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Erstes bis fünftes Bändchen
Achtes Kapitel.
Das Castell If

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Das Vorzimmer durchschreitend, machte der Polizeikommissär zwei Gendarmen ein Zeichen; der eine stellte sich rechts, der andere links von Dantes. Man öffnete eine Thüre, durch welche die Wohnung des Staatsanwaltes mit dem Justizpalaste in Verbindung stand, und folgte eine Zeit lang einer von den großen finstern Hausfluren, welche die Durchwandernden beben machen, wenn sie auch keinen andern Beweggrund zum Beben haben.

Eben so wie die Wohnung von Villefort mit dem Justizpalaste in Verbindung stand, stand der Justizpalast mit dem Gefängnisse, einem düsteren Gebäude in Verbindung, das der Glockenturm der Accoules, der sich vor demselben erhebt, aus allen seinen gähnenden Öffnungen neugierig beschaut.

Nach vielen Wendungen in der Hausflur, durch die er ging, sah Dantes eine Thüre mit einem eisernen Gitter vor sich öffnen. Der Polizeikommissär klopfte dreimal mit einem eisernen Hammer, und diese drei Schläge erschollen für Dantes, als hätten sie auf sein Herz getroffen. Die Thüre öffnete sich, die zwei Gendarmen stießen den Gefangenen, welcher abermals zögerte, leicht vorwärts. Dantes überschritt die furchtbare Schwelle, und die Thüre schloß sich hinter ihm.

Er atmete eine andere Luft, eine mephitische schwere Luft ein; er befand sich im Kerker.

Man führte ihn in ein ziemlich reinliches, aber mit Gittern und Riegeln versehenes Zimmer. Der Anblick seiner Wohnung machte ihm nicht zu sehr bange. Die Worte des Substituten des Staatsanwaltes, mit einer Stimme ausgesprochen, welche Dantes so voll Teilnahme erschienen war, klangen in seinem Ohre wie ein süßes Versprechen der Hoffnung.

Es war bereits vier Uhr, als Dantes in sein Zimmer geführt wurde. Man war, wie gesagt, am ersten März. Die Tage neigten sich bald. Der Gefangene befand sich frühzeitig in Dunkelheit.

Der Gehörsinn vermehrte sich nun bei ihm durch den Gesichtssinn, welcher erlosch. Bei dem geringsten Geräusche, das bis zu ihm drang, erhob er sich lebhaft und machte, überzeugt, man käme, um ihn in Freiheit zu setzen, einen Schritt nach der Thüre; aber bald erstarb das Geräusch in einer andern Richtung, und Dantes fiel wieder auf seinen Schämel zurück.

Endlich gegen zehn Uhr Abends, in dem Augenblick, wo Dantes die Hoffnung zu verlieren anfing, ließ sich ein neues Geräusch vernehmen, und diesmal schien sich dasselbe seinem Zimmer zuzuwenden. Es erschollen wirklich Tritte im Gange und hielten vor seiner Thüre an. Ein Schlüssel wurde im Schlosse gedreht, die Riegel klirrten, die massige Schranke von Eichenholz öffnete sich und ließ plötzlich in dem düsteren Zimmer das blendende Licht von zwei Fackeln erscheinen.

Bei dem Schimmer dieser Fackeln sah Dantes die Säbel und Musketen von vier Gendarmen glänzen.

Er hatte zwei Schritte vorwärts gemacht, blieb aber nun auf der Stelle, als er diese Menschen gewahrte.

»Wollt Ihr mich holen?« fragte Dantes.

»Ja,« antwortete einer von den Gendarmen.

»Auf Befehl des Herrn Substituten des Staatsanwalts?«

»Ich denke wohl.«

»Gut,« sagte Dantes, »ich bin bereit, Euch zu folgen.«

Die Überzeugung. daß man ihn auf Befehl von Herrn von Villefort hole, benahm dem unglücklichen Manne jede Furcht: er schritt ruhig im Geiste, frei im Gange vorwärts, und stellte sich selbst mitten unter seine Escorte.

