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III. Kapitel

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Katharina saß an Bertholds Bett und war sichtlich erleichtert, als dieser endlich wieder seine Augen aufschlug. Berthold sah sie an und wusste einmal mehr, warum er sie liebte. Es war nicht nur ihr Wesen, ihre Aufrichtigkeit und Anmut, sondern auch das, was ein Mann an einer Frau körperlich begehrte. Dazu diese wunderbar tiefgrünen Augen, die aufmerksam und offen in die Welt glitzerten. Die ein Jahr jüngere Katharina war oft genug die Sonne in weniger hellen Tagen gewesen, die ihm Mut und Kraft gegeben hatte. Sie beugte sich über ihn und küsste ihn zärtlich.

„Gott sei Dank!“, sagte sie glücklich. „Ich dachte schon, du würdest nie mehr aufwachen! Wie fühlst du dich?“

Berthold hatte noch immer den tauben und bitteren Geschmack im Mund. Er kannte diesen Geschmack nur zu gut, der stets seine Ahnungen begleitete. Nur, so mächtig wie jetzt war er niemals zuvor gewesen.

„Er hat niemandem etwas zuleide getan, Katharina! Und Etzelroth hat ihn ermordet. Franz war kein Hexer oder Zauberer und hatte mit dem Teufel so viel zu tun wie der Papst, wahrscheinlich eher weniger!“

„Ich weiß, Berthold.“

Katharina fasste die Hand ihres Verlobten. Dieser rieb sich nachdenklich das Kinn, blinzelte Katharina zu und sah sie fragend an.

„Was ist mit mir geschehen?“

„Du bist zuerst nur abwesend gewesen, mit einem Blick, ganz eigentümlich und fremd, so als wärst an einem anderen Ort. Und als das Feuer den armen Franz ergriffen hatte, da war es um dich geschehen. Es war schlimm. Gezuckt hast du und dich mit Schaum vorm Mund in Krämpfen gewunden.“

Berthold sah abwesend aus dem geöffneten Fenster.

„Weder Zeit noch Ort waren gut gewählt für einen solchen Ausbruch“, musste er eingestehen. „Gerade bei Franz’ Verbrennung so zusammenzubrechen, war äußerst unpassend. Aber das kann ich mir schließlich nicht aussuchen, wie du weißt.“

Katharina nickte betroffen.

„Wie hast du mich hergeschafft?“

„Schankwirt Gruber und ich haben dich auf seinen Karren gelegt und er hat uns hierher gefahren.“

„Gruber. Guter Mann. Danke ihm von mir, wenn du ihn das nächste Mal siehst.“ Verbittert fuhr Berthold fort: „Etzelroth hat nun endlich seinen so lange begehrten Anlass, mich anzuklagen. Ich bin ihm ohnehin schon seit Jahren ein Dorn im Auge und ihm war wohlbekannt, wie Franz und ich zueinander standen. Du kennst meine Gabe, Katharina. Sie ist meine Bürde. Es spielt keine Rolle, wem ich auf welche Art und Weise schon geholfen habe. Wenn es zur Anklage käme, würde niemand für mich sprechen, aus Angst, sich selbst in Verdacht zu bringen. Oder hat jemand den Finger gerührt für Franz, der zu allen immer voller Güte war und ein offenes Ohr für jedermann hatte? Ich muss etwas unternehmen. Ich muss uns schützen.“

Katharina wollte etwas einwenden, doch in diesem Augenblick betrat Bertholds Mutter den Raum.

„Ich bin so froh, dass es dir schon wieder besser geht, mein armer Sohn. Aber dennoch bin ich sehr betrübt über das Geschehene. Ich mache mir Sorgen um dich. Das, was an der Richtstätte geschehen ist, war Wasser auf die Mühlen derer, die dir deine Gabe neiden, allen voran Wolfram Etzelroth und dessen Sohn, mit denen man sich besser nicht anlegen sollte.“

Berthold schwieg.

„Lass uns einen Augenblick allein, Katharina“, wies Margarethe Graychen das Mädchen an, das sich widerspruchslos erhob, zur Tür schritt und sie leise hinter sich schloss. Katharina platzte zwar vor Neugier, hatte aber zu viel Respekt vor ihrer zukünftigen Schwiegermutter, um an der Tür zu lauschen, auch wenn ihr – sie musste es sich eingestehen – für einen kurzen Augenblick dieser Gedanke gekommen war.

