Читать книгу Der Graf von Monte Christo - Александр Дюма - Страница 19
Erstes bis fünftes Bändchen
Neunzehntes Kapitel.
Der dritte Anfall
ОглавлениеNun, da dieser Schatz, welcher der Gegenstand so langen Nachsinnens des Abbé gewesen war, das zukünftige Glück desjenigen sichern könnte, welchen er wirklich wie seinen Sohn liebte, hatte er in seinen Augen einen doppelten Wert; jeden Tag verweilte er bei dem Betrage dieses Schatzes und setzte Dantes auseinander, was ein Mensch in unseren Zeiten mit einem Vermögen von dreizehn bis vierzehn Millionen seinen Freunden Gutes tun könnte; dann verfinsterte sich das Antlitz von Dantes, denn sein Racheschwur mit vor sein Inneres, und er bedachte, wie viel Schlimmes in unseren Zeiten ein Mensch mit einem Vermögen von dreizehn bis vierzehn Millionen seinen Feinden zuzufügen vermochte.
Der Abbé kannte die Insel Monte Christo nicht, aber Dantes kannte sie, er war oft an dieser Insel vorübergekommen, welche fünf und zwanzig Meilen von Pianosa zwischen Corsica und der Insel Elba liegt, und einmal hatte er daselbst auch angehalten. diese Insel war, ist immer gewesen, und ist noch völlig öde; es ist ein Felsen von beinahe conischer Form, der, wie es scheint, durch irgend einen vulkanischen Ausbruch aus der Tiefe des Abgrundes auf die Oberfläche des Meeres empor getrieben wurde. Dantes entwarf Faria einen Plan der Insel, und Faria gab Dantes Rathschläge über die Mittel, welche anzuwenden wären, um den Schatz wiederzufinden.
Aber Dantes war entfernt nicht so enthusiastisch und vertrauensvoll wie der Greis; allerdings hatte er sich nun überzeugt, daß Faria kein Verrückter war, und die Art, wie er die Entdeckung gemacht; der zu Folge man ihn für einen Wahnwitzigen gehalten hatte, vermehrte noch seine Bewunderung für ihn; er konnte jedoch nicht glauben, daß das vergrabene Gut, angenommen, es habe bestanden, noch bestehe, und wenn er den Schatz auch nicht als chimärisch betrachtete, so betrachtete er ihn doch als abwesend. Doch als wollte das Geschick die Gefangenen ihrer letzten Hoffnung berauben und ihnen begreiflich machen; sie waren zu einer ewigen Gefangenschaft verurteilt, traf sie ein neues Unglück: die Galerie am Rande des Meeres, welche seit langer Zeit einzustürzen drohte, war wieder aufgebaut worden; man hatte die Schichten wiederhergestellt und mit ungeheuren Felsblöcken das von Dantes bereits halb gefüllte Loch verstopft; ohne diese Vorsichtsmaßregel von Dantes, welche dem jungen Manne, wie man sich erinnert, von dem Abbé geraten wurde, wäre ihr Unglück noch viel größer gewesen, denn man hatte ihren Entweichungsversuch entdeckt und sie unzweifelbar getrennt. Eine neue Thüre, stärker, unerbittlicher als die anderen; hatte sich also vor ihnen geschlossen.
