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XII. Kapitel

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Ambrosius Kufner saß in seiner Schreibstube und kontrollierte einige Abschriften, die er Katharina am Tag zuvor in Auftrag gegeben hatte. Er war angenehm überrascht. Es waren keine Fehler zu erkennen, das Schriftbild war gleichmäßig und gut lesbar. Anscheinend konnte sich Katharina von allen Gefühlen trennen, wenn sie konzentriert bei der Arbeit war. Und sie hatte wohl sein Talent für Wort und Schrift geerbt. Wie schade, dass sie eine Frau war. Gern hätte er sich für sie um eine weitere Ausbildung als Buchdrucker bemüht, um den modernen Schriftsatz und die Vervielfältigung von Texten kennenzulernen. Schließlich war Johannes Gensfleisch, der Erfinder des Buchdrucks, ein Freund von Erzbischof Diether von Ysenburg in Mainz – und zum dortigen Augustinerkloster hatte Ambrosius nach wie vor gute Kontakte.

Der Stadtschreiber seufzte. Für einen begabten jungen Mann würde sich sicher etwas arrangieren lassen, aber eine Frau durfte leider keine Schreiberin oder Buchdruckerin werden. Dabei hatte gerade die Zunft der Buchdrucker eine vielversprechende Zukunft vor sich. Bereits in wenigen Jahren würde der Buchdruck billiger und fortschrittlicher werden, sodass irgendwann einmal vielleicht tausend oder mehr Exemplare eines einzigen Werkes für ein paar Heller gedruckt werden könnten. Das klang freilich verrückt, aber wer konnte das schon wissen? Vor fünfzig Jahren hatte auch noch niemand daran gedacht, dass man Städte einmal mit Bombarden und anderen Geschützen belagern würde.

Ambrosius Kufner war mit seiner Arbeit fertig, rollte die Schriftstücke vorsichtig zusammen und steckte sie einzeln in Lederhüllen. Da stürmte Katharina völlig außer Atem und mit hochrotem Kopf in die Schreibstube. Der Stadtschreiber wollte sie gerade dafür rügen, dass sie das Anklopfen vergessen hatte, doch schluckte er die Worte hinunter, als er den Gesichtsausdruck seiner Tochter sah, die völlig aufgelöst und den Tränen nahe schien. Stattdessen fragte er: „Was, um alles in der Welt, ist denn passiert?“

Schwer atmend sprudelte Katharina hervor: „Vater, sie haben die Graychens verhaftet und Vogt Etzelroth hat das Hofgut besetzt!“

Die Soldaten des Vogtes hatten Peter Graychen mit Stricken gefesselt, geknebelt und schließlich auf einem Pferdekarren nach Dreieichenhayn zur Burg Hayn gebracht. Dort wurde er unter Tritten, Schlägen und Beschimpfungen in das Burgverlies geworfen und an die Wand gekettet. Als die Soldaten ihm den Knebel aus dem Mund nahmen, schrie Peter rasend vor Wut nach seiner Frau und seinem Sohn, was ihm neben höhnischem Gelächter nur noch mehr Tritte und Schläge einbrachte. Nach einer Weile wurde er jedoch still, um nicht noch ein paar gebrochene Rippen oder ausgeschlagene Zähne zu riskieren.

Die Tür des Verlieses krachte donnernd ins Schloss und die Riegel wurden vorgeschoben. Feuchte Dunkelheit umgab Peter Graychen, den nun Angst und Verzweiflung erfassten. Was hatten sie Vogt Etzelroth denn bloß getan? Wobei standen sie ihm im Weg? Peter fiel auf die Knie und betete für sich und seine Familie.

Nach einigen Stunden banger Ungewissheit für den Gefangenen flog die Tür des Verlieses wieder auf. Im zittrigen Schein einer Pechfackel trat Vogt Etzelroth ein. Peter Graychen musste die Augen zusammenkneifen, um etwas zu erkennen. Etzelroth befahl seinen Soldaten, die ihn begleiteten, den Raum zu verlassen und schloss die Tür hinter sich. Dann stellte sich der Vogt breitbeinig vor seinen Gefangenen und grinste ihn höhnisch an.

