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Erstes bis fünftes Bändchen
Dreizehntes Kapitel.
Die hundert Tage
ОглавлениеHerr Noirtier war ein guter Prophet, und die Dinge nahmen, wie er es vorher gesagt hatte, einen raschen Gang. Jedermann kennt diese Rückkehr von der Insel Elba, eine seltsame, wunderbare Rückkehr, welche in der Vergangenheit kein Beispiel hatte und in der Zukunft wohl ohne Nachahmung bleiben wird.
Ludwig XVIII. versuchte es nur schwach, diesen harten Schlag zu parieren. Das geringe Vertrauen, das er zu den Menschen hatte, benahm ihm auch sein Vertrauen zu den Ereignissen. Das Königtum, oder vielmehr die Monarchie zitterte, kaum durch ihn wiederhergestellt, auf ihrer unsicheren Grundlage, und eine einzige Gebärde des Kaisers machte das ganze Gebäude eine gestaltlose Mischung von Vorurteilen und neuen Gedanken. einstürzen.
Villefort besaß also von seinem König nicht nur einen für den Augenblick unnützen, sondern sogar gefährlichen Dank, und er war so klug, das Offizierskreuz der Ehrenlegion Niemand zu zeigen, obgleich Herr von Blacas, dem Befehle des Königs gehorsam, ihm das Patent hatte sorgfältig ausfertigen lassen.
Napoleon hätte gewiss Villefort ohne den Schutz von Noirtier abgesetzt, der an dem Hofe der hundert Tage sowohl durch die Gefahren, denen er Trotz geboten, als durch die Dienste, die er geleistet hatte, allmächtig geworden war. Der Girondist von 93 und der Senator von 1806 beschützte, wie er es zugesagt, denjenigen, welcher ihn zuvor beschützt hatte.
Der Staatsanwalt allein wurde, der Lauigkeit im Bonapartismus verdächtig, abgesetzt.
Kaum war jedoch die kaiserliche Gewalt wiederhergestellt, das heißt, kaum bewohnte der Kaiser wieder die von Ludwig XVIII. kurz zuvor verlassenen Tuilerien und hatte seine zahlreichen und abweichenden Befehle aus dem kleinen Cabinet geschleudert, in welches wir unsere Leser mit Villefort einführten, und auf dessen Nußbaumtische er noch geöffnet und halbvoll die Tabacksdose von Ludwig XVIII. fand, als Marseille, trotz der Haltung seiner Beamten, fühlte, wie in seinem Innern die stets im Süden schlecht erloschenen Fackeln des Bürgerkrieges sich von Neuem zu entzünden drohten. Es fehlte nicht viel, und die Repressalien hätten die Katzenmusiken, mit denen man die in ihren Wohnungen eingeschlossenen Royalisten belagerte, und die öffentlichen Schmähungen überschritten, womit diejenigen verfolgt wurden, welche sich auf die Straße wagten.
Durch eine ganz natürliche Wendung der Dinge sah sich der würdige Reeder, den wir als der Volkspartei angehörend bezeichnet haben, in diesem Augenblick, wir sagen nicht allmächtig, denn Herr Morrel war ein kluger und etwas schüchterner Mann, wie alle diejenigen, welche langsam und durch Fleiß ihr Glück im Handel gemacht haben, sondern im Stande, wie sehr er auch von den eifrigen Bonapartisten überragt wurde, die ihn als einen Gemäßigten behandelten, im Stande, sagen wir, eine Reclamation hören zu lassen: diese Reclamation betraft wie sich leicht denken läßt, Dantes.
Villefort war, trotz des Sturzes seines Vorgesetzten, an seiner Stelle geblieben, , seine Verheiratung aber wurde, obwohl man sie als entschieden betrachtetet auf glücklichere Zeiten verschoben. Behielt der Kaiser den Thron, so bedurfte Gérard einer anderen Verbindung, und sein Vater übernahm es, sie für ihn zu finden; führte eine zweite Restauration Ludwig XVIII. nach Frankreich zurück, so verdoppelte sich der Einfluß von Herrn von Saint-Meran, wie der seinige, und die beabsichtigte Verbindung wurde wünschenswerter, als je.
Der Substitut des Staatsanwaltes war also für den Augenblick der erste Beamte von Marseille, als eines Morgens seine Thüre sich öffnete und man ihm Herrn Morrel ankündigte.
