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VI. Kapitel

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„Berthold! Berthold!“

Erschrecken und schweißnass fuhr Berthold auf und sah in das vertraute Gesicht seiner Mutter. Sie saß an seinem Bett, fasste seine klamme Hand und strich ihm mit der anderen über die Haare. „Auch ich habe keine guten Träume gehabt heute Nacht, mein Sohn, aber du musst jetzt fort, es ist schon spät und jede Stunde ist ein Geschenk an Etzelroth und seine Häscher.“

Berthold nickte und erhob sich von seinem Lager.

„Doch vorher muss ich dir noch etwas geben und dir dazu eine Geschichte erzählen. Eine Geschichte für dich. Deine Geschichte. Niemand weiß davon, außer mir. Selbst deinem Vater habe ich sie nie erzählt. Ich habe lange selbst nicht daran geglaubt, aber es ist so gekommen, wie er es vorausgesagt hat. Ganz genau so. Und nun muss ich beenden, was er mir aufgetragen hat.“

Berthold ließ sich wieder auf sein Bett fallen und sah seine Mutter fragend an.

„Wer hat dir etwas aufgetragen? Was meinst du? Und was willst du zu Ende bringen?“

Margarethe Graychen setzte sich neben ihn auf die Bettkante.

„Es war vor deiner Geburt. Ich war gerade einmal vielleicht zwei Monate guter Hoffnung mit dir, als es eines Abends an unser Hoftor pochte. Es war der lahme Franz.“

„Franz? Du kanntest ihn? Ich meine, du hast auch mit ihm gesprochen?“

„Ja, Berthold.“

„Was wollte er, rede schon, Mutter, ich bitte dich!“

„Er bat mich in den Hof. Er wollte mich alleine sprechen. Dein Vater war zwar anfangs etwas misstrauisch, aber ich beruhigte ihn und ging hinaus zum lahmen Franz. Ich werde diesen Moment nie vergessen. Es war beeindruckend, mit welcher Kraft, Güte und Ausstrahlung dieser Mann gesegnet war, ja gesegnet.“

Margarethe Graychen blickte gedankenverloren aus dem Fenster, durch das die Sterne in die Kammer sahen. Dann fuhr sie fort: „Er lächelte mich an und nahm meine Hand. Plötzlich durchströmte es mich ganz warm. Ich erschrak zuerst, doch er hielt meine Hand sanft fest. Ich genoss die Berührung. Ich fühlte mich zu Hause und sicher, nur weil er vor mir stand und mich berührte. Fast schon lächerlich, war er doch nur ein armer Tagelöhner und Kräutermann und dennoch, so war es, so wahr ich hier sitze. Franz sagte mir folgendes: ‚Margarethe, du gehst mit einem Kind schwanger. Du wirst einen Sohn gebären. Er wird gesund sein und eine seltsame Gabe entwickeln. Erschrick nicht davor und hilf ihm, wo du kannst. Er wird etwas Besonderes werden und Höheres ist für ihn bestimmt, wenn er es zulässt. Ihr alle werdet leiden, doch er am meisten, weil er seinen Weg suchen muss und seine Bestimmung. Ich möchte dir etwas für ihn geben. Gib es ihm, wenn die Zeit reif ist.‘“

Berthold sah seine Mutter fassungslos an. Warum hatte sie ihm das nicht schon viel früher erzählt und all die Jahre geschwiegen?

„Ja, aber was hat er dir gegeben?“

„Nichts. Oder besser gesagt, nichts an diesem Abend. Er sagte, er würde es mir nur geben, wenn ich ihm auch etwas aushändigen würde. Er würde es auch wieder zurückgeben und ich sollte es dir dann zukommen lassen, wenn die Zeit gekommen sei.“

Berthold platzte fast vor Neugier und Ungeduld. Seine Mutter bemerkte dies sehr wohl, ignorierte es aber geflissentlich.