»Sie sehen,« sagte Dantes mit sanfter Traurigkeit, zu Faria, »Sie sehen, daß mir Gott sogar das Verdienst dessen, was Sie meine Ergebenheit für Sie nennen, nehmen will. Ich habe Ihnen versprochen, ewig bei Ihnen zu bleiben; und es steht mir nun nicht mehr frei, mein Versprechen zu halten; ich werde den Schatz eben so wenig haben, als Sie, und wir sollen weder der Eine noch der Andere von hier wegkommen. Übrigens mein wahrer Schatz, Freund, derjenige, welcher mich unter den düsteren Mauern dieses Gefängnisses erwartete, ist Ihre Gegenwart, ist unser Zusammensein fünf bis sechs Stunden täglich, trotz unserer Kerkermeister. Es sind die Verstandesstrahlen, die Sie in mein Gehirn ergossen, es sind die Sprachen, die Sie in mein Gedächtnis gepflanzt haben und die nun mit allen ihren philologischen Verzweigungen emportreiben. Die verschiedenen Wissenschaften, die Sie mir durch die tiefen Kenntnisse welche Sie davon besitzen, und durch die Schärfe der Grundsätze, auf welche Sie dieselben zurückführten, so leicht machten, sie sind mein Schatz, Freund, darin haben Sie mich reich und glücklich gemacht. Glauben Sie mir und trösten Sie sich, dies ist für mich mehr wert als Tonnen Goldes und Kisten voll Diamanten, und wären sie auch nicht problematisch wie jene Wolken, die man am Morgen über dem Meere, schweben sieht, die man für festes Land hält, während sie sich verdunsten, verflüchtigen und verschwinden, wenn man ihnen näher kommt. Sie so lange als möglich bei mir haben, Ihre beredte Stimme hören, meinen Geist schmücken, mein Gemüth stählen, meine ganze Organisation zu großen und furchtbaren Dingen fähig machen, wenn ich je frei werde, sie so gut ausführen, daß die Verzweiflung, der ich mich überlassen wollte, als ich Sie kennen lernte, keinen Platz mehr findet, das ist mein Vermögen; und es ist nicht chimärisch, ich habe es Ihnen wirklich zu verdanken, und alle Fürsten der Erde, und wären es lauter Cesare Borgia, vermöchten es mir nicht zu entreißen.«
Die darauf folgenden Tage waren auch für die zwei Unglücklichen, wenn nicht gerade glückliche Tage, doch wenigstens Tage, weiche schnell vergingen. Faria, der so lange Zeit das tiefste Stillschweigen über den Schatz beobachtet hattet kam jetzt bei jeder Gelegenheit darauf zu sprechen. Er blieb, wie er es vorhergesehen, am rechten Arme und am linken Beine gelähmt, und verlor beinahe jede Hoffnung, jemals wieder davon Gebrauch machen zu können; aber er träumte beständig für seinen jungen Gefährten entweder eine Befreiung oder eine Entweichung, und er ergötzte sich dann daran für ihn. Aus Furcht, die Schrift könnte eines Tages verloren gehen, nötigte er Dantes, sie auswendig zu lernen, und Dantes konnte sie auch von dem ersten bis zum letzten Worte auswendig. Dann zerstörte er den zweiten Teil, fest überzeugte daß man den ersten finden und sich desselben bemächtigen könnte, ohne den wahren Sinn zu erraten. Zuweilen gingen ganze Stunden damit hin, daß Faria Dantes Lehren gab, welche ihm am Tage seiner Freiheit ersprießlich sein müßten. Von dem Tage, von der Stunde, von dem Augenblicke seiner Befreiung an sollte er nur noch einen einzigen Gedanken haben, den, Monte Christo durch irgend ein Mittel zu erreichen, dort unter einem Vorwande, der keinen Verdacht erregen würde, zu bleiben, und einmal daselbst, einmal allein, die wunderbaren Grotten wiederzufinden suchen und den bezeichneten Ort zu durchforschen; der bezeichnete Ort war, wie man sich erinnert, der entfernteste Winkel der zweiten Öffnung.
Mittlerweile vergingen die Stunden, wenn nicht rasch, doch wenigstens erträglich; ohne den Gebrauch seiner Hand und seines Beines wiedergefunden zu haben, hatte Faria doch die ganze Schärfe seines Geistes wiedererlangt, und allmälig, außer den von uns erwähnten moralischen Kenntnissen, seinem jungen Gefährten das geduldige und erhabene Gewerbe des Gefangenen beigebracht, der aus nichts etwas zu machen weiß. Faria suchte sich zu beschäftigen, aus Furcht sich altern zu sehen, Dantes aus Furcht, sich seiner beinahe erloschenen Vergangenheit zu erinnern, welche in der Tiefe seines Gedächtnisses schwebte, wie ein fernes in der Nacht sich verlierendes Bild; Alles ging somit wie bei jenen Existenzen; woran das Unglück nichts verändert hat und welche maschinenmäßig und ruhig unter dem Auge der Vorsehung verlaufen. Doch unter dieser ruhigen Oberfläche gab es in dem Herzen des jungen Mannes und in dem des Greises vielleicht viele zurückgehaltene Ergüsse, viele zurückgedämmte Seufzer, welche zu Tage ausgingen; wenn Faria allein war und Edmond sich in seine, Zelle zurückgezogen hatte.
