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Erstes bis fünftes Bändchen
Sechstes Kapitel.
Der Substitut des Staatsanwaltes

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In der Rue du Grand-Cours, der Fontaine des Meduses gegenüber, in einem von den alten von Puget erbauten Häusern mit der aristokratischen Architektur feierte man zu derselben Stunde ebenfalls ein Verlobungsmahl. Nur gehörten die Schauspieler dieser Szene, statt Leute aus dem Volke, Matrosen und Soldaten zu sein, der Spitze der Marseiller Bevölkerung an. Es waren ehemalige Beamte, welche unter dem Usurpator ihren Abschied genommen hatten, alte Offiziere, welche aus den Reihen des französischen Heeres desertiert waren, um zu der Armee von Condé überzugehen; junge Leute von, ihrer Familie, welche über ihre Existenz trotz der vier bis fünf Stellvertreter, die sie bezahlt hatten, nicht beruhigt war, in dem Hasse gegen den Mann erzogen, aus dem fünf Jahre der Verbannung einen Märtyrer, und fünfzehn Jahre der Restauration einen Gott machen sollten.

Man saß bei Tische und das Gespräch war im Schwunge, glühend von allen Leidenschaften, von den Leidenschaften der Zeit, von den Leidenschaften, welche um so furchtbarer, um so lebendiger, um so erbitterter im Süden brausten. als seit fünf Jahren der religiöse Haß den politischen unterstützte.

Der Kaiser, – Fürst der Insel Elba, nachdem er der unumschränkte Beherrscher eines Weltalls gewesen warf eine Bevölkerung von fünf bis sechstausend Seelen regierend, nachdem er: Es lebe Napoleon! von hundert und zwanzig Millionen in zehn verschiedenen Sprachen hatte rufen hören, wurde hier wie ein auf immer für den Thron von Frankreich verlorener Mensch behandelt. Die Beamten enthüllten politische Mißgriffe, die Militäre sprachen von Moskau und Leipzig, die Frauen von seiner Scheidung von Josephine. Dieser freudigen, nicht über den Fall des Mannes, sondern über die Vernichtung des Prinzips triumphierenden royalistischen Welt kam es vor, als begänne das Leben wieder für sie, als erwachte sie aus einem peinlichen Traume.

Ein mit dem Sanct-Ludwigs-Kreuze geschmückter Mann erhob sich und schlug die Gesundheit des.Königs Ludwig XVIII. seinen Gästen vor. Es war der Marquis von Saint-Meran.

Bei diesem Toast, der zugleich an den Verbannten von Hartwell und an den pacificirenden König von Frankreich erinnerte, entstand ein gewaltiges Geräusch, die Gläser wurden auf englische Weise emporgehoben, die Frauen machten ihre Sträuße los und bestreuten das Tischtuch damit. Es herrschte eine beinahe dichterische Begeisterung.

»Sie müßten zugeben, wenn sie da wären,« sprach die Marquise von Saint-Meran, eine Frau mit trockenem Auge, dünnen Lippen, mit aristokratischer und trotz ihrer fünfzig Jahre noch zierlicher Tournure, »alle diese Revolutionäre, welche uns vertrieben haben, und die wir unsererseits ganz ruhig in ihren alten Schlössern, welche sie unter der Schreckensregierung für ein Stück Brot erkauften, Meutereien anzetteln lassen, sie müßten anerkennen sage ich, daß die wahre Ergebenheit auf unserer Seite war, denn wir hielten an der einstürzenden Monarchie während sie im Gegenteil die aufgehende Sonne begrüßten und ihr Glück machten, indes wir das unsere verloren; sie müßten anerkennen, daß unser König Ludwig der Viel geliebte wirklich gut war, wahrend ihr Usurpator nie etwas Anderes gewesen ist, als Napoleon der Verfluchte, nicht wahr, Villefort?«

»Sie sagen, Frau Marquise? . . . verzeihen Sie, ich war nicht bei dem Gespräche . . . «

»Ah, lassen Sie die Kinder, Marquise,« versetzte der Greis, der den Toast gebracht hatte; »diese Kinder wollen sich heiraten und haben natürlich von etwas Anderem mit einander zu sprechen, als von Politik.«

