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Erstes bis fünftes Bändchen
Fünftes Kapitel.
Das Verlobungsmahl

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Am andern Morgen erhob sich die Sonne rein und glänzend und ihre purpurnen Strahlen übergossen wie mit Rubinen die schäumenden Spitzen der Wellen.

Das Mahl war in dem ersten Stocke derselben Reserve bereitet worden, mit deren Laube wir bereits Bekanntschaft gemacht haben. Es war ein großer Saal. beleuchtet durch fünf bis sechs Fenstern, über denen immer eine (erkläre diese Erscheinung, wer es vermag) von den großen Städten von Frankreich angeschrieben war.

Eine Ballustrade von Holz, wie das übrige Gebäude zog sich diese Fenster entlang.

Obgleich man das Mahl erst für die Mittagsstunde angekündigt hatte, so war doch schon von elf Uhr an diese Ballustrade mit ungeduldigen Spaciergängern überladen. Es waren bevorzugte Matrosen des Pharaon und einige Soldaten. Freunde von Dantes. Um den Verlobten Ehre anzutun, zeigten sich Alle in ihren schönsten Kleidern.

Es ging das Gerücht unter den zukünftigen Gästen, die Reeder des Pharaon würden das Festmahl ihres Second mit ihrer Gegenwart beehren; aber dies wäre eine so große Ehre für Dantes gewesen, daß Niemand daran zu glauben wagte.

Als jedoch Danglars mit Caderousse anlangte, bestätigte er diese Nachricht. Er hatte am Morgen Herrn Morrel selbst gesehen, und Herr Morrel hatte ihm gesagt, er würde in der Reserve zu Mittag speisen.

Einen Augenblick nachher erschien wirklich Herr Morrel im Saale und wurde von den Matrosen des Pharaon mit einem einstimmigen Hurrah begrüßt. Die Anwesenheit des Reeders war für sie die Bestätigung der bereits im Umlauf begriffenen Sage, Dantes würde um Kapitän ernannt; und da Dantes an Bord sehr beliebt war, und diese braven Leute somit dem Reeder dankten, daß seine Wahl zufällig einmal mit ihren Wünschen im Einklange stand, so war Herr Morrel kaum eingetreten als man Danglars und Caderousse zu dem Verlobten abschickte. Man beauftragte sie, ihn von der Ankunft der wichtigen Person zu benachrichtigen, deren Anblick einen so lebhaften Eindruck hervorgebracht hattet und ihm zu sagen, er möge sich beeilen.

Danglars und Caderousse liefen rasch weg; aber sie hatten kaum hundert Schritte gemacht, als sie auf der Höhe des Pulvermagazines die kleine Truppe herbeikommen sahen.

Diese Truppe bestand aus vier jungen Mädchen Freundinnen von Mercedes und Catalonierinnen wie sie, welche die Braut begleiteten, der Edmond den Arm gab. Neben der Verlobten ging der Vater Dantes und hinter ihnen kam Fernand mit seinem bösen Lächeln.

Weder Mercedes noch Edmond bemerkten dieses böse Lächeln von Fernand. Die guten Kinder waren so glücklich, daß sie nur sich selbst und den schönen reinen Himmel sahen, der sie segnete.

Danglars und Caderousse entledigten sich als Botschafter ihres Auftrags. Nachdem sie einen sehr kräftigen und sehr Freundschaftlichen Händedruck mit Edmond ausgetauscht hatten, stellte sich Danglars neben Fernand, während Caderousse seinen Platz neben dem Vater Dantes, dem Mittelpunkte der allgemeinen Aufmerksamkeit, nahm.

Dieser Greis trug sein schönes Kleid von Taffet, das mit breiten, rautenförmig geschnittenen, stählernen Knöpfen verziert war. Seine magern, aber nervigen. Beine waren mit prächtigen getüpfelten, Baumwollenstrümpfen überzogen, welche auf hundert Meilen nach englischer Contrebande rochen. An seinem dreieckigen Hut hing eine Woge von weißen und blauen Bändern. Er stützte sich auf einen gedrehten und oben umgebogenen Stock, dem antiken Pedum (Hirtenstabe) ähnlich. Man hätte glauben sollen, es wäre einer von den Muscadins,2 welche im, Jahre 1796 in den neu eröffneten Gärten des Luxembourg oder der Tuilerien paradirten.

Neben ihn war, wie gesagt, Caderousse getreten, Caderousse, den die Hoffnung auf ein gutes Mahl vollends mit den Dantes ausgesöhnt hatte, Caderousse, in dessen Gedächtnis eine schwankende Erinnerung von dem blieb, was am Tage vorher sich zugetragen, wie man, am Morgen erwachend, in seinem Geiste den Schatten des Traumes findet, den man im Schlafe gemacht hat.

