Читать книгу Schattenfehde - Alf Leue - Страница 16
X. Kapitel
ОглавлениеAls es an der Tür klopfte, herrschte Wolfram Etzelroth seinen Sohn an: „Los, mach auf!“
Wortlos stand Hermann auf und ging folgsam und gesenkten Hauptes zur Tür. Ihm brummte noch immer der Schädel von den Schlägen seines Vaters, der auf Umwegen von dem peinlichen Vorfall in Grubers Schankwirtschaft erfahren hatte. Als er die Tür öffnete, prallte Hermann zurück. Vor ihm stand die riesige Gestalt eines Mannes, den er noch nie zuvor gesehen hatte. Aus dem schmalen Schlitz, den ein bis über die Nase gebundenes Tuch und der Helm freiließen, funkelten ihn zwei zornige Augen an. Ohne Hermann eines weiteren Blickes zu würdigen, schob ihn der Fremde mit solcher Kraft und Leichtigkeit zur Seite, als wäre er nur ein Bündel Reisig. Hermann taumelte und hatte Mühe, nicht hinzufallen. Breitbeinig blieb der Fremde mitten im Raum stehen.
„Setzt Euch doch, Herr Ulrich!“, versuchte der Vogt die Situation zu entspannen.
Der so Angesprochene ignorierte das Angebot jedoch und sagte mit tiefer und nur mühsam beherrschter Stimme: „Was denkt Ihr, wer ich bin, dass ich mich wie ein Dieb des Nachts davonschleichen und stundenlang reiten muss, um einen Untergebenen, der seiner Aufgabe anscheinend nicht gewachsen ist, selbst zu instruieren und mich über das Fortkommen unserer Sache zu informieren? Mir wurde berichtet, was dieser Taugenichts, den Ihr Euren Sohn nennt, hier für einen prahlerischen Auftritt abgehalten hat und dass …“
„Ich denke nicht, dass dieser Ton angemessen ist, selbst wenn ich ein wenig über die Stränge geschlagen haben …“, fiel ihm Hermann ins Wort.
Doch noch ehe er den Satz beenden konnte, war der hünenhafte Fremde mit einem schnellen Schritt bei ihm und schlug ihn mit der Faust direkt ins Gesicht. Mit einem knirschenden Geräusch brach Hermanns Nasenbein, während er durch die Wucht des Schlages in die Ecke des Raumes geschleudert wurde. Nur einen Augenblick später spürte er auch schon eine blanke Klinge an seinem Hals und der Fremde zischte mit wutgepresster Stimme: „Du Missgeburt, du Hundsfott und erbärmliches Gewürm, du wagst es, mir ins Wort zu fallen? Noch einen Laut und ich trenne deinen Kopf vom Rest deines versoffenen Körpers und werfe deine stinkenden Überreste eigenhändig in den lausigen Tümpel vor eurer Burg!“
Hermann schnappte röchelnd nach Luft, wobei ihm das Blut aus der Nase schoss und sein Hemd und den Boden besudelte. Zitternd und leise jammernd krümmte er sich mit schmerzverzerrtem Gesicht am Boden.
„Herr Ulrich, ich bitte Euch, bei allen Heiligen“, rief Wolfram Etzelroth beschwichtigend.
Ulrich von Hachberg warf noch einen angewiderten Blick auf die jämmerliche Gestalt in der Ecke, steckte das Schwert zögerlich wieder weg und setzte sich zu Wolfram Etzelroth an den Tisch. Fahrig griff er nach einem Becher mit Wein, der schon vorsorglich für ihn bereitstand, und spülte seinen Ärger hinunter.
„Hört zu, Etzelroth. Das, was Euer Sohn dort in der Schänke gemacht hat, ist nicht zu entschuldigen. Ich dulde es nur dieses eine Mal und nur deshalb, weil Adolph von Nassau mich beauftragt hat, Euch für uns zu gewinnen, da er den Wildbann Dreieich für strategisch wichtig hält. Ich verstehe nicht, was meinem Herrn an Euch liegt, aber es steht mir nicht zu, das zu beurteilen. Ihr seid für mich nur so viel wert wie jeder andere Handlanger. Aber so weit, wie jetzt schon alles fortgeschritten ist, werde ich in der Eile keinen Ersatz für Euch finden. Dies jedoch ist keineswegs ein Freibrief für Euch. Ich sage nur so viel: Die große Sache ist wichtiger als jeder einzelne von uns. Und ich bin nicht einmal sicher, ob Graf Adolph selbst Euren Sohn in dieser Situation nicht endgültig zum Schweigen gebracht hätte. Doch ich will Gnade vor Recht ergehen lassen und das Geschehene nicht weitergeben, denn es schadet auch meinem Ruf. Aber achtet künftig besser auf ihn, sonst kann ich für nichts garantieren. Haben wir uns verstanden?“
Sichtlich erleichtert sagte Etzelroth: „Ja, ich verspreche, dass es nicht wieder geschehen wird. Und mein Sohn hat seine Strafe auch von mir bereits zur Genüge erhalten.“
„Ich hoffe, sie war ausreichend bemessen und hat Eindruck hinterlassen“, sagte Ulrich von Hachberg und wandte sich wieder zu Hermann. Dieser hatte sich mittlerweile vom Boden erhoben und stand wie ein geprügelter Hund in der Ecke. Er presste eine Hand auf seine gebrochene Nase, um das immer noch fließende Blut zu stoppen. Hermann legte den Kopf in den Nacken und wimmerte.