Sie ging durch den Eingansbereich ins Freie hinaus und trat auf den Hof, wo emsiges Treiben herrschte. Das Frühjahr war endlich angebrochen und die kalten Nächte waren vorbei. So gab es genug zu tun. Peter Graychen hatte die Hube von seinem Vater geerbt, der sie seinerzeit vom Grafen Peter von Falkenstein als Lehen für besondere Verdienste erhalten hatte. Berthold würde der nächste Herr der Hube sein. Ein schönes Stück Land, ein pflichtgemäßes Lager für den Kaiser, immer in der Natur, geachtet von allen, beneidet von vielen – kein so schlechtes Leben, dachte Katharina bei sich. Doch hatte sie kein gutes Gefühl. Bertholds Anfall auf dem Langener Richtplatz war einfach zu heftig gewesen. Zu auffällig und zu passend für Vogt Etzelroth. Und Bertholds Verhalten gefiel ihr auch nicht. Ganz und gar nicht. Was hatten seine Andeutungen zu bedeuten? Und was hatte er nur vor?

Katharina schob gedankenverloren einen faustgroßen Kiesel, der am Rand des eingefassten Kräuterbeetes lag, beiseite. Wo blieb Berthold nur? Sie musste nach Hause. Alwin, der alte Knecht der Graychens, kam mit einem kopflos zuckenden Hühnerleib und einem kleinen blutigen Beil an Katharina vorbei. Er lächelte freundlich und warf ihr ein erklärendes „Hühnersuppe“ entgegen, bevor er im seitlichen Kücheneingang, an der rechten Seite des Haupthauses, verschwand. Plötzlich legte jemand Katharina eine Hand auf die Schulter. Sie drehte sich um. Es war Berthold. Sie sah die traurigen Augen ihres Verlobten.

„Was ist?“

Berthold schüttelte nur betreten den Kopf.

„Nicht jetzt, Katharina.“

Dann fragte er: „Du musst schon fort?“

„Ja, leider. Ich würde noch so gerne bei dir bleiben, mein Liebster, aber mein Vater wird ohnehin nicht gut auf mich zu sprechen sein, weil ich so spät komme. Und zu Hause wartet noch viel Arbeit auf mich. Wir treffen uns am Sonntag nach dem Mittagessen an unserem Platz, dann kannst du mir alles berichten.“

Berthold nickte. Katharina küsste ihn hastig und hob die Hand zum Abschied, als sie zum Hoftor hinausging. Berthold blickte ihr nach, solange, bis sie den Weg erreichte und nach rechts in Richtung Stadt abbog. Sonntag also. Dann würde er sie vielleicht zum letzten Mal sehen.

Berthold ging ins Haus zurück. Es war Zeit für das Essen. Er hatte seiner Familie seine unumstößliche Entscheidung mitgeteilt. Die Mutter versuchte ungeschickt, ihr verweintes Gesicht zu verbergen. Bertholds Bruder Robert, drei Jahre jünger als er, saß betreten, schweigsam und mit gesenktem Blick seinem Vater gegenüber. Peter Graychen hingegen schien sich selbst noch nicht allzu sicher zu sein, wie er sich fühlen sollte. Er schwankte zwischen ohnmächtiger Wut und mitleidiger Hilflosigkeit, wohl wissend, dass er seinem Sohn mit keinem dieser Gefühle gerecht werden oder gar eine Stütze sein konnte. Doch er war das Familienoberhaupt und es war an ihm, die richtigen Worte zu finden. Er sah abwesend in die Luft, als er zu sprechen begann.

„Was heute geschehen ist, ist der Gipfel einer tragischen Kette von Ereignissen, die das Schicksal – und nur Gott, unser Herr, weiß warum – über Berthold und damit über die ganze Familie gebracht hat. Erst der Reitunfall und die Lahmheit und, als wäre das noch nicht genug, diese unheilvolle Gabe, zu wissen, was niemand eigentlich wissen darf. Und nun noch der heutige Vorfall.“

Jetzt wandte er sich Berthold zu und sah ihm in die Augen.

„Natürlich ist mir klar, dass etwas geschehen muss. Aber du darfst nicht weglaufen, Berthold. Das käme einem Schuldanerkenntnis gleich und Etzelroth würde dich jagen, wo er nur könnte. Wir müssen uns an den Erzbischof wenden und eine gerechte Untersuchung verlangen.“

Berthold starrte auf den Tisch. Es tat weh. Sein Herz blutete, doch er war entschlossen.