Danglars hatte, sich Fernand nähernd, einen tiefen Blick auf den unglücklichen Liebhaber geworfen. Fernand, der hinter dem zukünftigen Ehepaar ging, war von Mercedes völlig vergessen, welche in ihrer jugendlichen, unter dem Zauber der Liebe stehenden, Selbstsucht nur für Edmond Augen hatte . . . Fernand wurde bleich und rot, gleichsam in raschen Stößen, welche immer wieder verschwanden, um einer zunehmenden Blässe Raum zu geben. Von Zeit zu Zeit schaute er gegen Marseille, und ein unwillkürliches Nervenzittern machte dann seine Glieder beben. Fernand schien irgend ein großes Ereignis zu erwarten oder wenigstens vorherzusehen.

Dantes war einfach gekleidet. Der Handelsmarine angehörend, hielt er die Mitte zwischen der militärischen Uniform und der bürgerlichen Tracht; und unter dieser Kleidung war sein durch die Freude und die Schönheit seiner Braut erhöhtes Aussehen vortrefflich.

Mercedes war schön, wie eine von den Griechinnen von Cypern oder Chios. mit den ebenholzschwarzen Augen und den Korallenlippen. Sie schritt mit dem freien Gange der Arlesierinnen und der Andalusierinnen einher. Ein städtisches Mädchen hätte vielleicht seine Freude unter einem Schleier, oder wenigstens unter dem Sammet seiner Augenbrauen zu verbergen gesucht; aber Mercedes lächelte und schaute diejenigen an, welche sie umgaben. und dieses Lächeln und diese Blicke sagten so offen. als es Worte hätten sagen können:

»Wenn Ihr meine Freunde seid, so freut Euch mit mir, denn in der Tat ich bin sehr glücklich!«

Sobald die Verlobten und ihr Geleite vor der Reserve angelangt waren, kam Herr Morrel herab und ging ihnen ebenfalls entgegen. begleitet von den Matrosen und den Soldaten, denen er das bereits Dantes gegebene Versprechen, daß dieser dem.Kapitän Leclère in seinem Amte folgen wurde, wiederholt hatte. Als Edmond ihn kommen sah, verließ er den Arm seiner Braut und legte ihn unter den von Herrn Morrel. Der Reeder und das junge Mädchen gaben sodann das Beispiel und stiegen zuerst die hölzerne Treppe hinauf, welche nach dem für das Mittagsmahl bestimmten Saale führte, und fünf Minuten lang unter dem gewichtigen Tritte der Gäste ächzte.

»Mein Vater,« sprach Mercedes, mitten am Tische stille stehend, »Sie an meine Rechte, bitte ich: an meine Linke setze ich denjenigen, welcher mir als Bruder gedient hat,« fügte sie mit einer Sanftheit bei, welche Fernand wie ein Dolchstich in die tiefste Tiefe seines Herzens drang. Seine Lippen erbleichten, und unter der dunkeln Farbe seines männlichen Gesichtes konnte man noch einmal das nach dem Herzen strömende Blut sich zurückziehen sehen.

Während dieser Zeit hatte Dantes dasselbe Manoeuvre ausgeführt; an seine Rechte setzte er Herrn Morrel, an seine Linke Danglars; dann machte er mit der Hand ein Zeichen, es möge sich Jeder nach seinem Belieben einen Platz wählen.

Schon liefen um die Tafel her Würste von Arles mit dem starken, eigenthümlichen Geruche; Seekrebse mit der blendenden Schaale, Prayres in der rosenfarbigen Muschel, Seeigel, welche Kastanien umgeben von ihrer pikanten Hülle glichen, Cloris, denen die Feinschmecker des Süden einen bedeutenden Vorrang vor den Austern des Norden geben; alle die Leckerbissen endlich, welche die Wellen auf das sandige Ufer wälzen und die dankbaren Schiffer unter dem allgemeinen Namen Seefrüchte bezeichnen.

»Ein schönes Stillschweigen,« sprach der Greis, ein Glas Wein gelb wie Topas schlürfend, das der Vater Pamphile vor Mercedes gestellt hatte. »Sollte man glauben, es wären hier dreißig Personen, welche nur zu lachen wünschten!«

»Ei, ein Bräutigam ist nicht immer heiter!« erwiderte Caderousse.