Ein Wagen erwartete ihn vor der Thüre auf der Straße. Der Kutscher war auf seinem Sitze, ein Gefreiter saß neben dem Kutscher.

»Ist dieser Wagen für mich?« fragte Dantes,

»Er ist für Sie.« antwortete einer von den Gendarmen. »steigen Sie ein.«

Dantes wollte einige Bewegung machen, aber der Kutschenschlag wurde geöffnet, und er fühlte, daß man ihn hineinschob. Es blieb ihm weder die Möglichkeit, noch hatte er die Absicht, Widerstand zu leisten. In einem Augenblick saß er im Hintergründe des Wagens zwischen zwei Gendarmen, die andern setzten sich auf den Vordersitz, und die schwere Maschine rollte mit dumpfem Lärmen vorwärts.

Der Gefangene warf seine Augen auf die Öffnungen: sie waren vergittert. Er hatte nur sein Gefängnis verändert; doch dieses rollte und brachte ihn vollends nach einem unbekannten Ziele. Er konnte durch die nahe an einander gefügten Gitterstangen kaum seine Hand strecken. Dantes erkannte jedoch, daß man an der Rue Caisserie hin und durch die Rue Saint-Laurent und die Rue Tamaris nach dem Ouai hinabfuhr.

Bald sah er durch feine Gitter die Lichter der Consigne glänzen.

Der Wagen hielt Stille. der Gefreite stieg ab und näherte sich der Wachstube. Ein Dutzend Soldaten kam heraus und stellte sich in Reihe und Glied. Dantes sah bei dem Schimmer der Scheinwerfer des Quai ihre Flinten glänzen.

»Sollte man meinetwegen eine solche militärische Macht entwickeln?« sprach er zu sich selbst.

Den Schlag öffnend, der mit einem Schlüssel verschlossen wurde, beantwortete der Gefreite diese Frage, obgleich er kein Wort sprach, denn Dantes sah zwischen den zwei Reihen von Soldaten einen Weg der ihm von dem Wagen nach dem Hafen vorbehalten war.

Die zwei Gendarmen. welche auf dem Vordersitze saßen, stiegen zuerst aus, dann ließ man ihn aussteigen und endlich folgten diejenigen, welche an seiner Seite gesessen hatten. Man ging nach einer Barke zu, die ein Schiffer der Douane an dem Quai mittelst einer Kette befestigt hielt. Die Soldaten sahen Dantes im Vorübergehen mit einer Miene alberner Neugierde an. In einem Augenblick befand er sich in dem Hinterteile des Schiffes, immer zwischen den vier Gendarmen, während sich der Gefreite auf dem Vorderteile hielt; ein heftiger Stoß entfernte das Fahrzeug vom Lande, vier Ruderer arbeiteten kräftig nach dem Pilon. Bei einem von der Barke aus ausgestoßenen Schrei senkte sich die Kette. welche den Hafen schließt, und Dantes befand sich in dem Raum. den man den Frioul nennt, das heißt außerhalb dem Hafen.

Die erste Bewegung des Gefangenen, als er sich in freier Luft sah, war eine Bewegung der Freude. Die Luft ist beinahe die Freiheit. Er atmete also mit voller Brust den Wind ein, der auf seinen Flügeln alle die unbekannten Gerüche der Nacht und des Meeres bringt.

Bald jedoch stieß er einen Seufzer aus. Er kam an der Reserve vorüber, wo er am Morgen desselben Tages während der Stunde vor seiner Verhaftung so glücklich gewesen war, und durch die Öffnung von zwei Fenstern drang der freudige Lärm eines Balles zu ihm.

Dantes faltete die Hände, schlug die Augen zum Himmel auf und betete.

Die Barke setzte ihren Weg fort. Sie war an der Tête-de-More vorübergefahren, und befand sich vor der Bucht des Pharo. Sie war im Begriff um die Batterie zu rudern; Dantes konnte dieses Manoeuvre nicht begreifen.

»Wohin führt Ihr mich?« sagte er.