Ein Anderer wäre dem Reeder entgegengeeilt und hätte durch diese Eile seine Schwäche verraten; aber Villefort war ein erhabener Mann, der, wenn auch nicht die praktische Übung in allen Dingen, doch den Instinkt derselben besaß. Er ließ Herrn Morrel im Vorzimmer warten, wie er dies unter der Restauration getan hätte, obgleich Niemand bei ihm war. sondern nur aus dem einfachen Grunde, weil es herkömmlich ist, daß ein Substitut des Staatsanwaltes im Vorzimmer warten läßt; nach einer Viertelstunde, die er dazu anwandte, ein paar Zeitungen von verschiedener Farbe zu lesen. befahl er, den Reeder einzuführen.
Herr Morrel erwartete Villefort niedergeschlagen zu finden: er fand ihn, wie er ihn in sechs Wochen vorher gesehen hatte, das heißt. Ruhig, fest und voll jener kalten Höflichkeit, der unübersteigbarsten von allen Schranken, welche den erhabenen Menschen vom gewöhnlichen Menschen trennen.
Er war in das Cabinet von Villefort gekommen, überzeugt, der Beamte würde bei seinem Anblick zittern, und er war es im Gegenteil, der sich ganz schaudernd und bewegt der richterlichen Person gegenüber befand, die ihn den Ellbogen auf den Schreibtisch und das.Kinn auf die Hand gestützt erwartete.
Er blieb an der Thüre stille stehen. Villefort schaute ihn an, als ob er Mühe hätte, ihn wiederzuerkennen. Endlich nach einigen Sekunden des Stillschweigens und der Prüfung, während welcher Herr Morrel seinen Hut in den Händen hin und her drehte, sagte Villefort: Herr Morrel, wenn ich mich nicht täusche?«
»Ja. mein Herr, ich selbst.« antwortete der Reeder.
»Nähern Sie sich,« fuhr der Beamte fort, indem er mit der Hand ein Protectorszeichen machte, »und sagen Sie mir, welchem Umstande ich die Ehre Ihres Besuches zu verdanken habe?«
»Vermuthen Sie es nicht, mein Herr?« fragte Morrel.
»Nein, keines Wegs; dessen ungeachtet bin ich ganz geneigt, Ihnen gefällig zu sein, wenn es in meiner Macht liegt.«
»Die Sache hängt gänzlich von Ihnen ab, mein Herr.« sprach Morrel.
»Erklären Sie sich also.«
»Mein Herr,« sagte der Reeder, der immer mehr Sicherheit gewann, je länger er sprach, und überdieß durch die Gerechtigkeit seiner Sache und die Unzweideutigkeit seiner Stellung fest war. »Sie erinnern sich. daß ich einige Tage, ehe man die Landung Seiner Majestät des Kaisers erfuhr, zu Ihnen kam und Sie um Nachsicht für einen unglücklichen jungen Menschen, einen Seemann, Second an Bord meiner Brigg, bat; man hatte ihn angeklagt, er stehe in Verbindung mit der Insel Elba: eine solche Verbindung, welche damals ein Verbrechen war, ist gegenwärtig ein Titel auf Bevorzugung. Sie dienten zu jener Zeit Ludwig XVIII. und haben ihn nicht geschont; das war Ihre Pflicht.« Heute dienen Sie Napoleon, und Sie müssen ihn in Schutz nehmen; das ist abermals Ihre Pflicht. Ich komme also, um Sie zu fragen, was aus ihm geworden ist?«
Villefort machte eine gewaltige Anstrengung gegen sich selbst und erwiderte:
»Der Name dieses jungen Mannes? haben Sie die Güte. mir seinen Namen zu sagen.«
»Edmond Dantes.«
Villefort hätte offenbar lieber in einem Zweikampfe gegen das Feuer seines Widersachers Stand gehalten, als diesen Namen so geradezu aussprechen hören; er veränderte jedoch keine Miene. »Auf diese Art.« sprach Villefort zu sich selbst, kann man mich nicht beschuldigen, ich habe aus der Verhaftung des jungen Mannes eine persönliche Frage gemacht.«
»Dantes?« wiederholte er. »Edmond Dantes* sagen Sie?«
»Ja, mein Herr.«
Villefort öffnete nun ein dickes Register, das in einem nahen Fache lag, ging hiernach an einen Tisch, von dem Tische zu einem Haufen von Actenfascikeln, und sagte, sich gegen den Reeder umwendend, mit einer äußerst unschuldigen Miene:.