»Es ist wahr, sagte Dantes, »ich bin zu glücklich in diesem Augenblick, um heiter zu sein. Wenn Sie es so verstehen, Nachbar, so haben Sie Recht. Die Freud bringt zuweilen eine seltsame Wirkung hervor: sie drängt zurück, wie der Schmerz.«

Danglars schaute Fernand an, dessen empfänglich Natur jede Bewegung in sich aufnahm und verarbeitete.

»Sollten Sie vielleicht etwas befürchten?« sagte er. »Es scheint mir im Gegenteil, daß Alles nach Ihren Wünschen geht.«

»Das ist es gerade, was mich erschreckt,« erwiderte Dantes. »Es scheint mir, der Mensch ist nicht geschaffen, um so leicht glücklich zu werden. Das Glück gleicht den Palästen der Zauberinseln, deren Eingänge von Drachen bewacht werden. Man muß kämpfen, um es zu erobern und ich weiß nicht, wodurch ich das Glück, der Gatte von Mercedes zu sein, verdient habe.«

»Der Gatte!, der Gatte!« rief Caderousse lachend; »noch nicht, mein Kapitän; versuche es ein wenig, den Gatten zu spielen, und Du wirft sehen, wie man Dich aufnimmt.«

Mercedes errötete.

Fernand quälte sich auf seinem Stuhle, bebte bei dem geringsten Geräusche, und wischte sich von Zeit zu Zeit große Schweißplatten ab, welche auf seiner Stirne perlten, wie die ersten Tropfen eines Platzregens.

»Meiner Treue,« sagte Dantes, »man braucht mich nicht Lügen zu strafen, Mercedes ist allerdings noch nicht meine Frau . . . «

Er zog seine Uhr.

»Aber in anderthalb Stunden wird sie es sein.«

Jeder stieß einen Schrei des Erstaunens aus, nur der Vater Dantes nicht, der durch ein breites Lachen seine noch schönen Zähne zeigte. Mercedes lächelte, und errötete nicht mehr. Fernand faßte krampfhaft nach dem Hefte seines Messers.

»In anderthalb Stunden,« sagte Danglars, ebenfalls erbleichend.

»Ja, meine Freunde,« antwortete Dantes. »Durch das Ansehen von Herrn Morrel, dem Manne, welchem ich nach meinem Vater am meisten auf dieser Welt zu verdanken habe, sind alle Schwierigkeiten beseitigt. Wir haben die Ausrufungen bezahlt, und um halb drei Uhr erwartet uns der Maire von Marseille auf dem Rathhause. Du es aber nun ein Viertel auf zwei Uhr geschlagen hat, so glaube ich mich nicht sehr zu täuschen, wenn ich sage, in einer Stunde und dreißig Minuten werde sich Mercedes Madame Dantes nennen.«

Fernand schloß die Augen: eine feurige Wolke brannte auf seinen Augenlidern; er stützte sich auf den Tisch und konnte sich eines dumpfen Seufzers nicht erwehren, der sich in dem Geräusche des Gelächters und der Glückwünsche der Versammlung verlor.

»So ist es gut,« sprach der Vater Dantes. »Heißt Ihr das keine Zeit verlieren? Gestern Morgen hier angekommen! heute um drei Uhr geheiratet! Die Seeleute gehen rasch an’s Geschäft.«

»Aber die andern Förmlichkeiten?« wandte Danglars schüchtern ein, »der Vertrag, die schriftlichen Sachen?«

»Der Vertrag?« entgegnete Dantes lachend, »der Vertrag ist vollkommen gemacht, Mercedes hat nichts, ich habe auch nichts. Wir heiraten uns unter der Verwaltung der Gemeinde, und damit ist es aus! Das bedurfte keines langen Schreibens und wird nicht schwer zu bezahlen sein . . . «

Dieser Scherz veranlaßte einen Ausbruch der Freude und der Bravos.

»Was wir für ein Verlobungsmahl hielten, ist also einfach ein Hochzeitsmahl,« sagte Danglars.

»Nein,« erwiderte Dantes, »seid unbesorgt, Ihr sollt nichts dabei verlieren. Morgen früh reise ich nach Paris. Vier Tage zur Hinreise, vier Tage zur Herreise, einen Tag, um gewissenhaft den Auftrag zu vollziehen, den ich übernommen habe, und am ersten März bin ich zurück; am zweiten also findet das wahre Hochzeitmahl statt.«

Die Aussicht auf einen neuen Schmaus verdoppeln die Heiterkeit dergestalt, daß der Vater Dantes, welcher sich am Anfang über die Stille beklagt hatte, mitten unter dem allgemeinen Gespräche vergebliche Versuche machte, seinen Glückwunsch für das zukünftige Ehepaar anzubringen.

