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Erstes bis fünftes Bändchen
Zwanzigstes Kapitel.
Der Friedhof von Castell If

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Auf dem Bette sah man, seiner Länge nach gelegt und schwach durch einen nebeligen Tag beleuchtet, der durch das Fenster drang, einen Sack von grober Leinwand, unter dessen Falten sich verworren eine lange, steife Gestalt hervorhob; es war das letzte Leintuch von Faria. dieses Leintuch, welches nach den Worten der Schließer so wenig kostete. Somit war Alles vorbei; es bestand bereits eine materielle Trennung zwischen Dantes und seinem alten Freunde; er konnte diese Augen nicht mehr sehen, welche offen geblieben waren, als wollten sie über den Tod hinaus schauen; er konnte diese fleißige Hand nicht mehr drücken, welche für ihn den Schleier verborgener Dinge gelüftet hatte, Faria, der nützliche, der gute Gefährte, an den er sich mit so viel Kraft gewöhnt hatte, war nur noch in seiner Erinnerung vorhanden. Da setzte er sich oben an sein Bett und versank in düstere, bittere Sehwermuth.

Allein! er war wieder allein geworden! er war in das Stillschweigen zurückgefallen und fand sich abermals dem Nichts gegenüber. Allein, nicht einmal mehr der Anblick, nicht einmal mehr die Stimme des einzigen menschlichen Wesens, durch das er noch mit der Erde zusammenhing! War es nicht besser, auf die Gefahr, durch das finstere Thor der Leiden wandern zu müssen, hinzugehen und Gott über das Rätsel des Lebens zu befragen? Durch seinen Freund verjagt, durch dessen Gegenwart entfernt, erhob sich wieder der Gedanke des Selbstmordes wie ein Gespenst vor der Leiche von Faria.

»Wenn ich sterben könnte.« sagte er, »so ginge ich. wohin er geht, und würde ihn sicherlich finden. Aber wie sterben? Das ist sehr leicht, fuhr er lachend fort. »Ich bleibe hier, werfe mich auf den Ersten, welcher eintritt, erdrossele ihn, und man guillotinirt mich.«

Aber da bei den großen Schmerzen, wie bei den großen Stürmen der Abgrund sich zwischen den zwei Wellengipfeln findet, so wich Dantes bei dem Gedanken an diesen entehrenden Tod zurück, und ging plötzlich von seiner Verzweiflung zu einem glühenden Durste nach Leben und Freiheit über.

»Sterben! o nein! es lohnt sich nicht der Mühe, so viel gelebt, so viel gelitten zu haben, um jetzt zu sterben. Sterben! das war gut, als ich den Entschluß dazu faßte, früher, vor Jahren, doch nun hieße es wahrlich mein elendes Geschick nur zu sehr unterstützen. Nein, ich will leben; nein, ich will bis zum Ende kämpfen; nein, ich will das Glück, das man mir gestohlen hat, wiedererringen. Ich vergaß, daß ich, ehe ich sterbe, meine Henker zu bestrafen, und, wer weiß? vielleicht auch einige Freunde zu belohnen habe: aber nun vergißt man mich hier, und ich werde meinen.Kerker nur wie Faria verlassen.«

Bei diesem Worte blieb Dantes unbeweglich, die Augen starr, wie ein Mensch, der von einem Gedanken erfaßt wird, den aber dieser Gedanke erschreckt. Plötzlich stand er auf, fuhr mit der Hand nach der Stirne, als ob er den Schwindel hätte, ging einige Male in der Zelle auf und ab, und blieb dann wieder vor dem Bette stehen.

»Oh! Oh!« murmelte er, »wer schickt mir diesen Gedanken? Bist Du es, mein Gott? Da nur die Toten von hinnen ziehen, so wollen wir die Stelle der Toten einnehmen.«

Und als wollte er seinem Geiste keine Zeit lassen, diesen verzweifelten Gedanken zu zerstören, neigte er sich über den häßlichen Sack, öffnete ihn mit dem Messer, das Faria gemacht hatte, zog den Leichnam heraus, trug ihn in seine Zelle, legte ihn auf sein Bett, umwickelte seinen Kopf mit dem linnenen Fetzen, dessen er sich gewöhnlich bediente, bedeckte ihn mit seiner Decke, küßte zum letzten Male diese eisige Stirne, versuchte es, die widerspänstigen Augen zu schließen, welche durch die Abwesenheit des Geistes furchtbar anzuschauen, fortwährend offen blieben, drehte den Kopf gegen die Wand, damit der Schließer, wenn er das Abendbrot brachte, glaubte, er wäre schlafen gegangen, wie er es oft getan hatte, kehrte in die Galerie zurück, zog das Bett an die Wand, ging in das andere Zimmer, holte aus dem Schranke Nadel und Faden, warf seine Lumpen ab, damit man unter der Leinwand das nackte Fleisch fühlen würde, schlüpfte in den ausgeleerten Sack, holte die Lage, welche der Leichnam gehabt hatte, und schloß die Naht wieder von innen. Man hätte sein Herz schlagen hören können, wenn man unglücklicher Weise in diesem Augenblick eingetreten wäre.