In einer Nacht erwachte Edmond plötzlich und glaubte sich rufen gehört zu haben. Er öffnete die Augen und suchte die dichte Finsternis zu durchdringen. Sein Name oder vielmehr eine klagende Stimme; welche seinen Namen zu artikulieren sich bemühte; gelangte bis zu ihm. Er erhob sich in seinem Bette und horchte; Angstschweiß auf der Stirne. Es unterlag keinem Zweifel mehr; die Klage kam aus dem Kerker seines Gefährten.
»Großer Gott!« murmelte Dantes; »sollte es. .?«
Und er verrückte sein Bett; zog den Stein heraus; eilte in den Gang und gelangte zu dem entgegengesetzten Ende; die Platte war aufgehoben. Bei dem Schimmer der ungestalten, flackernden Lampe, von der wir früher gesprochen haben; sah Edmond den Greis bleich; noch stehend und sich an dem Holze seines Bettes anklammernd. Seine Züge waren verstört durch die Dantes bereits bekannten Symptome; welche ihn so sehr erschreckt hatten; als er sie zum ersten Male wahrnahm.
»Nun; mein Freund,« sagte Faria gelassen»;nicht wahr; Sie begreifen; und ich brauche Ihnen nichts zu erklären?«
Edmond stieß einen schmerzlichen Schrei aus; stürzte völlig den Kopf verlierend nach der Thüre und rief:
»Zu Hilfe! zu Hilfe!«
Faria hatte noch die Kraft; ihn am Arme zurückzuhalten.
»Stille!« sagte er; »oder Sie sind verloren. Wir wollen nur an Sie denken, mein Freund. um Ihre Gefangenschaft erträglich oder Ihre Flucht möglich zu machen. Sie brauchten Jahre, um alles das allein wiederherzustellen, was ich hier gemacht habe, und was auf der Stelle zerstört würde, wenn unsere Wächter von unserem Einverständniß Kenntnis bekämen. Seien Sie übrigens unbesorgt, mein Freund, das Gefängnis, welches ich verlasse, wird nicht lange leer bleiben; ein anderer Unglücklicher wird meinen Platz einnehmen. Diesem Anderen werden Sie wie ein rettender Engel erscheinen. Vielleicht ist er jung, stark und geduldig wie Sie, und kann Sie in Ihrer Flucht unterstützen, während ich sie verhinderte. Sie werden nicht mehr einen halben Leichnam an sich gefesselt haben, um alle Ihre Bewegungen zu lähmen, Gott tut offenbar endlich etwas für Sie; er gibt Ihnen mehr, als er Ihnen nimmt, und es ist Zeit, daß ich sterbe.«
Edmond vermochte nur die Hände zu falten und auszurufen:
»Oh! mein Freund, mein Freund. schweigen Sie!«
Dann seine durch diesen unvorhergesehenen Schlag einen Augenblick erschütterten Kräfte, und seinen durch die Worte des Greises gesunkenen Mut wieder zusammenraffend, sprach er:
»Ob! ich habe Sie bereits ein Mal gerettet und werde Sie gewiss zum zweiten Male retten.«
Und er hob den Fuß des Bettes auf und zog die von dem roten Saft noch halb volle Flasche hervor.
»Sehen Sie,« sagte er. »es ist noch von dem rettenden Tranke übrig. Geschwinde, sagen Sie mir, was habe ich zu tun? Bedarf es neuer Instructionen? Sprechen Sie, mein Freund, ich höre.«
»Es ist keine Hoffnung mehr vorhanden,« erwiderte Faria den Kopf schüttelnd, »doch gleichviel, Gott will, daß der Mensch, den er geschaffen hat und in dessen Herz er die Liebe zum Leben so tiefe Wurzeln schlagen ließ, Alles thue, was er vermag, um dieses zuweilen so peinliche, stets aber so teure Dasein zu erhalten.«
»Oh! Ja, ja!« rief Dantes, und ich werde Sie retten.«
»Wohl, versuchen Sie es, die Kalte übermannt mich, ich fühle, wie das Blut meinem Gehirn zuströmt; das furchtbare Zittern, das meine Zähne klappern macht und meine Knochen zu trennen scheint, beginnt an meinem Körper zu rütteln; in fünf Minuten wird das Übel ausbrechen, in einer Viertelstunde ist nur noch eine Leiche von mir übrig.«
»Oh!« rief Dantes, das Herz von Schmerzen zerrissen.
