasofen, auf dem eine zusammengeknüllte Wolldecke liegt, dann geht sie davon und betupft mit dem Kinn den Boden; ein weißer Fleck schimmert einen Augenblick bei der Gartenmauer, dann ist Catalina wieder allein.

Die Mutter sagt: «Ich brauche Menschen; solche, die wie Mauern um mich stehen, und andere, die wie offene Türen sind.» Catalina braucht nur sich; Menschen sind fremd und machen Angst. Die getrocknete Muränenhaut über der Tür klappert im Wind und klingelt leise; Onkel Manuel hat ein Glöckchen an ihr befestigt. Onkel Manuel hat ein kleines und ein großes Ohr; er bedeutet für Catalina Härte und eine wilde, rohe Lustigkeit. Manchmal sehnt sie sich nach Weichheit und Zärtlichkeit; besonders dann, wenn unverhofft Traurigkeit über sie fällt wie eine finstere Masse, in der sie zu ersticken droht. Immer waren nur ältere Menschen («vom Leben gezeichnete», wie ihre Freundin Maria sich ausdrückt) um Catalina; nie war sie mit unbeschwerten, jüngeren Spielgefähr­ten zusammen. Ihr Bruder und ihre Schwester sind schon vor einiger Zeit wieder in die Stadt im Norden zurückgereist, wo sie arbeiten; sie haben der Mutter ein wenig Geld geschickt, doch die Mutter brauchte sofort ein neues Kleid, einen Hut und anderes mehr; falls Mutter keinen Liebhaber findet, müssen auch sie bald abreisen; es ist nicht mehr viel Geld da. Die Mutter arbeitet nicht und Catalina besucht keine Schule: «Sie ist viel zu dumm dazu», erklärt die Mutter.

Die Antenne des Radios besteht aus einem rostigen Stück Eisen, das an einem Draht befestigt ist, den Onkel Manuel durch den Garten zog und am Balkon des Hauses und an einer Pinie festband.

Die Thymianbüsche leuchten wie violette Monde. «Der Rosmarinstrauch hat Geburtstag», denkt Catalina, «er duftet ganz allein und freut sich.»

Auf dem flachen Dach steht eine mit feuchten Tüchern umwickelte Wasserflasche – eine Idee von Onkel Manuel; das Wasser werde so eiskalt, versicherte er immer wieder, doch kälter als kühl wurde es bis jetzt nicht.

Catalina knipst das Radio aus und legt sich auf ihre mit einem weißen Leintuch bedeckte Matratze; ein richtiges Bett hat sie nicht. Die Mutter bemüht sich in der Stadtwohnung im Norden und hier in ihrem Sommerhaus, das sie von ihren Eltern geerbt hat, einen gepflegten Haushalt vorzutäuschen, doch Catalina weiß: Wenn heute Nacht oder morgen Onkel Manuel wiederkommt – die Mutter rechnet fest damit –, läuft er mit seinen Schuhen über das Leintuch, klopft die Asche auf den Teppich, wirft die Zigarettenstummel auf den Boden und schüttet den Wein auf das Tischtuch. Onkel Manuel kommt und geht, wie es ihm passt. Er gibt der Mutter nie Geld, das hat Catalina herausgefunden, nur Geschenke; aber die Mutter gibt ihm Geld, wenn sie nicht alles für sich verbraucht hat. Wenn sie keines mehr hat, wird Onkel Manuel sehr böse; dann weint die Mutter. Catalina ist sicher, dass sie ihn liebt; nur ihn und keinen der andern Männer.

«Lieben heißt besitzen wollen», sagt Catalinas Mutter.

Catalina denkt an das Kätzchen – weshalb hat sie es laufen lassen? Weshalb hat sie nicht eine Weile mit diesem tänzelnden Geschöpf in seinem hellen Samtkleid gespielt, es liebkost, über seine Barthaare, die der Wind streichelte, gelacht? So ist Catalina; letztes Jahr hat die Mutter ihre einzige Spielgefährtin aus der Stadt hierher in die Ferien eingeladen; die schöne, große Maria, von der sie weiß, dass die dicke Ca­talina sie liebt. Aber weil Catalina sie liebt, wollte sie sich fernhalten; schon nach kurzer Zeit war Maria verwirrt und schmollend abgereist.