Dantes erriet den Gedanken seines Vaters und erwiderte ihn mit einem liebevollen Lächeln. Mercedes fing an, nach der Stunde auf der Wanduhr des Speisesaales zu schauen, und machte Edmond ein kleines Zeichen.

Es fand um die Tafel her die geräuschvolle, freie Heiterkeit statt, welche bei den Leuten von den untern Ständen das Ende des Mahles bezeichnet. Diejenigen, welche mit ihren Plätzen unzufrieden waren, hatten sich vom Tische erhoben, um andere Nachbarn zu suchen. Alle sprachen zu gleicher Zeit, und Niemand antwortete auf das, was man ihm sagte, sondern Jeder beschäftigte sich nur mit seinen eigenen Gedanken.

Die Blässe von Fernand war beinahe auf die Wangen von Danglars übergegangen; Fernand selbst lebte nicht mehr, er schien ein Verdammter im Feuersee zu sein. Er hatte sich, einer der Ersten, erhoben, ging im Saale umher und bemühte sich, sein Ohr von dem Geräusche der Lieder und des Zusammenstoßens der Gläser abzusondern.

Caderousse näherte sich ihm in dem Augenblicke, wo Danglars, den er zu fliehen schien, denselben in einer Ecke des Saales aufsuchte.

»In der Tat,« sprach Caderousse, dem das freundliche Wesen von Dantes und besonders der gute Wein von Vater Pamphile den ganzen Überrest des Hasses genommen halten, dessen.Keim durch das unerwartete Glück von Dantes in seine Seele geworfen worden war, »in der Tat, Dantes ist ein vortrefflicher Junger und wenn ich ihn neben seiner Braut stehen sehe, sage ich mir, es wäre Schade gewesen, wenn man ihm den schlechten Streich gespielt hätte, den Ihr gestern mit einander verabredetet.«

»Du hast auch gesehen, erwiderte Danglars, »daß die Sache ohne Folgen blieb. Herr Fernand war Anfangs so niedergeschmettert, daß er mir bange machte; aber von dem Augenblick an, wo er seinen Entschluß so fest gefaßt hatte, daß er als erster Brautführer bei der Hochzeit seines Nebenbuhlers auftrat, war nichts mehr zu sagen.«

Caderousse schaute Fernand an, er war leichenbleich.

»Das Opfer muß um so größer erscheinen,« fuhr Danglars fort, »als das Mädchen in der Tat hübsch ist. Teufel! was ist doch mein Kapitän für ein glücklicher Bursche! Ich möchte nur zwölf Stunden lang Dantes heißen.«

»Gehen wir,« sagte Mercedes mit sanfter Stimme; »es ist zwei Uhr, und man erwartet uns um halb drei Uhr.«

»Ja, ja, wir wollen gehen,« antwortete Dantes und stand rasch auf.

»Laßt uns gehen!« riefen alle Gäste im Chor.

In demselben Augenblick sah Danglars, welcher Fernand nicht aus dem Gesichte verlor, wie dieser, der auf dem Fenstergesimse saß, plötzlich seine verstörten Augen weit aufriß, mit einer krampfhaften Bewegung sich erhob und dann wieder auf dasselbe Gesimse zurückfiel. Beinahe gleichzeitig vernahm man ein dumpfes Geräusch auf der Treppe. Dieses Geräusch eines schweren Trittes, der verworrene Lärmen von Stimmen, vermischt mit dem Klirren von Waffen, übertönten die Ausrufungen der Gäste, so gewaltig sie auch waren, und erregten die allgemeine Aufmerksamkeit, die sich alsbald durch ein ungewöhnliches Stillschweigen kundgab.

Der Lärm näherte sich, drei Schläge ertönten an der Thüre, Jeder schaute seinen Nachbar mit erstaunter Miene an.

»Im Namen des Gesetzes!« rief eine scharfe Stimme, der Niemand antwortete.

Sogleich öffnete sich die Thüre, und ein Commissär mit seiner Schärpe trat, gefolgt von vier bewaffneten Soldaten unter Anführung eines Corporals, in den Saal.

Die Unruhe machte dem Schrecken Platz.