»Sie machen es wie das erste Malz nur warten Sie nicht so lange. Alle Federn des Lebens sind zu dieser Stunde sehr abgenutzt und der Tod,« fuhr er auf seine gelähmten Glieder deutend fort. »wird nur noch die Hälfte des Geschäftes zu verrichten haben. Sehen Sie, wenn Sie mir zwölf Tropfen statt zehn eingeflößt, daß ich nicht zu mir komme, so flößen Sie mir den Rest ein. Nun:Kragen Sie mich auf mein Bett, denn ich kann nicht mehr stehen.«
Edmond nahm den Greis in seine Arme und legte ihn auf sein Bett.
»Mein Freund,« sprach Faria, »einziger Trost meines elenden Lebens, Sie, den mir der Himmel ein wenig spät gegeben, aber dennoch gegeben, als ein unschätzbares Geschenk, wofür ich ihm danke, in dem Augenblick, wo wir uns für immer trennen, wünsche ich Ihnen alles Glück, die ganze Wohlfahrt, die Sie verdienen. Mein Sohn, ich segne Sie.«
Der junge Mann warf sich auf die Knie und stützte den Kopf an das Bett des Greises.
»Hören Sie wohl, was ich Ihnen in diesem Augenblicke sage. Der Schatz der Spada ist vorhanden; Gott gestattet, daß es für mich weder Entfernung noch Hinderniß mehr gibt. Ich sehe ihn im Hintergrunde der zweiten Grotte, meine Augen durchdringen die Tiefen der Erde und sind geblendet von so vielen Reichtümern . . . Wenn Ihnen die Flucht gelingt, so erinnern Sie sich, daß der arme Abbé, den die ganze Welt für verrückt hielt, es nicht war. Eilen Sie nach Monte Christo, benützen Sie unser Vermögen, benützen Sie es, Sie haben genug gelitten.«
Eine heftige Erschütterung unterbrach den Greis. Dantes richtete den Kopf auf und sah, wie seine Augen sich rot unterliefen; es war, als stiege eine Blutwoge aus seiner Brust, nach seiner Stirne auf.
»Gott befohlen!« murmelte der Greis, indem er krampfhaft nach der Hand des jungen Mannes griff; »Gott befohlen«
»Oh! noch nicht, noch nicht,« rief dieser, »O mein Gott; verlaß uns nicht! steh’ ihm bei . . . Zu Hilfe! zu Hilfe! . . . «
»Stille! Stille!« murmelte der Sterbende. »damit man uns nicht trennt. wenn Sie mich retten.«
»Sie haben Recht! Oh ja, seien Sie ruhig. ich werde Sie retten. Übrigens scheinen Sie mir, obgleich Sie sehr leiden, doch weniger zu leiden, als das erste Mal.«
»Oh! täuschen Sie sich nicht, ich leide weniger, weil weniger Kraft zum Leiden in mir ist. In Ihrem Alter hat man Vertrauen zum Leben, es ist das Vorrecht der Jugend, zu glauben und zu hoffen; aber die Greise sehen den Tod klarer vor Augen. Oh! er kommt, er ist da . . . es ist vorbei . . . mein Gesicht verliert sich . . . mein Geist entflieht . . . Ihre Hand, Dantes . . . Gott befohlen! . . . «
Und mit einer letzten Anstrengung, wobei er alle seine Kräfte zusammenraffte, sich erhebend. sprach er:
»Monte Christo! vergessen Sie Monte Christo nicht!«
Und er fiel auf sein Bett zurück..