„Er verlangte von mir, dass ich ihm bestimmte Kräuter und Früchte besorgen sollte, die möglichst nah vor dem Tag deiner Geburt jeweils bei Vollmond geschnitten werden müssten. Ich sollte diese Kräuter selbst von der Wurzel trennen, trocknen und aufbewahren, dann würde er mir etwas für dich geben.“

„Was waren das für Pflanzen?“

„Ach, ich weiß es nicht mehr genau, aber es waren unter anderem Salbei, Tollkirsche, Stechapfel, Fliegenpilz, Sonnenhut, Fingerhut und Lindenblätter dabei. Es waren an die zwanzig oder mehr verschiedene Zutaten. Ich versprach Franz, ihm diese Pflanzen zu besorgen, und er sagte, er würde am Tag deiner Geburt wiederkommen. Und an diesem Tag sah ich auch das seltsame Zeichen, das er auf die Haut gemalt trug. Es befand sich an seinem rechten Unterarm.“

„Der Kreis mit den drei Schwänen?“, fragte Berthold.

„Ja. Du wusstest davon?“

„Ja, natürlich! Wer ihn besser kannte, wusste auch von seinem Zeichen. Aber Franz hat mir nie gesagt, was es bedeutet. Er hat mir nur einmal erklärt, es stamme aus einem anderen Leben, lange, bevor er dazu verdammt worden war, sich als Tagelöhner zu verdingen. Es sei ein heiliges und gütiges Symbol einer ursprünglich guten Sache. Und es war auch nicht gemalt. Es war wie mit ihm verwachsen, unter der Haut, so schien es. Jedenfalls konnte man es nicht abwaschen oder verwischen. Nie zuvor habe ich etwas Ähnliches gesehen. Aber wie ging die Geschichte weiter?“

„Ich habe dann heimlich begonnen zu sammeln, denn nicht alle Pflanzen gedeihen zur selben Zeit. Und tatsächlich, ohne dass er wissen konnte, dass du geboren wurdest, stand Franz kurz darauf wieder vor unserem Tor und die Amme übergab ihm in meinem Auftrag die verlangten getrockneten Pflanzen. Nur vier Wochen später kam er ein letztes Mal zu uns, als dein Vater nicht da war. Als hätte er es geahnt. Ich ging ans Tor und er gab mir einen Beutel, der die getrockneten Kräuter enthielt. Hier sind sie.“

Margarethe kramte aus ihrem Kleid ein Ledersäckchen, das mit einer groben Hanfkordel oben verschnürt war, hervor und legte es in Bertholds Hand.

„Ich soll dir noch folgenden Spruch dazu sagen:

Braue, was du brauen musst, sieden muss das Eis. Schütte es in einem Guss, nur so erkennt Dein Geist.“

Dann ließ sie das Säckchen los. Plötzlich war in Berthold nur noch Hitze, dann zuckende, pulsierende Bilder. Er war blind. Er konnte sehen. Er lief pfeilschnell durch grüne Wälder, hob ab, hoch in die Wolken, zog eine Bahn und stürzte wieder zur Erde. Aber es gab keinen Aufschlag, er setzte sanft auf. Da stand Franz und er begann zu brennen. Berthold schrie. Dann war es vorbei.

Hatte er geschrien? Er wusste es nicht. Noch immer umkrampfte seine Hand das Säckchen mit den Kräutern. Er hatte Schweiß auf der Stirn. Seine Mutter legte erschrocken ihren Arm um Bertholds Schultern.

„Es geht schon wieder, Mutter. Was ist das? Ein Zauberspruch? Hexerei?“

Erwartungsvoll öffnete er das Säckchen und schaute hinein, aber darin befand sich nur ein grobes, etwas modrig riechendes Pulver aus getrockneten Pflanzenteilen, etwa wie ein Kräutertee. Ratlos schnürte Berthold das Säckchen wieder zu und legte es auf sein Bett. Es war ihm ein Rätsel, aber vielleicht hatte dieses Zeug eine Bedeutung, die er jetzt nur noch nicht erkannte? Bedeutungslos konnte es jedenfalls nicht sein, dafür waren die Umstände, unter denen er es erhalten hatte, einfach zu merkwürdig. Und dann diese Geschichte von Franz. Nun, er würde herausfinden, was es damit auf sich hatte. Und wenn nicht, dann hätte er wenigstens ein Andenken an Langen und eine Geschichte mehr in der Tasche. Schaden würde es in keinem Fall.

