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1.1 Was ist Lehren?

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Wenn man Lehrende danach befragt, was Sie unter Lehren verstehen, fragt man sie nach ihrer Konzeption des Lehrens. Konzeptionen beziehen sich auf die Art und Weise, wie Personen über bestimmte Phänomene denken und welche Bedeutung sie ihnen zuschreiben. Sie sind relational, d. h. sie beschreiben die Beziehung zwischen Individuen und einer bestimmten Aufgabe oder einem bestimmten Kontext. Wir sehen die Welt durch die Brille unserer Konzeptionen und handeln in Übereinstimmung mit unserem Verständnis der Welt. Konzeptionen können eine eher einschränkende oder eine eher befreiende Bedingung für das Denken darstellen.

Die bisherigen Studien zu den Konzeptionen des Lehrens legen nahe, dass es verschiedene unterscheidbare Lehrkonzeptionen gibt, dass die verschiedenen Konzeptionen qualitative Unterschiede aufweisen und dass sie zusammen ein Kontinuum von Stufen und Phasen einer Entwicklung bilden. Darüber hinaus scheint es zwei generelle Lehrorientierungen zu geben: dozentenzentrierte Informationsvermittlung sowie studentenzentrierte Erleichterung des Lernens. Damit Dozenten von der einen zur anderen Orientierung wechseln können, ist eine Übergangsphase notwendig (Abb. 1).

Die einfachste Konzeption ist, Lehre als reine Übermittlung von Wissen zu betrachten. Der Student, wenn er überhaupt erwähnt wird, ist ein passiver Empfänger des Stoffinhalts, der vom Curriculum definiert ist. Wissen ist etwas, das der Dozent besitzt. Die elaboriertere Konzeption unterscheidet sich von der ersten dadurch, dass die Information bzw. das Unterrichtsmaterial gut strukturiert dargeboten wird, so dass der Student es leichter aufnehmen kann. In der Konzeption, die der Übergangsphase zur studentenzentrierten Erleichterung des Lernens entspricht, rückt der Studierende in das Blickfeld des Dozenten und wird zur aktiven Figur vor dem Hintergrund der Strategien anstatt umgekehrt. Jetzt spielt die Interaktion zwischen Dozent und Student eine wichtige Rolle. Der Dozent ist nicht nur Präsentator, sondern auch Tutor. Lehren wird zum interaktiven Prozess. Der Inhalt wird jedoch immer noch allein vom Dozenten definiert, und der Student entdeckt das Wissen innerhalb des vom Dozenten festgelegten Rahmens. Die beiden letzten Konzeptionen sind studentenzentriert und am Prozess des Lernens orientiert. In der vierten Konzeption wird das Verständnis erleichtert. Der Dozent sieht sich als »facilitator«, der dafür verantwortlich ist, seine Lehre so zu gestalten, dass studentisches Lernen ermöglicht wird. Der Student konstruiert sein Wissen – innerhalb des vom Dozenten gesetzten Rahmens – selbst. Auf der letzten Stufe schließlich ist der Dozent verantwortlich für die Entwicklung und Veränderung der Konzeptionen des Studierenden. Der Inhalt wird vom Studierenden konstruiert, und seine Konzeptionen können Veränderungen unterliegen. Der Dozent sieht sich als »change agent« und ist in seiner Lehre für die Entwicklung des Studierenden als Person und für die Entwicklung und Veränderung seiner Konzeptionen verantwortlich. Dabei können auch die Konzeptionen des Dozenten Veränderungen erfahren. Manche Dozenten können auch gemischte Konzeptionen oder mehr als eine Lehrkonzeption vertreten.

Wie entwickelt sich die Lehrkompetenz im Verlauf der individuellen Berufskarriere? Es wäre ideal, wenn sich die Lehr- und die Lernkompetenz von Dozenten und Studierenden im Verlauf der Berufserfahrung bzw. des Studiums von einfachen zu komplexen und fortschrittlichen Konzeptionen des Lehrens und des Lernens entwickeln würden. Bedauerlicherweise ist das weder für alle Lehrenden noch für alle Lernenden der Fall. Die meisten Lehrenden und die meisten Lernenden bleiben in ihrer Entwicklung auf halber Strecke stehen und bewältigen damit den Wechsel von der quantitativen Auffassung des Lehrens und Lernens zur qualitativen Sichtweise nicht.


Abb. 1: Lehrorientierungen und Konzeptionen des Lehrens (Modelle konzeptioneller Veränderung), erw. nach Kember (1997).

Generell scheint die Entwicklung der Lehrkompetenz ebenfalls in verschiedenen Phasen oder Entwicklungsstadien vor sich zu gehen, in denen sich der Aufmerksamkeitsschwerpunkt des Dozenten, ausgehend vom Selbst, über die Fertigkeiten (Methoden) zum Studierenden und dessen Lernergebnissen hin verschiebt. Hier können ebenfalls insgesamt fünf Stadien unterschieden werden.