Die Krise war furchtbar: gekrümmte Glieder, aufgeschwollene Augendeckel, ein blutiger Schaum, ein.Körper ohne Bewegung, dies war es, was auf dem Schmerzenslager statt des verständigen Wesens blieb, das sich einen Augenblick vorher niedergelegt hatte. Dantes nahm die Lampe, stellte sie oben an das Bett auf einen vorspringenden Stein, von wo aus der zitternde Schein mit einem seltsamem phantastischen Reflexe das entstellte Gesicht und den trägen, steifen Körper beleuchtete. Hier erwartete er unerschütterlich den Moment, um das rettende Mittel einzuflößen. Als er glaubte, es wäre Zeit drückte er die Zähne auseinander, welche weniger Widerstand boten, als das erste Mal, zählte einen nach dem andern zwölf Tropfen, und wartete; die Phiole enthielt ungefähr noch das Doppelte von dem, was er eingeflößt hatte. Er wartete zehn Minuten, eine Viertelstunde, eine halbe Stunde, nichts rührte sich. Zitternd, die Haare starr, die Stirne von kaltem Schweiß übergossen, zählte er die Sekunden an den Schlägen seines Herzens.
Er dachte nun, der Augenblick wäre gekommen, um den letzten Versuch zu machen, näherte die Phiole den bläulichen Lippen von Faria und flößte ihm, ohne daß er ihm die.Kinnladen, welche offen geblieben waren, auseinander zu drücken brauchte, den ganzen Trank ein. Das Mittel brachte eine galvanische Wirkung hervor, ein heftiges Zittern schüttelte die Glieder des Greises, seine Augen öffneten sich furchtbar anzuschauen, er stieß einen Seufzer aus, der einem Schrei glich; dann kehrte dieser ganze bebende.Körper allmälig in eine Unbeweglichkeit zurück; die Augen allein blieben offen.
Eine halbe Stunde, eine Stunde, anderthalb Stunden vergingen. Während dieser bangen anderthalb Stunden fühlte Edmond, über seinen Freund gebeugt, die Hand auf sein Herz gelegt, wie nach und nach dieser.Körper erkaltete und das immer dumpfere und tiefere Schlagen dieses Herzens erlosch. Endlich lebte nichts mehr, das letzte Beben des Herzens hörte auf, das Gesicht wurde bleifarbig, die Augen blieben offen, aber der Blick verglaste.
Es war sechs Uhr Morgens, der Tag fing an zu scheinen und sein matter Strahl machte, in den Kerker eindringend, das sterbende Licht der Lampe erbleichen. Seltsame Reflexe zogen über das Antlitz des Leichnams hin und gaben ihm von Zeit zu Zeit einen Anschein von Leben. So lange dieser Streit zwischen Tag und Nacht währte, konnte Dantes noch zweifeln; aber sobald der Tag gesiegt hatte, begriff er, daß er mit einer Leiche allein war. Da bemächtigte sich seiner ein heftiger, unüberwindlicher Schrecken, er wagte es nicht mehr, diese Hand zu drücken, welche vom Bette herabhing; er wagte es nicht seine Augen auf diese starren, weißen Augen zu heften, die er vergebens zu schließen suchte, denn sie öffneten sich immer wieder. Er löschte die Lampe aus, verbarg sie sorgfältig, und entfloh, indem er die Platte so gut als möglich wieder über seinem Haupte einzufügen suchte. Es war übrigens Zeit, der Kerkermeister sollte kommen. Diesmal fing er seinen Besuch bei Dantes an; als er dessen Kerker verließ, wollte er sich in den von Faria begeben, dem er Frühstück und Wäsche brachte. Nichts deutete bei diesem Menschen an, daß er von dem, was vorgefallen war, Kenntnis hatte. Er entfernte sich.
Dantes erfaßte nun eine unsägliche Ungeduld, zu erfahren, was in dem Kerker seines Freundes vorgehen würde; er kehrte deshalb in den Gang zurück, und kam zu rechter Zeit, um die Stimme des Schließers zu hören, welcher nach Hilfe rief. Bald traten die andern Schließer ein, dann vernahm man den schweren, den Soldaten auch außer dem Dienste eigenthümlichen Tritt. Hinter den Soldaten kam der Gouverneur. Edmond hört das Geräusch des Bettes, worauf man den Leichnam hin und her bewegte; er hörte, wie der Gouverneur Befehl gab, ihm Wasser in das Gesicht zu spritzen, und als er sah, daß der Gefangene bei der Benetzung nicht zu sich kam, den Arzt holen ließ. Der Gouverneur entfernte sich, und einige Worte des Mitleids drangen vermischt mit spöttischem Lachen zu dem Ohre von Dantes.