„Nein, Vater. Ich muss gehen. Ich bringe euch in Gefahr und Katharina auch. Ganz zu schweigen davon, dass ich keinen Wert darauf lege, Etzelroths ungerechtes Verhör zu erleben, dessen Ergebnis bereits feststeht. Du weißt, dass ich recht habe. Und an den Erzbischof herantreten? Wir sind nichts, nur einfache Leute. Keine Menschen von Stand. Gut, vielleicht würde er uns anhören, vielleicht sogar würde er uns beistehen. Aber wann? Das Risiko ist zu hoch. Nein und nochmals nein. Ich habe meinen Entschluss gefasst. Ich werde gehen.“

Bertholds Mutter liefen Tränen über ihre Wangen. Peter Graychen schüttelte fassungslos den Kopf. „Dann bist du ein toter Mann“, flüsterte er.

Berthold ergriff die zitternden Hände seines Vaters und sagte: „Tot bin ich, wenn ich bleibe, Vater.“

„Wie lange willst du fortgehen?“, fragte Robert tonlos.

„Ich weiß es nicht“, antwortete Berthold leise und schwieg für einen Moment. Dann fuhr er traurig fort: „Es kann sein, dass ich für eine sehr lange Zeit nicht wieder hierher zurückkommen kann. So lange Vogt Etzelroth im Amt ist, scheint mir eine Rückkehr unmöglich zu sein. Dieser verruchte Mörder ist zäh und leider noch äußerst gesund und kräftig für sein Alter.“

„Aber wann willst du denn fort und wohin willst du gehen?“, fragte seine Mutter schluchzend.

Berthold antwortete bestimmt: „Ich werde schon übermorgen in aller Frühe gehen. Ich brauche noch einen Tag für die Vorbereitungen und will mich von Katharina verabschieden. Sie weiß es noch nicht. Selbst Etzelroth wird am Sonntag eher in die Kirche gehen, als Menschen zu verhaften. Er ist sich seiner Sache auch so sicher. Wenn er nach mir schickt, verleugnet mich einfach. Sagt ihm und seinen Schergen, ich sei auf und davon. Ihr wüsstet nicht wohin. Nur so seid ihr sicher.“

Berthold sah seinen Eltern und seinem Bruder traurig in die Augen. Er war sich sicher, dass er nicht anders handeln konnte. In diesem Augenblick war ihm jedoch auch bewusst, dass es für ihn keine Zukunft als zukünftigen Hübner des Hofguts Graychen geben würde. Robert würde das Lehen erben und es sicher nicht wieder aushändigen, selbst wenn Etzelroth eines Tages vor seinen Schöpfer treten und er selbst zurückkehren sollte. Das schöne Bild einer sicheren Zukunft inmitten seiner Familie und mit Katharina an seiner Seite zerfiel. Was blieb, waren Ungewissheit und Angst.

Peter Graychen nickte zögerlich.

„Gut, wenn das dein Wille ist. Ich kann es dir nicht verbieten und wenn ich es täte, was würde es nützen? Es ist dein Leben, Berthold, und du bist alt genug, um zu wissen, was du tust. Vielleicht hast du recht. Aber sieh dich vor: Sie werden dich verfolgen. Traue keinem. Wenn unsere Wege sich aber auf diese Weise trennen, dann will ich dir wenigstens so viel Hilfe sein, wie ich nur kann. Du erhältst eine kleine Barschaft von uns, die dir am Anfang helfen soll, sowie Proviant für drei Tage. Ich werde dir ein Schreiben an meinen alten Freund Walther Köppler aufsetzen. Ich habe ihn leider schon einige Jahre nicht mehr gesehen, aber ich hoffe, er wird sich unserer alten Bande in dieser dunklen Stunde noch erinnern und dir helfen. Walther ist Baumeister in Babenhausen in der Babenhäuser Mark. Bis dahin reicht der Arm des Vogtes hoffentlich nicht. Die Stadt gehört zur Grafschaft Philipps I., des Älteren, von Hanau-Lichtenberg, mit dem Etzelroth sicher keine Händel suchen wird. Walther soll dir fürs Erste Arbeit, Brot und ein Dach über dem Kopf geben. Aber dann musst du selbst weitersehen.“

„Danke, Vater“, flüsterte Berthold gefasst und verließ den Raum, um in seine Kammer zu gehen. Er musste jetzt allein sein.

Schattenfehde

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