„Es ist kein Zauberspruch und keine Hexerei, ich denke, es ist vielmehr eine Art Anleitung, aber ich weiß es nicht genau. Franz sagte, du würdest es erkennen. Aber du musst jetzt fort, Berthold, so sehr ich es hasse, dich daran zu erinnern.“

Berthold nickte. Als seine Mutter den Raum verlassen hatte, schaute er noch einige Augenblicke zum Fenster hinaus. Es war noch stockfinster, aber sternenklar. Berthold schätzte die Zeit auf ungefähr zwei Stunden vor Sonnenaufgang. Er wandte sich ab und schnürte sein Bündel. Dabei fiel sein Blick auf das geheimnisvolle Ledersäckchen, das noch auf dem Bett lag. Er packte es mit in sein Bündel und nahm seinen Bogen und den Lederköcher mit Pfeilen von der Wand. Ohne seine Waffe wollte er nicht gehen. Kurz musste er an seine unruhige Nacht denken, an Franz’ Tod und den unheimlichen dunklen Reiter. Was für ein schauriger Traum. Hoffentlich war das kein böses Omen.

Berthold steckte noch sein Messer in den Gürtel, öffnete vorsichtig die Tür und stieg leise und behutsam die Treppe hinab. Die Bediensteten sollten nichts von seinem Weggang erfahren. Auch seine Eltern würden sie nicht einweihen. Sollte man sie später befragen, brauchten sie nicht zu lügen. Das war sicherer und glaubhafter. Unten angekommen, sah Berthold seine Eltern und seinen Bruder Robert vor der Küche stehen. Was sagt man in einem solchen Augenblick? Auf Wiedersehen oder Lebt wohl? Er wusste es nicht. Also sagte er nur: „Verzeiht mir! Wir werden uns wiedersehen, ich schwöre es!“

Seine Mutter hielt ihm weinend einen Leinensack hin, der den Duft von frischem Brot und Dörrfleisch verströmte. Peter Graychen gab seinem Sohn einen Geldbeutel und einen Brief.

„Dies ist ein Teil unserer Ersparnisse. Sei achtsam damit. Und mögen sie dir helfen in der Fremde. Das Dokument ist das Empfehlungsschreiben an Walther. Verwahre es gut und zeige es niemandem außer Walther selbst. Gott sei mit dir, mein Sohn!“

Er umarmte Berthold fest. Der Abschied von seiner Mutter und seinem Bruder war schmerzlicher, nicht weil er sie mehr liebte, sondern einfach, weil sie unbeherrschter als sein Vater waren und ihren Tränen freien Lauf ließen. Dann nahm Berthold seine Sachen und verließ das Haus. Im Hof stand schon Calamus für ihn bereit. Trotz der Dunkelheit hatte Berthold kein Problem, sich zurechtzufinden, schließlich er kannte jeden Stein und jeden Baum auf dem Gut. Mit geübten Händen verstaute er seine Sachen in den Satteltaschen und zurrte sich Bogen und Köcher auf dem Rücken fest. Den Geldbeutel band er sich mit einem Lederriemen um den Hals und verbarg ihn, ebenso wie das Schreiben seines Vaters, unter seinem Hemd.

Berthold führte Calamus durch das Hoftor nach draußen, saß auf und trabte bis zur Weggabelung, die rechts nach Langen und nach links in eine ungewisse Zukunft führte. Wie gern wäre er nach rechts geritten! Entschlossen galoppierte er in die entgegengesetzte Richtung davon.

Verhalten klopfte es an der schweren Eichentür zum Zimmer des Erzbischofs. Graf Diether von Ysenburg wandte sich um, zögerte kurz und rief dann entschlossen: „Herein!“

„Guten Abend, Eure Eminenz“, grüßte Wenzel von Sicking seinen Herrn und verbeugte sich.

„Seid mir gegrüßt, Wenzel. Soll ich Euch einen Wein bringen lassen und etwas zu essen?“

„Ja, ich danke Euch, Eminenz“

Der Erzbischof ergriff ein kleines goldenes Glöckchen, das auf seinem Schreibpult stand, und läutete. Sofort öffnete sich die Tür, ein Diener trat leise ein und verbeugte sich tief. Diether trug ihm seine Wünsche auf. Ebenso unauffällig wie er gekommen war, entfernte sich der Diener auch wieder.

