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Einleitung
ОглавлениеAlles schläft,
nur einer spricht, das nennt man
Hochschulunterricht.
ANONYMES GRAFFITO
Die didaktische Ausbildung der Lehrenden an deutschsprachigen Hochschulen bleibt bislang weitgehend dem Zufall überlassen. In der Regel wird das Lehren über die Methode des »cognitive apprenticeship« gelernt, d. h. sie erfolgt nach dem Prinzip der »Meisterlehre«, durch die Beobachtung von Modellen und die anschließende Übertragung in die eigene Lehrpraxis. Von einer systematischen und professionell durchgeführten Aus- und Weiterbildung der Lehrenden zum Themenbereich Lehren und Lernen an der Hochschule kann bislang nicht die Rede sein (Winteler, 2001, 2002).
Überraschenderweise ist die Mehrzahl der Hochschuldozenten dennoch davon überzeugt, dass sie für die Lehrtätigkeit besonders qualifiziert sind. Sie schätzen ihre Lehrleistungen im Durchschnitt mit der Note »gut« ein, während die Studierenden bei der Bewertung ihrer Dozenten deutlich kritischer sind. So geben in der repräsentativen Studie der Hochschul-Informations-Systeme (HIS) zu den Ursachen des Studienabbruchs die 3000 befragten Studienabbrecher (27 % des Studienjahrgangs 2000 / 2001) der Qualität der Lehre in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften und in der Informatik besonders kritische Noten. Auch das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) hat mit einer aktuellen Studie den schlechten Zustand der Beziehung zwischen Hochschulen und Studierenden belegt. Danach haben immerhin mehr als ein Drittel (35 %) der erfolgreichen Absolventen eine ebenso kritische Distanz zu ihrer Hochschule wie Studienabbrecher und Studienwechsler. Als eine der Hauptursachen hierfür ermittelte das CHE in einer Befragung unter rund 6000 Studierenden eine schlechte Bewertung der Qualität der Lehre an den Hochschulen.
Es ist anzunehmen, dass die Selbstüberschätzung der Lehrenden im Hinblick auf die Qualität ihrer Lehre mit den unterschiedlichen Anspruchsniveaus und Bewertungsmaßstäben für die Qualität von Forschung und Lehre zusammenhängt. Die Kriterien, die für die Beurteilung der Forschungsqualität angelegt werden, finden bislang keine Entsprechung in der Beurteilung der Lehrqualität. Auch die Überzeugung, dass exzellente Dozenten als solche geboren werden, oder, wie es ein Teilnehmer in einem unserer Seminare zur Praxis der Präsentation ausgedrückt hat: »Entweder man hat’s oder man hat’s nicht«, ist unter Hochschuldozenten nicht selten anzutreffen. Dies kann u. U. für solche Merkmale wie Humor oder für sozialpersonale Fähigkeiten gelten. Dass Dozenten als Experten oder mit der Kompetenz geboren werden, Lehrveranstaltungen gut vorzubereiten, effiziente Unterrichtsstrategien zu verwenden, funktionierende Lerngruppen zu bilden, Unterrichtsmedien sinnvoll einzusetzen, überhaupt das Management des Unterrichts zu beherrschen, darf füglich bezweifelt werden.
Ein ähnliches und paradoxes Ergebnis zeigt sich, wenn man Lehrende nach den Zielen ihres Hochschulunterrichts befragt. Die meisten Dozenten äußern dann die Überzeugung, neben quantitativen auch qualitative Ziele zu verfolgen, so z. B. die Befähigung zu kritischem Denken, zu Analyse, Synthese, Beurteilung und zum selbständigen Problemlösen. Was sie dann jedoch in ihren Lehrveranstaltungen tatsächlich tun, besteht vor allem darin, umfangreiches Fachwissen an die – dieses Wissen in der Regel passiv aufnehmenden – Studierenden zu übermitteln und anschließend die Quantität des Wissens abzuprüfen.
Für eine qualitative Änderung des Lehrens und des studentischen Lernens ist die »Wiedervereinigung« von Überzeugung und Tun notwendig, die Passung von erklärten Zielen, die in Lehre und Studium angestrebt werden, und Mitteln, mit denen man diese Ziele zu erreichen sucht. Exzellente Lehrende erreichen eine besonders gute Passung. Sie sind »reflexive Praktiker«, die ihre Kompetenz in der Lehre durch ständiges Lernen in ihrer Lehr- und Lernumgebung erworben haben und kontinuierlich weiter erwerben. Sie durchlaufen dabei Lernzyklen, in denen sie eine bestimmte Methode erproben, die Effekte registrieren und dann entscheiden, ob, wann, wie und wo sie effizient eingesetzt werden kann. Was hervorragende Lehrende also auszeichnet, ist die bewusste Reflexion über ihr Tun in der Lehre. Sie wissen nicht nur, was sie tun, sondern auch, warum es erfolgreich ist und warum es in einer bestimmten Lehr- und Lernumgebung angemessen ist und in einer anderen nicht.