Dantes wurde vielleicht bis nach dem Abendbesuche gewartet haben, aber er hatte bange, der Gouverneur dürfte bis dahin seinen Entschluß ändern, und man würde den Leichnam wegnehmen. Dann war seine letzte Hoffnung verloren. In jedem Fall war sein Plan nun festgestellt. Er gedachte folgender Maßen zu Werke zu gehen.

Erkannten die Totengräber unter Weges, daß sie einen Lebendigen statt eines Toten trugen, so ließ ihnen Dantes keine Zeit sich zu besinnen; mit einem kräftigen Messerschnitte öffnete er den Sack von oben bis unten, bemühte ihren Schrecken und entfloh, wollten sie ihn festnehmen, so wehrte er sich mit seinem Messer. Brachten sie ihn bis auf den Friedhof und legten sie ihn in ein Grab, so ließ er sich mit Erde bedecken; sobald hernach die Totengräber den Rücken gewendet hatten, machte er sich Raum durch die weiche Erde und entfloh. Er hoffte, das Gewicht der Erde wurde nicht zu groß sein, daß er es aufheben könnte. Tauschte er sich, war die Erde im Gegenteil zu schwer, so starb er erstickt, und desto besser: Alles war vorbei.

Dantes hatte seit dem vorhergehenden Tage nichts gegessen, am Morgen hatte er nicht an den Hunger gedacht, und er dachte noch nicht daran. Seine Lage war zu unsicher, um ihm Zeit zu gönnen, den Geist auf irgend einem andern Gedanken haften zu lassen. Die erste Gefahr, welche Dantes lief, war, daß der Schließer, wenn er um sieben Uhr sein Abendbrot brachte, die Verwechselung wahrnahm. Zum Glücke hatte Dantes aus menschenfeindlicher Laune oder aus Müdigkeit, den Schließer sehr oft im Bette liegend empfangen, und dann setzte dieser Mensch gewöhnlich sein Brot und seine Suppe auf den Tisch und entfernte sich, ohne mit ihm zu sprechen. Aber diesmal konnte der Schließer von seiner gewöhnlichen Stummheit abgehen, mit Dantes sprechen, und wenn er sah, daß dieser ihm nicht antwortete, sich dem Bette nähern und Alles entdecken.

Als sieben Uhr Abends herannahte, fing die Angst von Dantes wirklich an. An das Herz gedrückt, suchte die eine Hand dessen Schläge zurückzudrängen, während die andere den Schweiß seiner Stirne abwischte, der an den Schläfen herabrieselte, zuweilen durchlief ein Schauer seinen ganzen Körper und presste ihm das Herz wie in einem eisigen Schraubstocke zusammen. Dann glaubte er, er würde sterben. Die Stunden verliefen ohne eine Bewegung im Castell herbeizuführen und Dantes begriff, daß er dieser ersten Gefahr entgangen war. Das galt als ein gutes Vorzeichen. Zu der von dem Gouverneur bestimmten Stunde ließen sich endlich Tritte auf der Treppe hören. Edmond sah ein, daß der Augenblick gekommen war, raffte seinen ganzen Mut zusammen, und hielt den Atem an sich . . . glücklich, wenn er zu gleicher Zeit und wie diesen die hastigen Pulsschläge seiner Arterien hätte zurück halten können.

Man blieb an der Thüre stehen; der Tritt war doppelt, Dantes erriet, daß es die zwei Totengräber waren, welche ihn holen sollten, diese Mutmaßung verwandelte sich in Gewißheit, als er das Geräusch hörte, das sie beim Niederstellen der Tragbahre machten. Die Thüre öffnete sich, ein verschleiertes Licht drang zu den Augen von Dantes; durch die Leinwand, die ihn bedeckte, sah er, wie sich zwei Schatten seinem Bette näherten. Ein dritter blieb eine Stocklaterne in der Hand haltend an der Thüre. Jeder von den beiden Männern, welche sich dem Bette genähert hatten, faßte den Sack an einem von seinen Enden.

»Der ist noch schwer für einen so magern Greis,« sagte einer von ihnen, indem er ihn beim Kopfe aufhob.

»Man sagt, ein jedes Jahr füge ein halbes Pfund dem Gewichte der Knochen bei,« sprach der Andere, und faßte ihn bei den Füßen.

»Haft Du Deinen Knoten gemacht?« fragte der Erste.