Sind Sie Ihrer Sache ganz gewiss mein Herr?«
Wäre Morrel ein schlauerer und in dieser Sache besser unterrichteter Mann gewesen, so würde er es seltsam gefunden haben, daß sich der Substitut des Staatsanwaltes herbeiließ, ihm in einer Angelegenheit zu antworten, welche seinem Geschäftskreise gänzlich fremd war, und er müßte sich gefragt haben, warum ihn Villefort nicht an die Gefangenen-Register, an den Gefängnisgouverneur oder an den Präfecten des Departement verwies. Aber vergeblich bei Villefort Furcht suchend, sah Morrel, sobald gar keine Furcht vorhanden zu sein schien, hierin nur noch Höflichkeit: Villefort hatte es richtig getroffen.
»Nein, mein Herr, ich täusche mich nicht,« sprach Morrel; »überdies kenne ich den armen Jungen seit zehn Jahren, und seit vier Jahren ist er in meinem Dienste. Sie werden sich erinnern, daß ich vor sechs Wochen zu Ihnen gekommen bin und Sie um Milde gebeten habe, wie ich heute komme und Sie um Gerechtigkeit für den armen Jungen bitte. Sie empfingen mich damals ziemlich schlecht, und antworteten mir als ein unzufriedener Mann. Ah! die Royalisten waren zu jener Zeit sehr hart gegen die Bonapartisten!«
»Mein Heer,« antwortete Villefort, der mit seiner gewöhnlichen Behendigkeit und.Kaltblütigkeit zu einer geschickten Parade gelangte, »ich war damals Royalist, weil ich die Bourbonen nicht allein für die gesetzlichen Erben des Thrones, sondern auch für die Auserwählten der Nation hielt. Aber die wunderbare Rückkehr, deren Zeugen wir gewesen sind, hat mir bewiesen, daß ich mich täuschte. Das Genie Napoleons hat den Sieg davon getragen: der gesetzliche Monarch ist der geliebte Monarch.«
»Vortrefflich!« rief Morrel mit seiner plumpen Offenherzigkeit, »es freut mich unendlich. daß Sie so sprechen, und ich sehe darin ein gutes Vorzeichen für das Schicksal von Edmond.«
»Warten Sie doch,« versetzte Villefort, in einem neuen Register blätternd, »ich habe es. Es ist ein Seemann, nicht wahr, der eine Catalonierin heiratete? Ja, ja; oh, ich erinnere mich jetzt, die Sache war sehr ernster Natur.«
»Wie so?«
»Sie wissen, daß er, als er von mir wegging, in das Gefängnis des Justizpalastes geführt wurde.«
»Ja; und dann?«
»Und dann habe ich meinen Bericht nach Paris gemacht und die Papiere, die man bei ihm fand, abgeschickt. Es war meine Pflicht, und acht Tage nach seiner Verhaftung wurde der Gefangene weggeführt.«
»Weggeführt!« rief Morrel. »Aber was konnte man mit dem armen Jungen machen?«
»Oh! beruhigen Sie sich. Man wird ihn nach Fenestrelles, nach Pignerol oder auf die Sainte-Marguerite-Inseln transportiert haben, und an einem schönen Morgen werden Sie ihn zurückkehren und das Commando seines Schiffes übernehmen sehen.«
»Er mag kommen, wann er will, seine Stelle bleibt ihm vorbehalten. Doch warum ist er noch nicht zurückgekehrt? Es scheint mir, es hätte die erste Sorge der bonapartistischen Gerechtigkeit sein müssen, diejenigen in Freiheit zu setzen, welche die royalistischen Gerichte eingekerkert hatten.«
»Keine vermessene Anschuldigung. mein lieber Herr,« erwiderte Villefort; »man muß in allen Dingen auf gesetzlichem Wege verfahren. Der Einkerkerungsbefehl war von oben gekommen, der Freilassungsbefehl muß auch von oben kommen. Napoleon aber ist erst seit vierzehn Tagen zurückgekehrt, und die Begnadigungsbriefe können kaum ausgefertigt sein.«
»Gibt es denn kein Mittel,« fragte Morrel, »um die Förmlichkeiten zu beschleunigen, jetzt, da wir triumphiren? Ich habe verschiedene Freunde und einigen Einfluß; ich vermag die Aufhebung des Spruches zu erlangen.«
»Es fand kein Spruch statt.«
»Aber es muß doch eine Gefangenen-Liste geben.«
»Bei politischen Dingen gibt es keine Gefangenen-Listen. Die Regierungen haben oft ein Interesse, einen Menschen verschwinden zu lassen, ohne daß eine Spur von seinem Vorhandensein übrig bleibt.«
»Dies war unter den Bourbonen so, doch jetzt . . . «
»Das ist zu allen Zeiten so, Herr Morrel, Die Regierungen folgen sich und gleichen sich. Die unter Ludwig XIV. in Thätigkeit gesetzte Strafmaschine ist noch heutigen Tages beinahe bis auf die Bastille im Gang. Der Kaiser war stets strenger in Beziehung auf die Vorschriften seiner Gefängnisse, als es der große König selbst gewesen ist, und die Zahl der Eingekerkerten, von denen die Register keine Spur bewahren, ist unberechenbar.«
So viel Wohlwollen würde auch von einer Gewißheit abgebracht haben, und Morrel hegte nicht den geringsten Verdacht mehr.