»Ich bitte um Vergebung, meine Mutter,« sagte eine junger hübsche Person mit blonden Haaren und mit einem Sammetauge, »ich gebe Ihnen Herrn von Villefort zurück, den ich für eine Minute in Anspruch genommen hatte. Herr von Villefort, meine Mutter spricht mit Ihnen.«

»Ich bin bereit, der gnädigen Frau zu antworten, wenn sie die Güte haben will, ihre Frage, die ich nicht genau verstand, zu wiederholen,« sagte Herr von Villefort.

»Man vergibt Dir, Renée,« sprach die Marquise mit einem zärtlichen Lächeln, das man über dieses trockene Gesicht schweben zu sehen erstaunt war; aber das Herz der Frau ist so beschaffen, daß es, so dürr es auch unter dem Hauche der Vorurteile und den Anforderungen der Etiquette werden mag, immer noch einen fruchtbaren und lachenden Winkel hat: es ist der Winkel, der von Gott der mütterlichen Liebe geheiligt worden ist. »Man vergibt Dir. Ich sagte, Villefort, die Bonapartisten hätten weder unsere Begeisterung, noch unsere Überzeugung, noch unsere Ergebenheit.«

»Ah! Madame, Sie haben wenigstens etwas, das alles Dies ersetzt: es ist der Fanatismus. Napoleon ist der Mahomet des Westen, er ist für alle diese aus dem Volke abstammenden, aber mit erhabenem Ehrgeize ausgerüsteten Menschen nicht. nur ein Gesetzgeber und Herr, sondern auch ein Musterbild, das Musterbild der Gleichheit.«

»Der Gleichheit!« rief die Marquise, »Napoleon das Musterbild der Gleichheit! Und was werden Sie dann aus Herrn von Robespierre machen? Es scheint mir, Sie stehlen ihm seinen Platz, um ihn dem Corsen zu geben.«

»Nein, Madame,« antwortete Villefort, »ich lasse Jeden auf seinem Piedestal, Robespierre, Place Louis XV. auf seinem Schafott, Napoleon, Place Vendome auf seiner Säule; nur hat der Eine eine Gleichheit gemacht, welche erniedrigt, der Andere eine Gleichheit, welche erhöht; der Eine hat die Könige auf das Niveau der Guillotine, der Andere hat das Volk auf das Niveau des Thrones erhoben. Damit will ich nicht sagen,« fügte Villefort lachend bei, »es seien nicht alle Beide heillose Empörer, und der 9. Thermidor und der 4. April 1814 seien nicht glückliche Tage für Frankreich und würdig, durch die Freunde der Ordnung und der Monarchie gleich festlich begangen zu werden; aber dies erklärt auch wie Napoleon, obgleich gefallen, um, wie ich hoffe nie mehr aufzustehen, seine Anhänger, seine Seiden behalten hat.«

»Wissen Sie, daß das, was Sie da sprechen, Villefort, auf eine Meile nach der Revolution riecht? Aber ich vergebe Ihnen. Man kann nicht Sohn eines Girondisten sein, ohne einen Erdgeschmack beizubehalten.«

Eine lebhafte Röte bedeckte die Stirne von Villefort.

»Mein Vater war Girondist, Madame,« sagte-er, »das ist wahr; aber mein Vater hat nicht für den Tod des.Königs gestimmt. Mein Vater war geächtet durch dieselbe Schreckensregierung, welche Sie ächtete, und es fehlte nicht viel, so hätte er sein Haupt auf dasselbe Blutgerüste legen müssen, welches das Haupt.Ihres Vaters fallen sah.«

»Ja,« sprach die Marquise, ohne daß diese blutige Erinnerung irgend eine Veränderung in ihren Gesichtszügen zur Folge hatte, »nur mit dem Unterschiede, daß Beide aus geradezu entgegengesetzten Gründen den Kopf verloren hätten. Zum Beweise mag dienen, daß meine ganze Familie den verbannten Prinzen anhänglich geblieben ist, während sich die Ihrige eiligst mit der neuen Regierung verband, und daß, nachdem der Bürger Noirtier Girondist gewesen war, der Graf Noirtier Senator geworden ist.«