»Was gibt es?« sagte der Reeder, dem Commissär, den er kannte, entgegengehend. »Es findet hier sicherlich ein Irrtum statt.«

»Wenn ein Irrtum stattfindet, Herr Morrel,« antwortete der Commissär, »so glauben Sie mir, daß er schleunigst wieder gut gemacht werden wird. Mittlerweile bin ich der Überbringer eines Verhaftsbefehles, und obgleich ich mit Bedauern meinen Auftrag erfülle, so muß ich ihn nichtsdestoweniger vollziehen. Wer von Ihnen meine Herren, ist Edmond Dantes?«

Alle Blicke wandten sich dem jungen Manne zu, der sehr bewegte aber seine Würde behauptend, einen Schritt vorwärts machte und erwiderte:

»Ich bin es, mein Herr, was wollen Sie von mir?«

»Edmond Dantes,« sprach der Commissär, »ich verhafte Sie im Namen des Gesetzes.«

»Sie verhaften mich!« sagte Edmond mit einer leichten Blässe. »Warum verhaften Sie mich?«

»Ich weiß es nicht. mein Herr; »aber Ihr erstes Verhör wird Sie darüber belehren.«

Herr Morrel begriff, daß sich nichts gegen die Unbeugsamkeit der Verhältnisse tun ließ. Ein Commissär mit seiner Schärpe umgürtet, ist nicht mehr ein Mensch, ist die Statue des kalten, tauben, stummen Gesetzes.

Der Greis stürzte im Gegenteil dem Beamten entgegen: es gibt Dinge, welche das Herz eines Vaters oder einer Mutter nie begreifen werden. Er bat, er flehte, Bitten und Tränen vermochten nichts; aber seine Verzweiflung war so groß, daß der Commissär dadurch gerührt wurde.

»Mein Herr,« sagte er, »beruhigen sie sich Ihr Solln hat vielleicht irgend eine Douane- oder Sanitätsförmlichkeit vernachlässigt, und wenn man die Auskunft von ihm erhalten hat, die man zu haben wünscht, wird er aller Wahrscheinlichkeit nach in Freiheit gesetzt werden.«

»Ei, was soll das bedeuten?« sagte die Stirne faltend Caderousse zu Danglars, der den Erstaunten spielte.

»Weiß ich es?« entgegnete Danglars; »ich bin wie Du: ich sehe, was vorgeht, begreife nichts davon und bleibe ganz verwirrt.«

Caderousse suchte mit seinen Augen Fernand: er war verschwunden.

Die ganze Szene vom vorhergehenden Tage spielte sich nun mit einer furchtbaren Klarheit vor ihn.’Man hätte glauben sollen, diese Katastrophe zöge den Schleier ab, welche die Trunkenheit am Abend vorher zwischen ihn und sein Gedächtnis geworfen hatte.

»Oh! Oh!« sagte er mit dumpfer Stimme, »sollte dies die Folge des Scherzes sein, von dem Ihr gestern sprachet, Danglars? In diesem Falle wehe dem, der ihn gemacht hat, denn er ist sehr traurig!«

»Keines Weges,« rief Danglars, »Du weißt, daß ich das Papier zerrissen habe.«

»Du hast es nicht zerrissen, Du warfst es in eine Ecke.«

»Schweige, Du hast nichts gesehen, Du warst betrunken.«

»Wo ist Fernand?« sagte Caderousse.

»Weiß ich es?« antwortete Danglars. »Ohne Zweifel geht er seinen Geschäften nach. Aber statt uns hiermit zu beschäftigen, wollen wir diesen armen Bekümmerten Trost bringen.«

Wahrend dieses Gespräches drückte Dantes wirklich allen seinen Freunden die Hand und gab sich mit den Worten in Verhaft:

»Seid ruhig, der Irrtum wird sich aufklären, und wahrscheinlich komme ich nicht einmal in das Gefängnis.«

»Ganz gewiss, dafür wollte ich stehen,« sagte Danglars, der sich in diesem Augenblicke, wie gesagt, der Hauptgruppe näherte.

Der Commissär ging vor Dantes die Treppe hinab, dieser folgte ihm, umgeben von den Soldaten. Ein Wagen, dessen Schlag geöffnet wart wartete vor der Thüre. Er stieg ein. Zwei Soldaten und der Commissär stiegen nach ihm ein. Der Schlag wurde geschlossen und der Wagen fuhr nach Marseille.

»Adieu, Dantes; adieu, Edmond!« rief Mercedes nach der Balustrade stürzend.

Der Gefangene hörte diesen letzten Schrei, der wie ein Schluchzen aus dem zerrissenen Herzen der Braut hervordrang. Er fuhr rasch mit dem.Kopfe zu dem Schlage hinaus, rief:

»Auf Wiedersehen, Mercedes!« und verschwand an einer von den Ecken des Fort Saint-Nicolas.

»Erwartet mich hier,« sagte der Reeder, »ich nehme den ersten Wagen, den ich treffe, eile nach Marseille und bringe Euch bald Nachricht.«

»Gehen Sie,« riefen alle Stimmen, »gehen Sie und kommen Sie bald zurück.«

Nach diesem doppelten Abgange herrschte einen Augenblick eine gewisse Betäubung unter allen Zurückbleibenden.