»Aber, Herr von Villefort,« sagte er, »welchen Rath würden Sie mir zum Behuf der Beschleunigung der Rückkehr des armen Dantes eben?«
»Einen einzigen, mein Herr: machen Sie eine Bittschrift an den Justizminister.«
»Oh! mein Herr, wir wissen, was die Bittschriften bedeuten. Der Minister empfängt zweihundert täglich und liest keine vier.«
»Ja,« erwiderte Villefort, »aber er wird eine von mir abgeschickte, von mir mit Randglossen versehene, und unmittelbar durch mich adressierte lesen.«
»Und Sie wollen es übernehmen, diese Bittschrift an ihre Stelle gelangen zu lassen?«
»Mit dem größten Vergnügen. Dantes konnte damals schuldig sein, heute ist er unschuldig, und es ist meine Pflicht, demjenigen die Freiheit wiederzugeben, welchen ich in das Gefängnis zu setzen verpflichtet war.«
Villefort kam auf diese Art der Gefahr einer nicht sehr wahrscheinlichen, aber doch möglichen Untersuchung zuvor, die ihn zu Grunde gerichtet haben müßte.«
»Doch wie schreibt man an den Minister?«
»Setzen Sie sich hierher, Herr Morrel,« sprach Villefort, dem Reeder seinen Platz abtretend, »ich will Ihnen dictiren.«
»Sie wollten diese Güte haben?«
»Allerdings, Verlieren wir keine Zeit, wir haben bereits zu viel verloren.«
»Ja, mein Herr, wir müssen bedenken, daß dieser junge Mann wartet, leidet, und vielleicht verzweifelt.«
Villefort bebte bei dem Gedanken an den in der Stille und Finsternis ihn verfluchenden Gefangenen; aber er war zu weit gegangen, um zurückweichen zu können: Dantes sollte in dem Räderwerke seines Ehrgeizes zermalmt werden.
»Ich warte, mein Herr,« sprach Herr Morrel, in dem Fauteuil von Herrn von Villefort sitzend und eine Feder in der Hand.
Villefort dictirte nun eine Bittschrift, in welcher er in einer vortrefflichen Absicht, woran sich gar nicht zweifeln ließ, den Patriotismus von Dantes und die von ihm der bonapartistischen Sache geleisteten Dienste übertrieb. In dieser Bittschrift war Dantes einer der thätigsten Agenten für die Rückkehr von Napoleon geworden; wenn der Minister dieses Papier in die Hände bekam, mußte er ihm notwendig sogleich Gerechtigkeit widerfahren lassen, war diese Gerechtigkeit nicht bereits eingetreten.
Sobald Villefort die Bittschrift zu Ende dictirt hatte, überlas er sie mit lauter Stimme.
»So ist es gut,« sagte er, »und nun verlassen Sie sich auf mich.«
»Und diese Eingabe wird bald abgehen, mein Herr.«
»Noch heute.«
»Mit meinem Beiberichte von Ihnen?«
»Der beste Beibericht, den ich anzufügen im Stande bin, mein Herr, besteht darin, daß ich Alles, was Sie in dieser Bittschrift sagen, bestätige.«
Villefort setzte sich nun ebenfalls und schrieb auf eine Ecke der Eingabe sein Certificat.