»Sie werden es sogleich erfahren.«

»Aber . . . «

»Es ist uns untersagt, Ihnen eine Erklärung zu geben.«

Dantes war halb Soldat; Untergeordnete zu befragen, denen es verboten war, zu antworten, kam ihm albern vor, und er schwieg.

Die seltsamsten Gedanken durchkreuzten nun seinen Geist. Da man in einer solchen Barke keine lange Fahrt machen konnte, da kein Schiff in der Richtung, in der man fuhr, vor Anker lag, so dachte er, man wurde ihn an einem entfernten Punkte der Küste an das Ufer setzen und ihm bedeuten, er wäre frei. Er war nicht gebunden, man hatte nicht den geringsten Versuch gemacht, ihm Handschellen anzulegen; dies erschien ihm als ein gutes Vorzeichen. Hatte ihm nicht überdies der Substitut, der sich so vortrefflich gegen ihn benahm, gesagt, wenn er den unseligen Namen Noirtier nicht ausspräche, hätte er nichts zu befürchten? Hatte nicht Villefort in seiner Gegenwart den gefährlichen Brief, den einzigen Beweis, der gegen ihn vorlag, vernichtet? Er wartete also stumm und in Gedanken versunken, und suchte mit dem an die Finsternis gewöhnten Auge des Seemanns trotz der Dunkelheit der Nacht den Raum zu durchschauen.

Man hatte die Insel Ratonneau, auf der ein Leuchtfeuer brannte, zur Rechten gelassen und war, an der Küste hinfahrend, bis zu der Höhe der Bucht der Catalonier gelangt. Hier verdoppelten die Blicke des Gefangenen ihre Kraft, hier wohnte Mercedes, und es kam ihm jeden Augenblick vor, als erschaute er auf dem düsteren Ufer die schwankende, unbestimmte Form eines weiblichen Wesens.

Warum sagte Mercedes nicht eine Ahnung, ihr Geliebter komme auf drei hundert Schritte an ihr vorüber?

Ein einziges Licht brannte bei den Cataloniern. Die Stellung dieses Lichtes erforschend, erkannte Dantes, daß es das Zimmer seiner Braut beleuchtete. Mercedes war die einzige Person in der ganzen kleinen Colonie welche noch wachte. Einen kräftigen Schrei ausstoßend konnte der junge Mann von seiner Verlobten gehört werden.

Eine falsche Scham hielt ihn zurück. Was würden die Menschen sagen, die ihn bewachtem wenn sie ihn wie einen Wahnsinnigen schreien hörten?

Er blieb also stumm, die Augen auf das Licht geheftet. Mittlerweile setzte die Barke ihren Weg fort; aber der Gefangene dachte nicht an die Barke, er dachte an Mercedes.

Eine Veränderung des Terrain ließ das Licht verschwinden. Dantes wandte sich um und bemerkte, daß die Burke das Weite gewann.

Während er in seine eigenen Gedanke versunken hinausschaute, hatte man die Ruder durch Segel ersetzt, und die Barke rückte vom Winde getrieben vor. Obgleich es Dantes widerstrebte, neue Fragen an den Gendarmen zu richten, näherte er sich doch demselben, nahm ihn bei der Hand und sagte:

»Kamerad, bei Ihrem Gewissen, bei Ihrer Eigenschaft als Soldat beschwöre ich Sie, haben Sie Mitleid und antworten Sie mir. Ich bin der Kapitän Dantes, ein guter und rechtschaffener Franzose, obgleich irgend eines Verraths angeklagt; wohin führen Sie mich? sprechen Sie, und auf Seemanns Wort, ich unterziehe mich meiner Pflicht und füge mich in mein Schicksal.«

Der Gendarme kratzte sich hinter dem Ohr und schaute seinen Kameraden an. Dieser machte eine Bewegung, welche ungefähr sagen wollte:

»Ruf dem Punkte, wo wir sind, hat es keine Gefahr,« und der Gendarme wandte sich gegen Dantes um und sprach:.