Der Greis und Mercedes verharrten eine Zeit lang allein, jedes in seinen eigenen Schmerz versunken; endlich aber begegneten sich ihre Augen; sie erkannten sich als zwei von demselben Schlage getroffene Opfer und warfen sich einander in die Arme.

Mittlerweile kehrte Fernand zurück, schenkte sich ein Glas Wasser ein, leerte es und setzte sich auf einen Stuhl.

Zufällig war es ein Stuhl in der Nähe von dem, auf welchen Mercedes aus den Armen des Greises sank.

Mit einer instinktartigen Bewegung rückte Fernand seinen Stuhl zurück.

»Er ist es,« sagte zu Danglars Caderousse, der den Catalonier nicht aus dem Gesichte verloren hatte,

»Ich glaube es nicht,« erwiderte Danglars, »er ist zu albern; in jedem Fall mag der Streich auf den zurückfallen, welcher ihn ausgeführt hat.«

»Du sprichst nicht von demjenigen, von welchem der Rath dazu gegeben worden ist,« sagte Caderousse.

»Ah! meiner Treue, wenn man verantwortlich für das wäre, was man in der Luft spricht!« rief Danglars.

»Ja, wenn das, was man in die Luft spricht, mit der Spitze auf das gewünschte Ziel zurückfällt.«

»Während dieser Zeit stellten die Gruppen allerlei Vermutungen über die Verhaftung auf.

»Und Sie, Danglars, was denken Sie von diesem Ereignis?«

»Ich,« versetzte Danglars, »ich denke, daß er einige Ballen verbotene Waaren zurückgebracht hat.«

»Aber wenn dies der Fall wäre, so müßten Sie es wissen, Danglars, Sie, der Sie Rechnungsführer waren.«

»Ja, das ist wahr; aber der Rechnungsführer kennt nur die Colli, die ihm declarirt werden, ich weißt daß wir Baumwolle geladen haben, und weiter nichts; auch daß wir die Ladung bei Herrn Pastret in Alexandrien und in Smyrna bei Herrn Pascal eingenommen haben; fragt mich nicht mehr.«

»Oh! nun erinnere mich,« murmelte der arme Vater, sich an diese armseligen Trümmer anklammernd; »er sagte mir gestern, er hätte für mich eine Kiste mit Kaffee und eine Kiste mit Tabak.«

»Seht, das ist es,« sprach Danglars, »die Douane wird in unserer Abwesenheit einen Besuch an Bord des Pharaon gemacht und den Rosentopf entdeckt haben.«

Mercedes glaubte an alles Dies nicht; bis jetzt unterdrückt, brach plötzlich ihr Schmerz in gewaltigem Schluchzen aus.

»Ruhig, ruhig, Hoffnung!« sagte der Vater Dantes ohne zu wissen, was er sprach.

»Hoffnung!« wiederholte Danglars.

»Hoffnung!« suchte Fernand zu murmeln; aber das Wort erstickte ihn: seine Lippen bewegten sich, kein Ton kam aus seinem Munde.

»Meine Herren,« rief einer von den Gästen, der als Schildwache an der Balustrade geblieben war; »meine Herren, ein Wagen. Es ist Herr Morrel! Mut, Mut! ohne Zweifel bringt er uns gute Nachricht.«

Mercedes und der alte Vater liefen dem Reeder entgegen, dem sie an der Thüre begegneten. Herr Morrel war sehr bleich.

»Nun?« riefen sie gleichzeitig.

»Meine Freunde,« antwortete der Reeder, »die Sache ist ernster, als wir dachten.«

»Oh, Herr!« rief Mercedes, »er ist unschuldig!«

»Ich glaube es,« antwortete Herr Morrel, »aber man klagt ihn an.«

»Worüber?« fragte der alte Dantes.

»Ein bonapartistischer Agent zu sein.«

Diejenigen von meinen Lesern, welche in der Zeit gelebt haben, wo diese Geschichte sich ereignete, werden sich erinnern, was für eine furchtbare Anklage die von Herrn Morrel bezeichnete war.

Mercedes stieß einen Schrei aus; der Greis sank auf einen Stuhl.