In den ersten drei Stadien, insgesamt der ersten Phase, verläuft die Entwicklung vom Fokus auf das Selbst (»Wie kann ich in der Lehre überleben?«, »Werde ich von den Studierenden akzeptiert?«) über den Fokus auf den Inhalt bzw. das Fach (»Beherrsche ich den Stoff?« »Habe ich auch wirklich alles berücksichtigt?«) zum Fokus auf den Studierenden. Gleichzeitig vollzieht sich im dritten Stadium ein Wechsel vom Fokus auf die Lehre zum Fokus auf das Lernen. In der zweiten Phase besinnen sich die Dozenten auf den Zweck ihrer Lehre: studentisches Lernen zu ermöglichen. Nunmehr steht der lernende Student im Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit. Während also im dritten Stadium der Student noch als ein rezeptiver Lernender angesehen wurde (»Wie soll ich lehren?«, »Wie erreiche ich, dass die Studierenden den Stoff in ihre Köpfe bekommen?«), gilt er im vierten bereits als Lernender, der sein individuelles Wissen aktiv konstruiert (»Wie kann ich erreichen, dass sie es lernen?«) und im fünften Stadium schließlich als unabhängiger und selbständiger Lernender (»Wie kann ich die Studierenden dazu bringen, konzeptionell zu lernen?«, »Wie kann ich die Studierenden dabei unterstützen, unabhängig zu denken und zu lernen?«).

Die Entwicklung der Lehrkompetenz weist damit die gleichen Stadien auf, wie sie in den Studien zur Veränderung der Lehrkompetenz (Querschnitt) festgestellt wurden.

Ein Modell, wie Lehrende lernen

Wenn Sie als »Neuer« bzw. als Lehranfängerin an eine Hochschule kommen, dann sind Sie kein unbeschriebenes Blatt mehr, sondern Sie haben bereits reichhaltige Erfahrungen zum Thema Lehren und Lernen an der Hochschule gesammelt – als Student oder Studentin im Hochschulunterricht und in Ihrem Studium. Da das Beobachtungslernen eine sehr effektive Form des Lernens ist, beginnen viele Lehranfänger nach dem Modell zu lehren, das sie selbst als Lernende erlebt und im günstigen Fall für gut befunden haben (Abb. 2).


Abb. 2: Lehren: Ein Modell, wie Lehrende lernen (Kember, 1997)

Wenn Sie bereits über Erfahrungen in der Lehre verfügen, als Mitarbeiterin, Assistent, Dozent oder Hochschullehrerin, dann lehren Sie in der Regel so, wie dies im Kontext Ihres Studiengangs, Ihres Instituts, Ihres Lehrstuhls, also Ihrer Lehrumgebung üblich ist.

Beides zusammen: Ihre eigenen Erfahrungen und der Lehrkontext bestimmen zu einem großen Teil, wie Sie Ihre Situation als Lehrende wahrnehmen: ob Sie z. B. Unterstützung in der Lehre durch Kollegen erhalten, ob Sie sich in Ihrer Lehre kontrolliert fühlen, Ihre Belastung durch Lehraufgaben usw. Je nachdem, wie Sie Ihre Situation wahrnehmen, wird sich auch Ihre Vorgehensweise in der Lehre unterscheiden. Im ungünstigen Fall versuchen Sie, die Lehre mit möglichst geringem Aufwand zu »erledigen« und hinter sich zu bringen und warten sehnsüchtig darauf, dass endlich die vorlesungsfreie Zeit anbricht. Im besten Fall betrachten Sie Ihre Lehrtätigkeit als etwas, das Ihnen Freude und Befriedigung bereitet und studentisches Lernen ermöglicht und fördert. Entsprechend sieht das Resultat Ihrer Lehre im Hinblick auf Quantität und Qualität des Lernprozesses aus. Im einfachsten Fall vermitteln Sie quantitativ portioniertes Wissen an studentische Zuhörer, die dieses Wissen passiv aufnehmen, im komplexen Fall begleiten Sie aktiv lernende und ihr Wissen selbständig konstruierende Studierende auf ihrem Weg zu persönlicher Weiterentwicklung und Veränderung.

Der Einfluss der Lehrumgebung

Es ist anzunehmen, dass die Lehrumgebung, wie sie von Ihnen wahrgenommen wird, ebenfalls ihre Wirkung auf Ihre Lehrorientierungen, Lehrkonzeptionen und Lehrstrategien hat. Dies wird in Studien zum Einfluss einer Reihe von persönlichen und von kontextabhängigen Variablen auf die Lehrkonzeptionen und das Lehrverhalten von Dozentinnen im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen nahegelegt.

So sind Dozenten in den »harten« Fächern (Biologie und Mathematik) im Vergleich zu ihren Kollegen in den »weichen« Fächern (Englisch und Psychologie) mehr inhaltsorientiert, weniger studentenzentriert und zeigen ein dementsprechendes Lehrverhalten. Sie investieren weniger Zeit in ihre Lehre, geben jedoch den Studierenden ein prompteres Feedback über deren Leistungen. Wenn die Teilnehmerzahl in den Veranstaltungen ansteigt, nimmt die Inhaltsorientierung der Dozenten zu; außerdem wird das Engagement der Dozenten mit dem Fortschritt der Studierenden im Studium größer. Der Kontext, die Lehrumgebung, verändert demnach die Lehrperspektive der Dozenten. Neben dem Fach hat auch das Geschlecht einen Einfluss auf die Lehrkonzeptionen der Dozenten. Dozentinnen zeichnen sich im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen dadurch aus, dass sie eher prozessorientierte und motivational orientierte Lehrkonzeptionen vertreten und mehr Zeit in ihre Lehre investieren. Frauen schaffen eher Lernumgebungen, die studentenzentriert, lernerleichternd und emotional mitgetragen sind.

Welche unterschiedlichen Konzeptionen des Lernens Lernende haben können, wie Lernende lernen und wie die Lernumgebung ihr Lernen beeinflusst, ist Gegenstand des folgenden Abschnitts.

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