Читать книгу Professionell lehren und lernen - Adi Winteler - Страница 20
3.3 Lernvoraussetzungen definieren
ОглавлениеFür die Studierenden ist es wichtig zu wissen, wie Ihre Veranstaltung in die Gesamtheit des Fachs einzuordnen ist. Eine Möglichkeit ist die Methode der so genannten »advance organizer« – das zu Beginn jedes Kapitels dieses Buches stattfindet.
Lernen ist ein dualer Prozess, in dem zu Beginn – und ebenso im Verlauf des Lernens – stets aufs Neue festgestellt werden muss, welche Überzeugungen und welches aktuelle Verständnis die Studierenden von dem haben, was gelernt werden soll. Erst dann kann bedeutungsvolles neues Lernen stattfinden.
Der wichtigste einzelne Faktor, der neues Lernen beeinflusst, ist das bereits vorhandene Wissen des Lernenden – und nicht die Aktivität des Dozenten.
Der Student muss das neu gelernte Wissen oder die Fähigkeiten auf irgendeine Weise mit dem verknüpfen können, was er oder sie bereits weiß oder kann, um es mit Sinn versehen zu können. Lernende konstruieren ihr Verständnis der Welt, indem sie ihr bestehendes Verständnis auf neue Ideen und Erfahrungen anwenden. Dabei wird sinnvolles Lernen übrigens schwieriger, wenn es privat und im Verborgenen, hingegen sehr erleichtert, wenn es öffentlich und gemeinsam stattfindet.
Vorwissen und neues Lernen
Was die Studierenden bereits wissen und wie dieses Wissen organisiert ist, beeinflusst die Art und Weise, wie sie zusätzliches Wissen erwerben. Das vorhandene Wissen ist jedoch in der Regel fragmentarisch und enthält oft falsche Auffassungen, die das neue Lernen behindern können. Als Dozenten nehmen wir an, dass die Studierenden in der Lage sind, ihr neu erworbenes Wissen in die bestehende Wissensstruktur zu integrieren. Dies ist jedoch keineswegs immer der Fall.
So wurde in Untersuchungen festgestellt, dass nur eine der von Studierenden angewandten Strategien, neuen Stoff zu lernen, zu einer Neustrukturierung ihres Wissensbestandes führte (conceptual-change strategy). Diese Studierenden lernten nicht nur die im Text enthaltenen Hauptideen, sondern konnten auch angeben, wo die schriftlichen Unterlagen im Widerspruch zu ihrem bestehenden Wissen standen. Und sie waren bereit, bestehende falsche Auffassungen zu revidieren und die neuen Erkenntnisse in ihren Wissensbestand zu integrieren.
Die anderen Strategien führten nicht zu diesem Ergebnis. Entweder vertrauten die Studierenden auf ihr bereits bestehendes Wissen und hielten dies für ausreichend oder sie lernten die neuen Begriffe wie Vokabeln und gaben das Gelernte auswendig wieder, ohne es zu verstehen, oder sie lernten nur die Teile, die ihr bestehendes (auch falsches) Verständnis bestätigten (siehe auch Kap. 12).
Lernvoraussetzungen
Zu Beginn der Veranstaltung sollten Sie verdeutlichen, welche Lernvoraussetzungen bestehen, damit die Teilnehmer nicht bereits in den ersten Stunden hoffnungslos »abgehängt« werden. Häufig gehen Dozenten von falschen Annahmen aus, was die Vorkenntnisse der Studierenden betrifft. Und ebenso häufig gehen auch die Studierenden von falschen Annahmen darüber aus, was ihre eigenen Vorkenntnisse angeht. Sie glauben, den Stoff verstanden zu haben, in Wirklichkeit jedoch können sie sich lediglich daran erinnern, ohne damit umgehen und ihn anwenden zu können.
Wenn Sie wissen wollen, welche Voraussetzungen Ihre Studierenden mitbringen, dann machen Sie mit ihnen zu Beginn der Veranstaltung einen Vortest, der die wesentlichen Konzepte der Veranstaltung prüft. Das kann mit wenigen Fragen geschehen, z. B.: »Was verstehen Sie unter . . .?« oder »Was bedeutet für Sie . . .?« Der Test dient lediglich der Diagnose und nicht der Beurteilung. Aus den Ergebnissen können Sie schließen, was Sie noch in der Veranstaltung behandeln müssen. Wenn das im Unterricht selbst nicht geschehen kann, müssen Sie den Studierenden zumindest genau erklären, was sie zu der Veranstaltung noch selbst dazulernen müssen, um sie verstehen zu können, und wo sie die entsprechenden Unterlagen dazu finden. Dies ist auch dann der beste Weg, wenn es sich um Inhalte handelt, die einfach »gepaukt« werden müssen. Die Veranstaltungszeit ist hierfür nicht geeignet. Die Studierenden sollten darüber rechtzeitig Bescheid wissen; die erforderliche Lernarbeit müssen sie dann selbst leisten.