Hervorragende Lehrende verfügen darüber hinaus nicht nur über eine weit entwickelte Konzeption ihrer Disziplin, sondern sie sind auch emotional mit ihrem Fachgebiet verbunden, was sich in ihrem Enthusiasmus für das Fach zeigt, wenn sie Studierende unterrichten. Sie verfügen über ein weites Repertoire an Lehr- und Prüfungsmethoden, sind versiert in der Vorbereitung von Lehrveranstaltungen und beherrschen das Management im Unterricht. Darüber hinaus wissen sie, wie Studierende das lernen, was sie in ihrem Fach lehren, und sie entwickeln eine persönliche Beziehung zu ihren Studierenden. Sie betrachten ihr Engagement in der Lehre als etwas, das Sinn für sie macht und das einen hohen Stellenwert einnimmt, weil es ihr Selbstkonzept als autonome, effektive »scholars« festigt und zu persönlicher Befriedigung und Kompetenzerleben in sozialen Lernsituationen führt.
Wenngleich Sie ein Praxisbuch für Lehrende in Händen halten – und die praktischen Anteile überwiegen bei weitem – so ist es doch gleichermaßen notwendig, auf die theoretischen Grundlagen des Lehrens und Lehrens an der Hochschule zumindest soweit einzugehen, dass Sie als Lehrende in der Lage sind, auf veränderte Bedingungen der Lehr- und Lernsituationen angemessen, flexibel und damit professionell reagieren zu können.
Lehren ist eine komplexe Tätigkeit, die inhaltliches Wissen, das Verständnis des menschlichen Verhaltens, das Bewusstsein, wie Studierende lernen, den Einsatz angemessener Lehrstrategien und die Fähigkeit erfordert, dies alles durch effektive Planung zu einem stimmigen Ganzen zusammenzufügen. Wenn Sie Lehren lediglich als ein »Set« von Kompetenzen betrachten, die man erwerben und in die Praxis umsetzen kann, ohne zu verstehen, warum diese Methoden und Techniken zu effektivem Lernen und Lehren führen, dann fehlt Ihnen die notwendige Flexibilität im Fall von veränderten Lehr- und Lernbedingungen. Erst das Verständnis der zugrunde liegenden Unterrichtstheorie ermöglicht es Ihnen als Lehrenden, sich auf Unterschiede zwischen Studierendengruppen einzustellen und adäquat auf veränderte Bedingungen und Lehr- und Lernkontexte zu reagieren. Die entsprechenden Forschungsergebnisse zum Lehren und Lernen an der Hochschule werden dabei für Sie als interessierte Leser so vermittelt, dass sie sowohl verständlich als auch praktisch nutzbar sind.
Noch ein Hinweis zum Aufbau des Buches: Sie können an jeder Stelle »einsteigen«, denn die einzelnen Abschnitte und Kapitel sind als Module aufgebaut, die sie unabhängig voneinander lesen können. Falls notwendig, sind Querverweise zu anderen Kapiteln angegeben, in denen die jeweils angesprochenen Themen vertieft behandelt werden. Wenn ich Ihnen jedoch eine Empfehlung geben darf, dann ist es die, zu Beginn die beiden ersten Kapitel zu studieren. Damit verfügen Sie über eine solide Grundlage, auf der Sie Ihre ganz persönliche Art der Professionalisierung in der Lehre weiter entwickeln können. Anschließend haben Sie die Wahl unter den folgenden Kapiteln:
Die Planung einer Lehrveranstaltung: Orientierung am Lernenden
In diesem Kapitel geht es darum, eine Lehrveranstaltung so zu planen, dass sie dem Prinzip der »Lernerorientierung« folgt (und nicht allein am Stoff und am Dozenten orientiert ist). Gemäß diesem Prinzip tragen die Studierenden die Verantwortung für ihr Lernen, denn die Planungsentscheidungen werden auf der Grundlage von Aktivitäten gefällt, die der Student durchführen muss.
Hochschullehre mit digitaler Projektion
Die Möglichkeiten der digitalen Projektion (Stichwort: Powerpoint) können der Hochschullehre zum Segen oder zum Fluch gereichen. Damit Ihre Präsentationen professionell gestaltet und lernerfreundlich aufbereitet sind, hat Gerhard Lehrberger in seinem Beitrag die wesentlichen Gesichtspunkte so praxisnah zusammengestellt, dass nicht nur Sie, sondern auch Ihre Zuseher und Zuhörer sich auf Ihre nächste Präsentation freuen können.
E-Learning an der Hochschule
In die Möglichkeiten des E-Learnings werden große Hoffnungen gesetzt. Ob diese berechtigt sind und was E-Learning realistischerweise zu guter Hochschullehre beitragen kann, wird von Claudia Geyer näher untersucht. Sie geht auf die Vorteile und Probleme von E-Learning ein, beschreibt bewährte Prinzipien der Gestaltung virtueller Lehrveranstaltungen und gibt Ihnen »Best-practise«-Beispiele von E-Learning an der Hochschule, die Ihnen als Anregungen für eigene Entwicklungen dienen können.