»Sie sind Marseiller und Seemann, und fragen mich wohin wir fahren?«

»Ja, denn bei meiner Ehre, ich weiß es nicht.«

»Sie vermuten es auch nicht?«

»Keineswegs.«

»Das ist nicht möglich.«

»Ich schwöre es Ihnen bei dem, was es Heiligstes auf Erden gibt. Antworten Sie mir, ich bitte!«

»Aber der Befehl?««

»Der Befehl verbietet Ihnen nicht, mir mitzuteilen was ich in zehn Minuten, in einer halben Stunde in einer Stunde vielleicht erfahren werde. Nur ersparen Sie mir bis dahin Jahrhunderte der Ungewissheit. Ich frage Sie, als ob Sie mein Freund wären. Glauben Sie mir, ich will weder mich empören, noch fliehen. Übrigens kann ich das auch gar nicht. Wohin fuhren Sie mich?«

»Wenn Sie nicht eine Binde über den Augen haben oder wenn Sie nicht gar niemals aus dem Hafen von Marseille gekommen sind, müssen Sie erraten, wohin wir fahren.«

»Nein.«

»So schauen Sie um sich her.«

Dantes stand auf und blickte natürlich zuerst nach dem Punkte, nach dem das Fahrzeug sich zu richten schien, und sah auf hundert.Klafter vor sich den schwarzen Felsen, auf welchem sich, wie eine Kieselüberschwängerung. das düstere Castell If erhebt. Diese seltsame Form, dieses Gefängnis, um welches her ein so tiefer Schrecken herrscht, diese Feste, welche seit dreihundert Jahren Marseille einen so reichen Stoff an unseligen Überlieferungen bietet, machte auf Dantes, als sie so plötzlich vor ihm erschien, ohne daß er daran dachte, die Wirkung, welche auf den zum Tode Verurteilten der Anblick des Schafottes hervorbringt.

»Ah. mein Gott!« rief er. »das Castell If! was sollen wir dort machen?«

Der Gendarme lächelte.

»Aber man führt mich doch nicht dahin, um mich einzukerkern?« sprach Dantes. »Das Castell If ist ein Staatsgefängniß und nur für große politische Verbrecher bestimmt. Ich habe kein Verbrechen begangen. Gibt es dort Untersuchungsrichter, Beamte?«

»Wie ich glaube,« antwortete der Gendarme, »findet man dort nur einen Gouverneur, Kerkermeister, eine Garnison und gute Mauern. Gehen Sie, Freund, spielen Sie nicht den Erstaunten; denn in der Tat, Sie machen mich glauben, Sie wollen meine Gefälligkeit dadurch belohnen, daß Sie meiner spotten.«

Dantes drückte dem Gendarmen die Hand zum Zerquetschen.

»Sie behaupten also,« sagte er, »man führe mich nach dem Castell If. um mich einzukerkern?«

»Das ist sehr wahrscheinlich,« erwiderte der Gendarme. »Aber in jedem Fall. Kamerad. ist es unnötig. mich so stark zu drücken.«

»Ohne eine andere Untersuchung, ohne eine andere Förmlichkeit?« fragte der junge Mann.

»Die Förmlichkeiten sind erfüllt, die Untersuchung ist abgemacht.«

»Also trotz des Versprechens von Herrn von Villefort?«

»Ich weiß nicht, ob Herr von Villefort Ihnen etwas versprochen hat, aber ich weiß, daß wir nach dem Castell If fahren. Nun, was machen Sie denn? Holla! Kameraden, herbei!«

Mit einer Bewegung so schnell wie der Blitz, der jedoch das geübte Auge des Gendarmen zuvorgekommen war, hatte sich Dantes in das Meer stürzen wollen. Aber vier kräftige Fäuste hielten ihn in dem Augenblicke zurück, wo seine Füße den Boden das Schiffes verließen.

Er fiel brüllend vor Wut in die Barke nieder.