»Meine Mutter,« rief Renée, »Sie wissen, daß es verabredet war. nicht mehr von allen diesen schlimmen Erinnerungen zu sprechen.«

»Madame,« versetzte Villefort, »ich verbinde mich mit Fräulein von Saint-Meran, um Sie demütig um Vergessenheit des Vergangenen zu bitten. Wozu soll es nützen, über Dinge zu klagen, vor denen selbst der Wille Gottes ohnmächtig ist. Gott kann die Zukunft verändern. aber an der Vergangenheit vermag er nichts zu ändern. Wir Menschen vermögen, wenn nicht sie zu verleugnen, doch einen Schleier darüber zu werfen. Ich habe mich nicht nur von den Ansichten, sondern auch von dem Namen meines Vaters getrennt. Mein Vater war und ist vielleicht noch jetzt Bonapartist und heißt Noirtier; ich bin Royalist und heiße von Villefort. Lassen Sie also in dem alten Stamme einen Rest von revolutionärem Safte absterben, Madame, und sehen Sie nichts als den Schößling. der sich von diesem Stamme entfernt, ohne sich gänzlich von demselben lösen zu können, oder sogar lösen zu wollen.«

»Bravo, Villefort,« sprach der Marquis, »bravo, gut geantwortet! Ich habe auch der Marquise immer Vergessenheit des Vergangenen gepredigt, ohne es je von ihr erlangen zu können; Sie werden hoffentlich glücklicher sein.«

»Ja, es ist gut,« sprach die Marquise, »vergessen wir die Vergangenheit. mir ist es liebt und es bleibt also abgemacht. Aber Villefort soll wenigstens für die Zukunft unbeugsam sein. Vergessen Sie nicht, Villefort, daß wir bei seiner Majestät uns für Sie verantwortlich gemacht haben, daß Seine Majestät ebenfalls die Gnade hatte, auf unsere Empfehlung zu vergessen,« sie reichte ihm die Hand. »wie ich auf Ihre Bitte vergesse. Nur bedenken Sie, wenn irgend ein Meuterer in Ihre Hände fällt, daß die Augen um so mehr auf sie gerichtet sind, als man weiß, daß Sie einer Familie angehören, welche vielleicht mit diesen Meuterern in Verbindung steht.«

»Ah, Madame,« sprach Villefort, »mein Gewerbe, und besonders die Zeit, in welcher wir leben, gebieten mir streng zu sein, und ich werde es sein. Bereits hatte ich einige politische Anklagen aufrecht zu erhalten, und ich habe in dieser Beziehung meine Probe abgelegt. Leider sind wir noch nicht damit zu Ende.«

»Sie glauben?« sagte die Marquise.

»Ich befürchte es. Napoleon ist auf der Insel Elba sehr nahe bei Frankreich. Seine Gegenwart, gleichsam im Angesichte unserer Küste, nährt die Hoffnungen seiner Parteigänger. Marseille ist voll von Offizieren auf halbem Solde, welche täglich unter nichtigen Vorwänden Streit mit den Royalisten suchen. Daraus entstehen Duelle unter den Menschen der höheren Klassen, daraus Ermordungen im Volke.«

»Ja,« sagte der Graf von Salvieux, ein alter Freund von Herrn von Saint-Meran und Kammerherr des Herrn Grafen d’Artois, »ja, aber Sie wissen. daß ihm die heilige Allianz einen andern Wohnort anweist?«

»Es war allerdings bei unserer Abreise von Paris die Rede davon,« versetzte Herr von Saint-Meran, »Wohin schickt man ihn?«

»Nach Sanct Helena.«

»Nach Samt Helena!« Was ist das?« fragte die Marquise.

»Eine Insel zwei laufend Meilen von hier, jenseits der Linie,« antwortete der Graf.