„Was habt Ihr für Neuigkeiten, Wenzel?“

„Nun, Eure Eminenz, ich habe Gelegenheit gehabt, mit meinem verlässlichen Kontakt an Kaiser Friedrichs Hofe zu sprechen. Der Kaiser ist sehr erbost über Euer Verhalten und weiß den Papst hinter sich, der ebenfalls Eure Wahl zum Erzbischof lieber heute als morgen rückgängig gemacht sähe. Irgendetwas ist im Gange, Eure Eminenz, ich weiß noch nicht was, aber wir müssen auf der Hut sein. Eure Gegner sind zahlreich und entschlossen. Ich weiß nicht einmal mehr, ob wir die Geschicke noch in der Hand haben, denn zu vieles ist geschehen, was Euren Feinden an den Pfründen zehrte.“

Diether von Ysenburg lehnte sich in seinem Stuhl zurück und sah nachdenklich auf die feinen Holzschnitzereien an der Decke.

„Ja, das mag sein, Wenzel. Allerdings glaube ich nicht, dass man jemals wirklich seine Geschicke gänzlich in der Hand hat, das hat nur Gott, unser Herr. Aber sicher, Ihr habt recht. Nun ist es wohl zu spät, um noch einzulenken und lieber sollte man sich auf die Konfrontation einstellen.“

Es klopfte erneut an der Tür. Nach von Ysenburgs Aufforderung trat der Diener mit einem Tablett ein, auf dem sich ein Teller mit Bratenfleisch und Käse, einige Stücke Brot, ein Krug Wein sowie zwei silberne Becher befanden. Er stellte alles nacheinander auf den großen, dunklen Tisch, der sich, von acht hochlehnigen Stühlen umrahmt, im hinteren Teil des Zimmers befand, das durch einen schweren Brokatvorhang vom Rest des Raumes abgetrennt werden konnte. Der Erzbischof erhob sich und forderte den noch immer mitten im Raum stehenden von Sicking mit einer einladenden Geste auf, ihm zum Tisch zu folgen. Der Diener füllte die Becher und zog sich, rückwärts zur Tür schreitend, mit einer Verbeugung aus dem Raum zurück.

Nachdem sie Platz genommen hatten, fuhr von Ysenburg fort: „Ich habe mich entschlossen, einen Fürstentag in Nürnberg einzuberufen und meinen Standpunkt vehement vorzutragen und zu verteidigen. Ich denke, es ist besser, jetzt politisch einen Schritt nach vorn zu wagen, als sich leise zurückzuziehen, nur um zu hoffen, dass der Kelch vielleicht an uns vorübergeht. Aus Sicht des Kaisers kann ich gut nachvollziehen, dass er mich hasst, denn schließlich ist er auf die Fürsten angewiesen, die ihn und seinesgleichen wählen. Und es ist doch immer besser, wenn man eine Herde mit Lämmern unter sich hat, die einem willenlos zum Trog und zur Schlachtbank folgen, als wenn ein sturer Bock darunter ist. Wir hatten oft schon heftige Dispute über die Vorbereitung zu meiner Wahl und dem Bund mit Diethrich von Erbach und Ihr wisst, dass ich Euch in vielen Dingen jetzt recht gebe, die ich noch vor einem Jahr anders gesehen habe.

Aber, Wenzel, eines weiß ich genau: Ich bin fehlbar, doch der Papst und der Kaiser sind es auch. Selbst wenn sie es gern anders hätten und bei jeder Gelegenheit proklamieren, sie seien von Gottes Gnaden ins Amt berufen worden. Aber nicht Gottes Gnade allein beruft sie. Denn den Papst wählen die Kardinäle und den Kaiser die sieben Kurfürsten des Reiches – und ich bin einer von ihnen. Ihr wisst, wie ich über die Machtfülle von Kaiser und Papst denke. Nicht ihre Autorität stelle ich in Zweifel oder Abrede, doch mangelnde Demut und Gier nach persönlichem Reichtum sehr wohl. Und auch ich weiß starke Verbündete hinter mir und an meiner Seite. Nun, da ich sehr wohl um meine eigene Fehlbarkeit weiß, möchte ich Euch versichern, dass ich Eurem geschätzten Urteil in den folgenden Entscheidungen mehr Gehör schenken werde. Denn dumm ist nicht der, der einen Fehler macht, sondern der, der ihn ein zweites Mal begeht. Also, was meint Ihr zu meinem Vorhaben?“