»Was soll ich nun weiter tun, mein Herr?« sagte Morrel.
»Warten,« versetzte Villefort, »ich stehe für Alles.«
Diese Versicherung gab Morrel die Hoffnung wieder. Er verließ den Substitut des Staatsanwaltes entzückt von ihm, und kündigte dem alten Vater von Dantes an, er wurde seinen Sohn bald wiedersehen.
Villefort aber, statt diese Bittschrift nach Paris zu schicken, behielt sie in seinen Händen. Er verwahrte sorgfältig ein Papier, das, um Dantes in der Gegenwart zu retten, ihn so furchtbar für die Zukunft gefährdet haben würde, wenn man Eines voraussetzte, was das Angesicht von Europa und die Wendung der Ereignisse bereits vorauszusehen gestatteten, das heißt, eine zweite Restauration.
Dantes blieb also gefangen, verloren in der Tiefe seines Kerker, hörte er nicht das furchtbare Geräusch von dem Sturze des Thrones von Ludwig XVIII. und das noch furchtbarere von dem Zusammenbrechen des Kaiserreiches.
Villefort aber hatte Alles mit wachsamem Auge verfolgt, Alles mit aufmerksamem Ohre gehört. Zwei. mal war während dieser kurzen kaiserlichen Erscheinung, die man die hundert Tage nannte, Morrel, auf die Freilassung von Dantes dringend, zu ihm gekommen, und jedes Mal hatte ihn Villefort durch Versprechungen und Hoffnungen beschwichtigt. Endlich trat Waterloo ein. Morrel zeigte sich nicht mehr bei Villefort. Der Reeder hatte für seinen jungen Freund Alles getan, was Menschen zu tun möglich war. Neue Versuche unter dieser zweiten Restauration machen hieß sich vergeblich gefährden.
Ludwig XVIII. bestieg wieder den Thron. Villefort, für welchen Marseille voll von Erinnerungen war, die ihm zuweilen zu Gewissensbissen wurden., erbat sich und erhielt die unbesetzte Stelle des Staatsanwaltes in Toulouse. Vierzehn Tage nach seiner Einsetzung in seinem neuen Wohnorte heiratete er Fräulein von Saint-Meran, deren Vater bei dem Hofe höher in Gunst stand. als je.
So verharrte Dantes während der hundert Tage und nach Waterloo unter Schloß und Riegel. wenn nicht von den Menschen, doch wenigstens von Gott vergessen.
Danglars fühlte das ganze Gewicht des Schlages, den er Dantes beigebracht hatte, als er Napoleon nach Frankreich zurückkehren sah. Seine Denunciation hatte das Ziel nicht verfehlt, und er nannte, wie alle Menschen von einem gewissen Hange zum Verbrechen und mittelmäßigen Geistesgaben für das gewöhnliche Leben, dieses seltsame Zusammentreffen einen Beschluß der Vorsehung.
Als aber Napoleon wieder in Paris war und seine Stimme abermals mächtig und gebieterisch ertönte, hatte Danglars bange. Er erwartete jeden Augenblick, Dantes wiedererscheinen zu sehen. Dantes. welcher Alles wußte. Dantes drohend und stark zu jeder Rache. Er eröffnete deshalb Herrn Morrel seinen Wunsch. Den Seedienst zu quittieren, und ließ sich von ihm an einen spanischen Kaufmann empfehlen, bei dem er gegen das Ende des Monats März, das heißt, zehn oder zwölf Tage nach der Rückkehr von Napoleon in die Tuilerien. als Commis eintrat. Danglars reiste nach Madrid ab, und man hörte nichts mehr von ihm.
Fernand begriff nichts von Allem. Dantes war abwesend, mehr brauchte er nicht. Was war aus ihm geworden? Er suchte es nicht zu erfahren. Nur sann er während der ganzen Frist die ihm seine Abwesenheit gewährte, beständig auf Mittel, teils um Mercedes über die Beweggründe seiner Abwesenheit zu täuschen, teils um Auswanderungs- und Entführungspläne in das Werk zu setzen. Von Zeit zu Zeit, und dies waren die düsteren Stunden seines Lebens, setze er sich wohl auch auf die Spitze des Cap Pharo, von wo aus man zugleich Marseille und das Dorf der Catalonier unterscheidet, und schaute traurig und unbeweglich wie ein Raubvogel hinaus, ob er nicht den jungen Mann mit dem freien Gange, mit dem hoch aufgerichteten Kopfe erblicken würde, der auch für ihn der Bote einer schweren Rache geworden war. Dann war der Plan von Fernand festgestellt. Er wollte Dantes mit einem Flintenschusse den Schädel zerschmettern und sich hernach selbst töten, wie er sich sagte, um keinen Mord zu beschönigen. Aber Fernand täuschte sich: dieser Mensch hätte sich nie getötet, denn er hoffte immer noch.