»Schön!« rief der Gendarme, indem er ihm das Knie auf die Brust setzte, »schön! so halten Sie Ihr Seemannswort! Man traue doch den freundlichen Leuten! Machen Sie nun nur noch die geringste Bewegung, mein lieber Freunde so jage ich Ihnen eine Kugel durch den Kopf. Ich bin meinem ersten Befehle ungetreu gewesen, ich werde den zweiten wortgetreu befolgen.«

Und er senkte seinen Carabiner gegen Dantes, der das Ende des Laufes an seiner Schläfe fühlte.

Einen Augenblick hatte dieser wirklich den Gedanken, die verbotene Bewegung zu machen, und so auf eine gewaltsame Weise das unerwartete Unglück zu endigen, das sich auf ihn geworfen und ihn plötzlich mit seinen Geierkrallen gepackt hatte. Aber gerade weil dieses Unglück so unerwartet gekommen war, dachte Dantes es könnte nicht lange währen. Dann erinnerte er sich wieder der Versprechungen von Herrn von Villefort, und endlich kam ihm der Tod auf dem Boden eines Fahrzeugs von der Hand eines Gendarmen häßlich, ekelhaft vor.

Er fiel also nieder auf den Grund der Barke, stieß ein Geheul der Wut aus und zernagte sich wie ein Wahnsinniger die Hände.

Beinahe in demselben Augenblicke erschütterte ein heftiger Stoß das Schiff. Einer von den Ruderern sprang auf den Felsen, den das Vorderteil der Barke berührt hatte. Ein Seil ächste, sich um einen Block abwindend, und Dantes begriff, daß man angelangt war und das Schiff anband.

Seine Wächter, welche ihn zugleich am Arme und am Kragen seines.Kleides hielten. nötigten ihn aufzustehen, zwangen ihn an das Land zu steigen, und zogen ihn zu den Stufen, die nach dem Thore der Citadelle führen, während ihm der Gefreite, mit einer Muskete bewaffnet, folgte.

Dantes leistete übrigens keinen vergeblichen Widerstand. Sein langsamer Gang rührte eher von Trägheit, als von Widerstreben her. Er war betäubt und schwankte wie ein Betrunkener, er sah abermals Soldaten, welche sich auf der Böschung aufstellten, er fühlte Stufen. die ihn nötigten, seine Füße aufzuheben, er bemerkte, daß er unter einen Thorweg kam und daß das Thor sich hinter ihm schloß; aber Alles dies nur maschinenmäßig, wie durch einen Nebel, ohne etwas Bestimmtes zu unterscheiden. Er sah sogar das Meer nicht mehr, denn es erfaßte ihn der ungeheure Schmerz der Gefangenen, welche den Raum mit dem furchtbaren Gefühle anschauen, daß sie ohnmächtig sind, denselben zu durchdringen.

Es fand ein Halt von einem Augenblicke statt, während dessen er seine Geister zusammenzuraffen suchte. Er befand sich in einem viereckigen, von vier hohen Mauern gebildeten Hofe. Man hörte den langsamen, regelmäßigen Tritt der Schildwachen, und so oft sie vor ein paar Reflexen vorüberkamen, welche der Schimmer von einigen Lichtern, die in dem innern des Castells brannten, auf die Mauern warf, sah man den Lauf ihrer Flinten funkeln.

Man wartete hier ungefähr zehn Minuten. Gewiß, daß Dantes nicht mehr entfliehen konnte, hatten ihn die Gendarmen losgelassen. Man schien Befehle zu erwarten; diese Befehle kamen.

»Wo ist der Gefangene?« fragte eine Stimme.

»Hier,« antworteten die Gendarmen.

»Er folge mir, ich werde ihn in seine Wohnung führen.«

»Geht,« sagten die Gendarmen, Dantes fort schiebend.

Der Gefangene folgte feinem Führer, der ihn wirklich in ein unterirdisches Gemach geleitete, dessen nackte, schwitzende Wände von Tränen geschwängert zu sein schienen. Eine Art von Lampe, deren Docht in einem stinkenden Fett schwamm, beleuchtete, auf einem Schämel stehend, die glänzenden Mauern dieses abscheulichen Aufenthaltes, und zeigte Dantes seinen Führer, einen schlecht gekleideten, gemein aussehenden Gefangenenwärter.