»Oh! Du hast mich, hintergangen, Danglars,« murmelte Caderousse, »und der Scherz ist ausgeführt worden; aber ich will diesen Greis und dieses Mädchen nicht vor Schmerz sterben lassen, und ich werde ihnen Alles sagen.«

»Schweige, Unglücklicher!« rief Danglars, »oder ich stehe für Dich selber nicht; wer sagt Dir, daß Dantes nicht wirklich schuldig ist? Das Schiff hat die Insel Elba berührt, er ist an das Land gestiegen und einen ganzen Tag in Porto Ferrajo geblieben; wenn man einen Brief bei ihm fände; der ihn compromittirte, so müßten diejenigen, welche ihn unterstützt hätten, für seine Mitschuldigen gelten!«

Mit dem raschen Instinkte der Selbstsucht begriff Caderousse die ganze Haltbarkeit dieses Schlusses; er schaute Danglars mit Augen voll Furcht und Schmerz an, und machte für einen Schritt, den er vorwärts getan hatte, zwei rückwärts.

»Dann wollen wir warten,« sagte er.

»Ja; wir wollen warten,« sprach Danglars; »ist er unschuldig, so setzt man ihn in Freiheit; ist er schuldig, so braucht man sich für einen Meuterer nicht zu gefährden.«

»Gehen wir, ich bin nicht im Stande, länger hier zu weilen.«

»Ja, komm,« versetzte Danglars; sehr erfreut einen Rückzugsgefährten zu finden; »komm, sie mögen sich herausziehen; wie sie können.«

Man entfernte sich; Fernand; der wieder die Stütze des jungen Mädchens geworden war; nahm Mercedes bei der Hand und führte sie zu den Cataloniern zurück. Die Freunde von Dantes führten den beinahe ohnmächtigen Greis nach den Allées de Meillan.

Bald verbreitete sich das Gerücht, Dantes sei als bonapartistischer Agent verhaftet worden, durch die ganze Stadt.

»Hätten Sie das geglaubt; mein lieber Danglars?« sagte Herr Morrel, als er seinen Rechnungsführer und Caderousse wieder einholte; denn er eilte selbst in die Stadt zurück, um etwas von Edmond durch den Substituten des Staatsanwaltes; Herrn von Villefort; zu erfahren, den er kannte; »hätten Sie das geglaubt?«

»Bei Gott, Herr!« erwiderte Danglars; »ich sagte Ihnen; Dantes habe ohne allen Grund einen Aufenthalt auf der Insel Elba gemacht; und dieser Aufenthalt war mir; wie Sie wissen; verdächtig vorgekommen.«

»Haben Sie, Ihren Verdacht irgend Jemand außer mir mitgeteilt?«

»Ich hütete mich wohl,« erwiderte Danglars ganz leise; »Sie wissen, wegen Ihres Oheims, des Herrn Policar Morrel, der, unter dem Andern gedient hat und seine Gesinnung nicht verborgen hält; stehen Sie im Verdacht; Napoleon zu beklagen; ich hätte befürchtet, Edmond zu schaden, und in Folge davon auch Ihnen; es gibt Dinge, welche ein Untergeordneter seinem Reeder mitzuteilen und allen Andern zu verbergen verpflichtet ist.«

»Gut, Danglars, gut!« sagte der Reeder; »Sie sind ein braver Mann; auch habe ich an Sie gedacht für den Fall, daß dieser arme Dantes, Kapitän des Pharaon würde.«

»Wie dies, mein Herr?«

»Ja, ich fragte Dantes, was er von Ihnen dachte und ob es ihm widerstrebte, Sie an Ihrem Posten zu behalten, denn ich weiß nicht, warum ich eine gewisse Kälte zwischen Euch wahrzunehmen wähnte.«

»Und was hat er Ihnen geantwortet?«

»Er glaube wirklich unter Umständen, die er auch nannte, Unrecht gegen Sie gehabt zu haben, aber jeder der das Vertrauen des Reeders besitze, besitze auch das seinige.«

»Der Heuchler!« murmelte Danglars.

»Armer Dantes!« sprach Caderousse, »es war offenbar ein vortrefflicher Junge.«

»Ja, aber mittlerweile ist der Pharaon ohne Kapitän,« versetzte Herr Morrel.