»Vorwärts,« sagte der Eine, »der Narr hat sich zu seinen Schätzen begeben: glückliche Reise!«
»Mit allen seinen Millionen wird er nicht so viel haben, daß er ein Leintuch bezahlen kann,« sprach der Andere.
»Oh!« versetzte ein Dritter, »die Leichentücher von Castell If kosten nicht sehr viel.«
»Vielleicht wird man einigen Aufwand für ihn machen.« sagte derjenige, welcher zuerst gesprochen hatte.
»Es mag ihm die Ehre des Sackes zu Teil werden.«
Edmond horchte und verlor kein Worte verstand aber nicht viel von allem dem. Bald erloschen die Stimmen und es kam ihm vor, als ob die Leute die Zelle verließen. Er wagte es jedoch nicht, hinein zu gehen, denn man konnte einen Schließer zu Bewachung des Toten zurückgelassen haben. Er blieb daher stumm, unbeweglich und hielt seinen Atem an sich. Nach Verlauf einer Stunde belebte sich die Stille durch ein Geräusch, das bald zunahm. Es war der Gouverneur, welcher, gefolgt von dem Arzte und mehreren Offizieren, zurückkehrte.
Es wurde wieder einen Augenblick still; der Arzt näherte sich offenbar dem Bette und untersuchte den Leichnam. Bald begannen die Fragen. Der Arzt analysierte das Übel, welchem der Kranke unterlegen war, und erklärte ihn für tot. Fragen und Antworten wurden mit einer Gleichgültigkeit gemacht, welche Dantes empörte. Es schien ihm, als müßte die ganze Welt für den armen Abbé einen Teil der Zuneigung fühlen, die er für ihn hegte.
»Es ärgert mich, was Sie mir da ankündigen,« sprach der Gouverneur, in Erwiederung der von dem Arzte kundgegebenen Gewißheit über den Tod des Greises; »es war ein sanfter, harmloser, mit seiner Narrheit belustigender und besonders leicht zu bewachender Gefangener.«
»Oh!« versetzte der Schließer, »oh! man hätte ihn gar nicht bewachen dürfen. Ich stehe dafür, der wäre fünfzig Jahre hier geblieben, ohne einen Entweichungsversuch zu machen.«
»Meiner Ansicht nach,« sprach der Gouverneur, »wäre es indessen notwendig, trotz Ihrer Überzeugung, – nicht als ob ich an Ihrer Wissenschaft zweifelte. sondern meiner eigenen Verantwortlichkeit wegen – uns zu versichern, daß der Gefangene wirklich tot ist.«
Es herrschte einen Augenblick vollkommenes Stillschweigen, immer horchend dachte Dantes. der Arzt untersuche und betaste nun zum zweiten Male den Leichnam.
»Sie können unbesorgt sein,« sagte der Arzt sodann, »er ist tot. dafür siehe ich Ihnen.«
»Sie wissen. mein Herr,« versetzte beharrlich der Gouverneur, »Sie wissen, daß wir uns bei solchen Fällen mit der einfachen Prüfung nicht begnügen; wollen Sie daher, trotz alles Anscheins, die Sache nach den vom Gesetze vorgeschriebenen Förmlichkeiten behandeln.«
»Man lasse Eisen glühend machen,« sprach der Arzt; »doch in der Tat. diese Vorsichtsmaßregel ist überflüssig.«
Der Befehl. Eisen glühend zu machen, erregte Schauder in Dantes. Man hörte eilige Tritte, das Aechzen der Thüre, ein Hin- und Hergehen im Innern, und nach einigen Augenblicken trat ein Schließer ein und sagtet:
»Hier ist die Gluth mit einem Eisen.«
Es wurde abermals stille, dann vernahm man das Knistern des brennenden Fleisches, dessen dichter, widriger Geruch die Mauer durchdrang, hinter welcher Dantes voll Schrecken horchte. Bei diesem Gerüche von verkohltem Menschenfleisch, schoß der Schweiß aus der Stirne des jungen Mannes, und er glaubte, ohnmächtig zu werden.