»Es wäre sehr dumm, wenn wir uns eine unnütze Last aufladen würden,« erwiderte der Zweite, »ich werde ihn unten machen.«

»Du hast Recht, vorwärts!«

»Warum einen Knoten?« fragte sich Dantes.

Man legte den vermeintlichen Toten vom Bette auf die Tragbahre; Edmond machte sich steif, um die Rolle des Hingeschiedenen besser zu spielen, und beleuchtet von dem Manne mit der Stocklaterne, welcher voraus ging, marschierte der Zug die Treppe hinab. Plötzlich überströmte Edmond die frische, scharfe Nachtluft. Dantes erkannte den Mistral4. Es war eine rasche Empfindung, zugleich voll Wonne und Angst. Die Träger machten ungefähr zwanzig Schritte, dann blieben sie stille stehen und setzten die Tragbahre auf die Erde. Einer von den Trägern entfernte sich und Dantes hörte seine Schuhe auf den Platten dröhnen.

»Wo bin ich denn?« fragte er sich,

»Weißt Du, daß er gar nicht leicht ist?« sagte derjenige, welcher bei Dantes geblieben warf und setzte sich auf den Rand der Tragbahre.

Der erste Gedanke von Dantes war, sich zu entfernen; zum Glück hielt er an sich.

»Leuchte mir doch, Tier,« sprach derjenige von den zwei Trägern, welcher weggegangen war, »oder ich finde nimmermehr, was ich suche.«

Der Mann mit der Stocklaterne gehorchte diesem Befehle, obgleich er, wie man gesehen, in wenig höflichen Worten gegeben wurde.

»Was sucht er denn?« fragte sich Dantes, »vermuthlich einen Spaten.«

Ein Ausruf der Zufriedenheit deutete am daß der Totengräber gefunden hatte, was er suchte.

»Endlich,« sagte der Andere, »das kostete Mühe.«

»Ja, aber er wird beim Warten nichts verloren haben.«

Bei diesen Worten näherte er sich Edmond, der einen schweren schallenden Körper neben sich niederlegen hörte; zu gleicher Zeit umgab ein Strick mit einem schmerzhaften Drucke seine Füße.«

»Nun, ist der Knoten gemacht?« fragte derjenige von den Totengräbern, welcher unthäthig geblieben war.

»Und zwar gut gemacht,« erwiderte der Andere, »dafür stehe ich Dir.«

»Also vorwärts!«

»Und die Tragbahre wurde wieder aufgehoben und fortgeschleppt.

Man machte ungefähr fünfzig Schritte, blieb abermals stehen, um eine Thüre zu öffnen, und setzte sich dann wieder in Marsch, das Tosen der Wellen, welche sich an den Felsen brachen, worauf das Castell gebaut ist, gelangte immer deutlicher zu dem Ohre von Dantes, je mehr man vorrückte.

»Schlimmes Wetter!« sagte einer von den Trägern, »es wird diese Nacht nicht gut in der See sein.«

»Ja, der Abbé? läuft große Gefahr, naß zu werden,« sprach der Andere.

Und sie brachen in ein schallendes Gelächter aus.

Dantes verstand den Scherz nicht, aber seine Haare sträubten sich nichtsdestoweniger auf seinem Haupte.

»Gut! wir sind an Ort und Stelle,« sagte der Erste.

»Weiter, weiter,« rief der Andere; »Du weißt wohl, daß der Letzte auf dem Wege geblieben und an den Felsen zerschellt ist, und daß uns der Gouverneur am andern Tage gesagt hat, wir wären Taugenichtse.«

Man machte, beständig steigend, noch fünf bis sechs Schritte, dann fühlte Dantes, daß man ihn beim Kopfe und bei den Füßen nahm und schaukelte.

»Eins!« sprachen die Totengräber, »zwei drei!«

Zu gleicher Zeit fühlte sich Dantes wirklich in einen ungeheuren leeren Raum geschleudert; er durchschnitt die Luft wie ein verwundeter Vogel und fiel fortwährend mit einem Schrecken, der ihm das Herz vereiste. Obgleich durch ein Ding hinabgezogen, das seinen raschen Flug noch beschleunigte, kam es ihm doch vor, als währte sein Sturz ein Jahrhundert. Endlich schoß er mit einem furchtbaren Getöse wie ein Pfeil in das kalte Waffen das ihm einem in demselben Augenblick durch das Eintauchen unterdrückten, Schrei auspreßte.

Dantes war in das Meer geschleudert worden, in dessen Tiefe ihn eine an seine Füße gebundene Kugel von sechs und dreißig Pfund hinabzog. Das Meer ist der Friedhof vom Castell If.

4

Mistral oder Maëstral, Nordwestwind im mittelländischen Meere. D. Übers.

Der Graf von Monte Christo

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