»Das ist gut. Es war, wie Villefort sagt, eine große Thorheit, daß man einen solchen Menschen zwischen Corsica, wo er geboren ist, zwischen Neapel, wo sein Schwager noch herrscht, und im Angesichte von Italien ließ, aus dem er ein Königreich für seinen Sohn machen wollte.«

»Leider,« sprach Villefort, »haben wir die Verträge von 1814, und man kann Napoleon nicht berühren, ohne diese Verträge zu verletzen.«

»Nun, man wird sie verletzen,« sprach Herr von Salvieux. »Hat er die Sache so genau genommen. als es sich darum handelte. den unglücklichen Herzog von Enghien erschießen zu lassen?«

»Ja,« sprach die Marquise. »es ist abgemacht. Die heilige Allianz befreit Europa von Napoleon und Villefort befreit Marseille von seinen Parteigängern. Der König herrscht oder herrscht nicht: herrscht er, so muß seine Regierung stark. so müssen seine Beamten unbeugsam sein: das ist das Mittel, dem Bösen zu begegnen.«

»Leider Madame,« entgegnete Villefort lächelnd. »leider kommt ein Staatsanwalt immer erst wenn das Böse geschehen ist.«

»Dann ist es seine Sache. es wieder gut zu machen.«

»Ich könnte Ihnen sagen. Madame. daß wir das Böse nicht gut machen, sondern es rächen.«

»Oh. Herr von Villefort!« rief eine hübsche junge Person, die Tochter des Grafen von Salvieux und eine Freundin von Fräulein von Saint-Meran, »suchen Sie, so lange wir in Marseille sein werden. einen schönen Prozeß zu bekommen. Ich habe nie einen Assissenhof gesehen, und man sagt, es sei etwas Seltsames.«

»In der Tat. sehr seltsam. mein Fräulein.« erwiderte der Substitut. »denn statt einer scheinbaren Tragödie findet man ein wirkliches Drama; statt gespielter Schmerzen sind es wirkliche Schmerzen. Statt wenn der Vorhang herabgelassen ist, nach Hause zu gehen, mit seiner Familie zu Nacht zu speisen und sich ruhig niederzulegen, um am andern Tage wieder anzufangen, kehrt dieser Mensch in das Gefängnis zurück, wo er den Henker findet. Sie sehen. daß es für nervige Personen. welche Aufregungen suchen. kein Schauspiel gibt, das diesem gleichkommt. Seien Sie unbesorgt, mein Fräulein, wenn sich Gelegenheit zeigt, werde ich es Ihnen verschaffen.«

»Er macht uns beben und lacht dabei!« sprach Renée erbleichend.

»Was wollen Sieg es ist ein Zweikampf . . . Ich habe schon fünf oder sechsmal die Todesstrafe bei politisch Angeklagten verlangt . . . Wer weiß, wie viele Dolche zu dieser Stunde im Schatten geschliffen werden oder gegen mich gerichtet sind?l«

»Oh! mein Gott!« rief Renée düster, »sprechen Sie im Ernste, Herr von Villefort?«

»In vollem Ernste, mein Fräulein.« erwiderte der Beamte lächelnd. »Und durch die schönen Prozesse, welche das Fräulein wünscht, um seine Neugierde zu befriedigen, und welche ich wünsche, um meinen Ehrgeiz zu befriedigen, wird sich die Lage der Dinge nur erschweren. Glauben Sie, daß diese Soldaten von Napoleon, gewohnt blindlings dem Feinde entgegen zu gehen, überlegen, wenn sie eine Patrone abbrennen oder mit dein Bajonnette angreifen? Werden sie mehr überlegen, um einen Mann zu töten, den sie für ihren persönlichen Feind halten, als um einen Russen, einen Oesterreicher oder einen Ungarn zu töten, den sie nie zuvor gesehen haben? Überdies muß das so sein, sonst hätte unser Handwerk keine Entschuldigung. Ich selbst, wenn ich in dem Auge des Angeschuldigten den leuchtenden Blitz der Rache zucken sehe, fühle mich ermutigt, begeistert; es ist nicht mehr ein Prozeß, es ist ein Kampf; ich fechte gegen ihn, er macht seine Stöße, ich mache meine Gegenstöße, und der Kampf endigt, wie alle Kämpfe, durch einen Sieg oder durch eine Niederlage. Das nennt man plaidiren! das ist die Gefahr, welche die Beredsamkeit bildet. Ein Angeschuldigter, der mir nach meiner Replique zu. lächeln würde, machte mich glauben, ich hätte schlecht gesprochen, was ich gesagt, wäre matte kraftlos, ungenügend gewesen. Denken Sie an das Gefühl des Stolzes, das einen von der Schuld des Angeklagten überzeugten Staatsanwalt erfaßt, wenn er den Schuldigen unter dem Gewichte der Beweise, unter den Blitzen seiner Beredsamkeit sich niederbeugen sieht, dieser Kopf beugt sich, er wird fallen.«

