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1.2 Was ist Lernen?

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Wenn man Studierende danach befragt, was sie unter Lernen verstehen, dann ergeben ihre Antworten, wie bei den Dozenten, regelmäßig eine begrenzte Anzahl unterschiedlicher Auffassungen hierüber. Die verschiedenen Konzeptionen des Lernens weisen qualitative Unterschiede auf und bilden ebenfalls ein Kontinuum – hier von insgesamt sechs Stufen und Phasen der Entwicklung.

Lernen wird verstanden als:

1 Wissen vermehren

2 Auswendiglernen und Reproduzieren

3 Anwenden

4 Verstehen

5 etwas auf eine andere Weise sehen

6 sich als Person verändern

In allen sechs Konzeptionen wird Lernen verstanden als durch Erfahrung fähig(er) zu werden, etwas zu tun, zu wissen, zu denken. Die zeitliche Abfolge einer Phase des Erwerbs und einer der Anwendung ist ein weiteres wesentliches Merkmal aller Lernkonzeptionen. Darüber hinaus unterscheiden sich die Konzeptionen qualitativ.

In den ersten drei Konzeptionen wird Wissen als etwas gesehen, was außerhalb der Person gegeben ist und vom Studierenden aufgenommen und anschließend abgelegt wird, um später reproduziert werden zu können. Dagegen spielen in den drei letzten Lernkonzeptionen der Sinn und die Bedeutung des Wissens eine zentrale Rolle. Hier ist der Lernende jemand, der aktiv beeinflusst, wie sein individuelles Wissen schließlich gestaltet ist.

Die individuellen Konzeptionen des Lernens beeinflussen wesentlich die Art und Weise, wie sich Studierende mit bestimmten Aufgaben im Studium beschäftigen. Die unterschiedlichen Herangehensweisen werden Oberflächenlernen (surface approach), Tiefenlernen (deep approach) und Leistungsorientierung (achievement approach) genannt. Oberflächenlernen bezeichnet die Tendenz zum Auswendiglernen und Reproduzieren des Stoffes, was für die ersten drei Konzeptionen des Lernens charakteristisch ist. Beim Tiefenlernen versucht der Student, dem Stoff oder der Aufgabe Sinn und Bedeutung abzugewinnen, häufig, weil ein Interesse am Gegenstand des Studiums vorliegt. Für die Verbesserung der Qualität des studentischen Lernens ist das Tiefenlernen (Lernkonzeptionen 4 – 6) Voraussetzung.

Das Tiefen- bzw. Bedeutungslernen ist die einzige Orientierung, die auf die Auseinandersetzung mit der Aufgabe gerichtet und damit der Aufgabe angemessen ist. Die anderen beiden Orientierungen sind, was die Aufgabe betrifft, »pathologisch«. Dem Oberflächenlernen liegt das Motiv zugrunde, die investierten Anstrengungen zu minimieren und gleichzeitig die normalerweise zu erwartenden negativen Konsequenzen dieses geringen Aufwandes ebenfalls zu minimieren. Die Leistungsorientierung ist pathologisch, weil sie sich nicht an der Aufgabe orientiert, sondern vor allem am Ergebnis, d.i., gute Zensuren zu erhalten. Die Aufgabe ist dafür lediglich Mittel zum Zweck.

Auf die intellektuelle Entwicklung von Studierenden und deren adäquate Förderung im Verlauf des Studiums gehen wir im Kapitel 12 näher ein.


Abb. 3: Ein Modell studentischen Lernens (Trigwell et al., 1994)

Ein Modell, wie Lernende lernen

Auch Studierende müssen es erst lernen, was es bedeutet, an einer Hochschule zu studieren. Auch sie kommen mit ihren vorherigen Lernerfahrungen, mit ihrer bisherigen Lerngeschichte aus der Schule und mit ihrem gegenwärtigen Verständnis des Studienfachs an die Hochschule. Dort treffen sie in ihrem Studiengang auf eine ganz bestimmte Lernumgebung, die charakterisiert ist durch die Arten der Lehrveranstaltungen, die üblichen Lehrmethoden, den Umgang der Lehrenden mit den Studierenden und insbesondere durch die Art und Weise, wie die Prüfungen durchgeführt werden. Dies alles bestimmt zu einem erheblichen Ausmaß, wie die Studierenden den Lernkontext wahrnehmen (Abb. 3).