»Das ist Ihr Zimmer für diese Nacht.« sagte er. »Es ist schon spät und der Herr Gouverneur hat sich bereits zu Bette gelegt. Wenn er morgen erwacht und von den Sie betreffenden Befehlen Kenntnis genommen hat. wird er Ihnen vielleicht eine andere Wohnung anweisen. Mittlerweile finden Sie hier Brot, Wasser in diesem Kruge und Stroh in einem Winkel da unten. Das ist Alles, was ein Gefangener wünschen kann.«

Und ehe Dantes daran dachte, seinen Mund zu einer Antwort zu öffnen, ehe er bemerkte, wohin der Kerkerknecht dieses Brot gelegt hatte, ehe er sich Rechenschaft von dem Orte gab, wo der Krug stand, ehe er die Augen nach dem Winkel wandte, wo ihn das Stroh erwartete, das ihm als Bett dienen sollte, hatte der Gefangenenwärter, die Lampe genommen und dem Gefangenen, die Thüre verschließend, den bläulichen Reflex entzogen, der ihm, wie bei dem Schimmer eines Blitzes die feuchten Wände seines Gefängnisses gezeigt hatte.

Er befand sich nun allein in der Finsternis und in einer Stille, so stumm und so düster, wie diese Gewölbe, deren eisige Kälte er auf seine glühende Stirne sich herabsenken fühlte.

Als die ersten Strahlen des Morgens etwas.Klarheit in diese Höhle gebracht hatten, kam der Gefangenenwärter mit dem Befehle zurück, den Gefangenen zu lassen, wo er war. Dantes hatte den Platz nicht verändert. Eine eiserne Hand schien ihn an die Stelle genagelt zu haben, auf der er am Abend zuvor stille gestanden war. Nur verbarg sich sein tiefes Auge unter einer durch den feuchten Dunst seiner Tränen verursachten Geschwulst. Er war unbeweglich und schaute den Boden an.

So hatte er die ganze Nacht stehend und ohne einen Augenblick zu schlafen zugebracht.

Der Gefangenenwärter näherte sich ihm, ging um ihn her, aber Dantes schien ihn nicht zu sehen.

Er schlug ihm auf die Schulter, Dantes bebte und schüttelte den Kopf.

»Haben Sie denn nicht geschlafen?« fragte der Gefangenenwärter.

»Ich weiß es nicht.« antwortete Dantes.

Der Gefangenenwärter schaute ihn erstaunt an.

»Haben Sie keinen Hunger?« fuhr er fort.

»Ich weiß es nicht.« antwortete Dantes abermals.

»Wünschen Sie etwas?«

»Ich wünschte den Gouverneur zu sehen.«

Der Gefangenenwärter zuckte die Achseln und entlernte sich.

Dantes folgte ihm mit den Augen. streckte die Hände nach der halb geöffneten Thüre aus, aber die Thüre schloß sich wieder.

Dann schien sich seine Brust in einem langen Schluchzen zu zerreißen. Seine Tränen, welche seine Augenlieder aufschwellten. sprangen wie zwei Bäche hervor. Er warf sich mit der Stirne auf die Erde, betete lange, durchlief in seinem Geiste sein ganzes vergangenes Leben und fragte sich, welches Verbrechen er, noch so jung, begangen hätte, das eine so grausame Bestrafung verdiente.

So ging der Tag hin..Kaum aß er einige Bissen Brot und trank ein paar Tropfen Wasser. Bald saß er in seine Gedanken versunken, bald lief er in seinem Gefängnis umher wie ein wildes Tier. das in einem eisernen Käfig eingeschlossen ist.

