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XIII. Kapitel

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Wolfram Etzelroth ging zusammen mit der Wache die Treppen des Verlieses aus dem Kellergewölbe hinauf und überlegte. Vielleicht sollte er Peter Graychen tatsächlich peinlich verhören lassen. Nur so, zur Unterhaltung. Aber eigentlich war das völlig nebensächlich. Ulrich von Hachberg und er hatten ihren Plan bereits geschmiedet und darin spielten Peter Graychen, seine Frau und sein jüngerer Sohn nur eine kleine Rolle. Bedauerlicherweise aber nur lebend. Hauptsache, Berthold erfuhr davon und würde sich dadurch zu einem Fehler verleiten lassen, der sein Versteck verriet.

Der Vogt rieb sich zufrieden die Hände. Bis jetzt lief alles wie geplant. Das Wichtigste für ihn war ohnehin sein Anteil an der großen Sache. Er wollte keinesfalls leer ausgehen, wenn alles vorüber war und es ans Verteilen von Beute und Posten ging. Gedankenversunken schritt er durch den spärlich eingerichteten Wachraum und öffnete die Tür ins Freie. Die beiden Soldaten, die davor postiert waren, standen stramm und grüßten.

„Passt gut auf ihn auf oder es wird euch schlecht ergehen!“, herrschte sie Etzelroth in einem Ton an, der keinen Zweifel daran ließ, was geschehen würde, sollte der Gefangene entwischen. Mit einem ergebenen „Ja, Herr Etzelroth!“ rückten die Soldaten vor die schmale Tür, sodass diese von ihnen fast ganz verdeckt wurde. Der Vogt nickte noch einmal streng und bog dann nach rechts um die Ecke, um sich in seine Räume zu begeben.

Er steuerte gerade auf sein Zimmer zu, als von links plötzlich Hermann in der geräumigen Empfangshalle auftauchte und rief: „Vater, wie ist es gelaufen mit diesem Graychen?“

Etzelroth war noch immer nicht gut auf seinen Sohn zu sprechen. Die väterliche Schmach, die er ihm zu verdanken hatte, saß einfach zu tief. Hermann wusste nicht einmal, an welch dünnem Faden sein Leben gestern gehangen hatte, als er Ulrich von Hachberg mit seinem vorlauten und unverschämten Mundwerk provozierte. Der Vogt wusste, dass von Hachberg bereits mehrere Menschen schon wegen kleinerer Vergehen getötet hatte. Und es war wohl nur der Bedeutung seiner eigenen Person bei der großen Sache zu verdanken, dass Hermann die Sonne am nächsten Tag noch einmal aufgehen sehen durfte. Etzelroth seufzte. Manchmal fragte er sich, ob es wohl eine Strafe Gottes war, dass damals sein erstgeborener Sohn Lothar der Schwindsucht erlegen war und nicht Hermann, dieser Nichtsnutz. Aber er wusste bereits zu viel, weshalb Etzelroth ihn nicht ganz von seinen Plänen fernhalten konnte.

„Ganz gut“, brummte der Vogt verstimmt, „aber nicht hier! Komm in mein Zimmer!“

Hermann folgte seinem Vater und schloss die Tür hinter sich.

„Hör zu, Hermann, dein Interesse in allen Ehren, aber ich will nicht, dass du den Namen Graychen hier, wenn wir nicht allein sind, erwähnst. Ich möchte so wenig Aufsehen wie möglich erregen und die, die es wissen müssen, damit unser Plan funktioniert, wissen ohnehin bereits von der Sache. Dafür habe ich gesorgt. Verstanden?“

„Ja, Vater, ich werde mich bemühen“, nuschelte Hermann, da seine gebrochene Nase noch stark geschwollen war.

„Na also, das klingt doch schon vernünftiger. Glaub mir, ich sage das auch, weil ich weiß, dass Ulrich von Hachberg das nächste Mal sein Schwert gebrauchen wird. Und dann werde ich dich nicht mehr schützen können. Auch wenn du nicht der Stolz meiner Familie bist, so bist du doch mein einziger Sohn und ich möchte nicht erleben, dass du einen Kopf kürzer gemacht wirst, nur weil du dich nicht zusammennehmen kannst. Also hüte deine Zunge, Hermann. Alles, was sich in diesen vier Wänden zuträgt, bleibt auch in diesen vier Wänden!“

„Ja, Vater, ich habe das wirklich begriffen, glaube mir“, beteuerte Hermann eilfertig. „Es tut mir leid, dass ich …“

„Schweig jetzt!“ Etzelroth hob seine Hand. „Wir hatten das besprochen und ich habe dir bereits gesagt, dass nicht Worte, sondern Taten zählen – oder in deinem Fall besser keine Taten. Du wirst Gelegenheit bekommen, zu beweisen, ob du der Sache und meiner Nachkommenschaft würdig oder doch nur ein Waschweib und Trunkenbold bist, der sich von Krüppeln in Bäche werfen lässt.“

Hermann fühlte sich in seiner Ehre tief getroffen und ballte wütend die Fäuste hinter seinem Rücken. Doch er gab sich unterwürfig und senkte den Blick. Ulrich von Hachberg und sein Vater. Sie würden beide eines Tages sehen und erleben, was passierte, wenn man einen Hermann Etzelroth beleidigte. Er würde ihnen diese Schmach heimzahlen. Vielleicht nicht heute oder morgen, aber seine Zeit würde kommen. Und sein Vater würde noch erkennen, wozu sein Sohn imstande war, auf den er nie stolz gewesen war. Der Sohn, der immer nur als schlechter Ersatz für den gestorbenen Erstgeborenen herhalten musste, der vergeblich um Achtung buhlte und nie die ihm gebührende Anerkennung erfuhr.