Renée stieß einen leichten Schrei aus.

»Das heiße ich sprechen.« sagte einer von den Gästen.

»Das ist ein Mann, wie man ihn in unseren Zeiten braucht,« rief ein Anderer.

»Bei Ihrer letzten Angelegenheit.« sprach ein Dritter, »sind Sie auch vortrefflich gewesen, Herr von Villefort, Sie wissen, der Mann, der seinen Vater ermordet hatte. Sie haben ihn buchstäblich getötet, ehe ihn der Henker nur berührte.

»Ah! für Vatermörder, das lasse ich mir gefallen.« versetzte Renée. »es gibt keine Strafe. welche für solche Menschen groß genug wäre; aber für die unglücklichen politisch Angeklagten!« . . .

»Das ist noch schlimmer, Renée, denn der König ist der Vater der Nation, und den.König stürzen oder umbringen wollen, heißt den Vater von zwei und dreißig Millionen Menschen umbringen wollen.«

»Oh! das ist gleich. Herr von Villefort,« entgegnete Renée. »Sie versprechen mir Nachsicht für diejenigen. welche ich Ihnen empfehlen werde?«

»Seien Sie unbesorgt,« erwiderte Herr von Villefort mit seinem reizendsten Lächeln, »wir machen meine Requisitorien mit einander.«

»Meine Liebe.« sprach die Marquise. »kümmere Dich um Deine Vögel und um Deine Hündchen. und lasse Deinen zukünftigen Gatten seine Geschäfte abmachen. Heute ruhen die Waffen und die bürgerliche Amtstracht steht im Ansehen; es gibt darüber ein lateinisches Wort von großem Gewicht.«

»Cedant arma togae,« sprach Herr von Villefort sich verbeugend.

»Ich wagte es nicht, Lateinisch zu sprechen.« versetzte die Marquise.

»Ich glaube, ich würde es vorziehen, wenn Sie ein Arzt wären,« sprach Renée; oder Würgengel, obgleich er ein Engel ist, hat mich stets erschreckt.«

»Gute Renée murmelte Villefort und schaute dabei das Mädchen mit einem liebevollen Blicke an.

»Meine Tochter.« sagte der Marquis, »Herr von Villefort wird der moralische und politische Arzt dieser Provinz werden; glaube mir, es ist ihm eine schöne Rolle übertragen.«

»Und das wird das Mittel sein, diejenige vergessen zu machen, welche sein Vater gespielt hat.« fügte die unverbesserliche Marquise bei.

»Madame,« versetzte Villefort mit einem traurigen Lächeln. »ich habe bereits die Ehre gehabt. Ihnen zu bemerken, daß mein Vater, ich hoffe es wenigstens, die Irrthümer seiner Vergangenheit abgeschworen hat, daß er ein eifriger Freund der Ordnung und der Religion, vielleicht ein besserer Royalist, als ich bin, geworden ist, denn er ist es mit Reue und ich bin es nur mit Leidenschaft.«

Nach dieser abgerundeten Phrase schaute Villefort die Gäste an, um die Wirkung seiner Rede zu beobachten, wie er nach einer gleichbedeutenden Phrase im Gerichtssaale die Zuhörer angeschaut haben würde.