Ein Gedanke besonders machte ihn immer wieder auffahren: der, daß er während der Überfahrt, wo er in seiner Unkenntniß des Ortes, nach welchem man ihn führte, so ruhig geblieben, zehnmal im Stande gewesen wäre, sich in das Meer zu werfen, einmal im Wasser, durch seine Geschicklichkeit im Schwimmen, durch eine Geschicklichkeit, die aus ihm einen der gewandtesten Taucher von Marseille machte, unter dem Wasser zu verschwinden, seinen Wächtern zu entgehen, die Küste zu erreichen, zu fliehen, sich in irgend einem verlassenen Krek zu verbergen, ein genuesisches oder catalonisches Schiff zu erwarten, Italien oder Spanien zu erreichen und von dort aus Mercedes zu schreiben, sie möge zu ihm kommen. Über sein Leben durfte er in keinem Lande unruhig sein: überall sind gute Seeleute selten. Er sprach Italienisch wie ein Toscaner, Spanisch wie ein Kind von Altcastilien. Er hatte frei und glücklich mit Mercedes und seinem Vater gelebt, denn sein Vater wäre ihm auch nachgefolgt, während er nun ein Gefangener in dem Castell If, in diesem undurchdringlichen Kerker, eingeschlossen war und nicht wußte, was aus seinem Vater, was aus Mercedes wurde, alles dies, weil er an das Wort von Villefort geglaubt hatte. Dies war, um wahnsinnig zu werden. Dantes wälzte sich auch wütend auf dem frischen Stroh, das ihm der Gefangenenwärter gebracht hatte.

Am andern Tage erschien dieser zu derselben Stunde.

»Nun,« sagte er. »sind Sie heute vernünftiger als gestern?«

Dantes antwortete nicht.

».Auf,« sprach der Gefangenenwärter. »Mut gefaßt. Wünschen Sie etwas, worüber ich zu verfügen habe, so sagen Sie es.«

»Ich wünschte den Gouverneur zu sprechen.«

»Ei,« erwiderte der Gefangenenwärter ungeduldig. »ich sagte Ihnen bereits, es wäre dies unmöglich.«

»Warum unmöglich?«

»Weil nach der Vorschrift des Gefängnisses eine solche Bitte den Gefangenen nicht gestattet ist.«

»Und was ist denn hier erlaubt?« fragte Dantes.

»Eine bessere Kost gegen Bezahlung, einen Spaziergang und zuweilen Bücher.«

»Ich brauche keine Bücher, ich habe keine Lust spazieren zu gehen und finde meine Nahrung gut. Ich will also nur Eines: den Gouverneur sehen.«

»Wenn Sie mich dadurch ärgern. daß Sie beständig dasselbe wiederholen,« sagte der Gefangenenwärter. »so bringe ich Ihnen nichts mehr zu essen.«

»Gut!« erwiderte Dantes. »wenn Du mir nichts mehr zu essen bringst, so sterbe ich Hungers.«

Der Ton, mit welchem Dantes diese Worte aussprach. bewies dem Schließer, daß sein Gefangener glücklich wäre, wenn er sterben könnte. Da nun jeder Gefangene seinem Wärter ungefähr zehn Sous täglich einträgt, so faßte der von Dantes das Defizit in das Auge, das sein Tod für ihn zur Folge haben würde, und versetzte freundlicher:

»Hören Sie: was Sie wünschen. ist unmöglich, verlangen Sie es also nicht mehr von mir, denn es gibt kein Beispiel, daß der Gouverneur in das Zimmer eines Gefangenen auf dessen Bitte gekommen wäre. Seien Sie nur vernünftig, und man wird Ihnen den Spaziergang erlauben, dann ist es möglich, daß eines Tages, während Sie spazieren gehen, der Gouverneur vorüber kommt. Sie mögen ihn hierbei anreden, und wenn er antworten will. ist es seine Sache.«

»Aber wie lange kann ich warten, bis dieser Zufall eintritt?« sagte Dantes.

»Oh. bei Gott! einen Monat, drei Monate, sechs Monate, ein Jahr vielleicht.« r

»Das ist zu lang.« erwiderte Dantes. »ich will ihn sogleich sehen.«

»Erschöpfen Sie sich nicht in einem einzigen, unmöglichen Wunsche.« sprach der Gefangenenwärter. »oder Sie sind, ehe vierzehn Tage vergehen, ein Narr.«

»Ha, Du glaubst!« rief Dantes.