„Weshalb bin ich hier, Etzelroth?“, fragte Peter Graychen.

Etzelroths Gesicht verzerrte sich. „Stell dich nicht dumm, das wird dir auch nicht helfen, Graychen!“, herrschte er ihn an. „Du weißt genau, warum du hier bist! Also raus mit der Sprache. Wo ist dein Sohn Berthold?“

„Etzelroth, was um alles in der Welt und in Gottes Namen interessiert Euch mein Sohn so sehr, dass Ihr über Leichen geht, Gesetze brecht, wie es Euch beliebt, und Unglück und Unrecht über Eure Bürger bringt?“

„Dein Sohn Berthold ist ein Ketzer. Mehr noch, ein Zauberer und Unruhestifter. Das ist der Grund für deine Gefangennahme. Und erzähle mir nicht, du wüsstest davon nichts!“ Etzelroths Augen verengten sich und er sah Peter Graychen lauernd an. „Oder bist du gar der Meinung, dass Ketzerei und schwarze Magie oder aufrührerisches Verhalten nichts Verwerfliches sind?“

Peter Graychen schrie: „Um Gottes Willen, Etzelroth, wer hat Euch geblendet? Wer bezahlt Euch für diesen Wahnsinn? Was bekommt Ihr dafür? Mein Sohn ein Ketzer, ein Hexer der schwarzen Kunst, ein Aufrührer? Ihr wisst nicht, was Ihr da sagt! Nur weil ihn die große Zehe juckt, wenn es Regen gibt, und er das eine oder andere Mal eine Vorahnung von Dingen hatte, die dann auch zufällig eingetreten sind, nur deshalb behauptet Ihr, er sei ein Ketzer, ein Hexer? Werft eine Münze und ich sage Euch voraus, es wird Kopf oder Zahl sein! Nur deshalb verschleppt Ihr mich und besetzt mein Gut? Wo ist meine Frau? Wo ist mein Sohn? Verflucht sollt Ihr sein, Ihr ehrloser Hund …“

„Ah“, sagte Etzelroth gelassen, „wie schön, endlich einmal dein wahres Ich zu erkennen! Jetzt weiß man auch, woher dein armer Sohn Berthold diese Plage mit den Ahnungen hat. Du bist vielleicht am Ende der Hexenmeister, der seine Künste an ihn weitergegeben hat. Ja, mir scheint, dass du der Quell allen Übels bist. Da haben wir ja einen großen Fang gemacht!“

Etzelroth lachte laut und unangenehm. Seine Stimme hallte in dem düsteren Gemäuer. Peter Graychen wurde schlagartig klar, dass er dem Vogt ins offene Messer gelaufen war. „Etzelroth, lasst meine Margarethe aus dem Spiel und vor allem meine Söhne“, presste er mühsam beherrscht hervor. „Nichts haben sie mit mir zu tun. Ja, vielleicht bin ich der Hexenmeister, aber in Gottes Namen, verschont sie! Lasst sie in Frieden! Sie haben keiner Seele jemals etwas zuleide getan. Ja, Ihr habt recht! Ich bin der, der Fledermäuse lebendig frisst und ich bete rückwärts das Vaterunser. Ich habe den bösen Blick, bringe Flüche und die Pest und mir hängt der Pferdeschweif hinten heraus. Ich kenne die vier Reiter der Apokalypse. Ich habe sie oft gesehen. Mich habt Ihr gesucht!“

„Hör auf mit deinem Gejammer, Graychen!“, zischte Etzelroth. „Ich sage dir, wie es um euch bestellt ist. Und ich sage dir auch, dass es ganz allein in deiner Hand liegt, ob du und deine Familie weiterleben können oder ob man an euch vielleicht ein Exempel statuieren muss. Sage mir, wo Berthold ist, und du, deine Frau und dein Sohn werden sofort freigelassen. So einfach ist es.“