»Sie sehen mein Herr, daß er tot ist, sprach der Arzt; »dieser Brand auf der Ferse entscheidet: der arme Narr ist von seinem Wahne geheilt und von seiner Gefangenschaft befreit.«
»Nannte er sich nicht Faria?« fragte einer von den Offizieren, welche den Gouverneur begleiteten.
»Ja, mein Herr, und dies war, wie er behauptete, ein alter Name; er war übrigens sehr gelehrt und ganz vernünftig in allen Punkten, welche nicht seinen Schatz berührten, doch in dieser Hinsicht ließ sich nichts mit ihm machen.«
’»Es ist dies ein Leiden, welches wir Monomanie nennen.« sagte der Arzt.
»Sie haben sich nie über ihn zu beklagen gehabt.« fragte der Gouverneur den Schließer, welcher dem Abbé die Lebensmittel zu bringen beauftragt gewesen war.
»Nie, Herr Gouverneur,« antwortete dieser, »nie, gar nie; er unterhielt mich im Gegenteil früher ungemein, indem er mir Geschichten erzählte; als meine Frau eines Tages krank war, gab er mir sogar ein Recept, das sie heilte.«
»Ah! Ah!« rief der Arzt. »ich wußte nicht, daß ich es mit einem.Kollegen zu tun hatte; ich hoffe, Herr Gouverneur,« fügte er lachend bei, »Sie werden ihn dem gemäß behandeln.«
»Ja, ja, seien Sie unbesorgt, er soll anständig in dem neuesten Sack, den man finden kann, begraben werden; sind Sie damit zufrieden?«
»Haben wir diese letzte Förmlichkeit in Ihrer Gegenwart zu erfüllen, Herr Gouverneur,« fragte der Schließer.
»Allerdings, aber man beeile sich nicht, ich kann nicht den ganzen Tag in dieser Stube bleiben.«
Neues Kommen und Gehen ließ sich vernehmen, einen Augenblick nachher drang ein Geräusch wie von Leinwand, welche an einander gerieben wird, an das Ohr von Dantes, das Bett krachte auf seinen Federn, ein schwerer Tritt, wie der eines Mannes, welcher eine Last aufhebt, drückte auf die Platte, dann krachte das Bett abermals unter der Last. die man ihm zurückgab.
»Diesen Abend,« sagte der Gouverneur.
»Wird eine Messe stattfinden?« fragte einer von den Offizieren.
»Unmöglich,« antwortete der Gouverneur. »Der Kaplan des Schlosses hat mich gestern um einen Urlaub gebeten, um auf acht Tage nach Tiers zu reisen. Ich habe mich für meine Gefangenen während dieser ganzen Zeit verantwortlich gemacht; der arme Abbé hätte sich nicht so sehr beeilen dürfen, und er würde sein Requiem bekommen haben.«
Bah! Bah!« sagte der Arzt, mit den Leuten seines Gewerbes eigenthümlichen Gottlosigkeit, »er ist ein Geistlicher, der Herr wird auf den Stand Rücksicht nehmen und der Hölle nicht das boshafte Vergnügen machen, ihr einen Priester zuzuschicken.«
Ein schallendes Gelächter erfolgte auf diesen schlechten Scherz. Mittlerweile wurden die Vorbereitungen zum Begräbniß fortgesetzt.
»Diesen Abend,« sagte der Gouverneur, als man damit zu Ende war.
»Um welche Stunde?« fragte der Kerkermeister.
»Gegen zehn oder elf Uhr.«
»Soll man bei dem Toten wachen?«
»Warum? Man schließt den Kerken als ob er lebte, mehr nicht.«
Hierauf entfernten sich die Tritte, die Stimmen wurden schwächer, das Geräusch der Thüre mit ihren lärmenden Schlosse und ihren ächzenden Riegeln ließ sich vernehmen. Ein Stillschweigen, düsterer als das der Einsamkeit, ergriff Alles, selbst die vereiste Seele des jungen Mannes. Dann hob er sachte die Platte mit seinem Kopfe auf und warf einen forschenden Blick in die Zelle; die Zelle war leer. Dantes trat aus der Galerie.