»Mein lieber Villefort,« versetzte der Graf von Salvieux, »das ist gerade, was ich vorgestern einem Minister des königlichen Hauses antwortete, der sich ein wenig Auskunft von mir über die seltsame Verbindung zwischen dem Sohne eines Girondisten und der Tochter eines Offiziers von der Armee von Condé erbat, und der Minister begriff es ganz wohl, dieses System der Vermischung ist das von Ludwig XVIII. Der König. welcher unser Gespräch, ohne daß wir es vermuteten, anhörte, unterbrach uns auch und sagte:.»»Villefort (bemerken Sie wohl, der König sprach den Namen Noirtier nicht aus, sondern legte im Gegenteil einen Nachdruck auf den Namen Villefort), Villefort.«« sagte der König, »»wird seinen Weg machen; er ist ein bereits reifer junger Mann und gehört meiner Welt an. Ich habe es mit Vergnügen gesehen. daß ihn der Marquis und die Marquise von Saint-Meran zum Schwiegersohne nehmen, und ich würde ihnen diese Verbindung geraten haben, wären sie nicht zuerst gekommen, um mich um Erlaubnis zu dieser Heirat zu bitten.««

»Der.König hat dies gesagt?« rief Villefort entzückt.

»Ich wiederhole Ihnen seine eigenen Worte, und wenn der Marquis offenherzig sein will, so wird er Ihnen zugestehen, daß das, was ich Ihnen hier mitteile, vollkommen mit dem im Einklang steht, was er ihm selbst gesagt hat, als er vor sechs Monaten von einer beabsichtigten Heirat zwischen Ihnen und seiner Tochter sprach.«

»Das ist wahr,« sagte der Marquis.

»Oh! ich habe also diesem guten Fürsten Alles zu verdanken! Was werde ich nicht tun, um ihm zu dienen!«

»So ist es gut,« sprach die Marquise, »so liebe ich Sie: es erscheine in diesem Augenblick ein Meuterer, und er wird willkommen sein.«

»Und ich, meine Mutter,« sagte Renée, »ich bitte Gott, er möge Sie nicht hören, und Herrn von Villefort nur kleine Diebe, schwache Bankerottirer und schüchterne Betrüger schicken, dann kann ich ruhig schlafen.«

»Das ist gerade,« versetzte Villefort, »als ob Sie einem Arzte Migränen, Röteln und Wespenstiche, Dinge welche nicht mehr als die Oberhaut gefährden, wünschen würden; wenn Sie mich als Staatsanwalt sehen wollen, so wünschen Sie mir im Gegenteil furchtbare Krankheiten deren Heilung dem Arzte Ehre macht.«

In diesem Augenblick, als hätte der Zufall nur das Aussprechen des Wunsches von Villefort abgewartet, damit dieser Wunsch in Erfüllung ginge, trat ein Kammerdiener ein und sagte ihm einige Worte in das Ohr. Villefort stand sich entschuldigend vom Tische auf und kam einige Minuten nachher mit heiterem Antlitz und lächelnden Lippen wieder zurück..

Renée schaute ihn liebevoll an; denn so gesehen, mit seinen blauen Augen, mit seiner matten Gesichtsfarbe und seinem schwarzen Backenbarte, war es ein wahrhaft zierlicher junger Mann. Der ganze Geist des jungen Mädchens schien an seinen Lippen zu hängen und die Erklärung seines augenblicklichen Verschwindens zu erwarten.

»Nun, mein Fräulein,« sagte Villefort, »Sie wünschten so eben zum Gatten einen Arzt zu besitzen. Ich habe mit den Schülern des Aesculap, (man sprach noch so im, Jahr 1815), die Ähnlichkeit, daß nie die Gegenwart mir gehört, und daß man mich sogar an Ihrer Seite, sogar beim Verlobungsmahle stört.«

»Und aus welcher Veranlassung stört man Sie, mein Herr?« fragte das Mädchen mit einer leichten Unruhe.

»Ach! wegen eines Kranken, welcher, wenn man dem glauben darf, was man mir sagt, in der höchsten Gefahr schwebt. Diesmal ist es ein schwerer Fall, und die Krankheit berührt das Schafott.«

»Oh mein Gott!« rief Renée erbleichend.

»Wirklich?« fragte einstimmig die ganze Versammlung.