Der Abend ist hellgrün und schaukelt den ertrinkenden Mond. Der Wind bürstet die Pinien; wenn Catalina jeweils die Musik laut spielen lässt, drehen sie sich hin und her und möchten mit den Füßen stampfen, doch der Fels hält sie fest. Am Tag ist der Himmel wie ein heißer Betonboden, über den die Flugzeuge rasen, und im Garten ragen überall tonlos schreiende Felsengesichter aus der trockenen Erde – selbst im leeren Schweinestall.

Catalina dreht sich auf den Bauch. Die Matratze ist dünn und uneben; Catalina erwacht jeden Morgen, als ob sie im Traum verprügelt worden wäre. Dann sagt sie zu ihrer Mutter: «Eigentlich habe ich nicht geschlafen; die Sterne stachen.» Die Mutter schüttelt den Kopf und denkt, Catalina sei nicht nur beschränkt, sondern auch wunderlich.

Ein Motorrad stöhnt auf und die Uhr ist stehengeblieben. Catalina will schlafen; der geplättelte Boden ist nah beim Gesicht und steigt, bis er die Wand berührt. Die gespaltene Kerzenflamme schlängelt, ohne sich fortreißen zu können – ihre Nahrung ist der Docht; sie braucht ihn, um zu leben, so wie die Mutter Onkel Manuel oder einen anderen Mann braucht und wie Catalina die Mutter braucht – die Frau, die für sie Butterbrote streicht und ein Taschentuch leiht, wenn Catalina weint.

Catalina liegt wie ein Tier; sie hat Arme und Beine von sich gestreckt, die Stirn in Falten gelegt und die untere Gesichtshälfte im Kissen vergraben. Die Matratze ist ihr Planet, das Haus ihre Welt; sie kreist. Sie trägt eine Pyjamajacke ihres verstorbenen Vaters und hat ihr Gesicht geschminkt; morgen wird die Mutter schimpfen, weil sie den verschmierten Kis­senüberzug waschen muss. Immer stiehlt Catalina Lippenstift, Puder, Lidschatten und Wimperntusche aus Mutters Toilettentäschchen, setzt sich vor den halbblinden Spiegel in der Küche und macht sich das Gesicht, von dem sie denkt, dass ein Mann es rauben würde, während sie schläft oder vorgibt zu schlafen. Schenken wird sie sich nie, aber stehlen lassen. Ihre Mutter verkauft sich. Catalina denkt, was man stehle, liebe man mehr, als was man sich schenken lasse oder kaufe. Sie möchte einem Mann gehören, der sie bei sich versteckt und sie nicht zu andern Männern schickt, wie Onkel Manuel dies mit der Mutter tut. Für ihn würde sie tun, was er von ihr verlangt: Purzelbäume schlagen oder Kopfstehen – das kann sie lernen, so plump sie auch ist. Und waschen und putzen und bügeln und vielleicht Kinder und Katzen füttern und streicheln. Was verlangt ein Mann mehr von einer Frau? Sie weiß es, aber sie will nicht daran denken. Sie wird warten; sie wird immerzu auf dieser Matratze liegen mit ihrem runden, bunten Gesicht. Sie denkt an Onkel Manuel, der ihr einmal ein Fläschchen Parfüm mitbrachte und mit einem unschönen Auflachen zur Mutter, deren Mund plötzlich ganz klein und faltig geworden war, sagte: «Sie wird besser als du; du wirst schon sehen, du alte Ziege.»

Es ist so still, als ob ein Würger über das Land geschlichen wäre und die Menschen und Tiere erdrosselt hätte. Sein Schatten ist so riesengroß, dass er sogar den obersten, letzten Himmel verdunkelt. Catalina hört seinen leisen Schritt; er tritt ins Haus. Sie schläft; eine Fliege sitzt auf ihrem festen, dunkelbraunen Oberschenkel. Er wird ihr Gesicht rauben und es in die tiefen Träume der Menschen und Tiere tauchen.

Fern von hier

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