Читать книгу Fern von hier - Adelheid Duvanel - Страница 14

Neid

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Am Radio wurde das Signalement meiner vermissten Schwes­ter durchgegeben: trägt einen Regenbogenmantel; grün mit rotem Glanz oder rot mit grünem Glanz – bat jeden Tag, man möge ihr ein Schloss im Garten hinter dem Haus bauen; schleppte schließlich den rostigen, zerbrochenen Eisentisch aus dem Gestrüpp und behauptete, er sei ihr Palast – Trägt kleine, goldene Ohrringe – bewegt sich sonderbar ruckartig, wenn sie ins Innere einer Straßenbahn tritt; hält sich an einer Stange bei der Tür fest, schluckt krampfhaft und wirkt, als habe man sie in einen engen Kissenanzug gesteckt und sich schamlos auf sie gesetzt – hat die ganze Welt zum Kata­strophengebiet erklärt und versucht, sich darin einzurich­ten – nagt blitzschnell an Äpfeln, Karotten und Seifen mit ihren merkwürdig halbkreisförmig gekrümmten Schnei­dezähnen –

Das Haus, in dem meine Schwester und ich eine Ein­zim­merwohnung gemietet haben, steht an einer Kreuzung; wenn Lastwagen oder die Straßenbahn vorbeifahren, zittert der Boden unseres Zimmers. Er ist vier Schritte breit und fünf Schritte lang und neigt sich; aus diesem Grund kann man die Tür nicht offen lassen; nach einer Weile schließt sie sich sachte. Dass sie es wagt, ungefragt und trotzdem höflich das Zimmer zu verschließen, ärgert mich; ich brauche den Ausblick in den Korridor, weil das Zimmer beengend wirkt und im Korridor der Kohlenofen steht, der es heizt. Als ich meine Schwester fragte, ob das Tun der Tür sie nicht störe, antwortete sie, sie sei kein Mensch. Ich schwankte zwischen Mitleid und Neid. Eines Nachts schoben sich die langen Vorhänge auseinander und meine Schwester stand auf, um sie zuzuziehen; kaum lag sie wieder im Bett, öffneten sie sich von neuem. Sie erzählte mir dieses Ereignis am Morgen und ich weinte beinah, weil ich nie etwas Ähnliches erlebt hatte.

An jenem Sonntag im Oktober erreichte der Lichtschirm, der über die Stadt sank, den Boden nicht. Meine Schwester und ich saßen im Zimmer und spielten Eile mit Weile; sie verlor und ging davon, ohne ein Wort zu sagen. Ich suchte sie im Keller und auf dem Dachboden und lief schließlich in den nahe gelegenen Park. Ich hörte Rufe und rannte in jene Richtung, doch dann setzte ich mich unter einen Baum, der von einer rotglühenden Kletterpflanze umwickelt war. Der Wind blies Blätter über den hohen Zaun. Die meisten Stühle standen verlassen. Eine Frau schob, sich verkleinernd, einen Kin­derwagen gegen das offene Tor. Manche Bäume grimassierten, als seien sie gezwungen, unter Wasser zu lächeln, und die Nacht rollte einen schwarzen Teppich über den Rasen. Von weitem bemerkte ich ein großes, rattenähnliches Tier, das zwischen den Bäumen lief; als es mich erblickte, stellte es sich auf die Hinterbeine und pfiff; deutlich sah ich goldene Ringe in seinen Ohren. Als ich mich erhob, rannte das Tier davon.

Lange Zeit stand ich erstarrt und spürte die Kälte, die sich über meinen Körper tastete. Fern und klebrig wie der Staub, der Trauben und Schmetterlinge weiß pudert, füllte der Nebel alle Löcher und bedeckte die Augen der Menschen.

Ich tastete mich nach Hause. Jedermann gab vor, meine Schwester zu suchen. Da ich weiß, dass sich Ratten für verschiedene Versuche eignen und die Wissenschaftler an ihnen Interesse haben, berichtete ich einige Wochen später der Polizei aus Neid, was sich im Park zugetragen hatte. Falls es gelingt, meine Schwester einzufangen, wird man versuchen, einen Menschen aus ihr zu machen.

Fern von hier

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