Mittlerweile und unter so schmerzlichen Vorgängen rief das Kaiserreich einen neuen Heerbann auf, und Alles, was sich in Frankreich an waffenfähiger Mannschaft vorfand, eilte auf die mächtige Stimme des Kaisers herbei.
Fernand ging wie die Andern ab. Er verließ feine Hütte und Mercedes zermartert von dem grausamen Gedanken, daß sein Nebenbuhler vielleicht hinter ihm zurückkommen und diejenige, welche er liebte, heiraten wurde.
Hätte sich Fernand je töten sollen, so müßte er es bei der Trennung für Mercedes getan haben.
Seine Aufmerksamkeiten für Mercedes, das Mitleid, das er ihrem Unglück zu Teil werden zu lassen schien, die Sorge, mit der er ihren geringsten Wünschen zuvorkam, hatten die Wirkung hervorgebracht, welche auf edle Herzen der Schein der Ergebenheit immer hervordringt. Mercedes hatte stets eine Freundschaftliche Zuneigung für Fernand gehegt; ihre Freundschaft für ihn vermehrte sich durch ein neues Gefühl, durch die Dankbarkeit.
»Mein Bruder,« sagte sie, den Ranzen des Rekruten auf den Schultern des Cataloniers befestigend, »mein Bruder, mein einziger Freund, laßt Euch nicht töten, laßt mich nicht allein in dieser Welt, wo ich weine und völlig vereinzelt sein werde, sobald Ihr nicht mehr lebt.«
Diese Worte, im Augenblick der Trennung gesprochen, gewährten Fernand wieder einige Hoffnung. Wenn Dantes nicht zurückkam, konnte Mercedes eines Tages die Seinige werden.
Mercedes blieb allein auf dieser kahlen Erde, die ihr nie so unfruchtbar vorgekommen war, allein mit dem unermeßlichen Meere als Horizont. Ganz in Tränen gebadet, wie jene Wahnsinnige, von der uns die schmerzliche Geschichte erzählt, sah man sie beständig um das kleine Dorf der Catalonier her irren. Bald stand sie unter der glühenden Sonne des Südens; unbeweglich stumm wie eine Bildsäule, und schaute nach Marseille; bald saß sie am Rande des Gestades, horchte auf das Stöhnen des Meeres, so ewig wie ihr Schmerz, und fragte sich, ob es nicht besser wäre, sich vorwärts zu beugen, sich seinem eigenen Gewichte zu überlassen, den Abgrund zu öffnen und sich darein zu versenken, statt alle die traurigen Wechselfälle einer hoffnungslosen Erwartung zu ertragen.
Es fehlte Mercedes nicht an Mut, dieses Vorhaben zu verwirklichen, aber die Religion kam ihr zu Hilfe und bewahrte sie vor dem Selbstmord.
Caderousse wurde aufgerufen wie Fernand, da er jedoch verheiratet und acht Jahre älter war, als der Catalonier, gehörte er zu dem dritten Aufgebote und wurde nach der Küste geschickt.
Der alte Dantes, den nur die Hoffnung aufrecht erhalten hatte, verlor diese bei dem Sturze des Kaisers. Gerade an dem Tage, fünf Monate, nachdem er von seinem Sohne getrennt worden war, und beinahe zu derselben Stunde, wo man ihn verhaftet hatte, gab er in den Armen von Mercedes den Geist auf.
Herr Morrel übernahm alle Kosten seiner Beerdigung und bezahlte die armseligen Schulden, die der Greis während seiner Krankheit gemacht hatte.
Es war mehr als Wohltätigkeit, so zu handeln, es gehörte Mut dazu. Der Süden stand in Flammen, und den Vater eines so gefährlichen Bonapartisten, wie Dantes selbst auf dem Totenbette unterstützen war ein Verbrechen.