Die Durchführung einer Lehrveranstaltung: Das Lernen ermöglichen
In diesem Kapitel begleite ich Sie durch die kritischen Stationen, die für den Erfolg einer Lehrveranstaltung eine wesentliche Rolle spielen: Die aufregende Situation vor der ersten Stunde, die nicht minder aufregende Situation in der ersten Stunde, die ersten Wochen, der weitere Verlauf während des Semesters und der Abschluss des Semesters mit der Evaluation der Veranstaltung. Besonderes Augenmerk richten wir auf das Kapitel Prüfungen und auf die Lösung von Problemfällen, die während der Veranstaltung auftreten können.
Ein Kapitel für sich: Prüfungen
Prüfungen abzunehmen, gehört zu den zentralen Aufgaben von Lehrenden, in denen Sie über Einzelschicksale entscheiden. Wenn man es genau nimmt, dann sollten Prüfungen wie Testverfahren gestaltet, also objektiv, zuverlässig (reliabel) und gültig (valide) sein. In diesem Kapitel finden Sie Hinweise darüber, wie Sie Ihre Prüfungen so gestalten können, dass Sie sowohl den Anliegen der Prüflinge gerecht werden, als auch den Kriterien für Testverfahren soweit wie möglich genügen.
Zu guter Letzt: Wie war ich? Evaluation
Über Evaluation ist viel geredet und geschrieben worden. Dennoch bleibt sie zumeist folgenlos. Wie Sie die Evaluation Ihrer Lehrveranstaltungen gewinnbringend für die Verbesserung Ihrer eigenen Lehre und des kompetenzorientierten Lernens der Studierenden gestalten können, ist Gegenstand dieses Kapitels. Es enthält auch (Negativ-)Hinweise, wie Sie erreichen können, dass die Studierenden nie wieder zu Ihnen kommen.
Das Metaprinzip: Aktives Lernen
Viele Studierende vergessen rasch das meiste von dem, was sie gelernt haben, sie merken nicht, dass sie wesentliche Konzepte missverstehen, und sie sind häufig unfähig, das, was sie gelernt haben, auf reale Situationen und Probleme anzuwenden (träges Wissen). Dieser »Pathologie des Lernens« wenden wir uns zunächst zu, um dann auf erfolgreiche Therapiemöglichkeiten einzugehen, in diesem Fall auf das Prinzip des aktiven Lernens und des prozessorientierten Lehrens.
Lehrstrategien, die das aktive Lernen fördern
Eine wesentliche Erkenntnis der modernen Lernpsychologie besagt, dass die Aktivitäten der Lernenden wesentlich wichtiger dafür sind, was und wie gelernt wird, als die Aktivitäten der Lehrenden. Lehrmethoden, die das aktive Lernen fördern, können generell auf einer Dimension angeordnet werden, die von starker Dozentenzentrierung bis zu sehr geringer Dozentenzentrierung (d. h. hoher Studentenorientierung) reicht. Im Kapitel gehen wir auf drei Positionen innerhalb dieser Dimension ein: dozentenzentrierter, interaktiver und studentenzentrierter Unterricht. Wir beginnen mit einer klassischen Veranstaltungsform, der Vorlesung, gehen dann über zu Diskussionsveranstaltungen, wie Übungen und Seminaren, und schließen mit dem kooperativen Lernen, dem Teamlernen und dem problemorientierten Lernen ab.
Wie Sie die Qualität des Lernens steigern können
In diesem Kapitel wird die Frage beantwortet, welche Strategien Sie zu welchem Zeitpunkt im Studienverlauf einsetzen können, um die Qualität des Lernens zu steigern. Das Verständnis der intellektuellen Entwicklung der Studierenden im Verlauf des Studiums ermöglicht Ihnen einerseits eine adäquate Einschätzung, welche intellektuellen Leistungen Sie wann von den Studierenden erwarten können, und andererseits, was die Studierenden wann von Ihnen als Lehrende erwarten.
Sieben Grundsätze guter Praxis in der Hochschullehre
Hier geht es darum, Ihnen als Lehrenden detaillierte Rückmeldungen darüber zu geben, inwieweit sie in ihrer Lehre die Grundsätze guter Praxis in der Hochschullehre verwirklicht haben. Diese Grundsätze beziehen sich auf den Kontakt zwischen Studierenden und Dozenten, die Kooperation zwischen den Studierenden, aktives Lernen, prompte Rückmeldung, studienbezogene Tätigkeiten, hohe Ansprüche an die Lernenden sowie auf unterschiedliche Fähigkeiten und Lernwege.
Die Zukunft des Lehrens und Lernens
Im letzten Kapitel werfen wir einen Blick auf die veränderten Rollen der Lehrenden und Lernenden, die sich ergeben, wenn professionell unterrichtet wird, und stellen einige Überlegungen darüber an, wie die Professionalisierung in der Hochschullehre weiterentwickelt werden kann.
Ich wünsche Ihnen viel Freude beim Studium der ausgewählten Kapitel dieses Buches und bei der Reflexion darüber, wie Sie dies alles auf effiziente und elegante Weise in Ihre eigene Lehrtätigkeit integrieren können. Ich selbst freue mich schon jetzt auf die kritischen, kreativen und konstruktiven Rückmeldungen, die Sie mir hoffentlich nach der Lektüre zukommen lassen.