Diether von Ysenburg griff nach seinem Becher Wein, nahm einen tiefen Zug und bediente sich vom kalten Schweinebraten. Er sah Wenzel von Sicking erwartungsvoll an. Dieser räusperte sich etwas und sagte dann schließlich: „Ich danke Euch für das Vertrauen und möchte Euch nochmals sagen, dass meine Beurteilungen zu den damaligen Vorbereitungen für Eure Wahl nicht als Kritik an Eurer Person …“

„Schweigt!“, schnitt ihm von Ysenburg barsch das Wort ab und polterte: „Glaubt Ihr, ich bin ein Dorftrottel, der Kritik nicht erkennen kann? Glaubt Ihr, Ihr würdet jetzt nicht ersäuft in einem Fluss herumtreiben, anstatt mit Eurem Erzbischof einen Wein zu trinken, wenn ich den wahren Gehalt Eurer Worte, als sie Euren vorlauten Mund verließen, nicht erkannt hätte? Ich brauche keine Berater, die mir Honig ums Maul schmieren und mich ins Verderben rennen lassen, sondern aufrechte, erfahrene Männer, die mir ihre Meinung sagen, damit ich ein guter Herrscher und gottesfürchtiger Mensch bleibe. Es ist einfacher, sich den Körper von hundert Weibern zu kaufen, als nur einen ehrlichen Menschen um sich zu haben. So ist die Welt. Und nun fahrt fort!“

Von Sicking, der während dieses Ausbruchs die Luft angehalten hatte, atmete erleichtert aus, erhob seinen Becher und hielt ihn über den Tisch.

„Auf allzeit gutes Gelingen und die gemeinsame Sache. Ich danke Euch für Euer Vertrauen, Eminenz, und werde treu an Eurer Seite stehen, ganz gleich, was kommt. Auf Euch.“

„Ich weiß das und schätze es“, erwiderte Diether von Ysenburg.

Nachdem beide getrunken hatten, griff auch von Sicking zu und bediente sich von Braten und Brot.

„Ich denke, Eure Eminenz“, sagte er schmatzend, „dass die Einberufung eines Fürstentages eine eindeutige Brüskierung der nicht mit Euch verbündeten Fürsten ist. Auch der Kaiser wird Euch nicht gerade dafür lieben. Der Papst sowieso nicht. Nach meinem Dafürhalten ist das die letzte legitime und nicht kriegerische Auseinandersetzung, die Ihr wagen könnt, um das Erreichen Eurer Ziele voranzutreiben. Ein hohes Risiko. Wenn auch nur einer der Verbündeten umkippt, habt Ihr einen schweren Stand, wenn es nicht gar der Auslöser von Schlimmerem ist. Eure Verpflichtungen im Bund Dietrichs von Erbach, der sich gegen den Kurfürsten Friedrich von der Pfalz gestellt hatte, haben Euch sicher zuerst einen Vorteil verschafft, da letztlich Ihr mit knapper Mehrheit zum Erzbischof von Mainz gewählt wurdet. Allerdings seid Ihr bis heute nicht vom Papst anerkannt worden und um Euer Verhältnis zu Kaiser Friedrich ist es auch nicht mehr zum Besten bestellt.“

Diether von Ysenburg saß nachdenklich in seinem Stuhl und spielte mit den Fingern an seinem verzierten Becher.