„Deine schiefe Nase soll dich jeden Tag daran erinnern, dass man sich nicht mit Ulrich von Hachberg anlegt! Und nun troll dich! Ich habe Wichtiges zu besprechen mit deinem Vater. Da sind weibische Schwätzer und Säufer unerwünscht!“
Hermann war froh, dass er gehen konnte. Als er gerade die Tür hinter sich schließen wollte, rief ihm Ulrich hinterher: „Wenn du lauschst, schneide ich dir die Ohren ab und nagele sie eigenhändig ans Dreieichenhayner Stadttor. Ich warne dich!“
Hermann verharrte noch kurz in der halb geöffneten Tür und schloss sie dann. Schmerz, Wut und Hass trieben ihm Tränen in die Augen. Für diese Demütigung würde er sich rächen. Das wirst du mir büßen, Ulrich von Hachberg, dachte Hermann bitter. Und mag der Tag noch fern sein, er wird kommen! Ich schwöre es! Doch wie hatte der Kerl bloß von dem Vorfall in der Schänke erfahren? in Langen hatten selbst die Wände Ohren, wie es schien.
Hermann wischte sich mit dem Hemd das Blut aus dem Gesicht. Seine Rache würde warten müssen, aber jetzt wollte er erst einmal Schmerz und Wut mit einem kräftigen Schluck ersäufen.
Ulrich von Hachberg zog das Tuch von seinem Gesicht und legte den Helm ab. Sein grobes Gesicht kam zum Vorschein.
„Wolfram Etzelroth, wir haben Euch ausgewählt, weil Ihr hier im Dreieichenhayner Wildbann als Vogt großen Einfluss habt. Meinem Herrn Adolph von Nassau liegt das Schicksal dieses Berthold Graychen sehr am Herzen. Er will ihn haben. Besser gesagt der päpstliche Legat Monsignore Sarenno di San Pietro. Dieser will ihn – der Herr allein weiß, warum – unbedingt in die Finger kriegen.“
„Glaubt mir“, versicherte Etzelroth eilfertig, „auch ich möchte dieses Problem lieber heute als morgen lösen, aber der Kerl ist wie vom Erdboden verschluckt.“
„Wann und wo wurde er zum letzten Mal gesehen?“
„Nun, gesehen wurde er zuletzt bei der Hinrichtung dieses Hexers in Langen. Und einen Tag später hat ihn mein Sohn Hermann in einer Schänke im Ort getroffen.“
„Euer Sohn hätte selbst Schankwirt werden sollen, dann hätte er sein Himmelreich auf Erden und wir weniger Probleme“, sagte Ulrich spottend. „Aber sagt, wenn er ihn doch dort getroffen hat, warum hat er Euch nicht informiert oder ihn gleich besser selbst festgenommen?“
„Nun“, sagte Etzelroth kleinlaut, „er hatte etwas zu tief ins Glas geschaut und sich mit Graychen geprügelt. Nun ja, vielmehr wurde er von ihm verprügelt und in den Bach geworfen.“
„Von einem Krüppel?“, entfuhr es Ulrich von Hachberg angeekelt und fast mitleidig. „Mein Gott, Etzelroth, man kann sich seine Sprösslinge nicht immer aussuchen, aber Ihr habt es wirklich schwer mit einem solchen Sohn. Vielleicht täte etwas mehr Zucht hier gute Dienste, aber das ist schließlich Euer Problem. Also zurück zum Thema: Wie finden wir diesen Graychen?“
Nach einer kurzen Pause fuhr er fort: „Wisst Ihr, mir ist es eigentlich völlig gleich, warum dieser päpstliche Gesandte Euren Bauerntölpel haben will. Ich bin Graf Adolphs getreuer Mann und nur sein Befehl zählt für mich. Aber diesem Sarenno di San Pietro traue ich nicht und weiß bis heute nicht, was er im Schilde führt.“ Ulrich verzog das Gesicht zu einer kurzen, nachdenklichen Grimasse. „Aber das soll unsere Sorge jetzt nicht sein. Wie bekommen wir diesen Graychen so schnell wie möglich zu fassen?“
„Zum einen sollten wir unter einem Vorwand seine Familie verhaften und trennen. Den Vater behalte ich hier auf Burg Hayn als Lockvogel für den Sohn. Vielleicht weiß er ja auch etwas. Die Mutter und den Bruder halten wir irgendwo anders fest. So haben wir genug Druckmittel.“
„Und Ihr denkt, dieser Graychen wird kommen, um seinen Vater oder seine Mutter befreien? Er ist sicher verzweifelt, aber gewiss nicht verrückt. Er weiß doch, dass er das nicht schaffen kann. Und überhaupt, wie soll er es erfahren, wenn wir nicht einmal seinen Aufenthaltsort kennen? Ein stümperhafter Plan, wahrlich!“, erwiderte Ulrich von Hachberg.