»Oh!« sprach Danglars, »da wir erst in drei Monaten abreisen, so läßt sich hoffen, daß Dantes um diese Zeit in Freiheit gesetzt sein wird.«

»Allerdings, aber bis dahin?«

»Bis dahin bin ich da, Herr Morrel,« antwortete Danglars. »Sie wissen, daß ich die Führung eines Schiffes so gut kenne, als ein.Kapitän, der nach den entferntesten Ländern reist; er bietet Ihnen sogar noch einen Vorteil, wenn Sie sich meiner bedienen, denn wenn Edmond aus dem Gefängnis kommt, brauchen Sie Niemand zu danken: er nimmt seinen Platz wieder ein und ich den meinigen, und damit ist die ganze Sache abgemacht.«

»Ich danke, Danglars, dadurch ist wirklich Alles geordnet. Übernehmen Sie also das Commando, ich bevollmächtige Sie dazu, und beaufsichtigen Sie das Löschen, welches Unglück auch den Einzelnen begegnen mag, die Geschäfte dürfen nie darunter leiden.«

Seien Sie unbesorgt; aber kann man ihn denn wenigstens sehen, diesen guten Edmond?«

»Ich werde Ihnen das bald sagen, Danglars; ich will es versuchen, Herrn von Villefort zu sprechen und zu Gunsten des Gefangenen in das Mittel zu treten. Ich weiß wohl, daß jener ein wütender Royalist ist; aber obgleich Royalist und Staatsanwalt, ist er doch auch ein Mensch, und ich halte ihn nicht für bösartig.«

»Nein, aber ich hörte, er wäre ehrgeizige und das ist sich sehr ähnlich.«.

»Rune wir wollen sehen,« sagte Herr Morrel mit einem Seufzer; gehen Sie an Bord, ich komme zu Ihnen.«

Und er verließ die zwei Freunde, um den Weg nach dem Justizpalaste einzuschlagen.

»Du siehst die Wendung. welche die Sache nimmt, sprach Danglars zu Caderousse. »Hast Du noch Lust Dantes zu unterstützen?«

»Gewiß nicht, aber es ist doch etwas Furchtbares, daß ein Scherz solche Folgen hat.«

»Der Teufel! wer hat ihn gemacht? weder Du noch ich, nicht wahr? sondern Fernand. Du weißt, daß ich das Papier in einen Winkel geworfen habe; ich glaubte sogar, ich hatte es zerrissen.«

»Nein, nein,« erwiderte Caderousse, »Oh! was das betrifft, so bin ich meiner Sache sicher, ich sehe es zusammengerollt und ganz zerknittert in der Ecke der Laube, und ich wollte, es wäre noch dort.«

»Fernand wird es aufgehoben haben, er hat es wahrscheinlich copirt oder copiren lassen,  . . . vielleicht hat er sich nicht einmal diese Mühe genommen; wenn ich bedenke, mein Gott! . . . er hat am Ende meinen eigenen Brief abgeschickt. Zum Glücke hatte ich meine Handschrift verstellt.«

»Du wußtest also, daß Dantes in eine Meuterei verwickelt war?«

»Ich wußte nichts in der Welt und glaubte, wie gesagt, nur einen Scherz zu machen. Es scheint mir, ich habe, wie Arlequin, lachend die Wahrheit gesprochen.«

»Das ist am Ende einerlei, versetzte Caderousse; »ich gäbe viel, wenn diese Sache nicht vorgefallen wäre, oder wenn ich wenigstens in keiner Beziehung zu derselben stände. Du wirst sehen, daß sie uns Unglück bringt, Danglars.«

»Wenn sie Einem Unglück bringen soll, so ist es dem wahren Schuldigen, und der wahre Schuldige ist Fernand, wir sind es nicht. Was für ein Unglück soll uns begegnen? Wir haben uns nur ruhig zu verhalten, nicht von der ganzen Geschichte zu schnaufen, und das Gewitter geht vorüber, ohne daß der Donner fällt.«

»Amen,« sprach Caderousse, machte Danglars ein Zeichen des Abschiedes und wandte sich nach den Allées de Meillan, wobei er jedoch beständig den Kopf schüttelte und mit sich selbst sprach, wie ganz und gar mit peinigenden Gedanken beschäftigte Leute zu tun pflegen.

»Gut,« sagte Danglars, »die Sache nimmt die von mir vorhergesehene Wendung; ich bin einstweilen Kapitän, und wenn dieser Dummkopf von einem Caderousse schweigen kann, überhaupt Kapitän. Es kann also nur der einzige Fall dazwischen treten, daß das Gericht Dantes freilassen wurde. Doch,« fügte er lächelnd bei, »die Justiz ist die Justiz und ich verlasse mich auf sie.«

Und hiernach sprang er in eine Barke und gab den Schiffern Befehl, ihn nach dem Pharaon zu rudern, wohin ihn erwähnter Maßen der Reeder beschieden hatte.

2

Während der Revolution nannte man die Modeherren oder Stutzer, Muscadins, weil Musc, Bisam, ihr Lieblingsodeur war. Den Namen Muscadin gab man ihnen hauptsächlich im Gegensatze zu den Sansculottes.

Der Graf von Monte Christo

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