„Graychen weiß ganz sicher, wo sich sein Sohn aufhält“, unterbrach sein Vater diese finsteren Gedanken, „aber er gibt sich stark und schweigt.“

„Dann werden wir ihm eben auf die Sprünge helfen“, sagte Hermann und griff nach dem Dolch, den er am Gürtel trug.

„Nein!“, sagte Wolfram Etzelroth bestimmt. „Siehst du, schon wieder willst du einfach drauflos hauen und stechen, ohne deinen dummen Schädel zu gebrauchen. Er ist nur lebend etwas wert, zumindest vorerst. Natürlich werden wir ihm das nicht erzählen, er soll sich ruhig vor Angst bepissen. Wäre er tot, würde sich dies schnell herumsprechen, und dann könnte die Situation für uns unsicher werden. Zu viele Leute haben schon über seine Festsetzung gemurrt, auch wenn wir das Gerücht über die Hexerfamilie gut gestreut haben. Wir müssen uns – zumindest nach außen – an die Gerichtsordnung halten, um Unzufriedenheit zu vermeiden. Zum anderen würde Berthold Graychen wohl kaum hierher kommen, wenn er erführe, dass sein Vater bereits tot ist. Verstehst du das?“

Hermann nickte.

„Also werden wir Peter Graychen auf kleiner Flamme kochen“, fuhr der Vogt fort, „und vielleicht sagt er uns ja doch noch, wo sein Sohn steckt. Allerdings könnte er versuchen, uns mit einer Lüge in die Irre zu führen, die uns unnötig Zeit kosten würde. Daher wäre es am besten, wenn er die Kufners dazu treibt, seinem Sohn eine Nachricht zu überbringen und wir dadurch dessen Aufenthaltsort erfahren.“

Das war ein genialer Plan, musste sich Hermann eingestehen. So sehr er seinen Vater auch hasste, so sehr bewunderte er den gerissenen Taktiker und Ränkeschmied, der mit einer gekonnten Mischung aus Härte und Gnade stets seine Interessen durchsetzte und damit ebenso zielstrebig wie rücksichtslos seine Macht ausbaute. Anerkennung, Vaterstolz und Liebe suchte er bei ihm vergebens, doch in Sachen Intrigen, Verwaltung und Politik war er ihm der beste Lehrmeister.

„Gut, Vater. Ich denke, du hast recht“, sagte er ohne Unterton. „Was soll ich machen?“

Der Vogt rieb sich grübelnd das Kinn. „Ich denke, du könntest ein wenig provozieren. Geh zum Hofgut Graychen und spiel dich als neuer Herr auf. Postiere ein paar zuverlässige Männer dort und lass das Gesinde spüren, wem der Hof nun gehört. Aber überspann den Bogen nicht! Und nicht zu viel Wein, hörst du! Sonst kannst du bald Peter Graychens Gesellschaft im Keller genießen.“

Hermann nickte, dachte aber nicht daran, auf den Wein zu verzichten. „Es wird mir ein Leichtes sein, Vater“, sagte er grinsend, froh darüber, einen Auftrag erhalten zu haben, der anscheinend für das Gelingen des Plans Bedeutung hatte. „Aber warum soll ich das tun? Was versprichst du dir davon?“

„Nun, ich werde es so einrichten, dass dein Auftreten in Langen zum Gespräch wird. Ich will damit den Druck auf die Kufners erhöhen. Sie sollen mit den Graychens leiden und bloß nicht das Unrecht vergessen, das ihren Freunden widerfährt.“

Der Vogt lachte zufrieden und fuhr fort: „Außerdem werde ich Kufner zu mir bestellen und ihn darauf vorbereiten, dass er schon bald einen Auftrag von mir erhält. Angeblich, weil ich ein Gesuch des Vogtes aus Dieburg bekommen habe, der mich leihweise um meinen Schreiber bittet, da seiner verstorben und noch kein passender Ersatz gefunden ist.“

„Ist er denn verstorben?“

„Noch nicht. Aber sobald ich Nachricht aus Trier habe, dass Margarethe und Robert Graychen auf der Saarburg abgeliefert wurden, informiere ich Ulrich von Hachberg. Er wird dafür sorgen, dass die Sache mit dem Dieburger Schreiber durch einen zuverlässigen Mann erledigt wird. Es sind unsichere Zeiten und die Wege voll böser Menschen – da passiert schnell einmal etwas.“ Etzelroth lachte dreckig.

„Ich werde gleich in den nächsten Tagen nach Kufner schicken und du begibst dich bereits morgen als offizieller Verwalter auf das Hofgut. Wenn unser Plan gelingt, soll es dein Schaden nicht sein – aber enttäusche mich nicht! Nicht schon wieder.“

Am nächsten Tag machte sich Hermann Etzelroth mit einigen Männern seines Vaters zum Hofgut Graychen auf. Er machte seine Sache ganz so, wie es sein Vater von ihm erwartete: Er vergewaltigte eine Magd, prügelte den Knecht, der ihn davon abhalten wollte, und erstach einen der Wachhunde.

Die Tatsache, dass sich der Sohn des Vogtes als neuer Gutsherr auf dem Hof der Familie Graychen aufspielte, machte in Langen schnell die Runde. Als Katharina und Ambrosius Kufner davon erfuhren, waren sie mehr als besorgt. Sie wussten nicht, wie sie ihren Freunden helfen sollten. Sie waren machtlos.

Nur zwei Tage später erhielt Ambrosius Kufner den Bescheid, sich umgehend bei Vogt Etzelroth auf der Burg Hayn einzufinden.

Schattenfehde

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