Im ungünstigen Fall treffen sie auf eine Lernumgebung, die charakterisiert ist durch dozentenzentrierte Wissensvermittlung, ein unpersönliches und distanziertes Verhältnis zu den Dozenten, stoffüberladene Lehrveranstaltungen und Prüfungen, die vornehmlich Faktenwissen abfragen.

Im günstigen Fall werden sie in eine Lernumgebung eingeladen, in der die Dozenten sich um die Studierenden und deren Lernfortschritt kümmern, die Lehre darauf ausgerichtet ist, das aktive Lernen zu fördern, die Ziele klar formuliert sind und sie kontinuierlich Rückmeldungen über ihren Lernfortschritt erhalten.

Im ersten Fall bleibt den Studierenden nichts anderes übrig, als möglichst schnell und möglichst viel vom vorgegebenen Stoff oberflächlich zu lernen, ihn in der Prüfung parat zu haben – und kurze Zeit später das meiste davon wieder vergessen zu haben. Im zweiten Fall wird dem Studierenden Gelegenheit gegeben, selbständig zu lernen, das Gelernte aktiv auszuprobieren, es mit anderen zu teilen, das Gelernte zu präsentieren und zu diskutieren und es auf diese Weise in sein oder ihr individuelles Wissensgebäude so zu integrieren, dass Verständnis und Analyse und damit Tiefenlernen möglich wird.

Der Einfluss der Lernumgebung

Die Entwicklung der Lernkompetenz von Studierenden kann nicht unabhängig von der Qualität der Lehre und den zugrundeliegenden Lehrkonzeptionen der Dozenten gesehen werden. Denn sie bestimmen, welche Art des Lernens von den Studierenden verlangt wird. Welcher Zusammenhang besteht zwischen der Qualität der Lehre, vor allem den Lehrmethoden, und der Qualität des Lernens?

Untersuchungen zeigen, dass in studentenorientierten Veranstaltungen (in denen Gelegenheit zu diskutieren bestand, bestehende Wissenskonzepte angesprochen wurden und alternative Wissenskonzepte berücksichtigt wurden) die Teilnehmer Tiefenorientierungen entwickelten. Darüber hinaus konnten zeitliche Veränderungen der Lernorientierungen im Studienverlauf in Abhängigkeit von den Konzeptionen des Lehrens nachgewiesen werden. Die Lehrkonzeption »Erleichterung des Lernens« fördert das Tiefenlernen, die Lehrkonzeption »Wissensvermittlung« das Faktenlernen. Tiefenlernen und Enthusiasmus werden besonders durch interaktives Lehren gefördert, bei reiner Wissensvermittlung dagegen geht diese zu Beginn des Studiums noch vorhandene Orientierung im Verlauf des Studiums zurück.

Die Studien zeigen, dass die beiden unterschiedlichen Lehrorientierungen (dozentenzentrierte Wissensvermittlung versus studentenorientierte Erleichterung des Lernens) in den verschiedenen Fakultäten sich in erheblichem Maße auf die dort verwendeten Lehrmethoden der Dozenten, die gestellten Lernaufgaben, die Prüfungsanforderungen und die Arbeitsbelastung der Studierenden auswirken. Die Folgen sind entsprechende wünschenswerte oder weniger wünschenswerte studentische Lernorientierungen.

Was bedeuten diese Ergebnisse für Sie als Lehrende?

Als Dozent oder Dozentin haben Sie es in der Hand, über Ihre Lehrziele (höhere kognitive und affektive Lehrziele), über die Art der Prüfung (Faktenwissen vs. tieferes Verständnis) und über Ihre Lehrstrategien (dozentenzentriert vs. studentenzentriert) die Qualität des studentischen Lernens zu bestimmen.

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