„Andererseits“, hob von Sicking erneut an, „sehe ich die Möglichkeit, dass man den Spieß auch durchaus umdrehen kann.“

„Wie meint Ihr das? Ich weiß, dass die Einberufung eines Fürstentages ein Risiko darstellt, aber ich glaube fest daran, dass ein allgemeines Konzil die einzige Möglichkeit ist, um genügend Druck gegen Rom aufzubauen und dadurch Papst Pius zum Einlenken zu bewegen.“

„Ja, Ihr habt recht! Aber wieder ist es nicht Euer Plan, der mich sorgt, sondern – mit Verlaub – Eure Vorbereitungen. Ihr habt zu viele unsichere Faktoren in Nürnberg. Ihr müsstet Euch wenigstens noch eines starken Verbündeten sicher sein, dann wären die Verhältnisse zu Euren Gunsten verlagert oder wenigstens ausgeglichen. Und Ihr wäret im schlimmsten Falle besser gerüstet, denn Ihr könnt Euch nicht nur auf Euren Bruder Ludwig allein verlassen.“

„An wen habt Ihr gedacht, Wenzel?“, fragte von Ysenburg direkt.

„An Kurfürst Friedrich von der Pfalz“, sagte von Sicking, ohne zu zögern.

Der Erzbischof schaute ihn entgeistert an. „Friedrich von der Pfalz? Wisst Ihr, was Ihr da sagt, oder habt Ihr schon zu viel getrunken? Friedrich steht fest auf Seiten von Nassau und unser Bund damals richtete sich gegen ihn. Sicher hat er meinen Kampf gegen ihn nicht vergessen. Wie soll er da wohl auf den Gedanken kommen, das Lager zu wechseln, vor allem jetzt, wo die Zeichen nicht so günstig für mich stehen?“

Wenzel von Sicking lächelte süffisant.

„Nun, ich gebe zu, es klingt vermessen, aber ich glaube, dass Friedrich sehr wohl ein guter Kandidat für unser Vorhaben wäre. Zum einen ist er machthungrig, zum anderen in Geldnöten. Sein Lebensstil kostet nicht wenig, das ist allseits bekannt. Er arbeitet mit Adolph von Nassau auch nur zu seinem Vorteil zusammen. Ein reines Zweckbündnis ohne Treuebande und gemeinsame Idee. Mit Verlaub, er ist eine Hure! Für Friedrich zählt nur die Macht. Und was bindet wohl einen Gierschlund wie ihn an Adolph? Ich will es Euch sagen: nur Ländereien und Geld. Nicht mehr und nicht weniger.

Eure Eminenz, Ihr seid ein reformerischer Geist, der die Raffgier der katholischen Kirche, vor allem die der höheren Kurie und insbesondere die des Papstes, stark anprangert und der gar die Abschaffung der päpstlichen Annaten fordert. Ich kann Euch gut verstehen, denn wer wie Ihr eine weit reichende Bildung und ein festes moralisches Wertegefüge hat, dem muss es zuwider sein, dass verantwortungsvolle Ämter an die gehen, die am meisten dafür zahlen und nicht an die, die aufgrund ihrer Ausbildung, Kompetenz und menschlichen Fähigkeiten am besten dafür geeignet sind. Aber in diesem Fall muss ich sagen, dass der Zweck die Mittel heiligt. Benutzt Euer Geld, um Eure Ziele zu erreichen, die letztlich zum Wohle einer gerechten Kirche sind.“

„Was schlagt Ihr vor?“, fragte der Erzbischof neugierig.

„Versprecht Friedrich von der Pfalz einfach mehr Land, als Adolph es vermag“, sagte von Sicking. „Gebt ihm Lorsch, Heppenheim und Bensheim. Ihr braucht es nicht. Die Bürger dort sind verschroben und aufsässig. Der Wein, den man dort bekommt, schmeckt- sauer und zudem liegt es auch am Rande Eurer Besitztümer. Ihr werdet dieses Opfer also in jeder Hinsicht verkraften. Ausgestattet mit so viel Aussicht auf Einnahmen und Land, sollte es schon mit dem – verzeiht – Teufel zugehen, wenn Friedrich nicht auf Eure Seite wechselt. Er wird sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, den Kaiser den Preis dafür zahlen zu lassen, dass er bereits letztes Jahr durch verbündete Fürsten und Bischöfe einen Krieg gegen ihn angezettelt hat. Der Kurfürst hat diesen Krieg zwar gewonnen, aber der Kaiser versucht doch beständig, neue Unterstützer der Reichsacht gegen Friedrich zu sammeln. Er wird also das Angebot aufmerksam prüfen, glaubt mir, Eure Eminenz. Und wenn nicht? Was habt Ihr zu verlieren? Steht er doch offiziell nicht ohnehin schon gegen Euch?“