»Ja, ein Narr; so fängt die Narrheit immer an, wir haben hier ein Beispiel davon. Das Gehirn des Abbé. welcher vor Ihnen dieses Zimmer bewohnte, verrückte sich, indem er unabläßig dem Gouverneur, wenn man ihn freilassen würde, eine Million bot.«

»Wann hat er dieses Zimmer verlassen?«

»Vor zwei Jahren.«

»Hat man ihn in Freiheit gesetzt?«

»Nein, man hat ihn in einen Kerker gebracht.«

»Höre,« sprach Dantes, »ich bin kein Abbé, ich bin kein Narr; vielleicht werde ich es, zu dieser Stunde aber habe ich leider noch meinen vollen Verstand und will Dir einen andern Vorschlag machen.«

»Welchen?«

»Ich werde Dir keine Million bieten, denn ich könnte sie Dir nicht geben; aber ich biete Dir hundert Thaler. wenn Du das erste Mal, wo Du nach Marseille gehst, Dich zu den Cataloniern begeben und einem jungen Mädchen Namens Mercedes, nicht einmal einen Brief, nur zwei Zeilen geben willst.«

»Wenn ich diesen Brief überbrächte und man entdeckte es, würde ich meine Stelle verlieren, welche taufend Livres jährlich einträgt, abgesehen von gewissen Vorteilen und dem Kopfgelde. Sie sehen also, daß ich ein großer Thor wäre, wenn ich tausend Livres wagen wollte, um dreihundert zu gewinnen.«

»Nun, so höre und behalte es wohl in Deinem Gedächtnis: wenn Du Dich weigerst, den Gouverneur davon in Kenntnis zu setzen, daß ich ihn zu sprechen wünsche, wenn Du Dich weigerst, Mercedes zwei Zeilen zu bringen, oder wenigstens sie davon zu benachrichtigen, daß ich hier bin, so erwarte ich Dich eines Tags hinter meiner Thüre und zerschmettere Dir in dem Augenblick, wo Du eintrittst den Schädel mit diesem Schämel!«

»Drohungen! Abbé rief der Kerkermeister, einen Schritt zurückweichend und sich in Verteidigungsstand setzend: »offenbar ist es in Ihrem.Kopfe nicht richtig. Der Abbé hat angefangen, wie Sie, und in drei Tagen sind Sie ein Narr, daß man Sie binden muß. Zum Glücke gibt es noch Kerker im Castell If.«

Dantes nahm den Schämel und schwang ihn um seinen Kopf.

»Gut, gut,« sprach der Kerkermeister, »gut. da Sie durchaus wollen, so wird man den Gouverneur benachrichtigen.«

»Dann ist es recht,« sagte Dantes, stellte seinen Schämel auf den Boden und setzte sich darauf, den Kopf gesenkt, die Augen starr, als ob er wirklich wahnsinnig würde.

Der Gefangenenwärter entfernte sich und kehrte einen Augenblick nachher mit vier Soldaten und einem Corporal zurück.

»Auf Befehl des Gouverneur,« sagte er, »bringt den Gefangenen ein Stockwerk unter dieses.«

»In den Kerker also?«

»In den Kerker: man muß die Narren mit den Narren zusammensperren.

Die vier Soldaten ergriffen Dantes, der in eine Art von Stumpfsinn verfiel und ihnen ohne Widerstand folgte.

Man ließ ihn fünfzehn Stufen hinabsteigen, und öffnete eine Thüre. durch welche er eintrat.

»Er hat Recht,« murmelte er, »man muß die Narren mit den Narren zusammen sperren.«

»Die Thüre schloß sich wieder, und Dantes ging die Hände ausgestreckt vorwärts, bis er die Mauer fühlte. Dann setzte er sich in eine Ecke und blieb unbeweglich, während seine Augen, sich allmälig an die Dunkelheit gewöhnend, die Gegenstände zu unterscheiden anfingen. Der Gefangenenwärter hatte Recht: es bedurfte nicht viel, und Dantes wurde ein Narr.

Der Graf von Monte Christo

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