Der Vogt sagte ihm nicht, dass Margarethe und Robert Graychen schon nicht mehr im Wildbann waren, sondern bereits seit Stunden auf dem Weg zur Saarburg des Markgrafen Johann von Baden. Etzelroth hatte sich ohnehin fest vorgenommen, dieser ganzen Sippschaft mit einem Mal den Garaus zu machen. Peter Graychen steckte zu tief in der Sache drin und niemand wusste, wie viel Berthold mit seinen seltsamen Ahnungen bereits erfahren und vielleicht an seine Eltern oder seinen Bruder weitergegeben hatte. Die große Sache war zu wichtig und zu lohnend, als dass man sie durch einen dahergelaufenen und völlig unbedeutenden Hübnersohn hätte gefährden dürfen. Die Gelegenheit war einfach günstig, um unliebsame Mitwisser loszuwerden. Und so ganz nebenbei fielen auch noch etwas Geld und Güter für ihn ab. Der Vogt grinste zufrieden

Peter Graychen sah ihn hasserfüllt an. „Ich soll also das Leben meines ältesten Sohnes gegen mein eigenes, das meines jüngeren Sohnes und das meiner Frau eintauschen? Was für ein gottloses Schwein seid Ihr, Etzelroth, dass Ihr mir solch einen Handel vorschlagt? Ihr sollt jämmerlich verrecken und in der Hölle schmoren für alle Ewigkeit!“ Angewidert spuckte er aus. Wären die Ketten auch nur eine Elle länger gewesen, so hätte er sofort versucht, Etzelroth mit bloßen Händen zu töten.

Der Vogt schaute Peter Graychen mit kalten Augen an, lächelte eisig und schritt in sicherer Entfernung vor ihm auf und ab. Er sah den Hass in den Augen seines Gefangenen und seine wütende Entschlossenheit. Das machte das ganze für ihn umso reizvoller, konnte er doch seine Macht erst richtig auskosten, wenn es galt, den Willen solcher Gefangener zu brechen. Etzelroth genoss den Augenblick sichtlich.

„Nun, du kennst jetzt meinen Vorschlag. Du und der Rest deiner Familie gegen Berthold. Das ist leider das Einzige, was ich dir anbieten kann. Oder aber du schweigst weiter und wir werden sehen, was die Folter bei dir so bewirkt. Oder vielleicht bei deiner Frau?“

Etzelroth grinste widerlich, bevor er herablassend fortfuhr: „Wir finden Berthold so oder so, glaub mir. Aber wenn du noch etwas retten willst, dann sag mir, was du weißt. Tust du es nicht, dann werdet ihr alle ausgelöscht, das verspreche ich dir, so wahr ich hier stehe. Ich gebe dir ausreichend Zeit, über deine Schandtaten und die deines Sohnes nachzudenken. Du kannst hier unten schreien und jammern, toben und fluchen, du kannst Gott oder den Teufel anrufen. Das ist mir gleich, denn niemand wird dich hören. Wenn dir doch noch etwas einfällt, dann ruf die Wachen. Und wenn nicht, werden wir sehen, ob nicht vielleicht das peinliche Verhör deine Zunge löst.“

Peter Graychen schnellte mit dem Mut der Verzweiflung nach vorn, um Etzelroth an die Gurgel zu gehen. Doch die Kette war um ein weniges zu kurz und riss ihn mit der Wucht seiner eigenen Kraft hart auf den Steinboden, wo er benommen liegen blieb. Der Vogt, der um die Länge der Kette wusste, war seelenruhig stehen geblieben und lachte zynisch. „Nun, Graychen, das hättest du wohl lieber etwas früher getan, als du noch keine Ketten trugst.“

Etzelroth schlug mit der Faust dreimal gegen die Verliestür, die sofort geöffnet wurde. Als er hinausging, wandte er sich nochmals zu seinem Gefangenen. „Genieße die Stunden als mein Gast. Vielleicht sind es deine letzten.“

Dann verließ er hämisch lachend den Kerker. Peter Graychen hörte noch, wie die schweren Riegel wieder vorgeschoben wurden und sah den verblassenden Lichtschein der Fackel durch die Türfugen. Dann wurde es dunkel.

Schattenfehde

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