»Es scheint, man hat ganz einfach ein bonapartistisches Complott entdeckt.«

»Ist es möglich?« sprach die Marquise.

»Hier ist die Denunciation.«

Villefort las:

»Der Herr Staatsanwalt des Königs wird von einem Freunde des Thrones und der Religion benachrichtigt, daß Edmond Dantes, Second des Schiffes der Pharaon, diesen Morgen von Smyrna angelangt, nachdem er Neapel und Porto Ferrajo berührt hat, von Murat mit einem Briefe für den Usurpator, und von dem Usurpator mit einem Briefe für das bonapartistische Comité in Paris beauftragt worden ist.

»Den Beweis von seinem Verbrechen wird man bekommen. wenn man ihn verhaftet; denn man findet diesen Brief entweder bei ihm, oder bei seinem Vater, oder in seiner Kajüte an Bord des Pharaon.«

»Diesen Brief,« sagte Renée, »der überdies nur anonym ist, hat man jedoch an den Staatsanwalt adressiert, und nicht an Sie.«

»Ja, aber der Staatsanwalt ist nicht hier; in seiner Abwesenheit gelangte das Schreiben an den Sekretär, welcher die Briefe zu öffnen beauftragt war; er hat also diesen geöffnet, mich fachen lassen, und da er mich nicht fand, Befehl zur Verhaftung gegeben.«

»Der Schuldige ist verhaftet?« sagte die Marquise.

»Das heißt der Beklagte,« versetzte Renée.

»Ja, Madame.« erwiderte Villefort. »und wie ich so eben dem Fräulein Renée zu bemerken die Ehre hatte,  . . . findet man den fraglichen Brief, so ist der.Kranke sehr krank.«

»Wo ist der Unglückliche?« fragte Renée,

»Er wartet bei mir.«

»Gehen Sie. mein Freund,« sprach der Marquis, »versäumen Sie Ihre Pflichten nicht, um bei uns zu verweilen, wenn Sie der Dienst des.Königs ruft.«

»Oh! Herr von Villefort.« sagte Renée die Hände faltend. »seien Sie nachsichtig, es ist heute unser Verlobungstag.«

Villefort ging um den Tisch und sprach, dem Stuhle des jungen Mädchens sich nähernd, auf dessen Lehne er sich stützte:

»Um Ihnen eine Unruhe zu ersparen. werde ich Alles tun, was ich vermag; aber wenn die Anzeigen sicher sind, wenn die Beschuldigung wahr ist, so muß man wohl dieses schlimme bonapartistische Kraut abschneiden.«

Renée bebte bei dem Worte abschneiden, denn das Kraut, um welches es sich handelte, hatte einen Kopf.

»Bah! bah!« rief die Marquise, »hören Sie nicht auf dieses junge Mädchen, Villefort.«

Und die Marquise reichte Villefort die trockene Hand die er küßte, wahrend er Renée ansah und dieser mit den Augen sagte:

»Ihre Hand ist es, die ich küßte oder wenigstens in diesem Augenblick zu küssen wünschte.«

»Traurige Auspicien!« murmelte Renée.

»In der Tat, mein Fräulein,« sprach die Marquise, »Sie sind verzweiflungsvoll kindisch; ich frage Sie, was kann das Geschick des Staates mit den Empfindeleien Ihrer Einbildungskraft und Ihres Herzens gemein haben?«

»Oh meine Mutter!« murmelte Renée.

»Gnade für die schlechte Royalisten, Frau Marquise,« sagte von Villefort, »ich verspreche Ihnen meine Aufgabe als Substitut des Staatsanwalts gewissenhaft zu erfüllen, das heißt furchtbar streng zu sein.«

Aber wahrend der Beamte diese Worte an die Marquise richtete, warf er zu gleicher Zeit verstohlen seiner Braut einen Blick zu, und dieser sagte:

»Sei unbesorgt, Renée, um Deiner Liebe willen werde ich nachsichtig sein.«

Renée erwiderte diesen Blick mit ihrem süßesten Lächeln, und Villefort entfernte sich mit dem Paradiese im Herzen.

Der Graf von Monte Christo

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