Diether von Ysenburg schwieg und dachte nach. Nach einiger Zeit sagte er: „Ich glaube, Ihr könntet recht haben. Einen Versuch wäre es zumindest wert. Reitet gleich morgen zu Friedrich, aber macht es so still und leise, wie Ihr könnt, ich will kein Aufsehen erregen. Ich werde Euch noch heute einen Geleitbrief aufsetzen, der mein Angebot enthält. Sendet morgen früh einen Diener zu mir, er soll das Schreiben abholen. Ich erwarte Euch dann kommende Woche zurück, diese Zeit muss ausreichen, denn es drängt mich, zu handeln. Ich danke Euch für Eure Ratschläge, Wenzel.“

„Ja, Eure Eminenz“, sagte von Sicking, der spürte, dass der Erzbischof nun allein sein wollte. „Darf ich Euch noch sagen, dass ich von einem Verräter weiß, der um Euch ist. Vielleicht ist er sogar hier in der Burg. Ich möchte Euch raten, niemandem mehr als nötig zu vertrauen und auf der Hut zu sein. Und von einem kleinen Städtchen in eurem Gebiet, von dem im Wildbann des Kaisers gelegenen Dreieichenhayn, geht in irgendeiner Form Gefahr für Euch aus. Es rumort dort auffällig und Verräter sind am Werk. Näheres ist mir leider noch nicht bekannt, doch dies wurde mir von unserem Gewährsmann dort zugetragen. Ich werde ihn morgen vor meiner Abreise in die Pfalz noch einmal treffen und ihn instruieren, dass er verstärkt Augen und Ohren offen halten und bei den geringsten Verdachtsmomenten sofort Meldung an Euch machen soll. Seid auf der Hut, ich bitte Euch, Eminenz.“

„Ich danke Euch für die Informationen und Eure Fürsorge, doch nun geht. Auch ihr braucht euren Schlaf. Gott sei mit Euch“, entgegnete Diether von Ysenburg.

Wenzel von Sicking verbeugte sich, küsste den reich verzierten Ring des Erzbischofs und verschwand leise aus der Tür. Von Ysenburg dachte über von Sickings Warnungen nach und beschloss, wirklich etwas achtsamer zu sein und eventuell sogar die Wachen zu verstärken. Vielleicht war er die ganze Zeit zu unbekümmert gewesen und hatte sich zu sehr auf seinen Stand und zu wenig auf seine Soldaten verlassen? Er wusste es nicht. Ein neuer Tag sollte Klarheit bringen über das, was er zu tun hatte.

Wenzel von Sicking schritt gedankenvoll von den Gemächern des Erzbischofs durch den mit Fackeln spärlich erleuchteten Gang zur Treppe, die in den Hof von Burg Hohneck führte. Er war wirklich besorgt – und er hatte gelogen. Er wusste mehr, als er von Ysenburg gesagt hatte. Er hatte bereits einen handfesten Verdacht gegen eine bestimmte Person, aber leider noch keinen Beweis. Er wollte den Erzbischof jedoch nicht dazu ermuntern, sich anders als sonst zu verhalten. Vielleicht hätte es der Verdächtige gemerkt und sich abgesetzt oder seine Spuren vernichtet, sofern es welche gab. Zumal dieser Verdacht so unglaublich war, dass er ihn selbst kaum glauben konnte.

Von Sicking hoffte, dass seine Rechnung aufgehen würde. Denn er wusste, dass er ein hohes Risiko einging. Sagte er etwas und konnte es nicht beweisen, so machte er sich unglaubwürdig und lief Gefahr, dass er sich selbst wegen Verleumdung verantworten musste. Sagte er hingegen nichts und hoffte, dass sich der Verräter in Sicherheit wog und einen Fehler beging, dann aber doch unentdeckt blieb oder seine Schuld nicht zu beweisen war, so trug er die Verantwortung, wenn dem Erzbischof etwas zustoßen oder ihre Pläne verraten würden. Es war kompliziert, aber von Sicking wollte abwarten und hielt dies für die bessere Lösung, zumindest noch im Moment.

Schattenfehde

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