„Einen Moment! Das ist doch nicht der ganze Plan“, sagte Etzelroth. „Ich weiß selbst, dass das nicht funktionieren würde. Aber Ihr habt es eben selbst gesagt: Wie erfährt er davon? Nun, die Tochter des Stadtschreibers, Katharina Kufner, ist seine Verlobte und steht sicher noch in Kontakt mit ihm. Alle in der Stadt werden von der Verhaftung der Graychens erfahren. Dann werde ich Ambrosius Kufner den offiziellen Auftrag erteilen, für eine längere, aber überschaubare Zeit – sagen wir zwei Wochen – in eine mit uns verbündete Stadt zu reisen, um dort einen angeblich wichtigen Auftrag zu übernehmen. Ein zur Abschrift geeignetes Dokument wird sich leicht finden lassen. Weiterhin muss sichergestellt werden, dass Kufner seine Tochter als Helferin mitnimmt. Sie ist auch des Schreibens und Lesens kundig.
Wenn dies alles so zustande kommt, würde es mich sehr wundern, wenn einer der beiden nicht die Gelegenheit beim Schopfe packt und versucht, Berthold Graychen auf irgendeine Art und Weise über die Geschehnisse in Kenntnis zu setzen. Wir werden natürlich sofort darüber informiert sein, da sich ein Spitzel von uns an ihre Fersen heften wird. Solange, bis ich einen Grund und einen Mitstreiter in einer anderen Stadt gefunden habe, werden der Stadtschreiber und seine Tochter unter ständiger Beobachtung stehen und gewissermaßen an Langen gebunden werden. Der Schreiber und der Vater von Berthold sind gute Freunde, daher wird es ein Leichtes sein, Kufner durch die Blume zu sagen, dass er um Peter Graychens willen besser in Langen bliebe.“
Etzelroth lächelte selbstzufrieden. „Nun, was haltet Ihr davon?“
„Das könnte klappen – aber nur, wenn sie etwas wissen“, wandte Ulrich von Hachberg ein.
„Ja, wenn sie etwas wissen, aber dessen bin ich mir sicher!“
„Warum verhört Ihr die beiden nicht einfach, wenn es sein muss auch unter der Folter? Ich denke, dass würde ihre Zungen ebenfalls lösen – und zwar mit weniger Aufwand für uns und vielleicht sogar etwas mehr Vergnügen“, schlug Ulrich von Hachberg mit einem Grinsen vor.
„Herr Ulrich“, entgegnete Wolfram Etzelroth „bedenkt, es handelt sich hier um den offiziellen Langener und Dreieichenhayner Stadtschreiber und seine leibliche Tochter. Und nicht etwa um irgendwelches Pack, das niemanden interessiert, wie diesen Franz oder die Graychens, bei denen ich durch die Flucht ihres Sohnes einen guten Anlass zur Festnahme habe. Ich denke, wir dürfen den Bogen nicht überspannen und bis zur Vollendung der großen Sache so wenig Aufsehen wie möglich erregen. Was außerhalb von Langen mit ihnen geschieht, ist eine andere Sache. Aber ich möchte nicht riskieren, dass der Erzbischof auf uns aufmerksam wird.“
„Ja, Ihr habt recht, das hatte ich nicht bedacht“, lenkte Ulrich widerwillig ein. „Gut, dann machen wir es so. Und die Mutter und den Bruder dieses Bauerntölpels verstecken wir in der Pfalz bei Markgraf Johann von Baden, der fest zu uns steht und uns noch etwas schuldet, als Faustpfand sozusagen. Um einen geeigneten Mann, der sich als Spitzel an die Fersen des Schreibers hängt, müsst Ihr Euch selbst kümmern. Wir übernehmen den Stadtschreiber. Übrigens kann so einer ja durchaus plötzlich versterben, nicht wahr?“ Er lachte gehässig.
„Sagt uns nur, welche Stadt Ihr auswählt. Und eins noch: Ich hoffe sehr, wir können uns diesmal wirklich auf Euch verlassen, Etzelroth! Oder wird es wieder irgendwelche Probleme mit Eurem nichtsnutzigen Sohn geben?“ Ulrich von Hachberg sah den Vogt drohend an.
„Nein, natürlich wird es keine Probleme mehr geben. Ihr könnt euch voll und ganz auf mich und meine Treue verlassen“, beeilte sich Etzelroth zu versichern. „Und was meinen Sohn betrifft, so seid auch hier unbesorgt. Der wird von mir in nächster Zeit kurz gehalten, das steht fest.“
„Gut.“ Ulrich von Hachberg erhob sich und leerte seinen Becher. „Dann breche ich jetzt auf. Die Zeit drängt!“ Er zog sich das Tuch wieder über das ins Gesicht und setzte seinen Helm auf. Stumm gaben sich die beiden Männer zum Abschied die Hand. Als Ulrich von Hachberg das Zimmer des Vogtes verließ, war es bereits lange nach Mitternacht.